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— Er ey
rau. I TI
106.
—
Berliniſches
Archiv der Zeit
ihres Geſchmads.
Qua vereri deberent, etigm si percipere non possent,
Crozao,
Jahrgang 1797. .
E Hamas
j Zweiter Band.
Yulius bis December
Berlin,
bei Friedrich Maurer 1797.
’ Pal
De
PR Snhbalt ..
“ des
weiten Bandes,
Suline.
L Ueberfitht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
J Am Anfange des Junlus 1797... 00... Seite ı
I. ueber die italieniſche KonPlie.” Con Herm Grafen
von 2 11 7 T 77 27
UM. Hat Schläger Recht, wenn er in feiner Weltger /
ſhichte fagt; „dumme grenſchen zu ihrem Blüde
Höingen,, heißt fie Tegieren; Die meißen Menfchen find -
dumm, müffen alfo regiert werden? on Herrn
Drofefior Schummei in Breslau. '. ; . og
IV. Die Kinderzucht. Eine Satyre von Her Bothe. — 6
%
I. Der Speffart. Eine Novel... . . . . a 2*
VI. Gedichte von. Marie nich gebeheme Schmidt, -
3. Der Schillerſche Muſenalmanach fir uzg7. . » = ib.
2. Terpfihote von Herder... . . Kerne
9
3. Das Sprichwort: Hin ik HR! Hin kehrt nicht
I LE 7 ib
w Posmalion and Elfe nn 27
VII. An die ausländifchen gelehrten Männer, Die den
7 Beinamen unfers Friedtich des Zweiten nicht nach ⸗
forechen wollen. Veim kefen in der Wineron, ii
27557. S. 130. Bon Harn Caustieus Sleim . *
VEN. Beim Leſen in der Grau Ho Blumenthal
gebensbefchreibung bes Generale von Zieten. Bon
Hertu Cancaicus Sleimn. 8 %
2
v Inhalt bed zweiten Bandes,
— — —— — —
KT. Beim Auſchaun der Bilbſäule Zietens on Schar
dom. Don Herrn Canonicus Sleim. .... Seite 25
x: Beim Aublick des bekannten Chodowieckyſchen Ku⸗
pfertichs: der ſchlafende Bieten. Won Herrn Eanos
nikus ÖBleim oo core
Auguf.
L. Meberfiht der merfshrbigfien Staatsbegebenheiten.
Am Anfange des Zulind-1797. 0 2 0 0 ne
II. Bemerkungen über.bie erfien Kriege der Mömer in
Deutſchland, und ihren Einfluß auf die Deutſchen.
Bon Ham W. Süvern . oo 000.
III. uUeber Lievland. Dritter Brief von Hd. 2. +
IV. Ueber Schwaͤrmer und Gittenrichter. Beitrag zur .-
Charakteritit 000000 ne.
V. Dempnftrativer Beweis, [3 Inn t kein Kantigner i.
VI. ums Hoam, ‚oder bie Seelenwanderung. Von
Hm.E.Grofe ne nern.
VI. No) einige Gedichte von Marie Munich ges
bohrne Schmidt. neo ee en
. September.
1. Weberficht der merfmwürdisfkten Staatsbegebenheiten.
"Dem Aufange des Auguſt 1797. 2 0 00 ne
11. Ueber das Privatleben der Deutfchen, nad; ber Bölr
‚ Sermanperung, und. vor Karl dem Großen. Man
hm Det een
II. Weber, die, bromenen ‚Arbeiten gu Stockholm und
: St. Ppteröburg. Won Herrn Meetor und Hoſbild⸗
hauer Scha do w...
-.
-u7
-ı6
-ı@
— 19
-ın
W. Die Braͤder ein bramatifches Gemälde. . Bon -
Seren Brofeflor Rambach ... 0 0. =
V. Guns Hoam oder die Geelenmanberung. Von Herrn
E Grobe (Beh) nenne
VI. Etwas über die Griechen. „An unfre Damen. Bon
[TR 177
YIr._ Erfindung der Schrift. Bon Hrn. Sreudentheil. >>
Inhalt des zweiten Bandes. r
, October.
1J. neberſicht der neueſten Staatsbegebenhelten. Am
Anfange des Septembers i7....... Seite a9
N. Ueber die italienifche Komedie. Bon Herrn Grafen
von Bargas. (Bortfegung). - 00.2
IM. uUeber das Privatleben der Deutfchen nach der Völ⸗
kerwanderung, und vor Karl dem Großen. Don
Herm Herssg. CBefhluß) » oe mg
IV. uUeber die innere Einrichtung ber Stiftshuͤtte. Ein
Beitrag jur Geſchichte der Eleftrieität. An Herrn
Hofrath und Profeffor Lichtenberg in Göttingen.
Bon Herm Bendasid. 2 2000.00 38
V. ueber Lievland. Wierter Brief von d. - » 0 — 348
VI. Elegie von P. Lotichius, Überfegt von &...n. — 350
VI. Die Vernunft. Eine Satyre von Herrn Bothe. — 355
VIII. Der redende Hut. Bon Her C. Große.» — 359
IX. Das ichte Gluͤck. Eine Epifiel von Fr. vonBind, — 375
"X. Der Friede. Von Herrn Freudentheil. . . — 379
XL Raphael, von ſich ſelbſt gemahlt, im vatikaniſchen
Pallaſt. Nach dem Italiaͤniſchen des Zappi. Won
Seren Prediger Jenifh.. 20 nme ger
XII. Auf den berühmten Marmorkoloß, Moſes, in der
Veterskirche, von Michels Angelo. Nach dem
Staliänifchen des Bappi. Von Herrn Prediger
E17 11 (Pepe SEE ze 777
XII. Rangfieeit ber Feder und des Degens. Won Kern
Rektor Sangerbanfen verein 3
November.
% Neberficht der. merfwuͤrdisſten „Stansäbegebenpeiten.
Am Anfange des Octobers 12797. 2 3 0. . Seite a88
U. Ueber Humanitaͤt, als den Quell und das Ziel alles
Schönen in der Kunſt. Don Hrn. Prof. Rambah — 462 .
NL Gedächtnißrede auf dem verſtorbenen Direktor der
Akademie der Kuͤnſte iu Berlin, Hrn. Bernhard
Rode Don Hm Pf. Ramlerı oe = 4
vr Igdalt des zweiten Vandes.
— — — — —
IV, An Herrn Bernhard Rode. Bon Hrn. Prof.
E71. 17 BE
V. Die Literaten. Eine Satyre von Hrn. Bothe
VL Aus einem Briefe von Kom 22.20.
VII, Der Weihnachtabend. Ein kleines Gemälde aus
dem häuslichen Leben = 2 0 2 2 =»
46
VII, Die beſte Welt. Eine Epiftel von Hrn. Sr. von Bine — 48
IK Zwei Gedichte von Hm. Prediger Bindemann.
“-2) Erinnerung im Da 2 ee
2a) An die Schwalben 20.
*
December.
1. Ueberſicht der neueften Staatsbegebenhe ten. An Ans
fange des November 1797. 0.0 200 0 0
1. Weber den Kunſtſchatz des Königlich: Preußifchen Haus
ſes. Eine Vorleſung, gehalten bei der öffentlichen,
Sitzung der Akademie der ſchoͤnen Künfte und mechas
nifchen Wiffenfchaften, ben 25. Gept. 1797. Bon
Heim Hoftath Hirt. ........
II. Nachtrag zu dem Aufſatze: Ueber bie innere
Einrihtung ber Stiftshütte. Don Herrn
Bendasid.. ven een
= IV. Denkwuͤrdigkeiten in Mädficht auf den Geiſt ver
Zeit, wähsend des franzäfifchen Krieges gefammelt.
V. Der Weihnachtabend, „Ein feines Gemälde ays dem
häuslichen Leben. (Beihluß) - v0. . =
vn Daphue er tree
VII. An Jean Paul © oe een er
VII. Der Herbſtnebel. Von Hrn. Seemann, ..
IX. Ein Wort über bie ueneflen Moden Cals Erklärung
des Kupfers..
— 45
_ 41%
m.
-;7
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BVerlinifdes
Archivder Zeit
und
ihres Geſchmacks.
\ Julius 179%
L
Ueberfiht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenbeiten.
Am Anfange des Junius 1797.
Seen Buonaparte zu Goeß bei Leoben, am ısten April,
die Präliminarien eines Friedensvertrages mit den Gefchäftes
trägern des Kaifers unterzeichnete, verſchwindet überall immer
mehr und mehr das furchtbare Anfehen des Krieges. Der
Fruͤhling ſchmuͤckt die Fluren und ladet zu einem Senufe ein,
dem. der Friede durch Frohſinn und Harmloſigkeit die Weihe
giebt. — Zwar ſtehen noch in manchen Gegenden des angefoch⸗
tenen Deutſchlands die Armeen der ſiegreichen Franzoſen; aber
dies ſcheint mehr in der Abſicht zu geſchehen, dem Frieden, der
auf dieſe Art mit den Waffen in der Hand gefchloffen wird,
alle feine Würde und diejenige Beftigkeit und Dauer zu geben,
die ihm um fo lebhafter zu wuͤnſchen iſt, da er in Ruͤckſicht ſei⸗
ner Ausdehnung und der Erbitterung von beiden Seiten in der
Geſchichte ſchwerlich feines gleshen hat. Zu einem gleichen
Zwecke fheint die feit den. legten Jahren ungewöhnliche Vers
ſchweigung der Friedenspräliminarien, ſelbſt von der franzoͤſi⸗
ſchen Regierung, frenger beobachtet zu werden: denn auffer
den neulich ſchon angeführten drei Punkten ift noch nichts weis
Deitter Jadıa, atız Band, 4
2 L Ueberficptder merfwürdigfien Staatsbegebenheiten.
— —— — — —
ter betanut geworden. Es ſcheinen auch In der That dieſe Prär
fiminarien mehr den Ftieden Frankreichs mit dem Haufe Defis
reich, oder dem deutfchen Kaifer als Könige von Ungarn und
Böhmen -und Erzherzoge von Deftreih, zu begründen, und
nur infofeen als dadurch die Integritaͤt des deutſchen Reichs
geſichert worden, und dem Reiche, feit dem Frieden Oeſtreichs
mit feinen Feinden, der Widerftand gegen eine fo große Macht
unmöglich geworden wäre, die Grundlage eines allgemeinen
Heichsfriedens fein zu koͤnnen. Einftellung aller Feindfeligkeiten
iſt die erfte glükliche Folge diefes Vereins, deſſen Feſtigkeit,
bei dem ſich fo mannigfach Ereuzenden Intereſſe der theilnehs
menden Partheien „das tiefſte Nachdenken der Staatsfenntnig
and Staatserfahrenheit erfordert,
Die Armeen der Franzofen am Rhein, über deren Stellung
zu Heidelberg eine Berathſchlagung zwiſchen den beiderfeitigen
Feldherrn gehalten wurde, haben nicht allein die ihnen daſelbſt
angewieſenen Pläße eingenommen, fondern fich Ihrem Vaterlande
immer mehr genähert, Das Moreauſche Heer, welches ſich
Hinter der Speierbach feßen follte, ift, wie es heißt, feiner
beträchtlichften Anzahl nach ſchon wieder über den Rhein zurück
gegangen, und auch die Sambre / und Maasarmee nähert ſich
immer mehr dem Vaterlande, indem ihre Neuterei ſchon größs
tentheils die Rückkehr angetreten hat. Selbſt ihr Feldherr
Hoche iſt nad) Paris zurückgekehrt, um, wie man vermuthet,
eine Unternehmung, die ihm ſchon einmal anvertraut war,
eine Landung in Irrland, die gleich ſtark von den Unruhen in
diefer Inſel und auf der englifchen Flotte beginftige wird, von
neuem zu Übernehmen. — Und felbft fo fange diefe Truppen
noch auf deutſchem Boden waren, gewaͤhrte die Eintracht der⸗
ſelben mie den nun verſoͤhnten Feinden einen ruͤhrenden Anblick.
"Am Unfange des Junius 1797. 3
— — — — —
As Hoche zu Frankfurt zum Beſuch war, und Bernadotte
auf feinem Ruͤckzuge nach Itallen ſich in Leoben aufhielt, ents
fand an beiden Orten eine Feuersbrunſt, und die Feldherrn,
weiche Fury zuvor noch bereit geweſen waren, Feuer in diefe
Städte zu werfen, eilten nun ‚mit ihren Schaaren herbei, es
zu löfchen. — Auch iſt es der Freimuͤthigkeit deutſcher Männer
zu Diiffeldorf gelungen, gegen den militärifchen - Terrorism,
mit welchem der franzoͤſiſche Brigadechef Miquelferiet die der
Stadt auferlegte Harte Eontribution einzutreiben drohte, die
Rechte und Forderungen der Menſchlichkeit bei dem oberſten
Feldherrn Hoche geltend zu machen, der in einem Schreiben
an den Beneral Championer erklärte, daß Drohungen der Art
von unwiffenden und graufamen Vandalen herrühren müßten,
daß er Miquelferiet und feine Theilnehmer zuruͤckberufen und
zur Strafe ziehen folle. Eben fo find Einwendungen gegen
manche andere Contributionen, welche diefes Meer ausfchrieb,
nicht ohne glücklichen Erfolg geweſen.
Das ſiegreiche friedenftiftende Heer Buonaparte's hat nun
auch ganz das deutſche und Öftreichifche Gebiet geräumt; die
Truppen des Kaifers folgten ihm und nahmen die von ihm vers
laſſenen Orte in Befig. Diefe ftehen bereits auf italiaͤniſchem
Boden, und werden vielleicht bald auch Mantua wieder bes
fegen. Klagenfurth, Görz und Trieft waren die Orte, welche
die Franzofen zulege verließen. Von Teieft ift auch am ı7ten
Mai der Commandant Sibille mit einer franzöfiihen Flotte
von neun Fregatten und andern Fahrzeugen gegen Wenedig
abgefegelt.
So iſt die Ruhe überall auf deutſchem Boden wieder her⸗
geftellt. Der Kaifer, der fich wieder im Schooße feiner Famis
le befindet, belohnt die ihm bewieſene Treue durch Denkmuͤn⸗
A 2
4 1. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
— eç —— —r — — — —
gen und Ehrenbezeugungen. Auch der Magiſtrat von Wien hat
denen Männern, welche die Vertheidigung der Stadt anords
neten und leiteten, dem Prinzen von Würtemberg und dem
Grafen von Saurau, "nicht allein das Bürgerrecht ertheilt,
fondern auch bronzene Büften im Zeughaufe der Bürger ers
richten zu laffen befchloffen. Nach Goͤrz, wo man die Franzo⸗
fen mit-zu vorfchneller Bereitwilligkeit empfing, hat der Kaifer
eine Unterfuhungsfommiffion gefandt, und an die Tyroler,
die im Gefähl ihrer Kraft und dem Bewußtſein ihrer geleifteten
Dienfte, minder: geneigt zur Ruhe ſcheinen, eine Ermahnung
erlaffen. Wie es heißt, wird. er ſelbſt mit feiner Familie nach
Inſpruck gehen, und dadurch eben fo fehr dem Stolze diefer
Nation ſchmeicheln, als ſich die Zuneigung des unruhigen Bergr
bewohners erwerben. — Alles geht Übrigens gern zu ſtiller vers
dienftvoller Thaͤtigkeit des Friedens zuruͤck, und bereitet ſich
zu zeigen, daß man eben fo viel Achtung für friedliche Burgen
tugenden, als zur Zeit ber Gefahr Muth, Patriotismus
und Trieb zur Aufopferung habe.
Dem jüngen Helden, der in-einem einzigen Jahre ganz
Italien uͤberwand, einige Staaten deffelben mit den Waffen
in der Hand, andere ſchon durch entfernte Drahungen zu einem
theuer erfauften Frieden zwang, der einer neuen Republik ihr
Daſein gab, und durch feine entſcheidenden Schläge entfernte
Provinzen mit feinem Vaterlande vereinigte, und ihm einen
allgemeinen Frieden auf dem feften Lande gewann, — Buonas
parte, war es aufbehalten, mit feinem durch ununterbrochene
Siege und unerfchütterlihe Tapferkeit furchtbaren Heere,
ſelbſt auf dem Ruͤckzuge noch, gleihfam nur im Voruͤbergehen,
einem alten feftgegrändeten Staate, deſſen Verfaſſung Jahr⸗
Hunderten, und einer Menge von Stuͤrmen rund umher getroge
Am Anfänge des Junind 1797. 3
hatte, eine neue Einrichtung zu geben. Mit Bewunderung
bat Europa gefehen, wie Venedig mit feltner Feſtigkeit feiner
Neutralität getreu blieb, wie weder Drohungen noch Schmeis
cheleien, noch Gemaltthätigkeiten es von feinem angenommenen
Syſtem abbringen fonnten. Ludwig der XVII lebte in Ber
rona wie jeder andere Fremdling, und genoß keiner ehrenvollen
Bezeugung des Staats. Meftreicher und Branzofen machten
wechſelsweiſe das Gebiet von Venedig zum Schauplaß ihrer
Gefechte oder Lager, und der Staat ſchien dies alles role eine
Mothwendigkeit zu betrachten, der es fruchtlos gewefen wäre,
fid) zu mwiderfegen. — Es ift jegt unmöglich zu enticheiden,
welche von den mancherlei denkbaren vielen Urfachen hier eigents
lich thaͤtig geweſen Ift, ob die Feinde Frankreichs fih von
einem abgeſchnittenen Ruͤckzuge der Franzoſen viel verſprachen,
und ihn durch die venetianiſche Macht zu bewirken glaubten;
ob die Regierung dieſes Staats ſich dadurch aus ihrer kalten
Ruhe aufbringen ließ, oder ob die in Bergamo u. ſ. w. ausge⸗
brochene Revolution den erften Anlaß dazu gab, und von den.
Franzofen als ein Mittel zu.diefem Zwecke gebraucht ward. —
Fragen dieſer Art entfheidet die Zeit, die nicht dazu gemacht
if, die Brände und Mittel ſolcher Ereigniſſe zu verſchweigen.
Sie früher beantworten zu wollen, wäre Arroganz:
Die Unruhen, welche im Venetianiſchen zwiſchen Ber
gamo und Salo u.F w. vorgefaflen find, die Zufälle, welhe:
die Franzofen: zwangen, ſich entfcheidend in diefelben zu mifchen,
nebft der Anfrage Buonaparte's an Vehedig, ob es Krieg oder:
Srieden wuͤnſche, find fhon im vorhergehenden‘ erwähnt; —
Hiermit war aber die Sache nicht euitfchleden: Die bewafftietem
venetianifchen Bauern, von einer Anzahl Slavonier und Dab:
matier unterftügt, hatten fih der Stadt Verena beindchtign,
a3
6. 1. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
und die franzoͤſiſche Beſatzung unter dem General Balland in
der Eitadelle eingeſchloſſen. Kilmaine und Landrieur eilten mit
lombardiſchen nnd feanzöflihen Truppen berbei; es kam zwi⸗
ſchen den legtern und den venetianifchen Truppen zwiſchen Bes
rona und Pelchiera am zoften April zu einem fehr heftigen Ger
fechte, in welchem die Franzoſen in Gefahr waren, eingefchlofs
fen zu werden. Die ganze gegen fie verfammelte Macht bes
fand etwa aus 4r00 Mann, von melden ein beträchtlicher
Theil unter dem venezianifchen Oberften Ferro fi in das Dorf
Croce bianca geworfen, und in einem großen Gebäude daſelbſt
mit allem Waffenvorrath verfhanze Hatte. Der Generals
Albjutant Devaur nahm dies Dorf und fünf Kanonen weg, die
er auf die Venezianer richtete; eine Kugel derfelben trift das
angeführte Gebäude, zündet das Pulvermagazin, und fprenge
fo das ganze Haus in die Luft. Fünfpundert Slavonier mit
ihren Anführern, Pferden und Wagen wurden bier vernichtet,
Dies entſchied; alle Übrigen wurden von den Franzofen, die
mit einer unanfhaltharen Erbitterung fochten, entroeder niebers
gehauen oder gelangen genommen Die Zahl der Iegtern ber
trug nur 105. — Kilmaine und Victor rückten unterbeffen mit
ihren Schaaren immer näher auf Verona, und das Geſchuͤtz
der Belagerten Im Kaftel fpielte immer auf die Stadt, wo an
mehreren Orten Feuer entſtand. Funfzehntaufend Franzofen
fanden am 23ften April vor Verona, und das ſchreckliche
Schickſal der Vertheidiger von Eroce blanca, fo wie die Uebers
fegung, daß einer folhen Macht kein Widerftand zu leiften ſei,
ließ die Venezianer in Berona eine Capitulation wänfhen. Sie
erhieften fle am 24ften April, und mit ihr Sicherheit der Pers
ſonen, des Eigenthums und Freiheit des Gottesbienftes. Die
venezianifchen Beamten und Heerfuͤhrer hatten mit der Reu⸗
- Am Anfange des Junius 1797. y
— — — —
terei in der Nacht die Stadt verlaſſen. Die Befreier beſetzten
ein Thor, und ihre aus ber Citadelle befreiten Brüder nahmen
die übrigen Theile der Stadt ein, Dreitaufend Slavonier, die
beivaffneten Venezianer nicht gerechnet, wurden zu Gefanger
nen gemacht, die Häupter des Aufftandes in die Eitadelle ges
bracht, und mehrere Geifeln für eine hohe Contribution aus
gehoben.
Während diefer Vorfälle war es dem öftreichifchen General
Loudon, der von Tyrol herab vorgedrungen war, durch bie
Unterzeichnung der Friebenspräliminarien unmöglich gemacht,
den venezianifhen Empörern den Beiſtand zu leiſten, auf wel⸗
en fie gerechnet zu haben ſchienen. Die bald nachher zuräds
getehrte Armee Buonaparte's, die durch einen vereinigten
Marſch in drei Kolonnen durch das Friaul, durch die Polefina
von Movigo und durch das Veronefifche vorrückte, vernichtete
vollends alle Hoffnungen, welche die Venezianer genaͤhrt hats
tn. Am Ende des April war das ganze fefte Land biefes Frei
ſtaats in den Händen der Franzofen; die Aufrührer wurden
überall entwafinee, die Haͤnpter der Regierung verjagt, die
Truppen gefangen oder entwaffnet, und bie Dificiere verpflich⸗
tet, ihre Uniform abzulegen. Bei allen diefen Befignehmuns
gen iſt fein Blut vergoſſen, die Einmohner von Vicenza und Pas
dua öffneten ihre Thote und fandten den Franzojen Deputafios
men entgegen. Am zoften April fand ihr Vortrab ſchon bei.
Fufina, Venedig gegenüber, welches allein durch feine Lage
geſchuͤtzt war. Ueberall ſind in den Städten höchfte Gewalt⸗
haber im Namen der franzoͤſiſchen Republik beſtellt, das Wa⸗
pen der venezianiſchen Republik abgeriſſen, und die franzoͤſiſchen
Geſchaͤftstraͤger Hatten Befehl, die Güter der Adlichen aufzu⸗
zeichnen, und die Einkünfte derfelben einzuziehen. .
A4
8 1. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
Segt erklärten die franzoͤſiſchen Generale, daß ihr Frei⸗
ſtaat die Revolution von Brefcia, an welcher fie bisher gar
keinen Antheil nehmen wollten, fchügen werde, und forderten
bie einzelnen Städte auf, Abgeordnete nach Breſcia zu ſchicken.
Auch gab General Chabrau den Einwohnern von Salo eine
Eontrihution von 100,000 Livres, die ihm fhon ausgezahlt
mar, als Freunden zuruͤck, da fie die erwähnten Bedingungen .
erfüllt hatten Die neuen Municipalitäten in Padua, Verona
und Vicenza machten bie Aufhebung des Adels und aller Privir
legien bekannt, wie dies ſchon vorher in der cispabanifchen Mer
publit und in Bologna gefchehen war, woraus man auf eine
Einverleibung diefer Provinzen in den neuen Freiſtaat fchließen
au koͤnnen glaubt. N
" Der Senat von Venedig konnte bei allem biefem um fo
weniger unthätig bleiben, da am entgegenftehenden Ufer der
Hauptftadt ſich eine- Macht von 20,000 Zranzoſen fammelte,
und alle Kräfte, welche die Republik aufgeboten hätte, mit
wenigen Schlägen niedergefehmettert waren. Von dem Er⸗
folge, welchen eine Unterhandlung mehrerer Senatoren
von Venedig mit Buonaparte, die in der Laguna von
Murghera am ıflen und aten Mat ſtatt fand, iſt wenig ber
Tanne geworben; vielleicht beftand er allein in einem Waf⸗
fenſtillſtande von wenigen Tagen: denn folange herrſchte Ruhe
um Venedig her. i
Am ten Mat erließ Buonaparte, jener Unterhandlung
oßnerachtet, folgendes drohende und entfcheidende Manifeft an
die venezianifche Republik, welches wir, da es über die Feind⸗
feligfeiten beider Freiftaaten und die Wegebenheiten Licht giebt,
bier ganz aufnehmen.
Am Anfange des Junius 1797. Fi
— — — —
Ma nifek
Im Hanprquartier in Palmas Nuoda,
den ı4ten Floreal. ( Mai.)
Buonaparte, General en Chef der italienis :
fhen Armee. .
Während die franzoͤſiſche Armee in den engen Paͤſſen von
Steiermark engagirt iſt, und Stalien und die vornehmften Etas
bliffements der Armee, in welchen bloß eine Heine Anzahl von’
Bataillons zurüctgeblieben, weit hinter fich gelaffen hat, ve.
trägt ſich die Regierung auf folgende Weife: 1) Sie Benuge
die Heilige Woche, um, außer zehn Regimentern Sklavoniern,
40000 Bauern zu bewaffnen, organifiet felbige in mehrere:
Eorps, und ſchickt fie nach verfchiedenen Gegenden, um alle
Kommunikation zwiſchen def franzöfifchen Armee und den Pros
vinzen, die felbiger im Rücken find, aufzuheben. 2) Außerordents
liche Kommiffarien, Flinten, Munitionen aller Art, undeine große
Anzahl Kanonen gehen aus Venedig ab, um die Organifation-
der verfchiedenen Corps d' Armee zu vollenden. 3) Man läßt
auf dem veften Gebiet von Venedig alle diejenigen arretiren, die
uns gut aufgenommen haben, man Überhäuft mit Wohlthaten
und mit dem Zutrauen der Negierung alle diejenigen, von
denen man weiß, daß fie die Franzoſen wüchend haſſen, und
befonders die vierzehn Verſchwoͤrer von Verona, welche der
Provebitore Prioli vor drei Monaten hatte arretiren laſſen,
weil eine Maſſaere der Franzofen von ihnen entworfen worden
war. 4) Auf den Eaffee» Häufern und auf allen öffentlichen
Plägen zu Venedig inſukirt und mishandelt man die Franzos
‚fen, und giebt ihnen bie beleifigenden Namen von Jakobinern,
Königsmördern, und Atheiften. Die Framoſen muͤſſen fich
aus Venedig entfernen, und bald darauf verbietet man ihnen,
Ars
1o I. Ueberſicht der merfwärdigfien Staatsbegebenheiten.
wieder dahin zurückzukehren. 5) Dean befiehle dem Volke zu
Padua, Vicenza und Verona, die Waffen zu ergreifen, bie
verſchiedenen · Eorps d’Armee zu unterftügen, und neue flcilias
niſche Vespern anzufangen. ,, Dem Löwen des heiligen Mars
eus am. es zu, (fagen die venetianifhen Dffiziere) das
Spruͤchwort wahr zu machen: daß Italien das Grab ber
Feanzofen tft.” 6) Die Priefter predigen von den Kanzeln
den Kreuzzug gegen die Franzoſen — und die Priefter im Ber
netianifhen fagen niemals etiwas anders, als mas die Regie
zung will. Pamphlets, Hinterliftige Proklamationen , und
Anonymifche Briefe werden in den verſchiedenen Städten gedruckt,
und fangen an, alle Köpfe in Gaͤhrung zu bringen; — und
in einem Staate, wo die Preßfreiheit nicht erlaubt iſt, und
unter einer Regierung, die eben fo gefürchtet, als im Stillen
verabſcheuet wird, verlegen die Drucker und verfertigen die
Schriftſteller nichts, als das, was der Senat will. 7) Alles
lächelt anfangs dem treulofen Projekt ber Regierung entgegen.
Das feanzöfifche Blut fließt von allen Seiten; auf allen Heer⸗
fragen fängt man unfere Convoys, unfere Eouriere ‚und alles
auf, was mit der Armee in Verbindung ſteht. 8) Zu Padua ers
mordet man einen Wataillonschef und zwei andere Franzofen.
Zu Caſtiglione di Mort werden unfre Soldaten entwafinet und
maffacrirt. Auf den Heerftraßen von Mantun nad) Legnago
und von Caſanno nad Verona werden über zweihundert Frans
zoſen ermordet. 9) Zwei franzöfifche Bataillone, die wieder
zu der Armee floßen wollen, treffen bei Chiari eine Divifion
der venetianifchen Armee an, die ſich dem:Durhmarfch derfels .
ben widerfegen wil. Es komme zu einem hartnädigen Kampf,
und unfre braven Soldaten bahnen fi) einen Weg, Indem fie,
die treuloſen Feinde in die Glucht ſchlagen. 10) Zu Valleggie
Am Anfange ded Junius 1797. 11
kommt es zu einem andern Gefecht; auch zu Deſenzano muß
man ſich von neuem ſchlagen. Allenthalben ſind die Franzoſen
wenig zahlreich; allein ſie wiſſen wohl, daß man nicht auf die
Staͤrke der feindlichen Bataillone rechnet, wenn ſelbige nur
aus Meuchelmoͤrdern beſtehen. 11) Am zweiten Oſtertage
werden alle Franzoſen unter dem Gelaͤute der Glocken in Ve⸗
rona ermordet. Man ſchont weder die Kranken in den Hoſpi⸗
tälern, noch diejenigen, die in der Beſſerung find, die in den
Straßen herumfpaziren, und die man in die Etſch wirft, in
welchem Fluſſe fie — mit taufend Dolchen durchbohrt — ihr
Leben aufgeben. Ueber vierhundert Franzofen werden ermors
det. 12) Seit acht Tagen belagert die venetianifhe Armee die
drei Eafteele oder Schlöffer von Verona, Die Kanonen,’ die
fie auf die Batterien gebracht, werden ihr mit dem Bajonett
genommen. Man feuert auf die Stadt, und die bewegliche
Kolonne, bie hierauf zukommt, fchlägt die Nieberträchtigen und
Feigen völlig in die Flucht, und macht dreitaufend Gefangene,
worunter verfchiedene venetianiſche Generale. 13) 14). Dass Haus
des franzöfifihen Conſuls zu Zante, in Dalmatien, wird in
Brand geftekt. Tin venetianifches Schiff nimmt eine oͤſtrei⸗
chiſche Eonvoy unter feinen Schuß, und ſchießt mehrere Ka⸗
nonen auf die franzöfifche Fregatte la Brüne ab. 15) „Der
Befreier Stalins,” ein Schiff der. Republik, welches bloß
drei bis vier Meine Kanonen führt, und nur vierzig Mann an
Bord hat, wird in dem Hafen von Venedig in Grund geſchoſ⸗
fen, und zwar "auf Befehl des Senats, Als der junge und
brave Langier, Lieutenant biefes Schiffs, durch das Geſchuͤtz
des Forts und der. Abmirals Galeere angegriffen, und von
beiden nur einen Pifolenfhnß weit entferne.ift, Befiehlt er-feis
ner Equipage, ſich in den Raum des Schiffs zu begeben; er
1a I. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
allein ſteigt mitten unter einem Kartätichens Dagel aufs Vers
bet, und fucht durch feine Reden die Wuth feiner Mörder zu
entwaffnen; allein er wird auf die Stelle zu Boden geſtreckt.
Seine Mannfhaft wirft fih ins Meer, und wird von ſechs
Schaluppen verfolgt, worauf fih von der Republik Venedig
befoldete Truppen befinden, die mit Beilen mehrere Franzofen
todten, welche fih duch Schwimmen zu retten ſuchten. Ein
Schiffsmaſter, der durch mehrere Hlebe verwundet, entkräftet
war, und ſtark blutet, iſt fo gluͤcklich, mittelft eines Stuͤck
Holzes, bei dem Schloß des Havens ans Land gekommen; allein
der Kommandant ſelbſt haut ihm mit einem Beile die Hand ab,
Wegen diefer angeführten Beſchwerden, ferner authorifirt
durch die 1ate Abtheilung des 325ften Artikels der Konftitution
der Republik, und wegen der dringenden Umftände, erfucht der
General en Chef den franzöfifchen Miniſter bei der Republik
BVenedig, fih aus gedachter Stadt zu entfernen; befiehlt den
vexſchiedenen Agenten der venetianifhen Republik in der Loms
bardel und auf dem veften Lande von Venedig, ſich binnen vier
und zwanzig Stunden von ba wegzubegeben, und verordnet
‚ben verfchiedenen Divifions » Beneralen, die Truppen der Repu⸗
blit Venedig als felndfehig zu behandeln, und in allen &tädten
bes veften Landes den Löwen des heiligen Marcus herunters
reißen zu faffen Ein jeder wird morgen bei der Parole eine
nähere Snfteuftion megen der ferneren Militär s Operatior
nen erhalten,
Buonaparte,
Eine Erklärung diefer Art, die in einem fo entſcheidenden
Tone und an der Gpige eines unuͤberwindlichen Heeres gegeben
war, mußte bie venetianifche Regierung, der von ihrem gan⸗
ven Gebiete nur die Stadt und ihre Lagunen übrig waren, um.
Um Anfange des Junius 1797. 3
— — — ——— —
gewoͤhnlich erſchuttern. Schleunige Entſchluſſe ſchienen Hulfe
gu verſprechen, Vielſtimmigkeit dee Meinungen in dem großen
Rathe von 600 Mitgliedern fle zu verzögern. Der Senat gab
daher einem Ausſchuſſe von dreißig Mitgliedern (Confulta)
Auftrag und undegränzte Vollmacht mit Buonaparte auf alle
Bedingungen, die er forderte, zu unterhandeln, und ſelbſt in
eine’ Veränderung der Regierungsform, wenn er
fie verlange, zu willlgen. Die Senatoren Dona Giuftiani und
Mocenigo waren kaum zu dem franzöfifchen Befehlshaber abge
veift, als der General Baraguey d’Hilliers mit Kommiffarien
nach Venedig fam, und die Forderımgen des Generals dem
Senator Pefaro, der den Auftrag hatte, feine Erbffnungen zu
hoͤren, vorlegte. — Die einzelnen Verhandlungen von beiden
Seiten find nicht genau befannt geworden. Das Refultat ders
felben war, daß der große Rath der Nobili von Venedig am
sten feiner Rechte auf die Oberherrfchaft mit 593 Stimmen ges
gen 7, wovon 14 neutral, blieben (es waren 600) entfagte,
der Doge feine Würde niederlegte, eine vorläufige Verwaltung
des Staats feſtſetzte, und bie Gründung einer Demokratie bes
Schloß. Einige vermuthen, daß man bei diefer neuen Verfaſ⸗
fung diejenige zum Vorbilde nehmen werde, die am Ende des
ızten Jahrhunderts von dem Doge P. Gradenigo, welcher zur
erſt die Würde, ein Glled des großen Rathes fein zu konnen,
erblich machte, aufgehoben ward; andere aber vermuthen, daß
die neue Conſtitution fih unter dem Einfluffe Frankreichs und
des Weberwinders von Venedig, ohne auf das zu fehen, was
vor soo Jahren paffend war, bilden werde. — Die Staates
Sjnquifitoren nebft dem Proveditore in Venedig und dem Com⸗
mandanten des Forts wurden verhaftet.
Indeſſen legte Buonaparte den an Ihn abgefandten Send
14 1. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
toren folgende Bedingungen des Friedens.vor: 1) Die Terra
Firma bleibt im Beſitz der Franzoſen; fie werden, wenn das
politiſche Schickſal Italiens entfchieden fein wird, einen Theil
wieber herausgeben; 2) das Fort von Venedig wird von fran⸗
zoͤſiſchen Truppen befeßt; 3) die Ftanzoſen erhalten einen Theit
des Arfenals und der Flotten von Venedig zum freien Ge⸗
brauch; 4). die. Nepublif Venedig bezahlt achtzig Millionen
Liyres an Frankreich; 5) alle, welche wegen politifcher Grunds-
fäße verhaftet find, werden in Freiheit gefegts 6) die venetias
niſche Regigrungsverfaffang foll gaͤnzlich umgeſchmolzen wers
den. — Sie wurden angenommen, und man fehritt zur Voll
ziehung berfelben. Sechs von Buonaparte ernannte Geſchaͤfts⸗
träger errichteten eine Municipalität von ſechzig Perſonen aus
allen Ständen und Religionen. Der Adel ward aufgehoben.
Das goldne Bud) und die Amtskleidung der Ernobili und Ser
natoren wurde verbrannt, die venezianifche Miliz verabfchiedet,
und.die Schiffe entwarfnet. Die neue proviſoriſche Municipa⸗
litaͤt, an deren Spitze der ehemalige Advofat Nicolo Corner
ſteht, hat erklärt, daß fie einftweilen im Beſitze der hoͤchſten
Sonveränitätfei, und die Weberfchriften ihrer Manifefte heißen:
Freiheit, Gleichheit, und zuweilen au Tugend. Sie
dat die Veränderung der Verfaflung und eine Amneftie befannt
gemacht, von welcher jedoch die Plunderer am ı2ten May aus⸗
genommen find. — An diefem Tage rottete ſich nemlich der
Poͤbel mit einigen Slavoniern zuſammen, und beging, erbit⸗
tert daß Venezianer ſich in die Umformung der Verfaſſung
fügten, mehrere Ausfchweifungen, riß Manifefte ab, und fiel
geraltthätig in mehrere Häufer ein. — Am ısten Mai find
3000 Franzofen in Venedig eingeräckt, und machen nun mit
den venezianifhen Soldaten die Befagung der Stadt. Wahr⸗
Am Anfange des Junius 1797. 15
ſcheinlich find unterdeß ſchon mehrere gefolgt. Die venezianifche
Miliz Hat der neuen Municipalität den Eid der Irene ge⸗
ſchworen. . Ein gleiches hat der Erzbifchof und die ganze venes
tianiſche Geiſtlichkeit gethan. Doch mögte fie einer Reform
dadurch nicht vorbeugen; denn: auch In der eispadanlichen Res
publik werden bereits die Klöfter eingezogen. .
- Wenn man ehemals den Franzofen Schul‘ gab, daß fie
alle Monarchien in Freiſtaaten umfchaffen wollten, fo mögte
es ist beinah ſcheinen, als hätten fle den Ariſtokratien den Uns
tergang zugedacht. Obgleich diefe Stürme von dem gnügfas
men St. Marino und der Republik Lucca, deren noch nie in
den neueften Schickſalen Italiens gedacht iſt, voräbergingen,
fo giebt doch Venedig, welches die Sieger zu reizen ſchien, ein
warnendes Beiſpiel. Auch ſcheint man wirflih in Genua
otwas aͤhnliches zu beſorgen, junge Leute ſprethen laut von der
bevorſtehenden Umaͤnderung der Regierung; der cispadanifchen
Republit ift das Mittelmeer als Graͤnze verfprohen, und der
König von Sardinien foll ſich ruͤſten, Anſpruͤche auf den weſtli⸗
chen Theil Genuas geltend zu machen. Um ſo mehr nimmt es
Wunder, daß die Ariſtokraten ſich noch neulich der Errichtung
eines Commerzgerichts widerſetzten, weil kein Mobile Sitz und
Stimme darin haben follte. Neuen Nachrichten zufolge haben die
Staatsinquifituren von Genna den Neapolltaner Vitaliani,
welcher daſelbſt unter franzoͤſiſchem Schutze lebte, verwieſen.
Der franzöfifche Geſandte Faypoult hat auf die Frage nach der
Urſach diefer Masregel zue Antwort erhalten: Vitaliani vers
. diene keinen Schutz. Eine dringendere Note des Botfchafters
iſt der erften gefolgt. Indes iſt es wirklich in Genua zu Thaͤt⸗
lichkeiten gefommen, Weberall foll man da das Schickſal der
nachbarlichen ciſpadaniſchen Republik wuͤnſchen. Die Neuerer
16 1. Ueberfcht der merkwuͤrdigſten Stantäbegebenpeiten.
«hatten am 2aſten May alle wichtigen Pläge befegt, auch das
Arſenal und den Hafen; aber die Ariftokraten entriffen fie ihnen
‚am 23ſten. Es ift Blut gefloffen, ſechzig Menfchen find theils
‚geblieben, theils verwundet. Thenrer als Benedig wird Genua
-feine Regeneration erfaufen; denn ſchon find franzöfifche Trups
pen in Anmarſch, und ein Gerücht ſagt, der König von Gars
-Sinten werde feine Inſel gegen einen Theil des genueſiſchen Ge⸗
biets an Frankreich abtreten. Die genueſtſchen Staatsinquiſito⸗
ren haben ihre Sigungen für permanent erklaͤrt.
Der eispadanifchen Republik iſt uͤbrigens durch den Fries
‚bensfchluß zu Goes bei Leoben ihre Erifteny geſichert. Buona⸗
parte follte als Schöpfer. des neuen Freiftaats mit großen Feſt⸗
lichkeiten in Mailgnd-empfangen werben; er kam aber am aten
May fhon um 7 Uhr, früher ‚als, die Trinmphe bereitet waren.
Dort iſt er nun thätig, den Staat zu ordnen, den er durch
feine-Tapferfeit ſchuf. Nie ift einem Helden eine gleiche Ehre
‚zu Theil geworden, nie war ein Held ſolcher Ehre gewachſen.
- Der Umfang des Bebiets der neuen Republik läßt ſich noch
nicht beſtimmen, das adriatifche und Mittelmeer werden fie bes
graͤnzen, und die Zahl der Einwohner etwa 4 Millionen ſein.
Drei Feſtungen werden angelegt und Frankreich ſchenkt ben
‚Eispabanern soo Städ ſchweres Gefhüg. Der Sit der Re⸗
gierung wird in Mailand fein. Frankreichs Conftitution wird
als Vorbild angenommen, und die’erfte Repräfentation von
Buonaparte felöft ernannt. Diefe dauert indeß nur ein Jahr.
Der ehemalige Gefandte-biefer Republik zu Paris, der Buͤr⸗
ger Serbelloni, hat diefe Stadt verlaffen, um die Würde eines
Direktors (deren drei fein werden) in der Transalpinifhen
Republik anzunehmen: denn unter diefem Namen, ber ein
freundſchaftliches Verhättniß -gegen ihren Mutterſtaat Frank
reich
Am Anfange des Junius 1797. 17
— — — — —
reich ankuͤndigt, nicht unter dem alten, der nur ehemalige
Beziehung auf Rom ausdruͤckte, wird fie fortexiſtiren. — Der
Pabſt, der fich fehr Erank befindet, fährt fort die Friedensbe⸗
dingungen zu erfüllenz es find ſchon Lieferungen von Kunfls
werfen in Paris angekommen, worunter berühmte Bildnerars
beiten, aber noch nicht der Apoll und Laocoon waren. Der
Mabft hat auch den unbeeidigten franzoͤſiſchen Prieftern, die
ſich in den Kirchenſtaat geflüchtet hatten, ankündigen laſſen,
daß er ferner nichts zu ihrer Unterſtuͤtzung thun koͤnne, und fie
sehn ſchon theils nach Florenz, theils nad) Neapel; theils legen
fie das geiftliche Gewand ab, und heirathen. \
‚Im Innern Frankreichs herrſcht derjenige Grad von Rude;
den eine demokratiſche Verfaſſung erlaubt, wo, unter welchem
Namen es auch ſei, zur Erhaltung der allgemeinen Volksrechte,
und einer geſpannten Energie, immer eine Art von Oppoſition
exiſtiren muß. Alle Machinationen ſind im Stillen voruͤber ge⸗
zogen, oder durch ihre Ankandigungen ſchon vernichtet, und die
wichtige Veraͤnderung in dem geſetzgebenden Corps, und im
Direktorium it ohne Unruhen beiwerffielligt. Das neue Drit⸗
theil hat Sis genommen; Pichegri hat zuerft den Präfidentens
ſtuhl unter den ehrenvoliften Zeichen der Hochachtung enges
nommen. Letourneur ift am ı5ten May aus dem Direktorium
getreten, und am 24ften wurden, unter Pichegruͤ's Vorſitz,
vom Kath der Fänfhundert, in welchem 458 Stimmende
ſaßen, folgende zehn Candidaten erwaͤhlt:
1) Barthelemy, Geſandter in der Schweiz. 309 Stim⸗
2) Bougainville, Chef d'Eskadre. 264 Stimmen.
3) Vieillard, National: Ankläger. 263 Stimmen.
4) Rhedon Beaupreau, Er: Aöminiftrator der Mar
rine. 249 Stimmen: .
Drifter Zadız ar Band: B
"18 1. ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
5) Tarbe, ehemals Finanzminiſter. 245 Stimmen.
6) Germain Garnier, Ex-Adminiſtrator von Paris,
238 Etimnten.
7) Borda, Chef d'Eskadre. 233 Stimmen.
8) Demeunier, Er-Eonflituant. 233 Stimmen.
9) Cochon, Pollzeiminiftet. . 230 Stimmen.
Aus mehreren andein, worunter ſich der Herzog von Urfel;
Beurnonville, Maffena, Kleber, Scherer; Angereau; der
Minifer Lacroix u. a. befanden, wurde endlich
10) Beuknonville, General, mit 193 angenommen.
Aus diefer Zahl wählte am 26ſten May der Rath der Alten
einen Direktor an Letourneurs Plag. Bon 213 Stimmeit hatterd
" Berthelemy 138;
Cdgenr,
Beurnonville 4, und
Bougalnville ı.
Courlere Haben dem Neuermähiten die Nachsicht der Wahl
überbracht, man erwartet von ihm mit Zuverſicht bald die Ans
nahme eines fo ehrenvollen Poftens, zu welchem ihn feine
Verdienſte um die Republik ethoben haben, was auch Auss
ſtreuungen von deneü, welche dieſe Wahl nicht wunſchen dürfs
tem, fagen mögen; denn man war wirklich fo weit gegangen;
in behaupten, daß Barthelemy die Eiwählung zum voraus
verbeten Habe. Er wird den Wuͤnſchen des Volkes und der
Gefeßgeber deſſelben nachgeben, und Die Hoffnungen, mit wel⸗
hen fie ihn zu ſeinem erhabenen Poften begleiten, erfüllen. —
Am asfen kam ein Eilbote mit det Nachricht bei Batthelemy
in Safe an, und er traf ſchon Aliftalten zu feiner Abtelfe, um
wahrſcheinlich der Ueberbringer ſeiner Zuftimmung ſelbſt zu fein.
Bartheleroh iſt alfo der erfte, der gewiß 5 Jahr Direktor bleibt,
indem nur die 4 übrig gebliebenen Fünftig unter fich loſen.
Am Anfange des Junius 1797. 19
Das hohe Natlonalgericht zu Vendome hat nun auch den
Prozeß von Baboeuf und feiner Mitſchuldigen entſchieden. Bar
boeuf und Darthẽ ſind zum Tode verurtheilt, weil ſie die Ro⸗
bespierrifche Conftitution wieder einführen wollten; ſieben ans
dere find zur Deportation verurtheilt, wenige freigeſpröchen
Amar und Cochet wurden an das Gericht des Seinedeparte⸗
ments geriefen, und Vadier iſt noch Immer in Verhaft. Als
das Urthell bekannt gemacht würde, durchbohrten ſich Baboeuf
und Darthẽ mit dem Ausrufe: Es lebe die Republik. Ste
Schienen nicht toͤdtlich verwundet zu fein; und find wenige Tage
nachher unter der Guillstine geftorben. .
Die Finafizen Frankreichs, über deren Verwirrung dad
verwaltende Direktorium noch immer Bothſchaften an bie ges
feßgedenden Körper fender, fcheinen ein Uebel zu fein, welches
der Friede allein aber ſchnell heilen wird. — Mögte doch auch
der Krieg mit England beendige fein! — Zuräfangen an der
Wefttäfte Frankreich ; von denen man gar nicht mehr verheim⸗
licht, daß fie zu einer Landung beſtimmt find, laffen dies nicht
hoffen; ini Gegentheil ſoll ein neuer Krieg Spaniens gegen
Portugali gewiß fein, bei welchem Frankreich wohl nice
mäßiger Zuſchauer bleiben dürfte:
Was jene Landung auf Größbrittähten oder grriand be
teife, fo wäre Verheimlichung biefer Asfihe jegt ganz zweck⸗
widrig. Der Zuftgrid jener beiden Länder iſt von der Art, daß
er auch eine offenbare Unternehmung diefer Art zu begunſtigen
ſcheint. Denn die Unruhen in Irrland gewinnen, fo unvoll⸗
ſtandig auch die Nachtichten find; welche davon zu ung gelan⸗
gen, inimer ein drohenderes Anſehen, und die Miniſter ſuchen
auf bei einen Seite den wahren Zuftand dem englifchen Volke
wu Herbergen; auf bei andern Dutch Gewalt did Empoͤrer zu
>: B
r
20 I, Weberficht der merfwürdigfien Staatöbegebenheiten.
— — — — —
unterdruͤcken, die aber dadurch nur aufgebracht werden, und
zu gleicher Gewalt ſich berechtigt glauben. Zu Belfaft iſt eine
Verſchwoͤrung entdedt, und 40 Mitglieder find verhaftet, Ihr
Zweck foll gewefen fein, unter dem Vorwande einer Parler
mentsreform, Irrland von England zu trennen, und als eigne
Republik zu conftituiren. Unter dem Namen der Defenders
oder vereinigten Irrlaͤnder find eine große Anzahl der nördlichen
Einwohner in den Waffen. Sie follen ſich auf 100000 befaus
fen. Es ift zwifchen ihnen und den Truppen der Regierung bes
reits zu blutigen Vorfaͤllen gekommen, in welchen fie nach den
Berichten mit Verluſt zuruͤckgeworfen find, der jedoch unbe:
deutend war. An die Sendung des Prinzen von Wales nach
Irrland wird nicht mehr gedacht ; im Gegentheil iſt Lord Corn⸗
wallis, dem die oftindifche Compagnie ihre Rechte nicht anver⸗
trauen wollte, dahin beſtimmt, und fechs Reuter » Regimenter
find ſchon uͤbergeſchifft. Die Negierung hat nun befchloffen,
den Katholifen, welche „u ber Einwohner Irrlands auss
machen, gleiche Rechte mit den Proteftanten zu geben: eine
Maasregel, die, erſt jegt ergriffen, wahrſcheinlich ihren Zweck
verfehlt; da die vereinigten Jrrländer in ihren Planen allen
Bewohnern ohne Rüdficht auf die Religion, gleiche Rechte bes
willige haben. Eine Amneftie für alles Vorgefallene, welche
die Regierung ebenfalls bekannt gemacht Hat, fol zum wohl⸗
thätigen Zwecke der Ruhe mitwirken. Auffallend ift es, daß
Tornwallis bei alle dem ſich weigert, nach Irrland abzugeben,
und Cokifionen, in die er als Commandant diefer Inſel mic
«dem Bicefönige kommen mögte, zum Vorwande nimmt. Die
Oppoſition des ivrländifchen Parlements hat durch Herrn Grat⸗
tan, ihren Wortführer, erklärt, daß fie den Sitzungen deſ⸗
felben nicht mehr beimohnen werde, da ihre Gegenwart feit der
Minifterialdespotie Über die Meinungen unnäg ſel. — Auch
An Anfange des Junius 79%. ° 21
—
hat der Herzog von-Leinfter feine Wuͤrde als Commandeur dep
Miliz von Irrland niedergelegt, und felbit fein Regiment abger
treten, weil er bei den ſtrengen Maasregeln der Regierung es
nicht für rathfam hielt, als Vollgieher ihrer Befehle zu erſchei⸗
nen. — Wenn Gleichheit der Grundſaͤtze Eintracht zu bewirken
im Stande ift, fo haben die Franzoſen Hier/jede Unterſtuͤzung
au hoffen, und die Macht der Regierung, welche ſich auf ber
Inſel befindet, daͤrfte in eine unangenehme Lage fommen, um
fo mehr, da der auf der Flotte von neuem ausgebrochene Auf⸗
ruhr auch den Beiftand der Marine zweifslhaft macht. ’
Die Gegenwart des Lord Spencer und feine Verſprechun⸗
sen an die Matrofen, im Namen. der Ybmiralicät, daß ihnen
jede Forderung bewilligt werden ſollte, find nur von ber Wir ⸗
kung eines Palliarivs geweſen. Die aufrährerifhen Matrofen
find Englänher, und fernen das Palladium ihrer Rechte und
Freiheiten, die Confitution, zu gut, um, heſonders unter der
jegigen. Umftäuden, einer Miniſterlalverſicherung zü trauen.
Sie benugen den Augenblick des Schredens, den ihr Ungehors
ſam in dlefer kritiſchen Lage unter die Regierungsverwalter ger
bracht Hat, and die Bewilligung ihrer Forderungen gilt ihnen
nur für einen Verweis der Feigheit derer, welche zu bewilligen
oder zu verwerfen hatten, und muntert fie zum. ferneren Ge
brauch deſſelben Biwangsmittels auf. -
Als am sten May zu ©t. Helens und Spithead das Zeir
chen zum Auslaufen der Flotte gegeben. ward, gehorchte nicht
eins von allen. dort befindlichen Schiffen. Die Delegaten-der
Matroſen erſchienen in einem Boote an der Seite bes Admirals
ſchiffes London zu Spithead, und ferderten aufgenommen zu
werden. Admiral Colpoys ließ auf.fie feuern. Es entftand ein
Gefecht, dlieben, 11 find verwundet. Der Admiral und ſein
BE °
33 1,Ueberfiät ber merfwirbigften Staatsbegebenheiten.
Eapitain wurden indeß überwältigt: man foll den erſten mit
dem Strange bedroht und ihn ſchon wirklich an den Maft ger
führt Haben. Ein Lieutenant vertritt feine Stelle, — Seitdem
Haben die Matrofen viele Offieiere von Ihren Schiffen an bag
Land gebracht, auch Admiral Eolpops, über welchen fie Krieges
gericht verlangen. Sie ſelbſt wollen ihre Flotte in Ser führen
und mit den Zeinden fireiten. Die Gebliebenen find mit Feier
lichkeiten beerdigt, mozu die Matreſen ihre Prifen / Gelder her⸗
gaben. Mit Warfen und-Piftolen gehen jetzt die Matroſen ein,
ber, und ſprechen mehr drohend als fordernd. — Alle dieſe
Borfälle haben in Portsmouth und London große Beſtuͤrzung
verurſacht, nirgends äber mehr als im Minifterio. — Dir
trofen verlangten, daß das Parlament ihnen die gemachten
Borderungen beftätige, welches Herr Pitt aufgefhoben hatte,
Durch den Telegraphen ließ dieſer gleich nach der Verſammlung
der Miniſter die Nachricht nach Portsmouth gehen, daß dieſer
Gegenſtand noch denſelben Abend Im Parlament vorkommen
folte,
\ Es geſchah: Herr Pitt machte den Antrag die Forderun⸗
gen zu bewilligen/ die ſchon vorlaͤufig wegen der dringenden
umſt nde die Miniſter zugeſtanden hatten, verlangte aber da⸗
"Bei, daß man eben dieſer Umftände wegen ihn von nähern
Erörterungen, bie e eonfitutionsmäßig zu geben verpflichtet
fey, freifprechen mögte. Den Betrag der ganzen Summe für.
bie neun Monate des laufenden Jahres, ſchlug er zu drelhun⸗
dert zwei und fiebenzigtaufend Pfund Sterling an. \
So heftig quc Here For und Sheridan gegen die Helms
fichkeit, bie bier obwaltet, ſprachen, fo fimmten fe doch der.
Gorderung bei, und der Antrag des Heren Pitt ging ohne eine.
einige Gchentimme dur, — Der Aonılsal Home gins-mk
Am Anfange des Junius 1797. . 2,
— — —— — ——
dieſer Einwilligung zu den verſchiedenen Flotten, die fh ing
Aufftande befanden, ab, und durch feine Bothfchaft ſowohl,
als durch ſein Anſehn iſt die Empoͤrnng unterdruͤckt, wenn man
dies anders yon Empsrern fagen darf, denen ihre Abficht geſuw
gen iſt. — Auf mehreen andern Schiffen und Flotten haben
die Matrofen das Betragen derer zu Spithead u. f. 10. nachge⸗
ahmt, und mie es ſich verſteht, gleiche Rechte mit Ihren Bruͤ⸗
dern erhalten. Sei alledem ift aber fo viel gewiß, daß, obs
gleich man nur felten vom Ungehorfam der Serlente, und von
Despotie derfelben gegen ihre Mitbräder und gegen Beſatzun⸗
gen des feften Landes hört, die Reglerung dennoch nicht mit
der alten Zuverficht auf fie rechnen, und fie als ein Bollwerk
des Eilands betrachten darf. Zur Flotte des Admiral Jervis, die
wir vor Cadiz verließen, fheint diefer Geift indeß nicht gekommen
zu fein. — Diefe Seeleute aber, ſtolz auf ihren jegigen Sieg,
der ihren Anführer zum Lord St. Vincent erhob, werden nicht
ermangeln zu verlangen, daß man fie In die Vorrechte ber andern
Matrofen einſchließe. Die Flotte hat feitdem Cadix verlaffen,
and der ſpaniſche Admiral Mazaredo ift mit der feinigen aus⸗
gelaufen, Ein epidemifches Fieber fol auf derſelben herrſchen,
und der Admiral St. Vincent daran Frank liegen,
Aehnliche Forderungen muften unter den Landſoldaten ents "
ſtehen, und die Regierung ſcheint durch die Bewilligung gleir
Ger Vorzüge, die im Namen des Herzogs -von York den
Landſoldaten bekannt gemacht ift, ihnen haben vorbeugen zu
vollen. Die Kanoniere zu Woolwich haben indeß fich doc, der
Bevden über fie widerfegt. — Es iſt zum allgemeinen Peſten
der heit ſehr zu wuͤnſchen, daß alle dieſe Unruhen hald
unterdrückt werden, oder vorübergehen mögen. Die framzoͤſiſche
. „Bofrgersevolujion hat durch ihre terroriſtiſche Periode.alle Na:
4
24 I. Ueberſicht ber merkwuͤrdigſten Staatöbegebenheiten.
onen von Nachahmung derfelben' abgeſchreckt. Aber ihre
’ Bluefteöme mögten wohl nicht mit denen eines mititärifchen
Zerrorism zu vergleichen ſeyn. Es ift nicht zu feugnen, daß
J faſt alles Militär ſich In der Lage der engliſchen Seeleute ber
findet, daß Ihre Beduͤrfniſſe durch ihren Lohn nicht aufgewogen
werden. Seitdem die Regierung fih mehi dem befchüßenden
als dem erhaltenden Theile der Nation anvertraute; ſeitdem die
bewaffnende Macht ſtehend geworden ift, gleichen fie in der
That prätorianifhen Eohorten, deren Exploſionen furchtbar
werden mAßten. Zum Gluͤck kennen fie ihre Kraft nicht, oder
wiſſen nicht den Gebrauch davon zu machen, welchen fo eben
die Matrofen Englands mit Gluͤck verfuchten. Eben darum
wäre es zu wünfchen, daß die dahin einfchlagenden Nachrichten
niemals in Blätter qufgenommen wuͤrden, die auch in die
Hände des unfundigen 'anmaßenden Kriegers fallen koͤnnten.
Der Antrag zu einer Parlamentsreform, melden am
aöflen Mai Herr Grey machte, den Herr For ae‘ Erstine.
lebhaft unterſtuͤtzte, Ift von 256 Stimmen gegen go verwors
fen worden. Pitt fprach fehr dringend dagegen, und hat viel
Teicht nirgends feine Gefinnungen, die man fchon fonft kannte,
deutlicher an den Tag gelegt als Hier. — Mit dieſen mag man,
“nun.übereinftimmen oder nicht, fo kann man doch einem Chas
rakter von folder unbefchreiblihen Anhaͤnglichkeit an Grund⸗
füge, feine Achtnng nicht verſagen. Es tft dies die Gerechttg/
keit, die überall die Kraft fordern darf, die man ihr auch an
einem Feinde, und wäre dieſer ein NRobespierre, nicht vers
fagen darf,
Mit ähnlichem Triumph ging Pitt aus einer Verfamm⸗
kung des Unterhaufes, wo der Antrag gemacht ward, daß die.
Miniſter den öffentlichen Tadel verdient haͤtten. Er hörte
Am’Anfange bes Junius 1797. 28
nn
alles, was gegen Ihn gedonnert wurde, mit ſchweigendem Ber
> wußtfein an, und die Bill ward verworfen. — Indeſſen wer⸗
den die Aengerungen der Mißzufriedenheit mit der jegigen Ver⸗
waltung immer häufiger und dringender. Es laufen nicht allein
noch immer Bittſchriften um die Entfernung” der Minifter bei
der Regierung ein, fondern bie Bürger von London haben jest
durch ihre Aldermänner ſelbſt dem Unterhaufe den Vorſchlag
gethan, auf Entfernung der Minifter zu dringen. Auffallend
war es zu fehn, wie einige von den Aldermännern durch ihren
Vortrag felbft das Verlangen ihrer Committenten entfräfteten,
welches deshalb auch nicht durchging. — Alle Vorfälle dieſer
Art Haben Heren Boy zu der Erklärung veranlaßt, daß "er den
Sitzungen des Unterhauſes, 100 wegen der völlig oorrumpirten
Bepräfentation ſeine Gegenwart ung und zwecklos ſei, nicht
mehr beiwohnen werde, und er hat ſich nach ſeinem Eandfige
begeben. — Eben fo hat Lord Lauderdale, einer der dreiſteſten
Oppoſitionsredner, einem andern Schottiſchen Lord, deſſon
Biecht das Oberhaus ſchuͤtzte, feinen Platz Bereit eiutan
men muͤſſen.
Es ſcheint indeß, daß Herr For feine Thaͤtigken · far das
Wohl Englands nicht eher aufgeben wollte, bis jeder Verſuch
mislungen wäre. Er Hat am a4ften Mai im Pallaſt zu St. Ja⸗
‚mes mit dem Könige eine Unterredung gehabt, in welcher er
ihm die dringende Nothwendigkeit, Miniſter, die das Vaterland
an den Rand bes Verderbens gebracht hätten, zu entfernen, mit
aller der Freimuͤthigkeit, die ihn charalteriſirt, und der redneri⸗
ſchen Stärke, in der er unerreicht bleibt, vorgeſtelt hat.
Der König — Heißt es — ſchwieg dazu der Etikette gemäß. Um
Allen Anſchein Yon. Eigennutz zu entfernen, hat’ For erklärt,
daß er auf jeden Poften im Minifterium Verzicht thue, und,
Ds
96 1. neberſicht der merftwärdigfien Staatsbegebenheiten.
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gern erbötig fel, patriotifche Miniſter mit feiner ganzen Kraft
gu unterftägen. — Gewiſſe Nachrichten von dem Erfolge dies
" fer Unterredung, die durch eine ähnliche des Grafen yon Sufs
folt unterftägt wurde, find noch nicht bekannt; indeß fagt ein
Gerücht, welches durch Reifende über Doyer kommt, DaB. Herr
Pitt feine Stelle niedergelegt Habe, und daß am 2ten Junius
ein Engländer in einem Parlementair Schiffe nach Ealats abs
gegangen fel. Eben derfelbe fah die Flotte auf der Mhebe von
Dover in voller Infurreftion. — Möge ſich doch alles das
"vereinigen, was die Ruhe erhält und bewirkt, ih welcher al
kein das Gute gebeiht, ” B \
Die Übrigen Mächte Europeng vom Schauplag großer
Ariegsbegebenheiten entfernt find eben Darum glücklich zu preis \
‚fen. ‚Preußen arbeitet im Stillen an der Begrundung des
‚allgemeinen Wohls von Europa. — Spanien ruͤſtet ſich zu
einem Kriege gegen Portugall, der ſchon erklärt fein foll, aber
ſich Hoffentlich in die allgemeine Eintracht auflöfen wird. —
Rußlands Herrſcher hat eine Akte über die Thronfolge ber
kannt gemacht, die er am 4ten Januar 1788 in ber Kicche zur
Entlaffung der Mutter Gottes nieberlegte, und welche von ſei⸗
ner Gemahlin ebenfalls unterzeichnet iſt. — Dännemart ifl
noch nicht von der Beſorgniß befreit, feinen Solon, Bern⸗
Morf, der ſehr trank liegt, zu verlieren. Der Kronprinz ber .
ſucht ihn täglich zu mehreren malen. — Aus der Tuͤrkey find
die Gefandten, von welchen neulich die Rede war, namentlich
der nach Preuſſen beffimmte in Berlin, ung ihren andern Ber
Kimmungsorten, zum Theil ſchon angekommen.
Berlin, den 10, Junius 1797.
Rnttr.
m. neber die italieniſche Romebi. 2
IL.
Ueber die italienifche Komedie.
Wenn die unparthelifche Nachwelt einmal bie litterariſchen
Verdienſte Italiens von diefem Jahrpunderse nit denen der
« verfloffienen abwägt, fo wird fie vielleicht ebeufalls die poetis
ſqhen Köpfe, welche jenes ergeugte, nicht ohne allen Ruhm
laſſen. Es ik währ, man ſah ‚feine Geifter ſich darin zu der
Höhe eines Dante, eines Arioſts und eines Taſſo erheben, aber
‚man findet dafür eine Emtfihuldigung. in der Geſchichte giner je⸗
den Mayen, die auch in den Hlühenden Zeitaltern ihrer Dicht /
Tanft wicht immer ein foldpes Zufammensreffen von Umftänden
Hervorbringen kann, wodurch außerordentlige Männer erweckt
werden. Zuweilen waͤhlt ein ungewöhnliches Genie, das fich
zum erftenmale in ein noch unbebantes Feld meuſchlicher Er⸗
Fenntniffe wagt, mit fo großer Kunſt die bequemften Fußſteige
wahin, daß jedermann, der ihm nachfolgen will, nicht umhin
kann, biefelben ebenfalls einzuſchlagen. Einige Driginalipeen,
bie es entdeckt und auffaßt, werben bewundert. : Ein Jahrhun⸗
dert nachher ſtellen fie fich vieleicht einem andern: ebenfalls von
ſelbſt dar, aber das Zeitakter deſſelben ift mit feinem Beifalle
ſparſamer geworden, wide mehr uͤberraſcht vom-Bteige der Neus
Seit, der ihn ehemals erzwang. h
Wer, zu Delfplel, ber erfte iſt, bie gelaffene Großmuth
der Deiden, den raſchen · and verwegenen Wuth der Insend,
u IL’ Ueber bie italieniſche Komebie.
— r — — — —
oder die kuͤhlere Weisheit des Alters, die ſanften, wohlthaͤti⸗
gen Geſetze und erquickenden Fruͤchte des Friedens oder die Ver⸗
heerungen des Krieges, die abſchreckende Haͤßlichkeit des La⸗
ſters, oder die anlockende Schönheit der Tugend in lebhaften
Farben darzuſtellen; wet endlich tiefer in das geſellſchaftliche
und haͤusliche Leben eindringt, bier der füßen Liebe mannichs
fache Schattirungen, die Aufopferungen und Hälfsleiftungen
der Sreundfchaft, die Genüffe der Eintracht, und die" Beloh⸗
nungen der ehelichen Treue, mit dem Scharffinne des Genies
auffaßt, und mit der Stärke deffelden ins Licht. ftelle, läßt für
jeden Folgenden’einen- [hmalen Pfad Hinter fh, der von zwei
Abgruͤnden auf · beiden Seiten gefaͤhrlich gemacht wird. Denn
Ani echten deſſelben finder ſich ſelaviſche Nachahmung, zur
einken ausſchweifende Originalität.
Und wer in ſich Kräfte fühle, eine ruhmvolle Zahn bis. an
‘hr Ziel auch ohne Vorgänger zu burchfchreiten, muß dadurch
loft abgeſchreckt werben, daß er ſchen alles gethan ſieht. Es
ft eine nur zu oft beflätigte Erfahrung, daß, folange der
Ruhm eines Schriftftellers die Eiferfucht feines Zeitalters noch
nicht niedeegefämpft, oder ausgeföhnt hat, ſich an feiner Seite
:zahllofe-Nebenbuhler erhebens daß aber, fobald man über fer
nen Werth erſt einig „geworden ift, auch dem verwegenſten
Wetteifer eine allgemeine Muthloſigkeit nacfolgt. Kaum
wurde Taffo’s Jerufalem befannt, als auch mit der Kritik eine
Menge von Gchriftftellern aufftanden, die ſich ebenfalls: am
“epifchen Gedichte verſuchten; wie aber det biendende Glanz die⸗
ſes außerordentlichen Werkes den matten Flimmer jener Irlich⸗
ter unfichtbar machte, wagte fi niemand mehr am diepopeg,
“und man kann mit gutem Grunde behaupten, daß feit der
Zeit nichts: erfchlenen. iſt, das jenem feinen erhahenen Maug
IL. Ueber die italieniſche Komedie. 29
es
auch nur fireitig zu machen verſucht hätte. In. Teutfehland
war es mit Klopftod’s Meſſias und Wielands Oberon ganz
der nämliche Fall.
Italien hat dies vielleicht mit Griechenland gemein, weißer
ebenfalls in mehrern felöft blühenden Zeitaltern feiner Dichtkunft
kein Werk hervorbrachte, das der Iliade nahe gefommen wäre,
und es bleibt Immer fein geringes Verdienft für die neuern wel⸗
ſchen Schriftſteller, daß fie in andern Feldern, bie fie weniger
betreten fanden, fo anfehnliche Fortſchritte machten. Das
Trauer» und das Luftfpiel, in vorhergehenden Jahrhunderten
durch fo mancherlei misgluͤckte Verfuche beinahe von der italies
nifchen Bühne weggeſchreckt, fodern ist ihre. verdienten Lor⸗
beerkraͤnze zuruͤck, und berufen fich auf einen Maffel, Varano,
auf den unerreihbaren Alfierl, und auf Goldoni, den treuen
Maler der Natur.
Sechszehntes Jahrhundert.
Ein andrer wuͤrde vielleicht feine Unterfuchungen noch über
das fechszehnte Jahrhundert hinausdehnen, und in den Zeiten
vor demfelben den ſchwaͤchſten Spuren der Komedie nachſpuͤ⸗
ven; da ich aber blos Über die fhon erwachfene und manız
bare Schaufpiellunft einige Bemerkungen zu machen im Sinne
babe, fo übergehe ich die weniger intereffante Gefchichte ihrer
ungemiffen und wankenden Kinderfchritte. Die Poffenreißer .
und Schaldsnarren, welche von den Fürften im Anfange der
Kultur von beinahe allen europälfchen Nazionen fo fehr begüns
figt wurden, und einen Haupttheil ihrer moralifhen Verguds
gungen ausmachten, laſſen ſich vielleicht ebenfalls in Italien
Als die erften Komiker betrachten, fobald man ihren launigten
Wortwechfel, ihren ſchlauen Wig, und die gewandten Aus
36 IL. üeber die itaileniſche Komedie.
falle als die erſte Grundlage der Komedie anſehen will; ſo wie
man auf dieſe Art in den Zwiſchenhandlungen, womit mar
die Zeremonien ber Kirche: von jeher abtheilte und feierlich
machte, ohne Mühe die erften unvollkommenen Grundzüge des
Trauerfpiels entdedt: Ja, man könnte fich geneigt finden, ins
dem man die Mode der Poſſenreißer bis jum zwoͤlften Jahr⸗
hundert ¶ ganz allgemein erblickt, ohne daß irgend ein Schrift,
ffeller derfelben als einer beſondern Neulgkeit erwähnte; fie für
einen Ketteneing. zu haften, der den Uebergang zwiſchen der
alten und neuen Komediemache.
Wenn Petrarch nicht das Luſtſpiei, das er ſchrieb, inter
bricht Härte, fo befäßen wir igt ein fehr merkwuͤrdiges Denk
mal von der Kunft feiner Zeit; doch Eönnte man daraus uns
inoͤglich den Stoff zu einem allgenielnen Urtheife Über den thea⸗
traliſchen Geſchmack jeiies Jahrhunderts hernehmen. Den
dies Stuͤck war nie für die Bühne beftimmt, wovon man damals
noch gar feinen Begriff Hatte; fondera follte bloß für eine bes
ſtimmungsloſe Nahaßmung der Alten gelte: Petrarch, ein
ſehr große? Vetehrer derfelbei, und etkenntlich dafür, aus einerii
vertrauten Umgange init ihnen fo beträchtliche Vortheile für
die Bildung feines eigenen Geiftes gezogen zu haben; pruͤfte
aͤuch in dieſem Sache den Umfarig feiner Kräfte. Und vielleicht
war eben der Mangel an Schaubühtten, wo ei die Wirkung ſel⸗
Hier Arbeiten beurthäilch konnte / daran Schuld, daß er ſich ler
diglich auf dieſen kinzigen Verſuch. zu beſchraͤnken fuͤt gut fand.
Der Geſchmack für die Schauſpielkunſt blieb ſicherlich bis
inf Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts in einem ſchmachten⸗
den, feht unentfchiedenen Zuſtande. Erſt in dlefem Zeitpunfte
ünigefähe , begarın fie eine Außerordentliche Beluſtigung für die
Vornehmen zu werden, weiche beföhdete Feierlichkeiten, anges
1, Uebetr die italieniſche Komedie. zi
ſehene Vermaͤhlungen, und andere ausgegeichnete Zefte damit
verfhönerten; und bie Poffenreißer fahen ſich auf diefe Art
bald gezwungen, der Komedie Ihren Platz abzutreten. Die
Schaufpiele der Alten, ins italiehifche Überfegt, murden in den
Vorhofen der Pallaſte aufgeführt; , welche man ganz eigentlich
dazu einrichtete und ausputzte. Plautus erhielt Hier oft den
Vorzug vor dem Terenz, und feine raſchen, launigten Einfähe
waren mehr nad) dem herrſchenden Volksgeſchmack, als der
vegelmäßige, gemachſame Fortgang des legtern, der mit feiner
lateiniſchen Sprache auch zugleich den größten Theil ſeiner
Sdhoͤnheiten einbaßte. Einige Scheiftfteller jener Zeit fertigten
war ebenfalls Originalftäcte an, aber ihrer waren nur wenige,
und fie blieben nad) der Manier der Alten , ohne die mindefte
Verfeinerung zugeſchnitten. Daher erhielt ſich feiner von den
Namen diefer Schriftſteller Bis auf die fpätern Zeiten. Der
Gebrauch, die Vothoͤfe oder Palldfte in Schaubuͤhnen umzus
formen; dient überdieß zu einem Beweis daß Italien gar
feine regelmäßige befaß, und in der That war es erſt am Ende
diefes Jahrhunderts, daß Rom ſich ſchmeichelte, vom Kardinai
Kiaris; als eine neue und auferoidentlihe Gunſt, die Er⸗
bauung eines Sffentlichenn Theaters zü erhalten.
Segen das Ende des Funfzehnten keimten zulegt die guten
und regelmäßigen Schriftſteller fuͤr die Komedie auf, melde ,
nachher im ſechs zehnten blühten,; ühd eine Menge von Nach⸗
foigern hervorbrachten. Siena, eine Stadt von nicht gerin⸗
gerer Kultur als die andern vorzüglichen Italiens, die immer
einen Reichthüm von großen und feinen Talenten befaß, und
wo dazu noch ein Überwiegender Häng zum Frohſinn, zur ger
fälligften Laune und Galanterie, und zu einem ſchnellen und
leichten Witze den gemeinen Volkekarakter auszeichnet, wurde
33 I. Weber die itafienifche Komedie.
— — — — —
fur Mutter der erſten Schauſpielergeſellſchaft, welche nicht
Allein in der Vaterftadt, fondern auch auswärts auf Verlans
gen fremder Fürften regelmäßige Städe auffuͤhrte. Es ent
ſtand daſelbſt in diefer Periode die Akademie der Rozsi,*)
befteheud aus jungen fröplichen Leuten, die zu gewiſſen Zeiten
Lieder, Gedichte und einzelne Szenen herfagten. Da aus
diefer Geſellſchaft jede andere Sprache außer der vaterländifhen
verbannt war, begann man bald darin vollfkändige Komedien
zufammenzufegen, und diejenigen, welche ſich als Spieler ges
brauchen ließen, machten fie dadurch noch intereffanter, daß
fie feld Leute von guter Geburt und Erziehung waren,
So verbreitete ſich der Geſchmack an diefer Art von Vergnuͤ⸗
gen
) Diefe Atademie Hat ſich nachher zu einer der beruhmteſten von gamz
Heatien gemacht. Sie fegte im Jahre 1531 ihre Gefege; ihr Embiem und
ihre Benennung fe, weiche feitere fie von der Art ihrer Haupebeihäftis
güngen in Bauermaskiraden, und im Poetifiren nach Art des Bandunifes
ableitete. Auch gab es unter ihren etiten Mitgliedern viel Handwerker und
Känfter. Ihe Ginnbild war und iR jeit noch ein Kühigeräß, mic der Ins
frift: „Che qui foggiorna acqnifa quel che perdes“ (Mer ich hier aufs
gäle, gewinne das Was er verliert) Indem fie damit ausdtacen wollte,
daß wenn ja eins von ihren Diitgtiedern erivad Zeit über Ihre poetlſche Ai
Seiten vetföre, vu Diefelbe an Ruhm und der Außbiidung feines Geittes mies
dergewonne
Sie dachten im Mnfange.felbft an die moraliſchez denn Re pfiegren
ihten Gliedern gewiſſe Beinamen zu geben, weiche einen ihres hervorſtechen ⸗
den Fehler bereichneten,. B. der Dhetflächliche, ber Flatterhafte, ker Fir
natiſche, der Zärtling, u. f. m. Noch vor einigen Jahren veranſtalteten Re
Bafonders in der Fafnacheheit, ſeht stänsende Feſte, Aufiüge und Master
raden. Jeit werden die drei Hauptsälle des Katnevals in ihren Berfamm«
üngsjlinmern gegebön, und ſchon ſeit 1696 räumte ihnen der Größherjög
#on Tostana das eieinete Theater von Siena, Gatomeihe genannt, aid
Gr Eigenthum’ein. Was Haups der Möademie nennt id: Atclroruo.
a Ueber die ttalienifche Komedie. 33
m m — — — — —
gen durch alle Stände, und Leute, welche fih durch Rang,
Talente, und die-feinfte Erziehung auszeihneten, glaubten es
nicht unter ihrer Wurde, mit ber laͤchelnden ımd leichtfertigen
Thalia zu ſcherzen. Sollte ich einmal, wie ich im Sinne habe,
eine voliftändige Geſchichte des italienifchen Theaters ſchreiben,
fo werde ich bei diefer Gelegenheit eine lange Reihe berühmter
Schriftfteller aufführen können; für jezt mag es genug feyn,
unter ihnen, zwei zu nennen bie flatt aller dienen, Ariofto
und Nicolac Machiavelli.
"Ein genauer Beobachter muß allerdings den Werth der
Komiter diefer Zeit einräumen, wird aber ebenfalls nicht ums
Hin koͤnnen zu geftehen, daB ihr Verdienſt ſich im Verhältniffe
mit dem Herrfchenden Volksgeſchmacke befand. Er wird auf
der andern Seite unfere Zeitgenoffen nicht gern ungerecht nens
nen wollen, weil fie bie Komedien des fechszehriten Jahrhun⸗
derts vom italienifchen. Theater verbannt Haben, aber muß
darum nicht weniger behaupten, daß dies allen Geiſteswerken
bevorſtehende Schickſal ihr inneres Gehalt um nichts ſchmaͤlert.
Der Geſchmack jener Zeiten beſtand darin, daß man auf das
genaueſte diejenigen Schriftſteller nachahmte, welche ich beſon⸗
ders unter den Alten in Dichtkunſt, Beredſamkeit oder Philo⸗
ſophie ſchon einen entſchledenen Ruhm erworben hatten. Des⸗
halb blieb Plautus oder Terenz immer noch das Haupt / Mus
ſter der Neueren, und man konnte in der That auch ſchwerlich
beſſer waͤhlen, wenn man denſelben nur nicht fo ſtlaviſch
nachgefolgt wäre.
Die Komedie, gleich der Satyre, erfordert einen geroiffen
freiwilligen, ftarfen Fluß der Gedanken, ber fih, wenn er
nicht von einer inneren Originalempfindung herfommt, unmog⸗
lich nad einem gegebenen Modelle ertünfteln läßt, Wer würde
Deister. Zabes. atet Baur, C
2 IL. Ueber die italieniſche Komedie.
— — — — —
ſich wohl haben traͤumen laſſen, daß Arioſt, dem man es zum
Vorwurf machen konnte, daß er ſich in ſeinem epiſchen Gedichte
dem Scherze und launigten Spotte zu leicht und zu viel uͤber⸗
laſſe, in der Komedie dieſe Munterkeit gaͤnzlich verliere, und
fih fogar nach dem entgegengefegten Extreme binneige? —
Und doch bemerkt man dies wunderbare Phänomen, welches
ſich wohl ſchwerlich durch etwas anders erklären läßt, als daß
er die alten Schanfpiele mit Übertriebener Genauigkeit habe ko⸗
piren wollen. Ein, dem feinigen fehr ähnliches, Schichſal
traf eine Dienge von andern Schriftftelleen, die ohne Abänder
rung ihre Werke fowohl In der Behandlung, als in der Auss
wahl ber Karaktere nad) ihren Vorgängern zuſchnitten. Sie
verloren auf diefe Art die Wahrheit und unterhaltende Abwech⸗
felung der Natur gänzlich aus den Augen, brachten durch diefe
Nachahmung der Nachahmung jedesmal unäpnlichere und vers
ſchrobenere Karaktere hervor, oder ermübeten wenigſtens mit
den immer und ewig ıwiederfommenden wermeffenen Bedienten,
ansgelaffenen und liederlichen jungen Leuten, und unklugen,
kindiſchen Greifen, wie fie dieſelben in den Alten vorfanden.
Und diefe Aehnlichkeit und Uebereinſtimmung mit ihnen in der
Intrigue und in den Perfonen ftieg zu einer folhen Höhe, daß
2orenzino dei Medici im Prolog feines Aridofius
fagt, die Zuſchauer möchten es doch nicht übelnehmen, auf der
Bahne von neuem einen jungen Verliebten, einen geijigen Al
ten, einen verſchlagenen Bedienten, der ihn fünftlich hinters
Licht führt, und andere folche Dinge erfcheinen zu feben, weil
niemand, der ein Schaufpiel ſchriebe, ſich derfelben füglich ent⸗
ledigen koͤnne. In KRuͤckſicht des Styles hingegen, befolgte
man treulich, ungeachtet der nie entſchiedenen Streitigkeiten
Über den Vorzug der Proſe, oder einer der lateiniſchen naher
IL Ueber die italieniſche Smedie. 33
tommenden Versart, die Regeln, welche bie beften Redner,
Geſchichts/ und Romanenfchreiber Staliens ſchon feftgeftelle hat ⸗
ten; wen man gleich nicht immer daran dachte, daß der größte
Theil diefer Schönen Worte und Wendungen, beren fih jene
bedienten, felten zu einem ungegwungenen und vertrauten Dias
log paßten, ber oft lebhaft, kurz und gedrängt, niemals aber
geſucht und fludiert ſeyn muß. Daher war die Schreibart dies
fes Jahrhunderts ‚zwar gebildet genug, doch ohne alles Ge⸗
präge von Ausdruck und Kraft.
Außer diefer Gattung von Komedien, welche den alten
fat gänzlich nachgefchrieben wurden, und deren Berfertiger
jedem Verdienſt der Originalität freiwillig entfagten, gab es
allerdings noch eine zweite weit mehr intereffante, die vom
einer andern Seite der italienifchen Bühne ben Werth wieder
gab, den fie durch jene Kopien eingebüßt haben Eonnte; und
dies war die Art, welche die Sitten und Gebräuche des Jahr⸗
hunderts auffaßte und darſtellte. Doch auch in biefen erkennt
man, vole ungern ſich das Auge von den aufgeftellten Modellen
entfernt, und wie der Kuͤnſtler vielmehr bloß die Rinde, als
den ganzen fehlerhaften Stamm verändert, Doch ift die Nach⸗
ahmung hier fehon weit ungezwungener, und das Sittenge⸗
mälde vollkommen getreu. Zumeilen ift die Intrigue zu vers
miele, und ihre Auflöfang nicht immer ſehr wahrſcheinlich,
Hat indeß oft beträchtliche Verdienſte in der finnreichen Erfin⸗
dung und. Zufammenfügung; die Karaftere find mit lebendigen
darben gezeichnet, nicht felten warm und immer geſchmeidig In
der Handlung, und der Schreihart fehlt es niemals an Sau⸗
berkeit und Eleganz. Selbſt derjenige Geiſt der Komedie, wor
mit ein Schriftfteler den ſſchicklichſten, treffendften, und ber
mertungswärdigften Moment des Lächerfichen entweder in ber
€a
Pr U. Ueber die ttafienifhe Komebie.
Handlung oder im Ausdrucke gluͤcklich erfaßt und darſtellt,
" wird in vielen Schriftflelleen diefer Periode auffallend ſichtbar.
Macchiavel, deſſen Mandragora vielleicht das einzige Luſtſpiel
aus dem fechszehnten Jahrhunderte iſt, das fich ebenfalls noch
auf unfern heutigen Theatern mit Intereſſe darftellen ließe,
beſaß einen unglaublichen Reichthum an diefer komiſchen Laune.
Auch mangelte fie feinesweges dem angenehmen Eecchi, dem
unterhaltenden Gelli, noch felöft dem. Pietro Arretine,
einem Manne, der, fo zweifelhaft es auch bleibt, ob er mehr
Genie, oder Unwiſſenheit, oder Vermeſſenheit befaß, doch das
ſeltene Talent jener natuͤrlichen, freiwilligen Luftigkeit geltend
zu madjen verftand, welches alle Gedanken und Einfälle mit
dem lieblichften Salze wuͤrzt, und auf den Lippen der Zuhörer
das Lacheln des Vergnuͤgens uud Beifalles hervorzulocken ger
wiß if, \
Noch) eine Menge anderer Schriftfteller jener Zeiten Könnte
ich aufführen, die ſich durch irgend etwas in ihrer Kunft auss
zeichneten, wenn Ich nicht den "Einwurf dagegen befürchtete,
daß fie darum nicht weniger jegt in Staub und Vergeflenheit
modern. Unſer Jahrhundert hat einen verfchiedenen Weg eins
ſchlagen mäffen, um der Komedie ihren verlohrenen Glanz
wiederzugeben, waͤhrend daß die meiſten andern Nationen die
Arbeiten ihrer Vorgaͤnger mit Eiferſucht aufbewahren, und
immar mit dem naͤmlichen Vergnuͤgen darſtellen ſehen. Der
Menſchenfeind, der Tartuͤffe, und faſt alle übrigen
Stucke Moliere's werden beſtaͤndig noch auf der Bühne eines
Volkes bewundert, das doch einen weit veränderlichern Ge⸗
ſchmack als.der Italiener beiigt. Indeß bei aller Scheinbarfeit
dieſes Einwurfes findet der forgfältige Beobachter bald einen
hinreichenden Grund, warum jene Werke nicht zureichten,
M. Ueber die italieniſche Komedie. 37
einen genau beſtimmten und bleibenden Geſchmack in der Kor
medie feſtzuſtellen.
Die Verfaſſer derſelben lebten männlich in einer Periode,
mo ebenfalls die Sitten und Gebräuche der Staliener. nichts
weniger als feſt und beftimmt waren. Frankreich hatte Hierin
beträchtliche Vortheile; denn Meoliere blühte, als die gefells
fchaftliche Denkart der Nation fhon fo tiefe Wurzeln geſchla⸗
gen hatte, daß fie nachher nur fehr leichte Abänderungen zuließ.
Haͤtte er feine Werke unter Franz dem Exften gefchrieben, fo ”
wäre er ebenfalls ſchwerlich dem Schichfale der italienifchen, Kar
mifer aus dem fechszehnten Jahrhundert entgangen.
Um dieſen Punkt möglihft genau auseinander zu fegen,
wird es gut ſeyn, wenn man einen Ueberblick auf den allgemeis
nen Charakter der Komebie wirft... Ihr Zweck iſt in der That,
das Lafter zu. beflegen, aber die Waffen, womit fie daffelbe ber
ſtreitet, find die des. Lächerlichen, unt der Kampfplatz, worauf
fie es angreift, ift das bürgerliche Privatleben. Sie betrachtet
es daher feinesiweges aus feinem ſchreckhafteſten Gefichrspunfte,
fondern immer in der Geflalt, womit es in der Geſellſchaft
auftritt, und es ſcheint gleihfam, daß fie zu feiner Ausrots
tung eher die Manier wählt, feine weitverbreiteten Wurzeln
abzufchneiden, als es geradehin am Stamme zu befhädigen.
"In feiner völligen, ganz nackten Form flößt es Graufen ein,
und läßt feinen Raum zu lachenden und angenehmen Vorſtel⸗
lungen. Daher die Komedie, gezwungen den Scherz und lau⸗
nigten Spott gegen daffelbe zu gebrauchen, fich lieber an die
eineren Fehler macht, welche Abartungen des herrſchenden
Lafters find, und im Privatleben am fühlbarften werden.
Selbſt traͤgt es ſich oft zu, daß fie nicht gerade die Gebrechen
beftreitet, welche eigentlich den Ruin der buͤrgerlichen Geſell⸗
€;
38 I. Ueber die itaftenifche Komedie.
ſchaft hervorbringen ſondern ſich daran begnuͤgt, die milderen
Schwaͤchen ins Licht zu ſtellen, aus denen für die Geſellſchaft
hoͤchſtens nur Langeweile und Unbequemlichkeiten erwachſen.
Dieſe Schwaͤchen aber, ſo gleichfoͤrmig ſie auch aus der
nämlichen fehlerhaften Quelle entſpringen, verändern” doch jes
desmal nach dem herefchenden Tone der Sitten Farbe und Ger
ftalt. Der Geigige, der Verftellte, der Hochmuͤthige, der
Tolpel, wurden von Theophraft befchrieben, fo mie diefelben
in Athen erfchienen, von Brupere in dem Gewande, wel⸗
ches fie in Paris trugen. Aber beide, vortreflihe Beobachter, '
weichen übrigens in Ihren Gemaͤhlden von einander in eben dem
Verhaͤltniſſe ab, als die Sitten in Achen fehr verfchieden von
denen in Paris waren. Indeß die Komedie folglich die Ger
bräuche und befonders bie Mode barftellt, ober vielmehr aus
ihnen die mangelhaften Karaktere heraushebt, ahmt fie diefels
ben zumellen ganz getreu nad), zuweilen fügt fie ihnen auch
noch einige freiere Pinfelfteiche Hinzu, wodurch fie natürlich
merklicher und in die Augen fallender werden. Auf diefe Art
fegt fle eine Schilderung zufammen, welche durch ihre Aehn⸗
lichkeit mit der Natur den Zufchaner zum Lachen reizt, und
auf dem Wege bes Vergnügens ihn. gicht fm zu einer Selbſt⸗
verbefferung hinlenkt.
Wenn man alfo die Sitten des ſechszehnten Jahrhunderts
genauer betrachtet, ſo ann man unmöglich leugnen, daß fle
den Roft der vorhergehenden‘Zeiten noch fehr merklich an ſich
tragen; und daß ebenfalls diefem gemäß bie Leidenfchaften fich
mit weit größerer Energie, und beinahe in Ihrer ganz natuͤrli⸗
chen, vom gefellfchaftlihen Leben noch um nichts gemilderten
Rauhigkeit darftellten. Die Zwiſtigkeiten und der Familienhaß,
welche Damals in faft allen Städten Italiens herrſchten, ſidß⸗
DI. Ueber die itafienifche Komedie. " 39
ten den Buͤrgern derſelben eine barbariſche Wildheit ein. Dieſe
machte jene Streitigkeiten erblich, und mitten im Schooße
der Famillen, wo nur Friede und Eintracht wohnen ſollten,
brüteten Race, Wuth und Verrätherei. Und obgleich jegt
taufend Mißhelligkeiren die Menſchen nicht weniger trennen,
fo find diefelben doch ungleich milder als jene, weil zu ihrer
Unterhaltung fein öffentliches Intereffe mehr beiträge, und weil
die Leidenfhaften, von unvermeidlichen Gefellfchaftsverhäfts
niffen oftmals einander genähere, fih mit einem Schleier von
Berftellung bedecken, der ihr Aeußeres völlig verändert. . Der
Einfluß, den das politifche Uebergewicht einer oder der andern
Parthei fich auf die Befigungen und auf das ganze zeitliche
Städ in jenen unruhigen Zeiten verfchaffte, zwang jedermann
zu einer ernftlihen Theilnahme am Schieffale einer von ihnen,
und ganz unbekannt blieb Daher die Klaffeder friedlichen Staates
Bürger, die jegt im Schutze und Schatten feftgeftellter und
beobachteter Gefege ihres Eigenthumes ruhig genießen,
So ſchopfte ebenfalls die Leidenſchaft der Liebe theils aus
den Ideen des Ritterſchaftsweſens, von denen fich in den Sits
ten immer noch einige Spuren erhielten, theils aus dem Pins
tonismus, der damals mehr als jemals im Schwange gieng,
ihre wunderbaren, unnatuͤrlichen und romanhaften Begriffe.
Die ftrenge, beinahe mehr als Elöfterlihe Eingezogenheit, in
der man das ſchoͤne Geſchlecht von der übrigen Welt abfonderte,
verfagte darum ben ſchlauen, verftohlenen , und deshalb eben
um fo ausfchweifenderen Begierden nicht gänzlic) den Zugang.
Diefelben Lafter und Gebrechen, welche einen Hausvater, oder
einen unbefonnenen jungen Menſchen jegt um nichts weniger
nachteilig für die bürgerliche Gefelfchaft machen, erhielten das
mals unter fo abweichenden Familienverhälmiffen ein ganz
Cs .
40 1. ueber die italieniſche Komedie.
anderes Anſehen. Der Umgang und die allergewoͤhnlichſten
Gebräuche des Lebens waren von ben unſrigen ſo ausnehmend
verſchieden, daß es ſich ſchwerlich ausmachen ließe, ob jemand
aus dieſem Zeitalter, oder dem des Auguſtus, wenn er unter
uns zuruckkehrte, verwirrter und verlohrener · ſeyn würde? —
Die Mode hat das Gewand aller Fehler, ja einer jeden Bewe⸗
gung der Seele verändert, und gewoͤhnt, dieſelben nach unſe⸗
rem Branche gekleidet zu ſehen, erkennen wir fie kaum in einer
von der angenommenen fo-fehr abftechenden Tracht wieder.
Ein Liebhaber jener Zeit brachte die entſetzlichſten Nächte
mit einer Guitarre in der Hand, unter dem Balkon feiner
Schönen zu. Ein leifes Geräufh, das er an den eijernen
Staͤben deffelben vernahm, ein Kniftern des feidenen Gemans
* bes, ein Seufzer, ein verftohlener, ſcheuer, einiplbigter Laut,
waren reichliche Belohnungen für den fchlaflofen Kummer,
für die Gefahren der Unternehmung, für Regen, Sturm und
Gewitter. — Erkennt man hierin vielleicht den Geift und dag
Wefen der neuern wohlriechenden Stuger? — So könnte
man ohne Mühe noch taufend andere Beiſpiele auffinden, wo
bie Sitten ebenfalls in den Karakteren, Fehlern und Leidens
ſchaften überhaupt eine fehr.beträchtliche Veränderung hervor⸗
brachten. Diefer Einfluß dehnte ſich aber natuͤrlich auf den
Zuſammenhang, den Knoten und die Aufloͤſung der Verwicke⸗
fung im Schaufpiele aus: Daher fcheinen uns auf den erften
Anblick die Intriguen aus dem fechszehnten Jahrhundert ent⸗
weder wunderbar, oder kalt, oder unwahrſcheinlich, und
darum immer mehr oder weniger von dem Anziehenden ents
blößt, welches die Aufmerkfamteit des Zufchauers wach erhält,
der auf der Bühne die Darftellung ihm genau bekannter und
naher GSegenftände, aber nichts von fremden und entfernten
Dingen erwartet.
U. Meder die italienifche Komedie. 4
Ebenfalls verdankt die italienifche Komedie den Sitten jenes
Zeitalers ihre ſchmutzigen Ausdrüde, unanftändigen Epifoden,
‚und die zägellofe Freiheit Überhaupt, wodurch fich größtentheils
ihre Schaufpiele auszeichnen. Dies ward zu einem Haupt⸗
geunde, warum die Geiftlichkeit endlich dagegen aufftand, die
Fortſchritte der Buͤhne, damit zugleich auch des guten Ge
ſchmackes darin hemmte, und endlich die Schaufpieler ſelbſt zu
einer Art von öffentlichen Entehrung verdammte. Nicht fehr
viel befferte fich das italienische Theater in diefem Punkte, ſelbſt
während der Erziehung und Fortbildung durch die darauf fols
genden Jahrhunderte, aber zum wenigſten lernte man darin,
diefe anftößigen Dinge mit einer Art von Schleier zu bedecken,
“und dadurch erträglicher zu machen. Vielleicht trug auch zur
Freiheit jener Zeiten nicht wenig die pünftlihe Nachahmung
der alten Scheiftfteller Bei, welche ſich ebenfalls nicht immer
hinreichend in den Schranken der Ehrbarkeit Hielten.
Ebenfalls wurde die Schreibart und die Manier des Dias
loges (feine von den unbedeutendften Schönheiten der Komedie)
‚nachher von ben Sitten und der Diode beträchtlich verändert.
Vielleicht mag diefer Wechfel, der fich von einem vertrauteren
Umgange mit Ausländern. herfchreibt, dem reinen toskani⸗
ſchen Style im Grunde zum Nachtheile gereihen, allein es
+ bleibt gewiß, daß die Staliener jegt im freundfchaftlihen Ger
ſpraͤch weit mehr Kürze und Nachdruck befigen, und ſich einer
der alten Art ganz entgegenfegten Sparfamkeit von Worten ber
fleißigen. Daher haben manche Schönheiten der Sprache,
Feinheiten im Ausdrude, Scherze und Wortfpiele, welche bar
mals einen Hauptzierrath des Dialgges ausmachten, jegt dem
geößten Theil ihres Werths eingebuͤßt; jene Art weicht fo fehr
son der unſeres gemeinen Lebens und Umganges ab, daß
. Es
42 U. Ueber die italieniſche Komedie.
— — — — —
wir in ihr kaum noch eine Spur von Natur und Wahrheit
erkennen.
Wenn folglich die Veraͤnderung in den Sitten jetzt faſt
alle Karaktere, Verwickelungen und den Styl der Komedie des
ſechs zehnten Jahrhunderts unwahrſcheinlich macht, und gaͤnz⸗
lich von dem Anziehenden entbloͤßt, deſſen ſie auf ber Buͤhne
Bedarf, fo verſagt man ihr mit Recht zu dieſer den Zugangs
doch behält fie darum im Ruͤckſicht des Zeitalters, in dem fie
entftand, nicht weniger ihren Werth. Und in der That lieſt
man immer noch diefe Städte nicht ohne alles Vergnügen; nur
Bedarf es, um ihrer wahren Schönheiten, und befonders ihres
verſteckten Salzes inne zu werden, eines eigenen Studiums,
nicht felten gleich denen des Plautus und des Terenz.
Die Romebdie fpricht vom der Bühne zum Volke, und will
es durch eine kluge Verbindung des Angenehmen mit dem Nuͤtz⸗
fihen, des launigten froͤhlichen Scherzes mit der ſtechenden
Satyre nicht nur aufheitern und ergoͤtzen, ſondern auch beleh⸗
ren und verbeſſern. Aber weder die eine, noch die andere Ab⸗
ficht kann fe fuͤglich erreichen, wenn fie fi in einem dem Zus
ſchauer ganz fremden Gewande darſtellt, fo wie dies ohngefaͤhr
der Fall mit den Theaterſtuͤcken des ſechszehnten Jahrhunderts
feyn würde. Heraus erhellt, daß die Mühe, welche To viele
gute Köpfe jener Zeiten auf die Vollendung ihrer Arbeiten vers
wendeten, keinesweges hinreichte, um einen feftftehenben,
einer Veränderung nicht mehr unterworfenen Geſchmack in der
Schauſpielkunſt zu bilden, und einzuführen.
Man werfe mir nicht die Wirkung ein, welche die Sitten
der Alten, fo wie die entfernter, uns gänzlich unbekannter Nas
tionen, zuweilen auf unferer Bühne hervorbringen. Denn theils
Betrachten wir jene, duch den verfhänernden Nebel der geit
TI. Ueber die itafienifche Komedie. 43
hindurch, mit einer Ehrſurcht, welche ſich keinesweges auf uns
viel näher liegende Jahrhunderte, — und auf die aus der Mode
gefommenen Gebräuche unſerer eigenen Voreltern erſtreckt;
theils finden wir ebenfalls darin eine Quelle nuͤtzlicher Beleh⸗
rung, die uns nachher in fo manchem andern wiſſenſchaftlichen
Fache wieder zu gut kommt. Diefe endlich gewähren uns ein
ähnliches Vergnügen durch ihre Neuheit, und durch! den Uns
gereicht, welcher oft deshalb von einer um fo größeren Wichtige
kelt ſcheint, weil er fih mit einem ung gleichzeitigen Gegen;
Rande beſchaͤftigt. j
Um alfo meine Bemerkungen über die Komedie des feches
zehnten Jahrhunderts in wenige Worte zufammen zu faſſen,
wiederhohle ich, daß Die Arbeiten derfelben entweder zu ſelavi⸗
ſche Nahahmungen der Alten waren, und daher dem gewoͤhn⸗
lichen Schickſale der Kopien, der Vergeſſenheit, nicht entgiens
gen, ober daß fie die Sitten ihrer Zeit darftellten, und darum
fpäter unnäglich wurden, weil die Veränderung der Gebräuche
fie auch eines jeden Gepräges von Wahrſcheinlichkeit beraubte.
Bär die Gelehrten mögen fie daher leicht zu einer angenehmen
Beſchaͤftigung dienen, aber wohl ſchwerlich den Zuſchauern zu
einer erheiternden und befehrenden Unterhaltung,
Wird fortgeſetzt.)
“4 MI. Hat Schldier Recht?
— — — — —
III.
Hat Schl dger Recht, wenn er in feiner Weltge⸗
ſchichte fagt : „dumme Menſchen zu ihrem Glide
„wwingen, heißt fie regieren; bie meiften Mens
„ſchen find dumm, muͤſſen alſo regiert werden?’
De Name Schläger fteht feit mehr als einem Viertel⸗
Jahrhunderte in-fo großer, allgemeiner, und wahrhaft vers
bienter Achtung, daß es nur dem eingebildeten Theren eins
fallen kann, an ihm zum Ritter werden zu wollen. Seine
ausgebreiteten hiſtoriſchen Kenntniffe, fein eindringender Vers
fand, fein glänzender Wis, feine Freimuͤthigkeit, auch da
die Wahrheit zu fagen, wo fie Gefahr bringe — alle diefe
Eigenſchaften vereinigen fih nut felten in einem Sterblichen.
Mehr als einmal ward er von furchtbaren Gegnern angegrifs
fen: und Immer ging’er triumppirend vom Kampfplage, wie
neulich noch der berühmte Freiherr von Mofer erfahren hat.
Daß er dennoch beſcheidnen Widerfpruch vollkommen ertragen
Tann, davon bin ich felbft. ein überzeugendes Beilpiel! Im
April der Berliner Monatsfchrift 83 behauptete ich gradezu
gegen ihn, daß Earl XII. von Schiveden nicht von der Hand
eines Meuchelmdrders, fondern vom Feinde erſchoſſen ſey:
ee nahm dies fo wenig Übel, daß er ſich vielmehr in feinem
Briefwechſel fehr günftig Über meinen Auffag äußerte
Wenn ich alfo auch jegt eine abermalige Eleine Controvers
MI. Hat Sqhiier Mh 4
gegen ihm eröfne; wenn ic) eine Stelle von ihm, die mir be⸗
denklich ſcheint, einer firengen Prüfung. unterwerfe: fo ents
ferne ich mich dadurch fo wenig von meiner Achtung gegen ihn,
daß ich vielmehr einen neuen Beweis derfelben gebe! Ich kann
es nicht dulden, daß ein von ihm, blos zu kurz, zu under
"Kimme ausgedruͤckter Gedanke gemißdeutet, oder gar gemißs
braucht werde; Dies giebt mir alfo die Feder — nicht gegen,
fondern für ihm in die Hand!
Hätte Schläger behauptet, „die meiſten Menſchen
find kluge,“ fo würde ich mich über diefe Jünglingss
unerfahrenheit bei einem Manne ſchwerlich des Laͤchelns
haben enthalten koͤnnen: fo weit bin ich entfernt, "an eine all⸗
gemeine Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts zu glauben;
fo fehr babe ich mich überzeugt, daß es bis dahin — vielleicht
noch weiter ift, als bis zum Jahre 2440! Schlözer behaup⸗
tet das Gegentheil, und ſagt gradezu ‚die meiften Menſchen
„find dumm; dies ſollte ich nun nothwendig unterſchreiben t
und doc) liege in diefen Ausfpruche für mich etwas empörens
des; etwas, das ich nimmer einräumen kann! Um mir dieſes
dunkle Gefühl deutlich zu machen, muß Id vor allen Dingen
fragen, was heißt dumm? Hier weis ich, nun nicht andere:
als: Dummheit bezeichnet entweder eine abfolute, oder doch
eine relativ fehr große Unfähigkeit zu deutlichen und zufamr
menbängenden Begriffen. Sie ift eine angebohrne, oder zus
gezogene Schwäche des Vorftellungsvermögens, von ber jedoch
die Handlungsweife unmittelbar abhängt. Wer dumm iſt,
muß nothwendig auch verkehrt handeln; wer klug ift, kann,
durch Leidenſchaften getrieben, ebenfalls unendliche Verkehrt⸗
beiten begehen, aber fie quellen nicht aus Unfähigkeit des Wer!
ſtandes, fondern eben. aus jenen, Leidenichaften, ohne weiche:
46 HI. Hat Schldzer Recht?
er unſtreitig anders und beſſer gehandelt haͤtte. Himmelweit
verſchieden von der Dummheit iſt die Unwiſſenheit! Dieſe iſt
blos ein Mangel, nicht der Kraft ſelbſt, ſondern nur derjeni⸗
gen Objecte der Kraft, die allein durch poſitiven Unterricht in
die Seele kommen koͤnnen. So bin ich z. B. in der Chineſi⸗
ſchen Sprache — nicht dumm, aber gaͤnzlich unwiſſend;
dumm. würde ich nur alsdenn ſeyn, wenn ich nach langem,
geändlihen Unterrichte dennoch immer nichts davon faßte.
Nun iſt es feinesiweges gegen den Sprachgebrauch, beide Ber
bdeutungen in dies eine Wort zu legen; da fie aber fo weil von
einander abgehen, welches von beiden iſt benn ber eigentliche
Sinn: ‚die meiſten Menfchen find ſtupide“ oder etwa nur
‚die meiſten Menfchen find unmwiffend?” Nur gegen das
erſte, nicht gegen das zweite, empört fih mein Gefühl; und
wie Eönnte es anders? Es ift eine peinliche, ich mag fagen ekel⸗
hafte Empfindung, nur einen einzelnen, aͤchten Dummkopf
vor ſich zu fehen! Spanne id) nun gar meine Smagination an,
und denfe mir den größten Thell des Menſchengeſchlechts, wie
ihm, mit unverfennbaren Zügen, bie Dummheit ſchon aus dem
verfchobenen Geſichte hervorſtarrt, fo erwaͤchſt daraus ein
Bid, das nicht gräßlicher ſeyn kann! So graͤßlich indeß wie
es wolle, was Hülfe alles Sträuben, wenn es denn doch
wahr wäre: aber eben, ob es wahr ift, daran muß ich mehr
als blos zweifeln! Zwar — wo ift der himmelhohe Stand⸗
punet, von welchem herab fih bie ganze Menfchheit übers
ſchauen läßt; und ganz muß fie ja doch derjenige ins Auge
faffen, der von der Dummheit der meiften, und von der Ringe
heit der übrigen ein ſichres Urtheil fällen wil! Das Gegentheil
behaupten, fegt den nehmlichen Standpunkt voraus, auf den
ich auch dann noch Verzicht thun würde, wenn ich wie
IL Hat Schläger Net? 47
men,
Schloͤzer das ganze Gebiet der Geſchichte ducchreifte, und
wie Sorfter die Welt umfegsle Hätte. Sch kann nichts, ale
von einem fehe Eleinen Theile aufs Ganze fchließen; eine trüge
liche Schlußart, aber in Ermangelung einer beffern oft bie
einzige, die in unfrer Gewalt ſteht. Wenn ich dann von dem
kleinen Voͤlkchen, unter dem ich lebe, und welches Ich einigers
maffen Eenne, auf das Ganze fchließen darf, fo finde ich unter
beiden Geſchlechtern, unter allen Ständen, weit mehr gefuns
den als verfrüpelten Menfchenverftand, weit mehr Offenheit
als Stumpfheit des Kopfs. Ein ertra Dummer ſcheint mir
eine eben fo feltne Erfcheinung, als ein ertra Kluger; und nur
in den Irrhaͤuſern zu Brieg und Jauer find mir Feuerlaͤn⸗
difche Gefichter vorgefommen, deren Anzahl jedoch gegen die
ganze Volkszahl verſchwindet. Unwiſſenheit hingegen,
und das leider in den wichtigſten und nothwendigſten Wahr⸗
beiten, räume id, troz aller Aufklärung des Jahrhunderts,
auf das erfte Wort bei dem größten Theile ein. Die Urfach
ift ja Mar! Schloͤzer tadelte es, duͤnkt mich, einmal an
Peter, daß er am die obere Etage feines Staats fo vielen
Fleiß verwandt, aber die untere fo ganz vernachläßiget hätte,
oder ohne Allegorie, dag er eine Akademie, der Wiſſenſchaften,
aber Feine Volksſchulen errichtet! Sind wir denn gegenwärtig
in unfern Staaten ſchon viel weiter? Volksſchulen genug:
aber mie find nod) die meiften befchaffen? Statt aller Klage⸗
lieder, will id für ſie einen ſehr triftigen Entſchuldigungs⸗
grund anführen, der auch dann noch Statt haben wird, wenn
fie der Vollkommenheit ſchon viel näher fein werden! Daß
unter den Studirenden, menigftens viele zu wahrer Aufr
klaͤrung gelangen, rührt, außer den Talenten, der Guͤte des .
Unterrichts, dem Sleige, vornehmlich auch daher, daß fie denn
4 NL Hat Schloͤzer Recht?
boch bis zu ihren Juͤnglingejahren auf Symnaſien und Univerſi⸗
täten ausdauern. Der Volks; und Buͤrgerſchule hingegen ents
lauft der Knabe ſchon als wirklicher Knabe; wenn ſo eben
die Jahre anbrechen, wo der Lehrer ein vernunftiges Wort
mit ihm ſprechen, ein Räfonnement von längerem Athem
mit den Franzoſen zu reden) anftellen koͤnnte, dann kehrt er
der Schule auf ewig den Rüden, vergißt fehnell, was er nur
flüchtig faßte, und die Vorurtheile der- wirklichen Welt reißen
wie ein Strom die, noch lange nicht tief genug. gewurzelten,
gefunden Urtheile und Grundfäge aus der Seele. Ueber Ums
wiffenheit alſo bin ih mit Schlözern vollkommen eins
verftanden: aber eben deshalb Fann ich es über Dummheit
nice feyn. Wer mag es leugnen, daß jene für ſich fchon ein
großes Webel ift: aber fie ift ein abhelfliches, fo lange
nur gefunder Menfchenverftand da iſt! Nur Unterricht,
und der Umwiffende wird lernen, und in diefem Sinne
dumm zu feyn aufhören. Wen "aber wahre Dummheit drückt,
den wird, wie es in einer Minnefinger Fabel Heißt:
— — bie ‚Schule au Pareiß
an Sinnen nimmer machen weiß! —
Und hier fürchte ich eben manchen Mißbrauch, manche [häds
liche Eonfequenzenmacherei aus Sqhloͤzers Behauptung!
„Die meiſten Menſchen ſind dumm; o welch ein wahres Wort,
Cruft vielleicht. mehr als einer von meinem eignen Stande
maus!) Darum Ternen die Buben nichts bei mir, ich mags
anfangen voie ich will!” Der arme Wicht! Er hätte eigents
lich fagen follen: welch ein Unwiſſender bin ich ſelbſt! Welch
ein Stämper in der Methode! Wie fo ganz fremd mit:dem
Geiſte und Herzen der Jugend! Darum Finnen die Knaben
nichts bei mir lernen, und hätten fie Engels Verftand! —
nDie
HL Hat Schldzer Recht? 9
„Die meiften Menſchen find dumm, ruft ein audrer — und
nboshaft dazu; darum muͤſſen fie nicht wie Menſchen, fons
been als Selaven behandelt werden!’ Hierauf Habe ich
nichts zu erwiedern, als — Asmus Schreiben eines
parforcegejagten Hirihes! — An diefen und aͤhn⸗
lichen Auswuͤchſen iſt S Hlözer rein und unſchuldig; er will
lediglich aus der Schwaͤche der Menſchheit die Nothwendigkeit
der Regierung ableiten; aber bier eroͤfnet ſich für mid ein
neues Feld der Controvers!
„Die meiften Menſchen find dumm; müffen alfa _
„regiert werden.” Wie wahr, auf der einen Geitel
In unſerm neuen Gefegbuce heißt ks gleich im Anfange:
Diejenlgen, welche wegen — eines Mangels an Seelenkraf⸗
„ten ihre Angelegenheiten nicht ſelbſt gehdtig wahrnehmen
„koönnen, ſtehen unter der befondern Aufſicht und
„Vorſortge des Staats. Der, welchem der Staat die
nSotge für die Angelegenheiten ſolcher Perſonen aufgetragen
„hat, wird Vormund genannt.” Aber follte denit wohl
Bevormundung und Regierung eineriey feyn, ünd die:
letztere fich auf den nehmlichen Grund ftügen, wie die erſte ?
Wie, wenn ich grade umgekehrt behauptete, Vormundſchaft
ſchlieſt Regierung aus? Und jo iſt es l Jede Geſellſchaft von
welcher Art ſie auch ſei, kann einen Dummen wohl unter ſich
dulden, und dabei die noͤthigen Anſtalten treffen, -daß er weder
ſich noch. andern ſchade: aber ihn eigentlich als Mitglied hraus.
hen kann fie nicht! Eben fo kann auch. der Stadt den wahr
haft Dummen nur ala einen Gegenſtand des Mitleids ſchuͤtzen,
hüten, und verpflegen laſſen: aber ion zum thäfigen Bürr.
ger machen, das lanm er nicht, weil dazu unumgänglich, Ber
ſtand gehört: Salbſt Gldsere eigne Definislon vom Res
Dritten Zades. atır Band. D
so 1m. Hat Schldzer Recht? N
— — — — —
gieren paßt nicht auf den Dummen. „Menſchen zu ihrem
„Städte zwingen, fagt er, heißt fie regieren!’ Nun giebt
es gewiß für den Dummen fein größeres Gluͤck ale — Elug zu
werden; ber Staat erzwinge es doch einmal, wenn er kann!
Das Gluͤck aber, was er mit Hund and- Katze gemein hat;
bedarf wiederum feines polieifchen Zwanges, und die Natur
erzwingt es ſchon von ſelbſt! — Doc) ich Habe gegen dieſe .
Definition noch, mehr einzumenden! Sie Ift vom Jahre 855
alfo wor der Framzoͤſiſchen Revolution, wo es noch nicht fo
noͤthig war, jedes Staatsrathliche Wort-auf die Goldwage zu
legen. Gegenwärtig aber follten die politifchen Schriftſteller,
die wie Schläger zwiſchen Defpotismus und Anarchie die
goldne Mittelſtraße halten, es ſich zur Heiligen Pflicht machen,
von der Regierung im allgemeinen nie ein anderes als
großes und würdiges Bild zu entwerfen, weil fie fonft auch
wider ihren Willen den Hang zur Anarchte verſtaͤrken konnen.
An diefer Größe und Würde fehle es nun offenbar jenem
Vilde! Es fängt vom Zwange an, alfo grade von dem,
was dem ſo epidemifch gewordenen Freiheitsgeifte am meiſten
zuwider iſt — und ftellt den Staat als einen Zuchtmeifter
vor. Iſt denn: diefer Zwang, zu welchem ih das Recht gar
nicht ableugne, das Weſen des Staats ſelbſt, oder nur —
durch die Befchaffenheit per Menfhen, ein Ascidens deſſelben?
Iſt der Staat nichts mehr und nichts weniger als ein Lictor, -
oder Bat er blos einen Lictor, der hinter den Geſetz en her:
geht, und nur die Uebertreter deſſelben züchtiget? War es
alſo nicht ganz zweckwidrig, and untichtig dazu, den Lictor
vorne an zu ſtellen? Und nun zum Gluͤcke zwingen:
weich ein abfepredender Ausdruc einer am ch hochſt wohltha.
tigen, hoͤchſt nothwendigen Sache! Wenn, nach Schlüzere
m. Hat Schläger Recht? 52
— — — —— — —
eigner Vorſtellung, Unſicher heit den Menſchen in dem
Staat trieb, nun fo war es ja natuͤrlich das erfte Gefchäft des
Staats, und if es noch, dieſer Unficherheit abzuhelfen.
Wie kann das möglicherweife anpers gefchehen, als daß eine
hoͤchſte Macht, fe ſtehe nun in eines oder mehrerer Händen,
auföcderft überlege, was denn eigentlich gefihert werden ſoll;
wodurch es Bisher unficher gemacht worden, und welche Maaßs
regeln für die Zukunft zu ergreifen find, damit diefes Unheil
ein Ende nehme? Diefe Ueberlegung wird beinahe mechaniſch
auf das nehmliche fallen, was noch heut zu Tage, (noch
ürzlich erſt in Deutfchland) alle uͤberwundene Völker von
ihren Siegern flehens Sicherheit der Perfonen und
‚des Eigenthums. Die hoͤchſte Macht wird alfo biefe
Sicherheit der Perfonen und des Eigenthums in einzelne Ge⸗
fege faſſen, wird diejenigen Handlungen, die ihr entgegen
find, zu Verbrechen erflären, und eine verhältnißmäßige
‚ gefeglihe Beraubung des Lebens und Eigenthums als -
Strafe der Uebertretung feftfegen. Hier hätten wir alfo
das, was wir Heut zu Tage Criminal-Juſtiz nennen;
die Baſis eines jeden Staats und feiner Innern Ruhe; fie,
die allein das Schwerdt gegen. ven Bürger fühte, das ſonſt
nur dem Schedel des auswärtigen Feindes droht! Und doch,
wie unpaßlich iſt immer. noch das Zwingen zum Gluͤckel
Der rohe Menſch, ohne moralifches Gefühl, oder auch der
moralifhe Menſch, im Rauſche der Leidenſchaft, denkt an fein °
Eriminalgefeg, oder hoft ihm zu entrinnen, bis es ihn unvers
ſehens ergreift und zum Schafotte führt, Es zwingt ihn
zum Tode, aber auch zum Gluͤcke? — Mochte es nur noch
alle übrigen von gleicher That abſchrecken; fo zwänge es we⸗
nigſtens indirect, ſich nicht ungläclih zu machen: allein: ich
Da: -
52 TI. Hat OHfdger Recht?
re
felöft fah eine Kindermörderin auf dem nehmlichen Plage ſter⸗
ben, wo fie vor fieben Jahren eine andre hatte hinrichten fehen,
welche ihr fterbend die ruͤhrendſten aber vergeblichen Ermah⸗
nungen gegeben. Kitrz, der feiner Natur nach freie Menfch
iſt und bleibt unbezwinglich, außer auf dem Wege der Bor;
ftellung: und ſagt ihm diefe das bloße fimple nemimen laede;
fo hatte hn nicht Galgen und Rad — nicht der politiſche,
fondern det moralifhe Imperativ bezwungen. Se weis
ser wir nun den Staat in ſeinen Operationen verfolgen, defto
ſchwaͤcher wird allmahlich der JZwang, und verſchwindet zu
lezt gaͤnlich; oder aber, das Gluͤck verſchwindet, wenn er
bleibt. Nur ein Stick anf die Eivil-Jufktz! Entſcheidung
des flreitigen Mein und Dein, zur Beruhigung beider Par⸗
theien, iſt ihre augenſcheinliche Beſtimmung. Ic ſchlaͤge die
neue Gerihtsordnung für die Preußiichen Staaten vom -
Jahre 95 nad, und finde gleich im Ahfänge eine Xeügerühg,
die für das Gluͤck ſehr bedenklich lautet. „Auch bei der
zweckmaͤßigſten Behandlung, heißt es dort, bleiben Pros
miele, wegen des nachtheiligen Einfluffes, melden
„ſie nicht nur auf die Gluͤcks um ſtande, fondern audh auf
„den ſtttlichen Character ver Perfonen haben können,
Rets-ein in der bürgerlichen Geſellſchaft möglichft zu vermeis
ndendes Uebel. Der Richter muß ſich daher bemühen; die
entfiehenden Prozeffe durch guͤtliches Uebereinkommen beizur
„legen.“ — Und wie fieht es denn tun mit dem Zwange?
Erſcheinung beider Theile vor Serie, und Ausdauer ders
felben bie zu Ende, iſt doch wohl die unumgänglihe Bedin⸗
gung zur Entfheidung. Kann auch diefe nur einmal allges
mein erzipungen werben? Woher fämen denn fonft die fo haͤu⸗
ſigen Verurtheilungen im eontumaciam,' die offenbar ein
> UI. Hat Schläger Recht? 53
bloßes Zerhauen, nicht aber ein Aufloͤſen des Knotens find?
Serner, foll vor Gericht nichts als die reine Wahrheit
gefprochen werben; alles Leugnen, Verſchweigen und ers
ſtellen derfelben iſt auf das ernſtlichſte unterfagt. Vergebliche
Dermihung! Die Serihtshäfe waren, find, und werden ſtets
"nichts anders feyn, als Tummelpläge einfeltiger, wo nicht gar
aweiſeitiger Fügen und Raͤnke, durch welche fih hindurch zu
winden ber Richter den daden der Ariadne haben, und ihn
nie aus der Hand laſſen muß. Wen Wahrheit zu reden
vorher ſchon nicht fo natürlich, war wie Luft zu ſchoͤpfen,
der wird durch alle Admonitionen feine Liſt und Schlauigkeit
nur noch mehr gefpornt fühlen, feinem Gegner das Leben nur
noch faurer machen, und vielleicht zulezt doch noch in der Re⸗
vifionsinftany erhalten, was bie beiden erften Inſtanzen ihm
abfprahen. — Von der Polizey, dieſem unermeßlichen
Felde für den Staat, möchte ich am liebſten nicht erſt zu reden
anfangen, weil es zu ſchwer if, ſich Hieräber kurz zu faſſen!
Irgend ein witziger Schriftſteller nannte ſie einmal eme vers
ſteinerte Geburt, mir der die Staatsfünft noch
unter den Wehen arbeitet, Dies kann ich nicht ein⸗
räumen; vielmehr finde ih, daß fie von nicht viel jüngeren
Datum iſt als die Inſtiz, und daß Eghpten, Griechenland
und Rom fle bereits gebohren haben. Davon aber bin Ih
überzeugt, daß hier noch mehr als bei der Jufliz, Zwang
und Gluͤck Antipoden find! Welche Polizey war zwangvol⸗
‚ter, als die ehemalige Pariſer: aber, auch welche Stadt in
aller Abficht verdorbener! Man ſetze mir nicht London entges
gen, wo bei weniger, ober gar Feiner Polizey das Verderben
um nichts geringer zu ſeyn ſcheint. In der Mitte liegt der
Weg; wahres Buͤrgergluͤck erfodert allerdings Thärigkeit
D 3
..
54 IM. Hat Schläger Hecht?
—— — — —ñ— — —— ————
ber Polizey: aber welche? Errichtung weiſer und zweckmaͤßiger
Anftalten, welche das Uebel bei feiner Quelle verſtopfen!
Ein einziger Mante di Pieta, der dem armen Bürger ohne
Intereſſen leiht, verſcheucht den Wucher ſichrer, und beugt
tauſend groben Verhrechen gewiſſer vor, als alle Geſetze und
Strafen. Daß auch der gemeine Mann für ſolche Polizey
Sinn hat, kann man nicht ohne Mührung im Volkmann
von Stalien fefen, Das Volk in Neapel heißt diefe Anftalt
nicht andere , als il [acro monte di pieta; „beiden größten
„Aufruhren, wo der Pöbel geplündert und allerlen Ausſchwel⸗
fungen begangen, hat er diefes Haus als ein Heiligt hum
verſchonet, ja fogar Wachen aus feinem Mittel zu deffen
„Beſchuͤtzung ausgeftellet, und den Vorſtehern des Hauſes
„ihre Geſchaͤfte ungeſtoͤrt verrichten laſſen.“ — Anbau, auch
nur eines einzigen neuen Naturproducts, mel eing unermeß⸗
liche Wohlthat iſt dies oft für ein Land! Jedem Lefer werden
bier fogleich die Kartoffeln einfallen; und wuͤſte Schläger
. die foegielle Geſchichte unfers Kartoffelbaues in Sichlefien, fo
wuͤrde er fie gewiß als ein frappantes Beiſpiel des Zuvins
gens zum Gluͤcke anführen, Wirflih hat der wahrhaft
große Finanzminifter Schlaberndorf, nicht blos den Ans
bau, fondern auch das Effen der Kartoffeln, mit dem Blitz
and Donnes der Polizey erzwungen; denn noch im Jahre 65
heißt es in einem Circulaͤre vom zgften Juni: „da wir ver
„nommen, dafi der Eigenfinn bes Gefindes, welches die Tar⸗
toffeln zu effen ſich weigert, weil ihre Vorfahren ſolche nicht
gegeſſen, den Anbau derſelben ſehr zuruͤckgeſetzt; fo Habt ihr
überall befannt zu machen, daß derjenige oder biejenige, fo
„ſich dergleichen Eigenſinn zu Schulden kommen läßt, des⸗
udelb zur ernklihfen Verantwortung gezogen wer⸗
m. Hat Schlöger Recht? 3
— — — — —
„den ſoll.“ Allein ich kann mich darum noch nicht uͤberwun⸗
den geben! Einmal Hätte ſich die Sache gewiß eben fo gut und
uoch beſſer, durch bloßes Beiſptelgeben einführen laſſen;
und dann Fam ber Poluzer, nachdem die Funde nur den erſten
Verſuch ergwungen, der Wohlſchmad ber Kartoffeln, oder
wie Asmus fast, das Magenpflafter zu Huͤlfe. Haͤtte
der nohmliche Deiniffer mit gleichem Nachdruck den Anbau dev
Mhabarber hetrieben, und hei Zuchthaus und Feſtung vers
ordnet, alle Vierteljahre eine Dofis davon einzunehmen, ich
bin Äberzeugt, das Volk waͤre · ewig nihe zum Geborfam zu
Bringen gewefen!. Doch — Kartoffeln und Rhabarber find
beides Dinge. van ganz finnlicher und greiflicher Natur: . den
Staat maßt ſich aber quch das Recht Über rein geiſtige und
moraliſche Gegenſtaͤnde an! Gr legt ſich das jus circa facra
bei; er übt die Oberaufſicht über das geſammte Schuls und
Eriiehungsweſan aus! Daß in’ beiden unzähligemal Zwang
angewandt worden, wer zweifelt daran. der die Gefchichte
nur obenhin kennt: aber fchlug er auch nur einmal zum
Gluͤcke aus? Jrankreich am Ende deg vorigen, und Salz
burg. am Anfange bes jegiam Jahrhunderts, wollte feine
nroteſtantiſchen Burger zum Catholicismus zwingen, zwang ſie
aber: ſtatt deſſen, da das Jahrhundert zu Hußiſchen Schei⸗
terhaufen bereits zu helle geworden mar, zus Auswanderung:
Alſo zum wirklichen Ungläd; Brandenburg und andre Stans
ten nahmen die Vertriebenen mit Freuden auf, ließen fie die
Gottheit ganz wach ihrer Art verchren, und machten ſie durch
die Verſtattuug dieſer Freiheit glücklich und zufrieden. —
Der Staat ſetzt einen Prediger, der einen unepempfarifchen
Wandel führt, ohne Umſtaͤnde ab; eine Operation, wogegen.
gat nichts ginzumenden au fein ſcheint, indem wirklich dei
i R4
36 NL Hat Schldzer Recht?
— — — — — —
einem Geiſtlichen ſchlechtes Beiſpiel mehr nieberreißt, als je
gute Lehre bauen kann. Gleichwohl ſtehe ic keinen Augen
plick an, es lam du Tagen; daß wenn die Gemeine, bie ja
doch weiß, daß ihr Geiſtlichet ein Minf und kein Engel if;
{hm den etwa begangenen Fehltritt verzeihen, und ihn gen
And willig beibehalten weil, daß in dieſem Falle der Staat ohne
leicht, aber ihm ing Hett fehen, iſt ſchwerz er kann viellelcht
ft feinge Außern Yarführung (ehr correct, und doc, ein ſchand
Hicher Phariſaer fein, beladen’ mit dem Haß und der Verach⸗
fung der ganzen Gemeine, die es dennoch nicht dahin bringen
kann, ihm (os zü werden, So iſt es im Veiftlihen: und wie
denn aun im Schulfache7 Die Univerficät, als die oberſte
Etage genommen, fo wäre ich wohl beglerig zu wiſſen, was
Schloͤzer für Augen machen würde,- wenn ihm vor Hans
nover aus ein Plan zugeſchickt würde, wie er künftig, "bet
Vermeidung unliebfamer Verfügungen, — bie
Geſchichte zu dociten habe? Ich kenne-mehr glg einen fans
desherrlihen Schulplan, der gedruckt ſich treflih ausnimmt,
aber in der Praxis Im Winkel liegt, weil es an der einziger,
Kleinigkeit fehle, daß Feine Leute da find, die Ihn ausführen
fönnen und wollen. Weder das eine noch das andre iſt
auch bier mit einer ganzen Armee zu erziwingen, fonbern ledigs
lich durch weife und zweckmaͤßige Anftalten zu bewirken!
Nur im Fluge, und mit fehr diſparaten Beiſpielen habe
ich die Schlo zer ſche Definition angegriffen: aber doch durfte
es meinen Leſern, wenigſtens ſehr welfelhaft geworden ſein,
. 95 regieren, und dumme Menſchen zum Gluͤcke
awingen, wohl fo ganz einetlei fel! Aber wenn nun dieſe
Erklärung unrichtig iſt, welches iſt denn Die Wahre? — er
7. Hat Schloͤzer Recht? ”
— — — — —
tadelt, macht ſich deshalb noch nicht anheiſchig, beſſer zu
machen; aber wer Wahrheit ſucht, theilt gern mit, was er
gefunden hat, damit es ebenfalls durch das Feuer der Eritit —
petnichtet odey bewahret werde! Alſo denn: Ich nenne einen
Staat ganz ſimpel eine, unter cine hoͤchſte Macht vereinte
Geſellſchaft von Menfhen; und regieren — die Anwen⸗
dang dieſer hoͤchſten Macht, Die Bertheilung derfelben
giebt die verfhiedenen Regierungsfoemen: bie Art’ ber
Anwendung aber-die Güte oder Sthlechtheit der Regierung
ſelbſt. Geſchieht ſie ganz geſetzlos, fo iſt die Regierung,
nicht die Regierungsforni deſpotiſch! Ich halte dieſen
AUnterſchied für erheblich; ohne ihn wird man. immer uneinges
ſchteukte Monarchien, werm fie auch noch To geſetzlich find,
als Deſpotlen verſchreien, und dabel vetgeffen, daß alle Ne
sierungsformen.in Defpotismus qusarten koͤnnen, und daß er
ie in der’ ganzen Welt ſchrecklicher gewuͤtet hat, als in den
republicanlſchen Frankreich, Wir geſitteten Europaͤer erwartes
min ſchon nicht anders, als daß unſere Nkgierungen gefegs
Mh ſeyn; da es aber eben ſowohl weiſe als unweiſe Gelege
giebt, fo nennen wie diejenigen 'Megierangen gut, deren
meifte Geſetze teile find, und umgekehrt. Weine Defiais
tion ſcheint weniger zu enthalten, als die Schloͤzerſche; aber
im Grunde enthält fie mehr! Sie umfpannt die bummen Men⸗
fhen ebenfalls, aber auch die Weifeften! Sie ſchlieſt den
Zwang, da mo er anwendbar iſt, keinesweges aus: aber fie
faßt auch alle fanftern und gelindern Anwendungen des hoͤchſten
Macht in ſich! Sie läßt dem Gluͤcke, aber auch dem Uns
städte Raum: und muſte es denn nicht um ber Vollſtaͤndig /
keit willen ſo feyn? Wie Eräftig ſagt Schloͤzer ſelbſt:
Armes Menſchengeſchlecht, wie ging es bir‘ vom jeher wit
Dr
ss u. Hat Schtözer Recht!
— — — — —
deinen Regenten! Nimrode, ſtatt dich zu beſchuͤtzen
und zu. vervollkommnen, ſtatt beine Taͤtigkeit zu ermun⸗
„tern, und ihr die wahre Richtung zu deinem Gluͤcke zu
„geben, hemmten ſolche oft, oder leiteten fie nur, wie ber
zn Reuter die Kräfte feines Roſfes.“ Nun dann, die Stan
ten diefer Mimrode Hörten darum doch nicht auf, Staar
ten zu fen? — O es ift eine erhabene, eine den Geift bins
reißende Betrachtung, die ich von niemand lieber ausgeführt
wuůnſchte, als von Schlözer ſelbſt, „wie unendlich viel
gutes, aber auch wie unendlich viel boͤſes die, in Staaten
„vereinte Menſchheit wirken kann!“ Die erſten, woelche die
Furcht vor Unſicherheit antrieb, einen contract ſocial — mit
einer hoͤchſten Macht, zu errichten, ahndeten wohl nie, daß
dabin eln Keim zur hoͤchſten Unficherheit, fa arg wieim Na⸗
turfbande,.liegen koͤnne ; und die andere, die durd Mimrads
Keule gewaltſam in den Stall des Staats getrieben wurden,
‚Sachen wohl noch weniger, daß diefe Keule ſich allmählig in
einen fanften Soepter mit weiſen Gefegen und heilſamen
Anftalten verwandeln koͤnne, unter dem es ſich gluͤcklich und
zufrieden leben laͤßt. Wir jüngften Kinder Adams, .die wir
unſern Vorfahren yon beinahe ſechs Jahrtauſenden auf den
Schultern ſtehenn, eher von dieſer Höhe den Grund beider
Erfiheinangen leicht ein. Mancher einzelne Menſch, wie viel
vermag er nicht ſchon — ein Herkules: duch feine förpers
liche Stärke, ein Archimedes, ein Newton, durch feine
GSriſteskraft! Wenn nun eine hoͤchſte Macht alle diefe ifplirten
Keäfte wie ein Sturmwind mit fic, fortreift und zu einem
Ziele lenkt, können bie Wirkungen wohl anders als erſtauulich
ſeyn? Wie: Eleinlich find "dagegen die griechiſchen Mythen von
vom hundertarmigen Briarens oder von dein hunderfäugigen
vgus, Hier find Millionen Arme und Augen auf einen
1m. Hat Schloͤzer Recht? 9
Wink bereit, auf einen Zwed gerichtet! Auf welchen aber 7
Hievon haͤngt auf unſrer Seite freudiges — oder ſchauervolles
Erſtqunen ab. Die Alex anders der alten und neuen Zeiten
verwuͤſten die Erde und. waten im Menfchenblute, um ben
Kiel des Ehrgeizes und der Herrſchſucht zu befriedigen; meir
her Menfchenfreund kann fi des Wunſches erwehren, daß
ihnen doch nie eine. folche hoͤchſte Macht zu Gebot geftanden
hätte, die fie bios zu mißbrauchen, aber nicht zu gebrauchen.
mußten. Doch — diefe Seite der Gefchichte iſt, duͤukt mich,
hinlaͤnglich heleuchtet; das Uebel, was von den Alteften Zeiten
an, in und durch Staaten geſchehen, ift in taufend Buͤchten
mit graͤßlichen Zügen gefchfident. Weit weniger iſt anf der aus
dern Seite das unendliche Gute dargelegt, was dem Staate
lediglich feinen Urſprung zu danken hat. Erfinder, 2.8,
find nad Schloͤzers Behauptung, die Lieblingsgegenſtaͤnte
der. Weltgeſchichte; mit einleuchtender Wabrheit lehrt ex die
Wichtigkeit — eines Stuͤcks Brod, eines gedrudten Blatts
Papier, einer Taſchen uhrr, zc. welche ‚Erfindungen zuſam /
mengenommen den gegenwärtigen Grad der Eultne beſtimmen.
Mun dann, daß afle diefe Erfindungen dem menſchlichen Ger
ſchlechte wirklich näglich werden konnten, daß fie von Stufe zu
‚Stufe pervollfommnet, aus einer Hand: in die andre: gehem
unter allen Revolutjonen Jahrtauſende überleben und dem Zabne
der Zeit Trotz bieten Eonnten, bag ift das Werk bes. ‚Staates! .
Die Natur zeugt die Erfinder, und der Staat erhält bis
in bie fpäteften Zeiten die Erfindungen. Schläger ſpricht
von noch einem heſondern, hieher gehbrigen Gegenſſande nie
ohne Enthuſiasmus. „Poſten, fagt er, dieſe unermeßliche
wichtige Erſindung der Pariſer Univerftät, gehen jegt in der
Welt ſo weiß. als die Menſchbeit geht: In Aſien (das noed⸗
60 DL Hat Schloͤzer Recht?
„liche ruſſiſche Aſien und Sina ausgenommen), und In ganz
„Aſrika, iſt kein -Poftillion, folglich auch kein kultivirter
„Statt. Wohl, die Ehre der Erfindung gehöre immerhin
der Parifer Univerfität: aber nur der Gedanke zu einer Poſt
fegte ‚bereits den Verein dee Menfchheit in Staaten voraus;
und — beiläufig — diefe Erfindung ift offenbar mehr für kluge
als dumme Deenfchen Ealkulirt, und fuͤhrt ohne Zwang zu einem
Grade des Gluͤcks, von dem der Naturmenfd nicht einmal
einen Begriff bat! B
Zern fei es von mir, mit dieſen Aeußerungen den nämlichen
Dann belehren zu wollen, won dem ich fie meift entiehne: aber
ich bedurfte ie, um auch noch Bie feßte Misdentung zu heben,
die fih von Schloͤ zers Definition machen läßt... ‚Dumme
Wenſchen zu ihrem Gluͤck zwingen, Heißt fie regieren. Kluge
Menfhen, könnte man hieraus folgern, bedürfen alfo keiner
Regierung: und da jeder von feinem Verſtande ungemein güns
fig denkt, fo dürften am Ende wenige übrig bleiben, die regiert
x werden wuͤnſchten. — Man fage mir ja nicht, daß ich mit
Schatten fehre! Schon feit mehrern Jahren hat man unter
dem Volke einen Hang zur völligen Anarchie zu bemerken ges
glaubt , welcher Bemerkung ich jedoch nicht beitrete. Der ans
geſeßne, arbeitfame Bürger ift feiner ganzen Lage nach ein Zeind
aller Revolution; er duldet oft — das Unglaublihe, um nur
nicht fi und Weib und: Kind unglädlicy zu machen. Das lies
derlihe Gefindel Hingegen braucht wahrlich jenen Hang nicht
erſt zu lernen, und die Cartouche, Käfebiers und Con⸗
forten find uͤberall einſtimmig für die anarchi ſche Conftis
tution, Allein es giebt da noch eine fehr große Mittelklaſſe
von Menfhen, und das iſt unſte freie.und ledige Jugend,
Gr fie fiel die frauzoͤſiſche Revolution gerade in bie. Epoche,
hr. Hat Schlöger. Recht? 6
— — — — — — ——
wo das Herz für die lebhafteſten Eindruͤcke empfaͤnglich, unb
der Verſtand noch nicht reif genug iſt; es läßt ſich daher kaum
denfen, wie fie von der Revolutionstuft Hätte unangeſteckt blei⸗
ben follen. So weit ic) fie errathe, wäre fie nicht abgeneigt,
mit dem Staate das kleine Erperiment vorzunehmen, ihn uber
mäßig auseinander zu legen, um ihn auf gut republikaniſch
twieder zufommen zu feßen; wobei denn allerdings für die
hoͤchſte Macht wenig zu thun übrig bleiben dürfte. Sch werfe
demnach alleri Ernſtes die Frage auf: Macht Klugheit die
Regierung überfläßig, und fannder Kluge, ganz
ohne diefelbe, fein Glaͤck ſelbſt mahen? Es wird
biebei vornehmlich, wieder auf den Begriff der Kingheit antom⸗
men. Gemeinhin verſteht man darunter Wahl der beſten Mit
tel zum Zweck, welche Wahl ſchon hellen Kopf, mit deutlichen
und zuſammenhangenden Begriffen vorausſetzt. Den Zweck
laͤßt man dabei unbeſtimmt; auch ein Loveldce bei ſehr bäfen
Zwecken ift immer noch ein Eluger Kopf: der Kluge hingegen
mit fehr güten Zwecken, ein Weifer, ein tugendhaftes
Mann. Ich muß alfo weiter Tragen: da jeder kluge Menfch
einen Hauptzweck des Lebens haben muß, und er bier nur
unter zweien die Wahl hat, perſonlich es oder allgemeks
nes Wohl, (denn die Amalgamirung von beiden ift ein, won
Kant erwieſenes Unding) — von welchen don beiten ſoll
die Rede ſeyn? Iſt es vom erftern, fo habe ich ganz und gar
feinen Begriff, wie eine Gefellfchaft von ſo ichen klugen
Menfchen, weder ohne, noch durch eine hoͤchſte Macht beſte /⸗
hen kann. Da jeder ſich ſelbſt als Zweck, und alle uͤbrigen nur
als Mittel anſieht, ſo entſteht daraus eine fuͤrchterliche Anta⸗
gonie der Kräfte gegen einander, bie ſtatt des perſonlichen
Gluͤcks, den Untergang aller herbeiführen muß. Seder waͤnſcht
[.} m. Hat Schlöger Hecht?
— — — — — —
wohl eine hoͤchſte Macht, aber blos in ſich elbſt koncentrirt
und kaͤme ſie dennoch, durch Uſurpatlon wider feinen Willen zu
Stande, fo wuͤrde er fie entweder eludiren, oder zertruͤm⸗
mern. Da Alf die Frage von diefer Seite betrachtet fehr bald
beantwortet ift, fo bleibt nur der zweite Sinn derfelben Abrigs
Macht Weisheit und Tugend die Regierung über
fläßig, und kann der Weife, ganz ohne diefelbe,
fein Gluͤck ſelbſt machen? Daß ein ganzes Bolt von
Weiſen — oder um ud) in der Fiction nicht auszuſchweifen,
ein ganzes Volk von gefündem Menſchenverſtande im Kopfe
und allgemeinem Wohlwollen im Herzen, daß dieſes die Re⸗
gierung ungemein fimplificiren und gleichſam abbreviren wuͤrde,
if kein Zweifel, Einer Criminal / Juſtiz beduͤrfte es dann gar
nicht mehr; denn tie follte es den Elugen und guten Bürger
möglich ſeyn, ſich an der Perfon, ber Ehre, und dem Eigens
thum ihrer Mitburger zu vergreifen? Die Civil» Juftiz würde
Mich durch bloße Friedensrichter abthun laſſen, da jede Parthei
die andere liebte, und zur Aufopferung für das allgemeine
Wohl bereit wäre Tanfend Befehle der Polizey, die jest
einmal über das andre gegeben, und einmal über das andre
Übertreten werden — Verbot des fhnellen Reitens und Fahr
tens, Vorſichtigkeit mit Feuer und Licht, Schießgeweht und
Giften, Verfälfgung der Lebensmittel, des Maaßes und Ger
wichts, sc. — wären dann ganz Äberfläßig, indem alles dies
zum [enfus communis gehörte. Die Bettelpolizey, die am
erften noch den Namen einer werfleinerten Gebugt vers
dient, hätte ebenfalls ein Ende; denn kein Bürger, der noch
arbeiten koͤnnte, wuͤrde fich fo weit wegwerfen zu betteln, und
feiner, der arbeitslos oder arbeitunfähig wäre, würde von ſei⸗
nen Witbuͤrgern unbefchäftigt, oder unverforgt: gelaffen wers
m. Hat Schläger Mehr? {7}
ten! Was bliebe aber nun wohl noch für die Regierung übrig
O gleichwohl umaͤhlich viel, und das ſelbſt in dem Falle, wenn
alle andre Voͤlker gleicher Art. wären, folglich Fein Krieg zu
beforgen, und die etwa entftehenden Differenzen ebenfalls
durch Höhere Friedensrichter auszugleichen nären! Um nur
von unſtem fichtbaren Theile anzufangen, fo würde ein Fluges
and gutes Volk allerdings ein. Heer von Krankheiten nicht
tennen, die jegt unſre Sterbeliften fchänden — ſchaͤnden,
fage ih, denn urfpränglich waren wit alle geboßren, nur an
einer Kranfheit, dem Marafmus fenilis zu flerben! Aerzte
aber wären gleichwohl noͤthig: und wie viel kann nicht zur
Bildung derfelben der Staat beitragen! Der natürliche In⸗
ſtinkt leitet zwar "einen Befal von felbft auf die Zerglieberung
von Mäufen, Kagen, Maulwürfen ıc., aber eine Menſchen⸗
Anatomte, 'als ſtehende, und zum Unterrichte immer offne
Anſtalt, kann nur ein Staat errichten! Doc) ich lege auf die
ganze Arzneikunſt bei weitem nicht das Gewicht, als auf die
noch viel heilſamere Kunſt, fie ſelbſt moͤglichſt entbehrlich zu
machen; ich meine die medieiniſche Polizey. Wenn es
weife und gut ift, das In den Brunnen gefallene Kind heraus⸗
ausziehen und wieder zum Leben zu bringen, fo iſt es wahrlich
noch weifer und beſſer, den Brunnen zuzudecken, damit das
Kind gar nicht Hineinfalle! Sonft galt Saßmilchs gott⸗
liche Ordnung fuͤr das Handbuch der Fuͤrſten; jet möchte
ich dazu noch lieber Franke Syſtem der medicinifhen
Polizey vorfhlagen — ein Werk, was feiner vollen Auss
führung nur dadurch um fo näher kommen fan, je weiſer
und-beffer das Volk if. Was weiter die, in fo undaͤhlige
Zweige fih verbreitende In duͤ ſtrie anbetrift, fo kdunte Bier
mon exften ber Trugſchluß entſtehen, daß die Regierung übers
% fr, Hat Schtzer Mer?
fluͤßig fey, wenn alle Bürger our fleißig umd geſchickt arbei
ten. Freilich arbeitet der Staat nicht für den Bürger, da⸗
' mit diefer die Hände in den Schooß lege; vielmehr muß er
ſelbſt alle feine Kräfte auſtrengen. Aber wie viele, mehren⸗
theils. unerfannte Wohlthaten und Erleichterungen gewaͤhrt
nicht hiebei der Staat! Sehr ſchoͤn nennt. Schloͤzer den
Wenſchen einen zweiten Schöpfer. „Dieſer mächtige
„untergott, fagt er, ſchuf ſein Lehen um; räumte Felfen aus
der Ban, grub Seen ab, und pflägte dann, wo inan fons
„ſten fchiffte. Durch Kanäle trennte er Welttheile und. Pros
vinzen von einander! durch andre leitete ed Ströme zuſam⸗
„men, und führte fie in Sandwuͤſten hin, die er dadurch
„in lachende Fluren verwandelte. Er plünderte vier Welt
„theilen ihre Producte ab, ind verſetzte fie in dem fuͤnf⸗
„ten. Selbſt Klima; Luft und Witterung gehorchten feiner
„Macht ꝛc. Aber wem gelten denn wohl alle dieſe fo ver⸗
dienten Elogen, der vereinzelten — oder der unter eine
hoͤchſte Macht vereinten Menſchenmaſſe? Sch ſtehe keinen
Augenblick an zu behaupten, daß bei aller Induſtrie nur die
kleinere Partheien Sache bes Bürgers, alle großen hingegen,
woßei es auf Ueberficht des Ganzen und feiner Verbindung
mit andern Ländern ankommt, Sache des Staats find; und
diefes Verhältnis muß natürlich das nehmliche bleiben, wenn
auch das Volk im Ganzen klug und gut ift. Endlich würden
denn doch wohl bei einem folhen Wolfe die Wiffenichaften in
ihrem ganzen Umfange, und mit einer Energie getrieben wer⸗
den, dergleichen die Welt noch nicht gefehen hat. Und- follte
biebei vun die Regierung gaͤnzlich unthaͤtig bleiben, und etwa
blos negativ, durch Verſtattung allgemeiner Denk s und Preß⸗
feeigeit wirken? Ich für mein Theil denke auch bier vortheil⸗
hafter
MI. Hat Schlözer Recht? 6
nung,
hafter von der Regierung, und behaupte, wie von der Ins
düftrie, daß nur die Heinen Parthieen Sache des Gelehrten,
die großen aber Sache des Stants find, Ein Feldneffer mag
gar wohl durch eigne Kraft und Gefchiclichkeit einen Eleinen,
oder auch größern Teil der Erde aufnehmen: aber die Groͤ Be
der Erdkugel mißt nur der Staat! Als der Grieche Eras
tofthenes zuerft auf diefen fühnen Gedanken fiel; als er am .
Himmel und auf Erden 75 Grade maaß, und daraus auf die
Groͤße des Ganzen ſchloß, da fußte er fhon auf bie allger
meine Landesvermeffung , die ein Werk des weilen Egypr
tiſchen Staats war. Als nach dem Wiederaufleben der Wiſ⸗
fenſchaften Kernel und Snellins und andre, jeder fir
ſich, das nehmliche Problem wieder aufnahmen, da hinkte
und hinkte es fo lange, bis Ludwig XIV. feine Staates
kraft herlieh. Nun fingen die Picard’s und Eaffini's an
zu meffen, und die Hupgens und Newtons zu wider
ſprechen. Um den Streit auszumachen, ließ Ludwig XV.
fih bewegen, feine Staatskraft noch einmal, und noch nach⸗
draͤcklicher zn leihen. Eine Schaar von Mathematifern zog
nun, die eine unter den Aequator, die andre gegen den Pol—
und feit der Zeit fallen unfre Kinder in der Schule, daß die
Erde einer Pomeranze, keinesweges aber einer Eitrone gleich
iſt. — In einem fuͤrchterlichen Grade hat der Staat die zer?
ſtoͤrenden Kuͤnſte, bie geſammten Friegerifchen Wiffenfchaften
vervollkommnet: follte denn die nehmliche Kraft nicht gleich
große Wirkungen hervorbringen, wenn fie ſich auf die Natur⸗
geſchichte, Naturlehre, Chymie ıc. concentirte? Hoͤchſte Macht
iſt alfo meinem Bedunken nach, fo lange Die Welt fteht, um
entbehrlich; und grade ein recht kluges und gutes Volk wurde
Dritter Jahrg. atet Band. n €
6 II. Hat Schhöger Recht?
nur allein ihre wohlthaͤtige Seite erfahren, ohne zugleich die
übelthätige, die zwingende zu empfinden. .
Wenn ich nun zum Schluffe nod) einmal meinen Blick auf
die Frage, von der ich ausgieng werfen, und dabei auf die
drei Häuptideen der Schlözerfhen Definition, dumm,
Glaͤck, und zwingen, Ruͤckſicht nehmen fol, fo würde ich
fagen: Regierung im allgemeinen ift, eben fo allgemein,
Anwendung der hoͤchſten Macht im Staate. Im fpeciellen aber
heiße ſchlecht gegieren, die Dummen an die Spige.fiellen
und die Klugen zuruͤckſetzen; einem bloß. perfönlichen, -oft gar
nur imaginäven Scheingluͤcke nachjagen, und darüber das wahre
allgemeine Gluͤck aufopfern; zwingen wollen, was feiner Nas:
+ tue nadigar nicht erzwingbar — zreingen, was auf dem Wege
der Leitung und Anftale viel beſſer zu erreichen wäre Gut
regleren hingegen heißt, hoͤchſte Macht mit hoͤchſter Weiss
beit vereinen; die Dummen zwingen, entweder unſchaͤdlich,
oder ungluͤcklich zu ſeyn, die Klugen und Guten hingegen noch
viel kluger und beffer machen; das Gluͤck aller, mit Aufopfes
rung des perſdulichen Gluͤcks befördern, und den Zwang nur
als eine traurige Nothwendigkeit für- Halbmenſchen betrachten,
aus allen Kräften aber dahin arbeiten, daß fie zu ganzen Mens
fen werden, und dann allen Zwang entbehrlich machen.
© möchten doch alle Staaten ſich ſolcher guten Regierungen
erfreun! Möchten aber aud) alle Voͤltker erzittern, eine allen⸗
falfige ſchlechte Regierung auf dem Wege einer Revolution zur
guten umfchmelgen zu wollen, und lieber biefe umſchmelzung
von der Zeit, und von jener allerhöchften Macht erwarten, die
unfichtbar das große Spiel der Staaten — und wo andere
Hin, als zum allgemeinen Wohle Ienker,
W. Die Kinderjucht. 67
I.
Die Kinderzucht.
— — —
Astas parentum pelor avis tulit
Nos negwriores, mox daturos
Progeniein vitioiorem,
Hoi,
Mas jauchit ihr? Schonet meiner Ohren:
Dem Tode find auch fie geboren.
Was hier auf Erben wallt, von holder Jugend warm,
Kalt drücts der Tod in feinem Arm.
— * 6 find meine Kinder.” — Thort es find nicht deine Kinder,
Noch eines braven Manns; ſouſt wären fie gefünder.
Des Weines Kinder finds, Burgunderwein mit Nacht
And Schwelgerei im Bund hat fie hervorgebracht;
— “ Doch lieb' ih fi” — Qu? Du fie lieben?
Ein Funken Liebe wär’ in Deiner Bruf geblieben?
Du, dem ein Sklavenſtaat von funfiehn Dörfern fräpnet
3u dem umfonft des Pachters Jammer ſtoͤhnt,
Wenn dürses Sandgefild ihm höhnte Pflug und Spaten, -
Die Scheun’ ihm Blitz fraß, Hagelfhlag bie Saaten?
Er flept. Du lachſt. Er kniet. Dw ſtößt ihn fort.
Er meilt. Die Schergen ruft ein donnerud Herrſcherwort/
und er wird fortgefchleppt zum Kerker,
€&a
68 W. Die Kinderzucht.
— — — an
Wie mocht' er Einen auch um Gnade flehn, der ſtaͤrker
Und reicher war? Es halten große Herm "
Das Mitleid ihren Herzen fern.
Sie fröhnen edlern Leidenfchaften.
Wenn blutige Taren Gold in ihre Kaften (haftet,
Wenn ihrer Buhl im Park ein Pallaſt fich erhebt,
Wenn Taufend ihres Volks ein Leichenfeld begräbf,
Daun ſeht, mie wonniglich empor ihr Buſen ſtrebt!
Doch Mitleid! armes Kind! Du weich von ihreh Thuͤren,
Sie moͤchten dich auch in den Kerker fuͤhren,
und dann ſucht' ich umſonſt dich in der weiten Belt,
> Denn nichts entläßt der Starke was er hält. s
Nein! Liebe lachſt du nicht, Elender, diefen Kleineht
Sieh’ auch: fie wiſſens ſelbſt — fie meinen.
Nur neuen Zeitvertreib ahnt deine giere Luſt;
Sie flärt dein Ang” und hebet deine Braſt.
Statt des Treffbuben oft wirft da nun deinen faſſen,
Wirſt did, dem Roͤmer gleich, das Kind umkofen Iafen, -
Wenn nod) Fein Whisky Spieler zu dir trägt,
Und deine Suͤnde fich im Rröpelfinhle pflegt.
Wolluͤſtig drückt bu es, lobſt feine Wangengrübchen,
Und druͤckſt im Geiſt — dein heimlich Liebchen,
Das eben ſolche hat. —
Dich horch! ein Wagen rollt.
Ein zweiter) dritter, folgt! — In Silber und in Gelb
Umflimmern fie verſchmitzte Sklaven.
Laut brauſt das Roß. Nun bligen Freiherrn, Grafen,
Und Grafen» Weib und Kind hinein den feid’nen Saal;
Der Tifch erglänst, fie figen zu dem Mahl,
Die Sreiheren unten, obenan die Grafen.
O laß mich. Dienern gleich, bier in der Thüre ſtehn.
3% bin nicht ablich, will nur ſtehn und ſehn.
W. Die Kinderzuht. 60
Was ſagt ber blanke Herr der Dam’ an feiner Seite?
— + Zehntanfend fielen in dem legten Streite;
2» Doc fiegten wir, und machten große Beute.” —
— Behntanfend! adj! bie armen Feute! —
# Hohe! ob ſolches Volk des Todes Sf auch traf! -
„Lebt doch der Hering und der Graf.
„Sie haben wader ſich gehalten. .r
a2 Drei Jagern hat den Kopf mit einer Hash ebeiten
„Der große Feldherr. — Weh! wie wird wirt ach?
Mit eigner Hand? — „Semach, Hast Grafl Gemaht
„a Wer wird das Hera fa ſchwer den Schoͤnen machen ?
a, Parlons de gyace, Hett Graf, von andern Sachan-
9» Denn feherzen wollen wir beim Freudenmal uyd laden, =
Vorgeſtern traf man mit feiner Zoß im Bett” —
Ha ha — bi bi “ Hraf- Freundlich, Reg Koppel, -
go Verſteht ein wenig mehr als Komber und Piket.
— Hehe — „Er bat dg8 Gluͤck, der Fürkig zu gefofieg.
. Der alte ** * wird cherlich num falem”.
— Gott fri gelobt! . on Dieul mag war “ 1777
And ydbelſreughlich —
Nein! Das ihn arg!
Das ik dae Liſchgeſprach? Vor Luß oh folhen Zabeln
Eatſinken jeder Hank. die Glaͤſer und bie, Qabeln ? z
Drob wiehert’s in dem Gaalı Drob fehrt ein. fulda Mk
Des Weihes:auß ben, Mapy noch fhuftiger inräd?
Entgeht denn mie dem Echwaͤtzer dort her-Mpend n-- .
— O nein nin hebt. er gu von Feten und — van Dohen.
Ich habe gnug. dort von ber-alten Brut!
Kubfehn, ‚mas jgnt,die Iynse thut.
Der Vater datt ihr gif SR und galſchbeit emstamner, ..
Der Mutter Thorheit wird in ihren Guſen ſammenz j
Was fehle noch — Gehnkhe Zum — Der füllen ſie zie Ainmen-
€3
u IV. Die Kinderzuct.
R f
Was iſts, warum das Kind der Anmme ruft entſank? —
O meh! das Fraͤulein röchelt krank, “
Deß Mund im Mutterſchooß bes Lafters Hefen tranf. ‘
Der Zunfer auch iſt bleih? — Ach, Kiud, was willſt du leben?
Jedoch, du wollteſt nicht. Zu leben war dir Zwaus.
Wer frug dich, die zehn Mondeh Tangr - ae
Das Elend wirb man bald zum Züchtiger bir geben.
Dafür "daß du doch lebſt. Wirſt zwamig Jahre fireben
Nach Gluͤck, und' wenn es nun bein ſchwacher Arm atras
Wirſt du dem Grab' entgegenbeben. —
Was hor ich? Wird er nicht fo at? :
Dat Söiefal’sufe mir: "Nein!* und Donner im u
Ins yraufe Reh —
- Goͤttin, ſieh mich liegen
Im Staub en meinen Geiſt zur Zukunft Überfliegen,
An deiner Hand, wenn ihren heilen Tag u
Sein nachtgewohntes Ang’ ertragen mag.
Wie wird das geben diefes Kind betriegen?
Wirds leicht ſich ober ſthwer dem Menſchenlooſe fügen,
Getauſcht zu fein? Welch Dunſtbild haucht ihm vor
Die Hoffnung? Wie gewinnt das Lafter einft fein Ohr - -
Hal eräum ich? Hebſt du mich empor?
Traͤgt, Göttin, mich, dein Sense * vn
Doran den tiägen Tagen’? “ .
Sie Feichen Hinter und. — May! dort erbfich ich ihn.
Ein Miethling foh das Junkerche i ertiehn. et
Denn Junler ÄR’er ſchon. Eiaſt hat auf’rorhen’th
Sein Ahnherr nicht umfonf ein Voik ins’Grad gehauen) Y -
Was Iehrt der Miethling ihm? Dei Luft, "bes" Gruͤnen, friun
Will ſich das Mind. "Der Schurke ſchließt es ein
Und lehrt es Griechiſch und Latein.
Wenns doch ah [4 ten Bene De
IV. Die Kinderzugt, qı
— —— ——
Wenn Zefyr, ihm zur Luft, die jungen Fluͤgel blaͤhet,
Wenn Eindlichfroh es ruft: O Wieſ'! “O ſchoͤnes Thali
„Was blůht fo dieſer Baum? Mas trauert jener Fahl?
„Wer hat ben Wald gepflanzt? Mer biefe Au begoffen? "
„Aus welcher Hand iſt die ſer Duell entfloffen, Bu
„An dem toth, blau und gelb, zahllofe Blumen foroflen 2"
Wenn fo es fragt, fo predigt der Barbar
Die Hauptfil ihm, fagt, wer Pilatus mar
Und Kaifas. — dr Sieber, dieſe Blume,
*Wie heißt fir” — Dummes Kind, das frag die Kinbernahmes
Ich unterrichte dich im Chriſtenthume. —
Das Kind, ob Thränen ihm in beiden Augen fehn,
Das Kind verſtummt, und geht, und — lernet sehn,
Kraun! ging’ es nicht, ſchon hob er auf bie Rechte —
Dei aufoeſchaut Was Tündet der beblechte
Sakai ihm I SBEht Die ausgerecte Hand
Belauſchte bie Mama, wwie "fe am Fenſter Ranb. "
Dem Hauf: enttrollt der wuͤtende Pehant,
Denn siemt & ww bedrohn ein Kind von Rang und Stand?
Lernes'nun was Veſſers / — Nein! nur andern Tand.
Mafch eilt und raubts für ih ein Here Magifter, "
. Ein Liebling der Mama. O Gott! wie freundlich ift er!
weich· Ambraduft um ihn! Wie «wonnig” fliegt fein Haar! —
Lieſt der auch Bücher? — ga, ein Paar:
Srexouri und Wrertins bie in den Abendſtunden,
„Wenn frei der Geiſt ſich fühlt, des Tages Laſt entbunden.
„Und doch Erhoöhlung Heifche!”" Den Rolkin lieh er fruͤh,
Eh er Geſchichte pidtrt, und — RA ff S Geographie.
Auf d rer Fahr wird das Kind in feine Zucht gegeben,
Für hundert Luidor. Dann, meinet Er und Gie,
Iſt Karichen Mark genug, bie Fahn' empot am heben,
und dann und wenden Stoch den Bauer zu beleben,
€4
y . IV. Die Kinderzugt.
Der, unter feiner Noth gebeugt,
Kaum grade fieht, und mundgeprügelt ſchweigt.
Horch doch, wovon der Herr Magiſter munkelt. —
Von Kant und über Kant wird baß filofofunfelt.
Wo Nacht des Degfers Fuß umbunkelt,
Stralt dem Magifter Licht. Dumm fehlieft er, Schluß für Schluß,
Jedoch was fchadet Das? Wenn, ob mit Yeberdruß,
Sein Schüler ſchweigen ihm und glauben muß? —
“Doc bald waͤr' heut zu lange Eins bosiret,
„Mon cher Enfant! Das Bar filofofiret,
„Nun die Gefchichte repitiret, Fe
„Und dann Franzoͤſch, and dann Beografie,
„und fchöne Künf’ und Enjyklopädie —. |
„und daun — "| -
And. dann? Unſel'ger! Welch Beginnen?
Was foll dem Knaben Dası Bift bu von Sinnen? .
Schlägt dir das Herz und warnt bich air, .
Wer Eäfar mar, und wann er flarh und wie; ,
Wie Suuͤlla pauf', und heuchelte Pompeiug;
Daß Le Pere Du Pero macht, daß Is macht Ejus,
Da aus drei Theilen jeder Schluß beſteht,
Das weiß das Kind, und weiß nicht, wie es geht,
und ehe, und fchläft und wacht, und Freud’ in Trühlinsakiften |
Auf hohen Bergen fhlürft, und in durchbruͤltten Triften; "
Weiß nicht, mas neben ihm frohlockend blokt und bruͤlt,
Und welche Wälder, welch Gewild,
Und welche Frucht bes Laudmanns Scheuern fuͤllt.
Schon nicht neugierig mehr gehts thierengleich voruber
Wo eine Werfiatt glüht, und Kuchen ik ihm licher.
Unfeliger! Was du an ihm gethan,
Tut er an Andern ein, erſt Sklave , bald Tyrany. .
Wird Mutter unbeweint und Water bald ihm ſterben,
IV. Die Kinderzucht. 3
Sa einem Jahre frißt dem feffellofen Erben
Willionen Buhl’ und Spiel. Arm wählt er dan
Die Uniform, ſteckt Städt” und Dörfer ans
Berführt dem Greis fein Kind, die Frau dem Mann,
Stiehlt ſich Die Taſchen voll; ſieht fich, aldieimn Gelben,
In allen Pamflets allen Landen melben,
Und büfet viel su fpät, nicht auf dem Ehrenbett, —
Unfel’ger Suͤndenſchuld — im Lazareth.
Bothe.
— V. Der Speffart:
ee
Bier Speffear:t. 5
Eine Noverte
& war ein trablt regnigter Morgen, der die Stimmung ber
gänftigte, in welcher ich fein mußte, um mit Gleichguͤltigkeit
die Würfel Über Leben und Tod fallen zu fehen, Der Graf
ließ nicht auf fich warten. Sein Sefundant hatte bereits die
verabredete Menfur genommen, und In wenigen Minuten fiel
der erfie Schuß. Der Graf, in fo fern die Erbitterung nur
auf feiner Seite war, über meine Kaltbluͤtigkeit entrüftet,
werlor den Vortheil feiner Mebepfegeißeit. in’ber, Kunſt, übers
zeugte mich aber durch die. ek, welcher die Feder meines
Hutes traf, von feiner ernſtlichen Abſicht auf mein Leben.
Die Reihe war an mir, und da id) gewiß wußte, da
feine zweite Kugel fichrer fein würde; mir aber mein Leben lies
ber war, als das feinige, fo hielt ich auf feine Bruft, drückte
ab, und er ſtuͤrzte todt zu Boden.
Sein Sekundant empfahl mir dringend die Flucht, indem
er mich von den binterliftigen Vorkehrungen des Grafen wider
meine Freiheit unerrichtete. Ich dankte ihm, legte den Sporv
an und fprengte fort.
Die Gränze war nicht allzumeitz da ich aber die Vers
bindungen meines getöbteten Gegners noch weiter fürchten
mußte, fo fieß ich meinem ‘Pferde feine Raſt bis ich den Gpeß
fart erreicht Hatte,
Fe 3
’
v. Der Speffhrt, 75
Ich glaubte die Gegend von einer fruͤheren Durchreiſe zů
kennen, und vermied deshalb die Sandftraße. Der Tag neigte
fs, als ich, vom Regen durhnäßt, und vom falten Winde
erftarrt, die Entdeckung machte, daß ich verirrt fei. Im die
fem Augenblicke begegnete mir ein Fußgänger, der mich genau
au betrachten ſchien. Ich bat ihn, mir den Weg zu deigen,
und er erbot fih, mich aus dem Dikkicht zu führen. Nachdem
er verſchiedene Wendungen gemacht batte, wodurch ich die Be
Fanntfchaft mit der Gegend gänzlich verfor, ergriff er die zänd
und ftieß in eine gellende Pfeife. In dem Augenblick hieb ich ihm
die Hand ab, und wandte mein Pferd ſpornſtreichs ſeltwaͤrts.
Der unterbrochene und bewachſene Boden verhinderte ei
ſchnelle Stadt, und in foehigen Mi uten ſah ich ih
eingen cReitern nimseben. Ich zurfte ihren Angriff nicht
warten, fondern ſprengte auf fie zu; duo Sürd, die Geöante,
beit meines Pferdes, und die Anrvenbüng ů melnes Wake,
gelang es mir, dem fliechterlichſten die finfe Seite abzugewin?
ven. Er ſtuͤrzte vom pferde,’ und ii Bf Momente ſche⸗
nen die übrigen” unſchluͤſſig. Ich Benugte dieſe Si
ſtrecite dei imelten zu Boden, a r Aine Rugel vie meine
Man brachte mich — viele Seimmungen eines *
Weges iu einer‘ er Selsftut, beten Suzang vor Sebuſche ver
von einör Holffackel etleichtet/ en ſich in eine —
liche Vertiefung ünte / det telſen. Die uber | Ingen! auf de ven
Boden und ſchnarchten. "Ich zählte üben, " Was Inte juerſt
36 V. Der Speſſart.
u "Sr einer Heinen Entfernung (a6 eine welhliche Figur, mie
den Augen auf mic; gerichtet, und wiſchte das Blut von dei
geber ines Hutes.
Ihr Geſi⸗ ht Hatte die srgimäfigen Füge einer "Sriehin,
‚ir Wuchs war ſchlank und ed; das Ganʒe unausſptechlich
intereſſant. Die magiſche Beleuchtung don der Holzfackel, die
oben in eine. Spalte des Selfens geflemmt war, erhöhte den
Endruc. u
„ Sc, ward, von
"ner — Emſinung ergeiffen,
‚gi Hand wi je
ED Ernſt verwandeite Ä 0 in das ruhige Basen, enfülter
Hoffnung. Sie 608 ſich über mid) hin ung ſtrich die Soden
yon meiner Sm, Ich ſank entkraͤftet zurüch: ſie ließ meine
Hand, und fegte ſi ſich neben mein Strohlager auf den Felſen.
.3 ‚fühlte, , ey Schlaf ndthig hatte. und ſchloß die
Augen. Mein Ogiaſ war anfangs feſt, nachher aber von
Träumen unterbroden: das ſchone Kild fand vor mir.
As ich erwachte. ſchloß ich aus dem Lichte, dag durch die
Belfenfpalte, drang, es Morgen mar. Von den Räuber
waren aue noch awei in, der Kö, pon ‚denen ber eine, und
een der, deſſen Sand, ih absehauen hatte, mir im Namen
feiner Cameraden das Yon. anbot, im dal ich ſein Wer
V. Der Speſſatt. 21
I— — ——— — — —
Sens, die, bei der Ankündigung des Raͤnbers, mit dem ihr
eigenen rührenden Ernſte, herzugefommen war, beſtimmte
mich augenblichlich für das Lehen, und ich wählte das Gewerbe
des Näubers in der Hofnung Fünftiger Flucht.
Das Mädchen ſchien meinen Entſchluß erwartet zu habenz
fe verließ mit geheimnißvoller Zufriedenheit ihren Platz und
beſchaͤftigte ſich mit weiblichen Arbelten. Ich ſah, daß Ihe die
Räuber mit einer gewiſſen Achtung begegneten, und fie ganz
ſich ſelbſt Überliegen. Deshalb wandte ich mich, nachdem fie
mir zu meinem Entſchluß mit freywilliget Achtung Gluͤck ges
wuͤnſcht hatten, an einem derfelben, und verlangte vorläufig
etwas von der Gefchichte der Bande, Kauptfächlic aber die
Geſchichte des Frauenzimmers zu wiſſen.
+, Die ann die nur der Hauptmann erzaͤhlen“ erwiederto
er, „wenn er für gut findet, dir mehr anzuvertrauen, als
zfeinen alten Cameraden. Du Haft ihn auch verwundet, ins
„deß wird er mit den Übrigen gegen Mittag zuruͤckkehren.“
Ein glücklicher Leichtfinn, der mich durch ale Begeben⸗
Heiten meines Lebens begleitet hat, und der auch Urſach der
mehrſten geweſen ift, Hat mir nie erlaubt, an eine geſchehene
Sache länger zu denken, als etwas dabey zu thun war. Ohne
dieſen Leichtſinn wuͤrde meine jetzige Stimmung ungluͤcklich gie
nug geweſen ſeyn. So abet beſchaͤftigte mich In der That
nichts, als der Zuſtand meinet Wunden, und das Bild deö
unbegreiflichen Mädchens,
Die erfteren ſchienen leidlich; ich war nicht eigentlich ven
lest, felöft der Schuß In die Schulter Hatte den Knochen nicht
beſchaͤdigt; nur der Blutverluſt Hatte mich erſchoͤpft. Alte
Wunden ſchienen regelmaͤßig verbunden, und da die Mattig⸗
keit allmaͤhllg verſchwunden war, und ich auf die Ktaft meinet
78 V. Der Speffart,
— —— —
guten Natur und meiner Jugend rechnen durfte, fo ſtand ih
völlig beruhigt von meinem Lager auf. Das fhöne Mädchen
kam ſtillſchweigend, einen frifchen Verband auf meine Wun⸗
den zu legen. Jetzt hatte ich erſt Gelegenheit, fie in der Nähe
au betrachten: fie war fehr anftändig und reinlich “angezogen,
und ein Miniaturgemälde mit Eoftbarer Einfaffung, das unter
ihrem Bufentuche hing, und das Portrait eines alten Mans
nes von Stande war, fehlen ihre vornehme Geburt zu vers
rathen. Das wunderbare Stillfehweigen, welches fie beobs
achtete und welches eine Art planmaͤßiger Zuruͤckhaltung ans
zudeuten ſchlen, verbunden mit einer pruͤfenden Beobachtung
meiner Perſon, bewog mich, zu ahnden, daß ſie mit einem
großen Entwurfe ſich beſchaͤftige, und von mir irgend etwas
erwartete. Sie von ihrer Seite ſchien unbekuͤmmert uͤber das,
was ich von ihr denken mochte, nur von der Zeit zu erwarten,
ob ich irgend etwas fuͤr ſie werden koͤnne. Ich konnte mich
nicht enthalten, ihr unverwandt ins Auge zu ſehen. Sie be⸗
gegnete ı meinem Blicke mit einer Hoffnungsvollen Ahndung, die
mid) unwiderſtehlich ergriff.
„Am Gottes willen, wer find Sie?“ rief ih aus.
„Eine Gefangne,“ antwortete fie mit einem refignirenden
Blide, der eben fo viele Sehnſucht als Zurächaltung enthielt,
wder das Sefchäft aufgetragen worden, die Wunden der
Lapferteit zu verbinden,”
„Sie find von der zauberiſchen Beräßrung Ihrer Hand
ſchon geheilt, Wollte mein guter Geiſt,“ rief ich aus, „daß
wir für Sie bald neue gefchlagen würden!” Sie fah mir eine
Weile ſtarr ins Geſicht: „Ste find gut,“ ſagte fie.
Die Räuber kamen zuräd, Der Hauptmann an ihrer
Spiee,, trat in die Höfe. Ein Mann von mehr als, gewöhns
V. Der Speflart: u [7
— — — —— — —
licher Groͤße und Stärke, in- militaͤriſchem Anzuge, braun und
benarbt und von wilden Anfehn, aber Ernfte, und
durchſcheinender Güte. ,
. Die beiden Räuber hatten ihm meinen Entſchiuß bekannt
gemacht, Er trae mit Größe vor mich hin. Die Übrigen leg⸗
ten die Beute ad, und ſtellten ſich in ehrſurchtsvoller Entfers
nung um. uns her. a J
„Junger Mann,” begann er mit gemilderter Schmme,
indem er einen verbundenen Arm aufhob, ,, diefe Wunde,
und die Deinigen, find mir Buͤrge, daß Du tapfer biſt. Willſt
Du mit mir das Handwerk theilen, das unfrer beider Vor⸗
fahren trieben, als Männer weniger felten waren, fo wirft
Du endlich einmal fagen können, daß’ Dich Männer ads
ten. Kenuſt Du die Welt genug, und haben Worte aufgehört,
Did zu täufgen, fo kannſt Du feinen Anftand nehmen, In
einen Kreis zu treten, der Dich durch die freiwillige Achtung,
die dem Manne hier vom Manne widerfährt, für alle die Trug⸗
geftalten entſchaͤdigen wird, denen Du in der übrigen entnerv⸗
ten Welt nachjagen koͤnnteſt.“
„Du haft Di entſchloſſen, dieſen Schritt zu thun; al⸗
lein ich entbinde Dich Deines Verſprechens. Dein Aublick
macht mich ſchwach. Nimm Dein Leben und Deine Freiheit
von mir zum Geſchenk an, und beneide den. Mann, ber ſolche
Geſchenke giebt.” mr 5
Ein lautes Murren der Räuber unterbrach ihn, „Keiner
von Euch,” rief er mit einer fuͤrchterlichen Stimme, „ſoll
mie diejen Triumph der Menſchlichteit vorwerfen! Er fey der
erſte und der legte, den ich Euch unterſchlage.“
Kannſt Du,” fuhr er mit fanfter Stimme fort, indem
er ſich zu mir wandte, „mich aber jemals achten, fuͤhlſt Du
® V. Der Speſſart.
— — ——— — ———
vielleicht die Moͤglichkeit, mich deren zu Neben, fo laß Dich
bitten, und bleib.’
„Großer Menſch,“ rief Ich in Außerfer Bewegung,
nid) kann Dich nicht verlaffen! Geſchehe das, mas Du aus -
Brundfag und Erfahrung zu thun glaubft, bei mir aus
Schwärmeret und Seldftbeteng: Du Haft mich Dir und Deis
nen Brüdern gewonnen!“ .
Er ſchwieg, und fah mir Tange und mit tödtlicher Kälte
ins Auge. Dann ergeiff er mid; mit beiden Armen, zog mich
näher zu fih, und endlich umarınte er mich mit wunderbarer
Gewalt.
„OSo ſchwoͤre,“ ſprach er gefaßt, „bei Deiner Ehre, bet
Deiner Achtung geger Dich felbft, und bei der Heiligkeit der
KFreundſchaft, mic) nicht zu verlaffen, bis In den Tod.’
. Ih ſchwur auf fein glänzendes Schwerdt: es leuchtete
Wie das Antlig eines undeftechlichen Zeugen. Der Gedanke der
Flucht verfhwand vor feinem Glanze. Ich ward ein Räuber
mit ganzer Seele.
Die Räuber hatten einen Kreis um uns gefhloffen, und
die Schwerdter entblößt, indem ich den Eid ſprach. Sie ſtie⸗
Ben fie raffelnd in die Scheiben zuruͤck, und lagerten ſich.
Der Hauptmann näherte: fi dem fhönen Mädchen, die
in einer Ecke der Höhle ſchwermuͤthig angelehnt Rand. Sie
ſchien beunruhigt. ,, Sraneista,”’ redete er fie an, „haft Du
Deinen Kranken auch nicht vernachfäflige 7 Slie ſchwieg.
Gefall ich Die auch heute nicht?“ führer fort. „Du bit
ein guter Mann Silvlo,“ erwiederte fie treuherzig, „und
ich muß Dich achten.“
Sllbio ließ Wein bringen, wir lagerten uns und ttanfen.
Srancista entfernte fih. „Wer iſt dieſes Mädchen?” fragte
ig.
V. Der Spefart. &
— — — — —
ich. „Sie war eine Beute,“ erwiederte der "Hauptmann,
„anfangs zu meiner Beifchläferin beftimmt, jegt aber wünfchte
ich, fie koͤnnte mich lieben. „Haft Du fie berührt?” vief
ich; „Nein,“ erwiederte er, „ich verſprach ihr, fie nicht zu
wingen.“
„Liebſt Du fie denn?” fuhr ich fort. „Ich glaube,
fagte er, „ich würde fie lieben, wenn fie mich liebte.”
„Nun fo laß fie mir; ich liebe fie.”
„Sie wird Dich nicht haſſen,“ ſprach er, „und alfo ik
ſie Dein.“
Der Hauptmann hob einen Stein weg, der ander Seite
des Felfens lag, und öffnete eine eiferne Thür, die in ein Sei⸗
tengewoͤlbe des Sefteins führte, "das regelmaßiger behauen,
"und mit einem Giasfenſter verfehen war. Diefes und die reinere
Luft machten den einzigen Unterfchled zwiſchen diefem Gemache
und dem gemeinfchaftlihen Zimmer. - Es war für den Haupt⸗
mann. In der Mitte ein Felsſtuͤck ſtatt des Tifches; an den
Wänden einige hölzerne Seſſel. Das Lager war, wie für die
übrigen, von Stroh. In der Ecke ein Bett für Franziska,
Ich war uͤberraſcht.
„Es iſt Die nen, junger Menſch,“ ſagte Silvio, „zu
fernen, daß Unſchuld und Tugend auch in einer Raͤuberhoͤhle
eine Freiſtatt finden Eönnen. Wäre diefes nicht,’ fuhr er fort,
„und wäre Dir nicht manches neu, was dem erfahrnen Manns -
alt ift: fo Hätte Du anders geſchworen.“
nie for” fagte ich. .
„Du haft mir gefhworen, und nicht der Bande. Ich
wollte Dir nicht alle. Ruͤkkeht abſchnelden. Bedenke, dag ih
fterben ann.
Dritter Jadız. ater Band. 8
N V. Der Speffart.
* Sept begriff ich ihn, und er fuhr fort: \
„Deinesgleichen werden nur durch eigne Erfahrung übers
zeugt, wenn eg darauf ankommt, den fhönen Traum menfchs
licher Vollkommenheit aufzugeben. Du biſt zu jung, um dieſe
Erfahrungen ſchou gemacht zu haben: ich kann Die nicht Ger
legenheit dazu geben, weil fie nur Über der Erde gemacht wer:
den, und alfo fah ich der Zeit der Neue Im voraus entgegen.”
„uUnbegreiflicher Mann,“ vief ih aus, ‚fie kann noch
länge nicht eintreten; denn ich werbe Zeit brauchen, Dich
zu faſſen.“
Wir kehrten in den Saal zuruͤck; wo ſich noch drei junge
Weiber eingefunden hatten, die außer der Hoͤhle beſchaͤftigt ge⸗
weſen waren. Sie hatten ein zigeunerhaftes Anſehn, ohne
haßlich zu ſeyn.
Der Hauptmann litt durchaus keinen Unterſchied in ſeiner
Republik; er waͤre auch innerhalb dieſer Unterwelt laͤcherlich
geweſen. Ich mußte alle umarmen, und ihre Namen lernen.
Mir war der Name Fernando gegeben. Silvio hatte ſich lange
in Spanien anfgehalten, und ehrte auf dieſe Weiſe das Ans
denken ſeiner Freunde. Franziska kam herein, und brachte
Webeit file die Weiber. Sie nahmen fie mit wahrer Achtung
aus ihren Händen an.
Silvio führte mich durch bie Felfen einen Berg binan, wo
wir ruhten. Sch bewunderte die allgemeine Ehrfurcht für
Franziska.
Du haͤtteſt fie ſehen ſollen,“ hub er an, „als fie in uns
fre Hände fiel. Ich habe’ nie fo viele weibliche Größe gefehen.
Aifangs war ihre Betruͤbniß ohne Grenzen. Sie verabfcheute
und beleidigte uns alle, Den dritten Tag verfuchte fie zu ents
V. Der Speffart. s
fllehn. Als dies aber verunglüdt war, und le die Unmoͤglich⸗
keit jeder neuen Flucht eingefehen hatte; fo änderte ſich ihr gan⸗
zes Wefen. Sie fhien über ihr Schickſal auf immer beruhigt,
immer heiter, aber ernft, gutmathig und gefaͤllig; aufmerk⸗
ſam auf jede Beſchreibung der Gegend, auf Namen oder Schil⸗
derungen beraubter Reiſenden, auf die Beute, auf die Ge⸗
ſchichte der Bande; hauptſaͤchlich aber auf meine Perfon. She
Geſang iſt vortreflich, auch zeichnet fie, und jetzt lernt ſie aus
Gutmůuͤthigteit gegen mich die Guitarre. Ich ſelbſt kenne ſie
noch bei weitem nicht genug, ob ſie gleich ein halbes Jahr hier
iſt. Unter allen ihren Sonderbarkeiten aber if ein tiefes Still
ſchweigen die intereffanteite und unbegreiflihfte Man kann ſich
ftundenlang mit ihr. aufs lebhaftefte unterhalten, ohue ein
Wort von ihr zu hören. Ein einziges mal ſprach fie fehe viel,
und dies war, wenn ich nicht ſehr irre, der Augenblid‘, der
über ihre Liebe entſchied. Ste ſchien mich mit einer gewiſſen
Anſtrengung liebgewinnen zu wollen; aber es war ihr unmoͤg⸗
lich! Mein Aeußeres und meine Jahre hätten mich gleich Ans
fangs darüber belehren follen. Je mehr fie mich zu achten begann,
deſto mehr Urſach gab fie mir an ihrer Liebe zu verzweifeln.
Der Abend brach ein, und wir kehrten zur Gefellfchaf zus
ruck. So volltommen die Gleichheit in der Hohle war, ſobald
es auf Rechte anfam, fo groß war auch der Unterfchied im ges
felfchaftlihen Leben. Der Hauptmann hatte einen gewiſſen
rohen Wohlſtand eingeführt; feiner warb dem andern läftig,
und jeder unterhielt fich nach feiner Willkuͤhr. Silvio blieb bei
den Raͤubern, ich gefellte mich zu Franziska. Wir mußten
auf ausdruͤcklichen Befehl des Hauptmanns, als Bruder und
Schwefter umgehn, Sie verlangte von mir eine Beſchreibung
8a
“4 V. Der Speffart.
ng
der Gegend, durch die ich zur Höhle gekommen, und als ich
biefe beendigt hatte, fang fe ein Lied auf Silvio. .
Die folgenden Tage wor fie fehr fill; ich fühlte, daß ich
fie Heftig liebte. Endlich forderte fie mich eines Abends, als
wir alfein waren, zum Sprechen auf, Diefen ganzen Tag war
fie mir ein Raͤthſel aeweſen, am Abend aber ganz.unbegreiflich,
Vormals hatte fie. mich bis auf die kleinſte Bewegung. ununters
brochen beobachtet; heute gar nicht. Sie ſchien zu einem Re⸗
fultat gefommen zu ſeyn. Ich mußte die Begebenheit mit den
Raͤubern im Walde erzählen. Sie hatte fie von dem Haupts
manne vortheilhafter für mich gehört.
„Ich liebe Dich,“ fagte fie ruhig und leiſe.
Ich ſtuͤrzte ſtumm zu ihren Züßen. . Sie eichtete mich auf,
und warf ſich mir mit undefchreiblicher Heftigkeit in die Arme.“
„Aber ich Habe noch einen Vater, fagte fie, „und einen
Bruder. Haͤtteſt Du nicht geſchworen, Feruandol“
„Edles Mädchen,’ rief ich, „uͤberlaß die Zukunft dem
Schickſal.“ “
Bon diefem Abend an, fühlte ich erft ganz das Erhebenbe
ihres Umganges; indeß vergingen Menate, bevor ich den Ges
danken einer größern Vertraulichkeit wagte. Silvio war damit
ſehr unzufrieden.
„Iſt es nicht genug,‘ fagte er, „daß ihr euch in der
großen Welt von diefen Vorurtheilen Habt herumtreiben laffen ;
muͤſſen fie euch auch noch in eine Raͤuberhoͤhle folgen? Franziska
iſt dein Weib, weil fie Dich gewaͤhlt hat, und auch in dieſer
Hoͤhle koͤnnen Kinder zu Menſchen erzogen werden.“
Dieſer Betrachtung zu Trotze, verſtrichen mehr als ſechs
Monate, bevor ſich Franziska Mutter fuͤhlte. Sch. hatte
\
V. Der Speffart: s
— — — — —
unter der Zeit mein neues Handwerk volllommen gelernt, und
war ſelbſt nicht one Blutſchuld; indeß kamen doch Augenblide,
wo mir Franziska's Sewfzer: häcteft Din doch nicht geſchwo⸗
ven! ſchwer auf der Seele lag. Der Umgang mit dieſem gro⸗
Sen Weibe aber, und die Vaterfreuden, die ich zum erſtenmale
genoß, zugleich mit meiner Frenndfchaft gegen Silvio, deſſen
große Seele ih immer mehr entfaltete; die Unterhaltung,
welche ung die Erzählung feiner Begebenheiten gewährte, und
endlich mein glücklicher Leichtfinn, der mich alles, was mir noch
fehlte, von der Zukunft Hoffen ließ: dies alles machte, daß
mir zwei Jahre in der Hoͤle verſtrichen, als wären es Monate
gewefen. “
Um diefe Zeit enteiß mir ein einziger Streich des unerbitts
lichen Schickſals alle meine Seligkeit. Mein theures Weib
ward plöglih Frank. Ihr zarter Körper konnte unmöglich
Stärke genug haben, der gewaltſamen Thätigkeit Ihres leiden⸗
ſchaftlichen Gefuͤhles zu widerftehn. Es war e ine ſchreckliche
Nacht. Ein ununterbrochenes Gewitter wuͤthete im Walde.
Die Felſen bebten vor dem Donner; die Regenguͤße hatten die
Hole ganz unter Waffer gefegt.
Alles flüchtete auf den Felſen. Mein franfes Weib fprang
von ihrem’ Lager auf, ergriff ihr wimmerndes Kind, und ers
kletterte mit unfäglicher Anftengung einen Gipfel. Ich holte
fie nicht eher ein, als bis fie ermattet in meine Arme ſank.
Der Hauptmann wich feinen Schritt von unfrer Seite. Die
Bande überfiel das Unmetter nugend, indeß einige Wagen.
Die Reifenden waren zahlreicher, wohl bewaffnet, und trieben
die angreifenden Räuber wuͤthend nach der Höle zurüd. Das
Gefecht war fürchterlich. Alles rief nach dem Hauptmann,
J LEE
26 V. Der Speſſart.
Wir griffen zu den Waffen. Silvio focht wie ein Löwe. Die
Nauber wanften; jest flärzte der Hauptmann. Sch warf
mid) vor die Bande, „Rächer, rief ih, Silvios Blur!“
Wir dfangen vor; fie fielen oder flohen, Die Räuber ſetzten
ihnen nad. Sch eilte zu meinem Weihe; fie war — tobt:
Silsio war tode: mein Schwur war aufgelöft, Ich riß mels
nen Knaben an mein Herz und floh,
O.
VI Gedichte von Marie Muioch. [4
VI.
Gedichte von Marie Mnioch gebobrne Schmidt *).
L
Der Schillerſche Muſenalmanach für 1797.-
Meise Tiebe Gefelfchaft von frohen Männern und Frauen
Sitzet im Haufe dort unter befrängetem Dach! -
ZXieber der Freude vernehm’ ich, und Chöre ber ernfleren Muſe,
Lieblich wechfeln Gefang, Lachen und Ichrendes Wort.
Edelm Senuffe wird hier gehuldigt; die Jugend, die
Liebe
Singen ihr Glück, es tönt Teife der Becher day,
Jedes Alter vergnuͤgt fich, gepriefen wird jegliche Schönheit,
Manche Tugend empfängt von der Mufe ben Kran.
*) Die am ı$ten Aprit d.9. au Anfang ihres smandigrten Jahre,
nad) der Geburt ihres Dritten Kindes, geflorbene Gattin des durch meße
zere Beine Schriften bekannten Heren Mnio,d, welcher vor Kuriem fein
ↄadasoaiſces Gefhäft in Dansig aufgab, und ald.erher. Direktionde
Axenor Hei der Bosteriedireftion gu Warfcbau angefrie wurde. Von ide
gem zwölften bis in iht ſechetehntes Jade war fie die Schäterinn lücch
nachterigen Mannes geiwefen (worauf ſich eben daß legte Gedicht: Pigmas
tion und Erife bericht) dann murde Re fein Freund, mie er ſeiett
Ma ausdrũdt) fein gucer Genims! Bei iherr Liebe su den Wiffenfihaf-
sen, bei ihren fortgefegten Werfuchen eigner Bildung, behielt fe den Char
tatter Ritter, befcheidwer Weibtichfeit, und In den Jahren ber Leibe Geratgs
ten Jugend, erfünte Be die Gatten» Mutters und Hausmutter⸗
54
ss VI. Gedichte von Marie Mnioch.
— — — — — —
Vieles belebt Ein Geiſt, — Du Geiſt ber hoffenden Schw
ſucht!
Unnennbares! — o du, dem auch ber Gluͤcklichſte
weint. —
D, es fühlt ſich die Fremde, nad) euren Blicken und Reden,
Wäre dies Herz genug, manchem won Euch verwandt,
Aber fie nahet nicht; auch Spott der Grasien Eränfet!
Unter dem Haufen verſteckt, geht fie Die Tafel vorbei,
Geht und betrachtet bad Haus, und ſuchet zum Garten ben
u Eingangs
Doch es ſchreckt fie ein Lerm aus dem hinterflen Saal. —
Bftipren in einem fehr begränieen Familienftande auf das ve
und ohne Zeichen irgend einer defchimertihen Anfirengung.
Won ihren Hittesarifhen Verſuchen Hat bei ihrem Leben, außer htm
Wanne und wenigen Freunden, Niemand etwas erfadren, \
Bieviel fie ihrem Manne war, nicht nur als feine zärttiche Gattin,
oder als forgfam pflegende Mutter feiner Kinder, (ondern noch in vieler ans
dern Oinſicht, — wußten kaum die Wertrautefien des Haules. Schwerlich
aber Fann ein Mann von Kopf und Her; mehr an feiner Fran verlieren,
als mein nnglädticher Freund verloren dat. — Ihr letzter Angenblick Fam
piögiih. Wenige Gtunden vor ihrem Tode biühte ſie noch in der. ganien
Füne jugendiiher Geſundheit. Sie farb an den unbekannt gebliebenen,
innern Folgen einer jwar anftrengenden, aber.nicht widernatärlichen Geburt.
Bieuleicht lernt das Publikum fie noch aus mehrern, nicht uninter«
effanten Auffägen näder kennen, und bettauert dann, tie Ihre Familie,
den Tod einer fo jungen Frau, die vieleicht, bei reiferem Miter, weniger
entfeäfter von Millee Gors’ und Mühe, von der Hand der Muſen in den
"Scan) der geikteicfken Feanen unfers Watettandeh wäre gefohten wor⸗
den. — Ihr Mann, der mir diefe wenigen Gedichte jum beliebigen Gebrauch
witgetheiis hat, wird vieleicht nächitens die fämtlichen des Druds wärbis
‚gen Fleinen Verſuche ihres Dichterifchen Geiſtes, dem zweiten Baͤndchen ſei⸗
er eignen Sartiften beifägen.’ Mon idm hoffen wie dann auch die Ehataks
teriftit einer ram, Die durch die feltne Bereinigung feltner Vorzüge allen
sheuer war Er nur kann Me ihrer würdig geben, denn er beſaß ihr Her,
Darſchau. 6r.
mmenſte,
IV. Gedichte von Marie Mnich. 5
—— — — — —
Wird der Grazien Feſt im ofnen Haufe gefeiert;
Zeiern im Saale des Hofs wilde Bahanten ihr Feſt. —
5a, das wuͤſte Befindet! — Es ſchmauſet dem Abgang
der Tafel;
Aues wird ausgeleert bis auf Das Tröpfchen im Glas.
Wis und Neberwig! Schimmpfreden und lautes Gelächter! —
Aller Nachbarn Geſind' und ber Nachbar muß dran. !
Iſt es ernſtlich gemeint? — O flieht, fie ergreifen bie Glaͤſer,
"Werfen das leere Geſchirr, werfen bie Scherben uns nach
2
3 wei der Männer, die dort bei Tafel ſaßen, (der Eine,
Welcher fo gern erzählt, als man freudig ihn hört,
Und der andre, dep Stimme fo herzlich tönt in der Hpimne,
Der die Chöre fo voll ſingt, und mit leichter Bruſt,)
Wo ich nicht irrte, fie warfen die Weberrefie des Brodes,
Sierlich in Kugeln geballt, ‚unter uns Gaffer hinaus,
Ernſt zwar blieben bie Mienen, Doch Muͤthwill trieben die
Hände, — “
Diefer Herren Gefind ſchmiß jegt die Scherben
uns nad.
Man erfennt die Bebienten an Borten und Kragen ber Herrfchaft,
Nicht am Muthwill, denn der — ähnlich ik er, nicht glei.
3.
Soll ich dem Auge traum und dem Ohre! Geh’ ich dort tangen
Saunen mit Grasien? hör ihren Wechfelgefang? -
Ach, ich Hage fo oft: wie hat der Menſch mich geirret!
Bleiben bie Götter doch ſelbſt ihrem Charakter nicht treu!
Ss
⸗0 VI. Gedichte von Marie Muioch.
— — — — —
4.
Dieſes Buch iſt der Menfch, und noch der beßre!“ — Mein
b gieber,
Kede mir troͤſtlicher, ſprich: Weib, du verſteheſt das nicht! —
Sol ich die Menſchen nach meinem? nach ihrem Maße fie
meſſen ?
Hier, nach dem eigenen Maaß, ſind ſie bald groß; und bald
Hein. ö
J5 ..
Nach demſelben Maße bald groß, bald Hein? Ich vermuthe,
Was fie dann wirklich find, dafür geb’ es Fein Maaß.
6.
Eure Worte gefallen, auch glaub' ich den Geift gu empfinden;
ber es fehlt mir an Muth, diefen Schers au verfiehm.
7 \
‚Forum des Weibes von Schiller.
caAimanach 1797. Seite 89.)
Frauen richtet mir nie des Mannes einzelne Thaten,
Aber über ben Mann fprechet das richtende Wort!
Bemerkung darüber in Beziehung auf bie Kenien..
Sn — und — haͤß lich! fo dürfte mein Urtel von einzel
" nen lauten,
Ueber das Gange, fürmahr, fehlt mir das meinende Wort.
VI. Gedichte von Marie Maioch. Fi
— — — — — —
II.
Terpſichore von Herder.
Il
Diefes Buch if ein Mann, gu ſtolz für die Liebe des MWeibes!
Meines Verftandes Ohr höret den Fühnen Gefang, .
Aber es bebet mein Hera, ihm- nachzutönen. Zerdruͤcken u
Müßte der Schwermuth Laſt, fprengen des Muthes Gewalt
Diefen Bufen! Doch ahnd’ ih: Heil fei dem Eräftigen
Danny, ö
Dem dies männliche Buch bleibet durchs Leben
ein Freund!
2. J
„Troſtlos macht es, und tröfet!” — O nein, es erbauet, und
dann erft a
Schlägt es nieder! ed läßt offen die Munde surüc,
III.
Das Sprichwort:
"Sin iſt bin! — in kehrt nicht wieder!
1. .
Was du verloren haf, das bleibt verlohren!
Vergeblich find die Chränen, die du mweinkt
Ein gutes Wort! wenn es die Warnung fpricht;
Ein ſcharfes Wort! fol es sur Strafe dienen;
Doch ah; zum Trofte — O bewahre mich
In meinem tiefſten Ungluͤck, guter Gott, ,
Vor dieſem Troſt, damit ich wicht verrweifle.
3 VL Gedichte von Harte Muioch.
a EEE e '
2 "
Ich Hab’ es nicht und will es nicht erbitten,
Ein männlich Ser, das der Nothwendigkeit
Mit ſtolzem Stun gehorcht! Und follte je
Die Heine Hütte meines ſtillen Gluͤcks,
Auch Nur die Laube, welche Blumen trägt,
Dem Sturni erliegen, und mich nicht begraben;
So dan ich Gott, wenn nicht mit kaltem Muth
Ich thraͤnlos daſteh', wie die Tröfter wollen.
Bon unfern Thraͤnen naͤhrt die Hofnung ſich,
Sie lebt in ihnen. — Ales kehret wieder,
Was tsir geliebt mit reinem Herien, was
Als gut und ſchoͤn ſich unferm Geiſt vermählte,
Es weinet Ceres, ihre Thraͤnen dringen,
VWohin ihr Vad nicht dringt, hinab zu ihrer Tochter,
Und aus den Gräbern blüht mit jedem Lenz
verſephonens Gefhenk an ihre Mutter, )
Bis ein, gerührt von diefer Doppeffehnfucht
Der Lieb’ und Treu’, dein großes Herz, o Schickung,
Sicht länger widerfieht, — bu mit dem Blick der Gnade
Die Tochter ſeldſt — der Mutter wiedergichk.
W.
Bigmalion und Elife
> Bum Undenten an unfee Berbindung.
Liegt ein geheimer Sinn verborgen in diefer Fabel, "
Den nur ein Philsfoph, oder ein Künftler entdeckt
Mes, was mir gefällt, erklär ich nad) eigener Weife.
Traute Zabel, du ſelbſt biſt eine. todte Gefalt,
> Anſpietung anf Ceres Klagen, Ehiliert diesiäßrtger
MufensAlmanach S. 34
VI. Sedichte von Marie Dich. 93
Wenn nicht ber Menſch dich erwärmt an feinem Bufen, wenn
, Leben, s
Unfer geben dich nicht mit der Wahrheit belebt,
Lieber, ich kenne die Deutung! — Der.eignen Yugend Geſchichte,
Unfrer Vermaͤhlung Glück ſtellt fich im Wilde mir dar:
Hand der freundlichen Kunſt, ber unbefangnen, du wählte
Diefen Marmor, begannf unbefangen dein Werk, .
Aber, da nun dem Kuͤuſtler im reinen. Marmor das Bildwig .
Seiner Hofnung erfhien, wich bir, Liebe, bie Kunſt.
Deinen Handdruck fühlte die rege Geſtalt, als die Göttin
Leben und Liebe goß in ber Liebe Gebild. —
Und mein eignes Verdienfi? — ik Treue, — Wahrheit
und Treue!
Bas mir bie Göttin für Dic) in den Buſen gefchenkt, .
Werd ih Dir ewig erhalten! O blieb’ 28 Dir ewig daffelbe,
Was es, Geliebter, Dir war, da mir die Göttin es gab.
.94 VI An die auslaͤndiſchen geichrten Maͤnner ıc.
— — — —
VII. a
An die auslandiſchen gelehrten Maͤnner die den Bey⸗
nahmen unſers Friedrich des Zweiten nicht nach⸗
ſprechen wollen.
Beim leſen in des Herrn von Archenholz Minerva, Monat
Aupril 1797. Seite 130.
Gast, ihr Ausländer! fagt, zu tauſendmahlen noch:
Er, unſer Friederich ſei einzig nicht geweſen!
Aus allen Koͤnigen und Helden auserleſen
Nicht einzig, einzig! fagts zu taufendmahlen noch
Er ift, er bleibt es doch!
Er war ein Einziger! Wo war, wie er ein Dichter
Ein König? wo? wie er? ein Königsfohn ein Held?
9? wo? wie er, ein Freund? Ihr, feines Lebens Richter
Sagt: war noch Einer in der Welt.
Der, fo wie er, fein Leben lebte,
Sür fih, und für fein Vaterland?
Der, nad) Volkommenheit, wie nach dem Himmel firebte,
Den Degen, und zugleich die Geber in ber Hand!
Gleim.
VII, Beim Leſen in der Frau von Blumenthal ec. 95
VIII.
Beim Leſen in der Frau von Blumenthal Lebendber
fepreibung des Generals von Zieten.
Berlin bei Himburg 1797.
Beſcheiben mar der Held! Gein Lehen
Schrieb die Beſcheidenheit!
Sleim.
IX.
Beim Anſchaun der Bildſaͤule Zietens von
Schadow.
Seht! unſern Zieten, der in Waffen,
Mann war, und Greis, fürs Vaterland,
Den hat der Kuͤnſtler wahr, vollkommen wahr erfchaffen,
So war fein Kopf, fein Fuß, fein Auge, feine Hand!
Gleim.
95 X. ‚Beim Anblick des bekannten Kupferſtichs x.
— — — — — —
x j
Beim Anblick des befannten Kupferſtichs: der ſchla⸗
fende Zieten! von Chodowiecky.
Yıs Bieten ſchlief, und Friedtich wachte,
Da träumte Bieten nur won unferm Srieberich.
And unfer Sriederich der Landesvater dachte,
Nur feinen General, nicht fih!
. “ Gleim.
|
Bertinifdhes j
wo vder Zeit
ihres Geſchmacks.
Augufl 179%
L
Ueberfiche der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
Am Anfange bes Julius 1797.
Sir den letzten Monden Hat fich der Schauplag der Bege⸗
benheiten in ‚Europa weſentlich verändert, und der Menſchen⸗
freund hat alle Urfache, ſich diefer Veränderung zu freuen; tweil
fie der Vorbote einer allgemeinen Ruhe und eines ftillen friedlis
hen Gluͤck ift, deffen der erfchütterte Welttheil zur Wiederher⸗
fellung feiner inneen Wohlfahrt fo fehr bedarf.
Wo große und überrafchende Begebenheiten einander draͤn⸗
gen, wo erſchuͤtternde Ereigniffe raſch auf einander folgen,
auffallende und energifche Charaktere in Thätigkeit find, und -
ihre Kräfte gegen eingnder aufbieten, wo große Maffen von
Meñſchen in Bewegung gefegt werden, um augenblidliche ſchnelle
Veränderungen hervorzubringen, — zur Zeit des Krieges aber der
Revolutionen ift es nicht fhwer ein unterhaltender Geſchicht⸗
ſchreiber zu fein. Dean darf nur dem großen Gange des Schick⸗
ſals folgen und feine Rieſenſchtitte nachzeihnen, um diejenige
Theilnahme zu erzwingen, die ein gerechter Trihut der Begge
benheiten iſt, wenn auch die Darſtellung derſelben ſie nicht hei⸗
ſchen duͤrfte on u
Deitter Sadız. art Man, ®:
‚98 1. Meberficht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
—— — — — —
Dies iſt um ſo mehr der Fall, wenn dem Erzaͤhler wichti⸗
ger Ereigniſſe nur ein kurzer Zeitraum vorgeſteckt iſt; wenn die
Begebenheiten, welche er umfaßt, bei weitem nicht den Anblick
eines Ganzen gewähren, und alfo zu einem vollftändigen Ger
mätde feinen Stoff darbieten, nur zu kleinen Schilderungen taus
gen, allgemeine Refultate für die Menfchheit zu zeichnen unters
fagen, und ſelbſt nicht einmal einen Blick Über das Ganze der
vorliegenden Unternehmungen geftatten.
So lange Revofutionen das lebendige Wirken und Weben
in die Weltbegebenheiten brachten, welches, fie durch. Rafchheit
des Ganges, durch, Größe der Kraft und Geſinnungen bei den
handelnden Sndividuen, durch Schnelligkeit und Gewicht ihrer
Solgen, das gefpannte Intereſſe eines Drama erreichen ließ;
fo fange jeder Tag eine große Scene, jede Scene einen Helden,
und jeder Held Wunderthaten aufftellte, — fo lange der Krieg
— möge fein mörderifcher Arm für immer gefeflelt fein! —
Intereffante Sitnationen,; von denen das Glück ganzer Voͤl⸗
ker abhing, und rafche Entfcheidungen herbeifuͤhrte, — war
es dem Schreiber diefer Auffäge, welche die Weberficht der wich⸗
tigſten neuern ©taatsbegebenheiten in dem Zeitraume eines
Monats liefern, möglich, feinem Gemälde Intereffe, Kraft,
Gericht, Werth und dasjchige zu geben, was die Theilnahme "
an ſich zu ziehen vermag. — Der Ftiede, — die Ruhe im Ins
nern republifanifieter Staaten, — bie ſtille thätige Arbeit an
‘dem feſtgegruͤndeten Gluͤcke ber nahen und entfernten Zukunft
— bieten jene großen Erplofionen vom Kraft nicht dar, und ſtatt
ſich durch den raſchen Gang auffällender Urſachen und Wirkume '
gen zu charafterifiren, verBergen ſie vielmehr das ganze Ger
"treibe'blefer · Maſchinerie; und mern etwas aus dem Geheim⸗
niſſe hervorgeht, welches für dieſe Art von Verhandlungen
wu Ile
Am Anfange bed Julius 1797. »
GGC—— — ——— ———
durch Zeit und Nutzen geheiligt iſt, ſo iſt dies immer das Ganze,
welches fange vorbereitet war, beobachtet, und in einer
Reihe glücklicher Folgen erft bemerfbar und bewunderungswuͤr⸗
dig ward. -
Die Hlätter des Tages gewähren ſchon jegt das Bild einer
allgemeinen Ruhe. Nirgends ift mehr von Näftungen, Wers
bungen, Schlachten und Eroberungen die Rebe, nirgends von
unerwarteten Ausbrüchen einer fange gebämpften Kraft, die
eben darum um defo zerflörender und unaufhaltfamer fih von
ihren Banden losmacht. Statt ber Befehle zu Schlachten
und Angriffen findet man jegt Präliminarien zum nahen Fries
den; flatt der Zuräftungen zum Feldzuge Anftalten zum Ruͤck⸗
zuge der Krieger in das Vaterland; ſtatt die Soldaten zum.
Muth zu ermuntern, legt man ihnen die Pflicht an das Herzy
in der Ruhe des Friedens, den fie erfochten, den Danfder Ns .
tion und den Ruhm ihrer Thaten zu erndten, und bie Feldern
bereiten fih, denen, bie fie zum Siege führten, aud hier,
wie immer, Mufter zu feyn. Erfindungen des Friedens, Cha⸗
rakterzuͤge der Nation, Erfcheinungen aus dem Reiche der Sits
ten und der Natur füllen jegt die Lücke aus, welche durch ben
Mangel, unerwarteter Ereigniffe entftehen mußte, und die Vers
faſſer der Tageblätter benugen fie gegen den Unwillen ihrer. Les
fer, denen fie nie genug liefern, und die felten bedenken, daß
diefe Wirthe ihre Gäfte immer & la fortune du pot einladen,
Mag dies immer den Hageſtolzen Härmen, dei, oßne
haͤusliches Band, ſich aud den Nationalverbindungen entriffen
hat, der ohne an irgend etwas in feinen Haufe gefeffelt, und
dadurch für allgemeines Wohl erwärmt zu fein, nur außer ſich
feine Theilnahme ſucht und befriedigt findet, der in leeren Spe,
enlationen feine Phantafie erſchoͤpft, und wenn der Erfolg feine
a
200 I. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Stantöbegebenheiten.
Traume täufchte, muͤhſam feine Divinationskraft zu retten
ht. — Der Freund der Menfchheit muß ein Freund des Frie,
dens ſein. Diefe Ruhe nah Stürmen und Gewittern bietet -
ihm unendlich mehr Freuden und. Ergögungen als die zagende
Sheilnagme während des Unwetters.
Der Schreiber diefer Zeilen wuͤnſcht fich diefe vorzüglich zu
Eefern; fie werden es ihm zu Gute halten, wenn er — fern von
allen Vermuthungen und tänfchenden Ahnungen, — nut das /
jenige bemerkt, was ſchon in feinen Folgen ſichtbar wird, oder
fie bald verſpricht, und fich einer Kürze befleißigt, die demjenis
gen Raum verftattet, worauf ſich bald die allgemeinere Auf⸗
merkſamkeit hinrichten wird,
Stalien und England zogen am Ende des legten Mor
nats vorzüglich dic Augen Europens auf ſich.
Die alte Heimat alles. Republicanism, wo er feine gläns
sendfte Periode erlebte, und: fpäterhin uͤberall lange Kämpfe
verurſachte, iſt jest befchäftigt, fich ihre ehemalige Geftalt wie⸗
der zu geben. Durch Buonaparte's Siege wurden unter dem
Schuße feines Baterlandes die eispabanifche und transalpinifche
NRepublik gegründet, die Nobili von Venedig bergiteten ihrer
Macht duch einen ungluͤcklichen politiihen Mißgriff, den fie
nad) einer langen bedächtigen und berunderten Behutfamkeit
Ah zu Schulden kommen ließen, den Untergang; die Ariftos _
kratie fiel mit allen ihren Bedruckungen, die Inſignien wurden
gerfiört, und die Werkſtatt ihrer Tyraunei, die Bleigefängniffe,
in welchen die folge und furchtfame Herrſchſucht mit entehren«
der Erfindſamkeit ihre Feinde mißhaudelte und zu Tode mars
terte, geſchleift, und an ihrer Stelle follen Obelisfen errichtet
„werden, die durch eine.bedentende Inuſchrift an eing entehrende
"Vergangenheit erinnern, wo die Machthaber des Geſetzes ſich
Am Anfange des Julius 1797. ‚ıor
— — — — —
dergleichen erl.ubten, und die Unterdruͤckten nicht Much und
Gemeinſinn genug hatten, fid dagegen aufzulehnen. Die Ars
Give dieſer Gefaͤngniſſe und des Staatsinquiſttoriats find in
dem Getummel verlohren gegangen, und man glaubt, Urſach
zu haben, dies zu bedauern. — Sollte über die Geſchichto
ohne dieſe vermißten Beltraͤge nicht reich genug an zuruͤckſchau⸗
dernden Gemälden dieſer Art fein? Warum” das auffuchen,
deffen bie Menſchheit ſich zu fhämen Urſache hat? warum die
ſchauderhaften Bilder bis in das Fleinfte-Detail ausmahlen,
da der leifefte Schimmer das Auge ſich wegzuwenden zwingt?
Genug, daß das Gerächt den Wiederhal der Klagen und Vers
wunſchungen auf die Nachwelt bringt, bie in diefen Kerkern ges
gen verbrecherifche Verwalter des Geſetzes ausgeftoßen wur⸗
den, um die conſtituirten Gewalten vor ähnlichem Frevel, wo⸗
mit die hochheilige Menfchenliebe entweiht ward, zu warnen;
und das Volt in der nochwendigen Aufmerkſamkeit auf feine
Gefchäftewäger zu erhalten. Greuel dieſer Art gehören zu den
Berirrungen, zu welchen ber Menfch durch die Geſellſchaft vers
leitet wurde, und alfe In die Krankheitsgefchichte des menfchlis
hen Geſchlechts und feiner Staaten. Sie zu verhuͤten, giebt
esnur ein Mittel, verbreitete Humanitätz fie zu frafen iſt nur
der fahig der fie ſich erlauben kann. — Der untheilnehmenden
Neugier aber, welche den großen Schauplatz der Welt wie eine
Bühne betrachtet, und den furchtbaren Ernſt der Rollen vers
gißt, — folhe Gemälde zu entwerfen, reicht die Phantafie.
aus, bie dem Lefer das angenehme Bewußtſein gewährt, daß
alles, was feine Teilnahme hinriß, eine unterhaltende Täufhung
war, und daß er nur aus einem beklemmenden Traume erwacht,
— — Bis jegt verivaftet noch immer die proviſoriſche Munk
palität in Venedig die hochſte Gewalt. Der Feeiheitsbaum HE
83
109 I. Ueberſicht ber merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
gepflanzt, und auch die Geiſtlichkeit, — der jedoch noch mande
Veränderungen bevorftchen mögten — hat ſich in die neue Form
der Dinge gefügt. — Die zu Buonaparte gefandten Unterhaͤnd⸗
Ver des Friedens find mit Bedingungen zuruͤckgekehrt, und zivch
andere Gefchäftsträger der neuen Verwaltung wieder zu. ihm
gereifet. Bis jetzt ift nichts ausgemasht, und Über das Unge⸗
wiſſe ſchweigt der gern, ber fich feinen Blick durch den Schleier
der Zeit zutraut.
Auch in Genua ift nun die Demokratie gegruͤndet. Seit
ben blutigen Auftritten vom zaften und azften Mai, it nichts
geroaltfames dort vorgefallen ; durch Verhandlungen mit Buo⸗
naparte, welche die am z3ften fliegende ariſtokratiſche Parthei
ſelbſt anfing, iR alles in Ruhe entſchieden. ‚Auffallend iſt 66,
daß man im Genua mit den Kennzeichen und Titeln der alten
Verfaſſung ſchonender als in Venedig umging. Der neue Buͤr⸗
‚gerpräfident der Municipalitaͤt führe noch den Titel -Doge als
Beiſatz, und der Baldachin und Scepter deffelben find ftatt vers
brannt zu werden, der heiligen Jungfrau geweiht. Sollte man
bierin ein ſtarkes Bewußtſein des Volkes finden dürfen, dag
dieſes bleibenden Scheins ohnerachtet die ehemalige Ungleichheit
der Rechte und der Misbrauch ihrer Gewalt. nicht wiederkehren
dürfe? — Ueber die eigentliche Befchaffenheit der neuen Vers
faſſung, die durch eine Commiffion unter Leitung der franzoͤſt⸗
ſchen Republik gegruͤndet werben ſoll, läßt ſich noch nichts bes
ſtimmen, fo wie auch über die Integrität oder Zerſtuͤckelung
bes Gebäudes der alten genueſiſchen Ariftokratie.
Es liegt Überhaupt auf dem künftigen Schickſal und der
geographiſch/ſtatiſtiſchen Beſchaffenheit Italiens ein Heiliges
Duntel, welches ber. dreifte Blick entweiht, aber nicht durch⸗
bringt. Neuere Nachrichten, die indeß mehr den Gerüchten
Am Anfange des Julius 1797. 203
— — — — —
Abnlich ſehen, vermehren die Erwartungen, ſtatt fie zu befrie⸗
digen. Man redet von einer einzigen Republik, in welche bie
dspadanifche und transalpinifche vereinigt werden follen; man
redet fogar von einem italiänifchen Freiſtaat, der fi von
Malta bis an die Alpen ausdehnen würde. Die neuften Bläts
ter fündigten Unruhen in Malta an, ſprachen von Angriffen
auf die Perfon des Königs von Neapel, der nur bei feinen Las
zaroni Schuß gefunden haben follte; machten die Kraukheit
Pius des Sechſten gefährlich; ließen verlauten, daß man in
Rom die päbftlihe Regierung für entbehrlich. halte, und daß
der Pabſt ein. Breve erlaffen werde, worin er die Eardinäle
bevollmaͤchtigt, überall wo fie in größerer Anzahl ſich befinden,
einen Pabft wählen zu dürfen. Auch in Turin foll eine bedeu⸗
tende Verſchwoͤrung eutdeckt, und glücklich noch zeitig genug
hintertrjeben fein; fegar Florenz follte in feiner jegigen Berfafe
fung wanfen. Gewiß if, daß die Verwandlung in Demakcas
tien, — die allein den edlen Damen der Republik verdienen —
überall mehr in die ariftokratifche Staaten dringt. Lucca wird
auf manche Mishräuche feiner Verfaflung aufmerkſam, und
felöft das Eleine St. Marino fordert eine Durchſicht feiner alten
Statuten. — Die Staaten des Herzogs von Parma verbans
ten es wahrſcheinlich der nahen Verwandtſchaft mit Spanien,
daß die franzöfiiche Reglerung die alte Form der Dinge gegen
jede von den benachbarten neuen Republiken eindringende Neuer
rungsſucht in Schug nimmt. — Der modenefifhe Staat
ſcheint für feinen Herzog, der juͤngſt von Wenedig floh, ver.
lohren zu fein. Mantuas Schiefal ſchwebt im Dunkel, web
ches erft der Friedensfchluß aufklären wird. — Ancona hat fi
unvermerkt ganz im Stillen felbk zur Republik umgefchaffen,
und mit Romagna und Bologna vereinige, — Obgleich von
4
@04 1. Ueberſicht der merkwurdiaſten Staatsbegebenheiten.
— — — — —
Buonaparte, der jetzt mit der Verfaſſung jener Freiſtaaten be⸗
ſchaftigt iſt, einige Manifeſte über die Vertheilung der Pro⸗
vinzen unter die einzelnen Republiken und in Departements er⸗
ſchienen find, fo laͤßt ſich aus Ihnen doch noch nichts gewiſſes
für die Zukunft folgern, da einige Staaten dagegen Einwen ⸗
dungen gemacht haben, und Buonaparte ſelbſt im zweiten Mas
nifeſt das erfte umänderte. — Die Ervbefchreibung hat am
Eibde dieſes Jahrhunderts große Veränderungen erlitten, Frank⸗
reich, Pohlen, Ztalien, Holland, Deutſchland find fo ganz
umgefchaffen, daß es hier recht auffallend wird, wie biefe Wiſ⸗
ſenſchaft nur vorübergehende Wahrheiten enthält,
Unruhen, die hie und da in der Schweiz ausbrachen, lie
Hen-die Cantone beforgen, daß der Revolutionsgeiſt auch in
ihre ſtillen Thaͤler dringen würde, Beſonders waren die Patri⸗
dee in den ariſtokratiſchen Kantonen beſorgt. Buonaparte
drohte, daß er feine fiegreichen Truppen würde einruͤcken laſſen.
"Dies ift indeß jungſt von dem Direftorium, welches das ‚gute
Verſtaͤndniß mit der Schweizet Mepublif erhalten wiſſen will,
unterfagt. — Ernſte Vorftellungen Haben bewirkt, was man
forderte: die Emigranten entfernen fih und namentlich Hat
Bern den bekannten Mallet du Pat verwieſen.
England has indeſſen ebenfalls feine Ruhe wieder erhalten;
ernfte Maasregeln und firenge Geſetze haben die rebellifche
Slotte an. der Nore zu ihrer Pflicht zuruͤckgefuͤhrt; Richard
Parker, das Haupt ber Delegaten, iſt verhaftet und bereits
mit dem Strange hingerichtet. Noch andere arretirte Dele⸗
gaten erwarten ein ähnliches Schickſal, fo wie die, melde auf
anders Schiffen ſich an die Spitze der Nebellen flellten. Son⸗
derbar genug Heißt es in einigen Tageblättern: „Parker ſchien
- Rein gemeiner Menſch zu fein.” Er mag nun durch feinen Einfluß,
Uns Unfange bed Julius 1797. "org
— — — —
ader durch den freien Entſchluß der Empörer fein Anſehen ger
wonnen haben, fo verdankt er es feiner Kraft. Der Verbre⸗
cher und der große Marin ſind darin einander fehr Abnlich, daß
Beide niemals gemeine Menſchen fein dürfen. Auch entfcheidet
oft ein einziger. Augenblick darüber, 'melchen Namen die Ger
ſchichte ihm beitegen fol. — Der Moment, in welchem fid) die
Kraft des Menſchen bewährt, der Augenblick des Todes, hat
über Parker ein ehrenvolles Urtheil gefprochen: er iſt mie
Standhaftigkeit und Seelengröße geftorben, Daß die rebelli⸗
ſche Flotte nicht in feindliche Haͤfen geſegelt ſei, fchrieb er fer
nem Einfluffe zu, und fein letzter Wunſch tar, daß fein Blut;
deſſen Vergießung eu für gerecht erklärte, das einzige fein möge,
welches in dieſer Sache vergoffen wurde. — Es ift ein großes
Städt für ganz Curopa, daß hier das Anfehen der Geſetze und
der hoͤchſten Macht Aber gemaffnete Unzuftiedene einen Steg
davon getragen haben; ba ein ſcheinbares oder wirkliches Ger
Kingen dieſes Unternehmens viele, die mit den Matrofen in gleis
cher Lage find, zu: ähnlicher Unternehmungen hätte verleiten
und fo ein allgemeiner militateifcher Aufſtand ſich Aber Europe
verbreiten innen. — Die Miniferlalparthei hat in beiden Hau⸗
fern die Oberhand, und iſt jegt zum Frieden geneigt, Lord
Malmesbury iſt im Begriff, zu dem-Sriedenstongreß zu Lie
abzugehn. — Keine Vittſchriften um Entfernung der Miniſter
Saufen mehr ein; Pitt hat von neuem einen Sieg davon getra⸗
‚gen, und der Grund zur Unzufriedenheit mit ihm, feine Wis
derfeglichkeit gegen den Frieden, fällt jegt weg. Auch von ben
Unruhen in Irrland ift jegt alles ſtill. — Herr Pitt Hat indeß
fein Budget in dieſein Jahre fhon zum drittenmale eröffnet,
und neue Tayen, unter andern auf Tafchenuhren und Schlag /
uhren vorgeſchlagen. Sie find mit einer Mehrheit der Stim ⸗
85
306 I. Ueberficht der merkwuͤrdigſten Staatäbegebenheiten:
—— ——
men durchgegangen, die um fo weniger auffallen darf, da Fox
und andere Mitglieder der Oppoſition das Unterhaus nicht mehr
leſuchen. Sonſt pflegte der Miniſter nur einmal im Jahre
feine Brieftafche zu eröffnen, und-eine’folche Procedur mit der
Geldtaſche der Nation vorzunehmen. ,
Im Innern Frankreichs werden die: Klagen über den Ber
fall der Finanzen. immer lauter, und das Direktorium ſendet
oft Botſchaften deshalb an die beiden. gefeßgebenden Mäthe.
Die Millionen, die noch immer aus Italien ankommen, ſchei⸗
nen wehr Palliative-als Radicalkuren zu gleichen. Dieſe iſt
dem Frieden aufbehalten, zu deſſen Schluge der ehemalige Dis
veftor. Letourneur mit mehrern Begleitern nach Lille abgereiſt
iſt, wo man nad) den neueften Nachrichten ben Lord Malmess
bury «täglich erwartete, Barthelemys Einteitg:in das Dixekto⸗
rium, der ſo ganz den Beifall der Nation Kat, verdanft.chen
dieſen gewiß die Hofinung zum Frieden, welcher der allgemeine
Bunf der Nation ift, und durch feinen Einfluß immer wahr
ſcheinlicher wird. - Das Disektorium hatte: Anſtalten zu feines
feierlichen Bewillkommung in der Hauptſtadt gemacht, er
aber vermied das Gepraͤnge eines Triumphes, zog ſtill in die
Stadt, und um ſo gewiſſer in die Herzen der Bürger ein. —
In dem Rathe der Fuͤnfhundert ift indeß ein unruhiger Auftriet
vorgefallen, den weder des Praͤſidenten Pichegruͤ's Anſehen,
noch die Bedeckung ſeines Hauptes mit dem Hute — das Zei⸗
hen, ‚daß das Vaterland in Gefahr ſei, — ſogleich zu ſtillen
vermochten. Es iſt einer Parthei gelungen, ein vorgefchlagenes
Geſetz, daß die Verwalter der Schagfammer nicht unter ‚dem
Direktorio fiehen, und demfelben ‚zur Rechenſchaft verpflichtet
fein ſollten, durchzuſetzen, aber der Rath der Alten hat es eins
mathig verworfen, Ein ayffallender Beweis für den Nutzen
Am Aufange bes Julius 1797. von
— — — — ——
der Theilung der geſetzgebenden Verfammlung in zwei Kam
mern, Die jegt Häufig in Frankreich wieder entſtehenden Clubs,
die hie und da den Namen der Cercle's angenommen haben,
verurſachen Bedentlichkeiten, und lantes Murpen gegen. Ver⸗
ſammlungen, die ſich mit politifchen Gegenſtaͤnden beſchaͤftigen
und nach der Conſtitution unterſagt find. Der Cercle conſtitu⸗
tionel, an deſſen Spitze Siehes, Taleyrand Perigord und.
andere ſtehen, die theils zu den Feuillans, theils zu den Giron⸗
diſten und Thermidorianern gehören, hat: den. Anfang ger
macht, Jacobiner und Royaliften find gefolgt, und -die Puor
vinzen ahınen das Beiſpiel der Hauptftadt nach. — · Da in⸗
deſſen dieſe neuen Clubiſten nicht im Stande ſind, das Zutrauen
welches die Nation auf das vollziehende Direktorium ſetzt, at
erſchuͤttern und an ſich zu reißen, da felpft. die geſetzgebenden
Corps durch den, Minifter des Innern auf dieſe Verſammlung
aufmerkſam gemacht find, fo läßt ſich von Ahnen: nichts beſor⸗
gen. Bet alledem aber bleibt es wahr, daß die: Rückkehr der
Armeen, und‘ der. Friede, die eigentliche Probe fein werden,
welche bie Republik, noch zu beſtehen hat. *
Der bataviſche Freiſtatt ft indeß auch-.vom preußiſchen
Hofe anerkannt, und die Rechte des mit ihm- vorwandten ora⸗
niſchen Hauſes werden alſo wahrſcheinlich ein Gegenſtand der
Sriedensunterhandlungen fein. Die Conſtitution dieſer neuen
Republik if entworfen und erwartet die Zuſtimmung der Mas
tion, die deshalb im Auguſt zu einer Berfammlung berufen iſt.
Eine große Unternehmung zur See, bie unter- dem Abmirah
Daendels ausgeführt werden foll, hat eine unhekannte Beſtim⸗
mung. Einige vermuthen, daß fie nad) dem Vorgebirge dee.
guten Hoffnung, andere daß fie nach den hanoͤveriſchen Kuͤſten
gehe. Admiral Duncan, der vor dem Terel liege, hat ſich
veshalb von London Verftärkung erbeten,
108 I. Weberficht der merkwuͤrdigſten Staatöbegebenheiten,
— — — — —
Manche Geruͤchte, die wegen der Sicherhett der Friedens⸗
praliminarien von Leoben entſtanden find, und die von einem
nahen Bruce zwiſchen Deftreich und Frankreich fprechen, find
indes aufgeklärt. Die Räftungen und Verſchanzungen an mehr
reren Orten, waren auf Befehle von Mienfchen gegründet,
deren Gewinn theurer war) als die Hoffnungen einer feufzens
den Welt. Jetzt zweifelt niemand mehe an einem nähen Fries
den; aber jeder; ber die Art dieſes Krieges, feine Ausbreitung,
and die mannichfachen Colliſionen des Intereſſes der verfchieber
nen Mächte kennt, erwartet ihn eben fo fpät, als zuverſichtlich
und feftgegeändet. Ein Friede, der das politiſche Gleichgewicht
von Europa neu begründet, der mehreren Staaten eine neue
Egiftenz, andern ein verfhledenes Verhäftniß ihrer Macht und
ihres Einfluffes: giebt / kann inur'das Reſakat eines langen
Nachdenkens ſein, wenn er von langer glücklicher Dauer ſein ſoll.
Dannemark · hat indeß einen ſehr großen Verluſt erlitten.
Am 24ften Jullus ſtarb Andreas Petrus Graf von Vernſtorf.
— Durch alle Stürme, die Europa erſchuͤtterten, hatte feine
Weisheit den Staat , deffen Leitung ihm anvertraut war, gluͤck⸗
lich hindurchgefuͤhrt/ Den Frieden, der andern Völkern erft
gegeben werben foll, hatte Dännemärk, fe lange er forgte,
immer genoffen. Er ſtarb zu einer Zeit, wo ihm felbft feine
Thaͤtigkeit nicht mehr nothwendig ſchien, indem bie Gefahr,
die er beftehen konnte, vorüber gegangen war. — Sein Ans
denken wird einem Wolke heilig fein, welches‘ ihm das hoͤchſte
Städt verdankt, deſſen ein Volk theilhaftig werden kann, den
Belieben, während andere Nationen aus tiefen Wunden Blutes
wen, und ihrem Untergange fich naheten.
Berlin, den 10, Zufins 1797,
rer
Nachſchrift der Redaktoren. 209
Nachſchrift der Redaktoren
Cals Antwort auf bie am fie gerichtete Anfrage in No. 142,
des Reiches Anjeigers.)
Die vorſtehenden Biatter waren ſchon in die Druckerei
gefandt, als den Redaktoren des Archivs die im 143ften
Stück des Reichs » Anzeigers enthaltene Anfrage an fie, zu
Geſicht kam. Der Einfender derſelben wird bemerken, daß
“fe mit Ihm in der Hauptſache ganz einverfianden find,
und es früher waren, als fein Wunſch ihnen befannt ward. — ⸗
Bon feiner Yumanität dürfen fie aber auch erwarten, daß
er es ihnen nicht verargen werde, wenn fie die Stimme eines
Einzelnen als die Stimme eines Einzelnen betrachten. Sie
Haben die Erfahrung gemacht, daß ein nicht unbetraͤchtlicher
Theil ihrer Leſer den Weberblid der Staatsbegebenheiten „ ob⸗
wohl er feiner Natur nah nur aus den Tageblättern zus
fammengereit fein kann, ber Ordnung wegen, in wel⸗
her die einzelnen Vorfälle wje zu einem Ganzen zufammens
geſtellt find, ſehr germ gelefen habe. Diefen, — und waren
es auch nur zwei unter zwanzig, — glauben die Redaktoren
Wort Halten zu möffen, und beforgen daher nicht, daß die
übrigen ihnen daraus einen Vorwurf machen werden, da —
wie die obigen Zeilen befagen, — künftig diefer Artikel nur
wenige Seiten einnehmen dürfte. — So fehr fie nach dem
Lobe der Leſenswuͤrdigkeit ſtreben, welches der Einſender ihnen
110 Nachſchrift der Redaktoren.
ſo wohlwollend als freigebig beilegt, ſo ungern moͤgten ſie auf⸗
hoͤren, den Theilnehmern der Zeitſchrift das zu ſein, was ſie
ihnen zu werden verfprachen, um fo mehr, da unvorhergefehene
Verhaͤltniſſe und mancherlei Hinderungen ſie abhielten, es ſo
zu fein, wie fie es wuͤnſchten.
Bas den Nachſatz jener Anfrage betrift, fo erflären die
Redaktoren, daß fie einen Namen, der die Ehre Deutſchlands
iſt, immer für eine Zierde und den Stolz ihrer Zeitſchrift Halten
werden. Berlin, den 14ten Jullus 1797,
2. Bemerkungen s
— — — — —
u.
Bemerkunqen Über die erften Kriege der Roͤmer im
Deutſchland und ihren Einfluß auf die Deutſchen.
“
r
& iſt ein ganz eignes Gefühl, womit ich die beiden entgegen⸗
gefegten Eulturgrade mancher Völker, ihre Rohheit und ihre
fogenannte Verfeinerung, betrachte. Es hebt die Seele gewal⸗
tig, wenn man fo die ewige Wahrheit des Aus ſpruchs eines
unſrer erſten Dichter beſtaͤtigt ſieht:
— - über vieles Tann °
Der Menſch zum Herrn fich machen, feinen Sinn
Berwinget kaum die Noth und Iange Zeit.
Nichts lehrt den Menfchen fo fer feine Kraft ,. feine Freiheit,
als diefe Anfiche der Gefchichte feines Geſchlechts. Er kann ſich
erheben, felbft um jähen Sturz zu erwarten, Wege wandeln,
die ihn felöft in unaufdsliche Labyrinthe führen. Was wir koͤn⸗
nen zelgt uns die Geſchichte der Menfchheit, was wir follen
lehret us eine gefunde Philofophie. Eben darum wird.jenes
erhabene Gefühl fo oft von wehmäthigen Empfindungen geſtoͤrt,
je mehr wir fehen, daß diefe Selbftehätigkeit der Menichheit
oft fo fehr von dem Ziele abwich, wonach fie ſtreben follte;
‚gemeiniglich auf der gepriefenften Stuffe der Cultur am meiften.
Wenn man’s bei Lichte beſieht, fo taufchten die kultlvirteſten
Voͤlker die Vollkommenheit ihres theoretifchen Vermögens nur
gegen den Verluft der Reinheit und Gute ihres praftifchen ein
— ein gewiß nicht ſehr wuͤnſchenswerther Tauſch, wenn er
12 1. Bemerkungen
— — — — —
ewig guͤltig ſeyn ſollte. Aber er iſt nur temporell: nur durch
ihn koͤnnen wir unſer beſtimmtes feſtes Gut erlangen; unfern
Willen konnte dunkles Gefühl und der Augenblick gut lenken,
unſern Verftand hingegen kann nur die Zeit bilden, und nur
die Bildung des legtern uns zu der Stuffe führen, wo Güte
und Volltommenheit des erftern für uns als Menfchen morali⸗
ſchen Werth erhält,
Dies muß den Menfchenfreund tröften, ber es mit Bw
dauern fieht, wenn gute harmloſe Völker mit Gewalt zu
einer Cultur hingeriſſen werden, welche mit Känften und Wiſ⸗
ſenſchaften ihnen auch Luxus und Liſt und Falſchheit bringt,
der ſchon im voraus die unſchuldigen Pelewaner bedauert, daß
ſich ihnen europaͤiſche Verfeinerung ſelbſt nur zeigte. ‚Auch die
Biedern unter uns Deutfchen berubige es, wenn fie die alten
Tugenden ihres Volks immer mehr ſchwinden und in den engen
Kreis weniger unverdorbener Menfchen zuruͤckweichen ſehn.
Wir wandeln den Weg, welchen jedes Volt wandein muß, um
das Ganze zum Ziele der Vollkommenheit zu bringen: — laſ⸗
fen wir uns ruhig ihn fortwandeln! Der Genius der Menſch⸗
Gele ſchwebet über uns, gewaltfame Störung feines fanften
Flugs Haffet und ſtrafet er ſtreng; zu feiner Zeit wird er ſich in
Höherm Schwunge erheben, dann muͤſſen wir folgen — aber
voreilen läßt er ſich nicht!
Den. Starken und ben Verweſern ber Menſchheit iſt dieſe
Lehre auf viele Weiſe beruhigend und erfreulichz aber dem
Volke .bleibe fie ein Geheimniß. Was jenen Much und Stärfe
einflößt, wuͤrde diefes laͤſig machen, mas jene erhebt, biefes
niederdruͤcken und erſchlaffen. Das Ende liegt Immer im Ans
fange, und wie der einzelne Menſch in der Stunde der. Geburt
fo ausſieht , wie in.der Stunde des Todes, p ift der erſte Zus
fand
über die erfien Kriege der Roͤmer. 13
ee — — —
fand der Menſchheit ein Bild von dem, was fie bei Ihrer Voll⸗
endung ſeyn wird. Nicht zu oft kann man daher ein natürlich
güres Volt an feine, erfte ungebildete Lage erinnern; fie iſt ihm
Sin Bild von dem; was es zum Theil wieder werden fol. —
Auf den Infeln der Seeligen fanden die Griechen Saturnus
goldnes Zeitalter wieder. Aber man rufe ihm jenes Bild dess
wegen nur zuruͤck, um wehmuͤthige Gefühle in ihm zu erregen.
Dann kann es ihm eiti Leitſtern ſeyn dürch die dunkeln Labyr
rinthe, die es wandeln muß, und um ſo ſichrer wird es zu einer
hoͤhern ünd wuͤrdigern Unſchuld und Reinheit zuruckkehren.
uns Deutſchen iſt es nicht verſtattet, unſer Volt bis zw
feinem Uefprunge zu verfolgen; und in feiner erften natürlichen
Geſtalt zu entdecken. Nur da kennen wir es, wo es, vielleicht
nach mander Modification und Veränderung, den. erften
Schritt ju eigentlicher Cultur nicht wagt, fondern — wie eg
bei allen Völkern zu gefchehen pflegt — dazu geleitet wird;
kennen es auch nicht einmal durch fich felbft, ſondern durch ans
dre. Und werin die neidiſche Zeit üns, Auch nur die Berichte
diefer ganz gelaſſen haͤtte Aber fo gluͤclich waren wir nicht.
Nur aus Thatſachen, die uns einige fragmentariſche Erzähluns
gen dunkel aufbehalten haben, mäffen wir auf den Zuſtand uns
ders Volks, fhliegen, und daraus Folgerungen ziehen, auf
welche Art fein erfter Uebergang zur Eultur geſchah, und wie
dazu dei Grund gelegt wurde. Dennod) ift alles diefes Immer
nech intereffant genug: es entdeckt ſich fo manche liebenswuͤr ⸗
dige Elgenſchaft des biedern guten Volkes, daß gewiß viele ſich
wunſchen mögen, die Modefehler, welche die Cultur uns mit /
brachte, gegen die Tugenden eintauſchen zu koͤnnen, welche ein
einfacher, natdelicher Zuftand unfern Vorältern ſchenkte
Schon was her-größte- Theil der Mplichen Völker Europens
Diterss Sahıg. atet Band. H
114 1. Bemerkungen
den Römern bekannt und hatte zum Theil Kuͤnſte von ihnen ger
lernt, als Deutſchland nur ein wenig aus feiner Vergeſſenheit
Hervorfam. Deutfche Völker fahen die Römer zwar ſchon dreißig
bis vierzig Jahre eher in Stalien ſelbſt, als Caſat ihr Land gleich
ſam entdeckte, wie eine neue Welt, welche die Neugierde der
Nömer eben fo fehr ertegen mußte, als die Entdeckung ferner
Welttheile die unfrige. Aber welch ein Land fanden fie in tymt
— Ein haͤßliches ungeftaltetes, feinem "angenehm, als deſſen
Vaterland es war, oder der aus noch noͤrdlichern Gegenden,
dahin kam, Rauh und Falt war fein Klima, ſechs Monate
dauerte der Winter, und nod) flarrte die Erde von Eis und
Schnee, wenn andern Ländern ſchon holder Frühling lächelte,
Die Witterung war abwechſelnd, die Rufe truͤbe und voll neb⸗
lichter Duͤnſte. Wüthende Stürme braußten vom Nordmeer
her, und wilde Fluthen drangen aus übertretenden Fluͤſſen und
Seen imaufhaltbar in das Land hinein. Eben fo war der Bo⸗
den, rauß, unwegſam, unbebaut, voll ſtehender Seen, Suͤm⸗
pfe und Moräfte. Reiſſende Fluͤſſe durchſtroͤmten In ungewiſſen
Betten das Land, und undutchdtingliche Waldungen bedeckten
geößtentheils feine Oberfläche. Waldige Berge hoben ihr mar
jeſtaͤtiſches Haupt hoc) in Nebelwolken empor, ehemals mahr⸗
ſcheinlich Vulkane, nachher Wohnungen des Wildes und maͤch⸗
tiger Völker. Stiefmätterlich Hatte die Natur für die Befrie⸗
digung ihrer Bedarfniſſe geſorgt. Karg in dem, was ihnen
leichte Nahrung verſchaffen konnte, gab ſie ihnen ein Product,
deſſen völligen Gebrauch ihr harter Körper größtenteils unnoͤthig
machte. Alle Arten von Holz trug das Land, welche nördliche
Landet nur hervorbringen Fönnen, Hohe Eichen, Birken, Buchen
und Nadelhälzer. Erſtaunen muß man über die Größe der Wal⸗
dungeh, welche einſt unfer Vaterland bekleideten — ber lange
über die erfien Kriege der Roͤmer. 115
Harzwald (Alva Hereinis), welcher ſich, fehzig Tagereifen
Yang und neun breit, von den Graͤnzen Franfens an bis weit
Ins Land der Sarmater erſtreckte; der Gabreta oder Thuͤringer⸗
Wald; der Mondsivalb zwiſchen Mähren, Pohlen und Uns
‚gar, der Heferivald, der Ardennenwald, der Teutoburger
und andre, welche uns noch jetzt, obwohl um einen guten Theil
einer ‚ein ſchwaches Bild vom ehemaligen Zuſtand unſers
Vaterlandes geben Obſt hatte unfer Germanien wenig, nur
wilde Aepfel, Birnen und Schlehen; es kannte nicht die Guͤ⸗
ter des Herbſtes; nur drei Jahreszeiten wären ihm bekaunt.
Von Getraide waren die meiften jeßt befannten Arten da, aber
nur mähfame Bearbeitung, die den Weibern überlaffen war,
vbrachte es aus der Erde hervor. Wilder Spargel, Paſtinat⸗
wurzeln und Rettige waren feine elnzigen Kauͤchengewaͤchſe.
Doch werden feine treflichen Weideplaͤtze ſelbſi von den Roͤmern
‘gerät. Dieſe gaben den Rindern des Deutſchen, feinen
Schafen und Ziegen, Hinlängliches Futter; die Wälder dienten
den Wölfen, Bären, Auerochfen, Luchſen, Elend: und Renn⸗
thleren zum Aufenthalt. Vom Geflügel gab es Gänfe, deren
Federn ſelbſt Roͤmer kaunten, und alle Arten Sumpf. und
Waſſervdgel., Fluſſe und Seen wimmelten von Fiſchen; ſchon
Hatte der Rhein feine Lachfe und die Wefer ihre Störe, einen
Eifh, den der Roͤmer für Leckerbiffen achtete. Die Biene war
den Deutfchen ein fehr nuͤtzliches Inſect, und ihren Honig
kannten nicht bloß Bären. Die Mineralien, welche Deutſch⸗
land hatte, wurden von feinem Bewohner nicht gefucht; denn
zufrieden mit dem, was die Natur ihm ohne Kunft gab, bes °
fümmerte er fi nicht um fie, ließ ruhig das Salz in den
Flöffen und das Erz in den Eingemeiden der Erde, bis er von
Römern anders denken und Handeln lernte, Nur ein Theil der
. 92
116 - 1. Bemerkungen
Bewohner des ditlihen Deutihlands, die Gothini, gruben
Eifen — doch auch nicht aus eignem Triebe: es waren Her⸗
rendienſte, die fie den Sarmaten leiſteten. Alle fuchten fo we⸗
nig Gold und Silber, als die Lemovier und Heruler den
Bernſtein ſchaͤtzten, der an ihren Küften war und welchen fle
zur / Zeuerung brauchten.
Wie fehr ſticht dies Bild unfers Vaterlandes gegen felnert
jetigen Zuftand ab, und mie wenig würde es den, meiften von
uns in jenen rauhen Wohnfigen unſerer Vaͤter behagen; wie
wenige warden ſich mit den ſparſamen Gaben begnügen, welche
jenen die Narur zur Befriedigung ihrer beſcheldnen Wuͤnſche
gewährte! Und dod gründete jih auf diefen Boden, auf
diefe Befchaffenheit des Landes die ganze bewunderte Tugend,
Dicderkeit, Tapferkeit unferer Vorfahren; ſo wie von ſeiner
Veränderung alle Vermehrung feiner Producte, alle Umfors
mung der Sitten und Denkungsart, alle Cultur feiner Bewoh⸗
ner abhängt. Dieje haben wir den Römern zu daten; ünd
wenn wir gleich hierin etwas unpatriotiſch denken, fo muͤſſen
wir doch die Feinde unſrer Väter als Begründer unferer gan⸗
sen jetzigen Eultur anerfennen. Wer teleologifhe Raiſonne⸗
"ments liebt, wird hier reichlihen Stoff finden, den Nutzen
der Kriege und die weile Einrichtung der Dinge auch durch dies
Beispiel zu vindieiren. Wir bewundern den geheimnißvollen
Plan des Genius der Menfchheit, welcher durch ein Volk, dem
Sinkeu jeines Flors nahe, ihm unbewußt ein anderes, völlig
nod im D Dunkel begtabenes, vorbereiten läßt, die Geiſtesbil⸗
bung einjt wieder in Empfang zu nehmen, die bei ihm ſelbſt
bald erlöjchen wird; welcher duch unwichtig ſcheinende Dinge
ſelbſt auf ſpaͤtere Zeiten ſich ein Volk zubereitet, welches das
Beuer bewahrt, woran er, wäre es auch nur uf kurze Zeit,
einft feine Fackel wieder anzunden kann.
über die erſten Kriege der Römer. 27
Seit dem Negierungsantritt Augufts, führten vie Römer
Über ein halbes Jahrhundert hindurch beftändig Kriege mit uns
fern Vorältern, anfangs, wie ein großer roͤmiſcher Gefhichts
ſchreiber ausdruͤcklich fagt, um Deutſchland zu erobern, nach⸗
her um die varianiſche Niederlage zu rähen. Mag Auguſt
nad) der Meinung des Herrn Mannert, den Beſitz von
Gallien für unſicher gehalten haben, wenn er nicht Deutſch⸗
land dugleich bezwaͤnge; oder moͤgen dieſe Kriege aus andern
urſachen entſprungen ſeyn, genug, von feiner Regierung bis
ans Ende dee Regierung Tibers wurden immer unermeßs
liche Heere in Deutſchland unterhalten. Die Macht womit,
Drüfus der Ältere zuerft den Weg bahnte war ungeheuer.
Tiberius erhielt zur Bekriegung des Marobodius 12 Legionen;
das Heer weldes Varus befehligte, betrug 6ooos Mann, als
Germanicus das Commando übernahın, ſtanden 8 Legionen
am Rhein, welche mehrinals bei feinen Feldzuͤgen verſtaͤrkt
wurden, die kleinen Diviſionen und Corps ungerechnet. Wer
die Art kultivirter und roher Poͤlker Krieg zu führen mit eins
ander vergleicht, wer den Zug eines roͤmiſchen Heeres kennt,
wird feicht die Schwierigkeiten einſehn, weiche dieſe Armeen
bei jedem Schritt den fie machten, fanden. Den Deutfchen
waren diefe Schwierigkeiten nichts: Re waren ihrer gewohnt;
ſchon hundert Sahre vorher machten fid ihre Vorältern ‚die
Teutonen, ein Spiel daraus, die hohen Alpen zu erfleigen,
und auf ihren Schilden die furchtbaren Gletſcher herunterzus '
gleiten.- Dies war ſelbſt Römern ein unglaubliches fuͤrchter⸗
liches Schauſpiel. Wie viel mehr mußten ihnen die unge⸗
wohnten Hinderniſſe, die ihnen in einem fremden Lande die
Natur in den Weg legte beſchwerlich ſeyn. Nur um einen
duß ſi ſicher auf deuiſchen Boden fegen zu koͤnnen, waren viele
93
18 H. Bemerkungen
Anftalten nöthig. Es mußten undurchdringliche Wälder ger,
Öffnet, Wege geebnet, Suͤmpfe und Moraͤſte ausgefüfkt,
Bruͤcken gebaut, Daͤmme über Moorland und gegen reiſ⸗
ſende Stroͤme angelegt — und eine Muͤhe angewandt werden,
welche das ganze Land damals nicht werth war. Aber Roͤmer⸗
Habſucht und Roͤmer Herſchbegierde uͤberwand fie ale. Deu,
füs Germanikus, jener von den Deutichen fo geſchaͤtzte ala,
gefücchtete Feldherr, ließ zur. Vorbereitung auf feine Feldzuͤge
den Rhein in ein ander Bett leiten, die beräßmte folla dıu-
Sana, die den Rhein mit der Yſſel verband, theils um das
Sumpfmwaffer abzuleiten, theile um ſich einen leichtern Meg
durch die Nordſee und die Muͤndungen der Ems und Wefer
ins Innre des Landes; zu verſchaffen. Sollte eben dieſer einen,
Po Eühnen Zug, über zo Meilen weit in ein unbetanntes Land,
bis in Thüringen unternommen haben, ohne einen großen
Theil Waldung niederzuhauen und viele Suͤmpft auszufüllen d
Sein Bruder Tiberius ließ a. 758. 4. u, & um den Maropos
dius, König der Marcomannen befriegen zu Eönnen, duch,
feinen Unterfelderen Sentius Saturninug. den ungeheuern
Harzwald durchhauen. So hieb der jüngere, Germanikus bei
feinem erſten Zuge gegen die Marfer a. 761. a. u, c. den He⸗
ſerwald im Cleviſchen durch; durch den Cacina ließ er, als er
das varlaniſche Schlachtfeld beſuchen wollte, die großen
Suͤmpfe ausfuͤllen, welche dahin fuͤhrten, und das Ungluͤck
des Varus befdrdert hatten. L. Domitlus Aenobarbus legte
im heutigen Osnabruͤckiſchen und Lingenſchen einen großen
Damm, die pantes longos an, um die Moorgegenden gang ⸗
bar zu machen. Drufus legte Bruͤcken über die Lippe und,
wahrſcheinlich auch über die Wefer, Germanifus über die
Ems an; bei Weſel und wahrſcheinlich bei goͤln und Mayny
üser die erfien Kriege ber Römer. 29
— ⸗ñ w ——
siengen Bruͤcken Aber den Rhein. Lagen num vollends bie
Armeen fill, wollten ſie ſich trockne und bequeme Winterquars
tiere verfhaffen, fe mußten ie eben ſolche Maagregelu ans
wenden; fie brauchten Holz zum Basen und zur Feuerung,
und auch dadurch mag ein guter Theil Holzung weggeräumt
fern. Auch damic fie beſchaſtigt wären und nicht erfchlafften
oder Unruhen anfingen, wie fie damals bei den Armeen ſehr
> gewöhnlich waren, gaben ihnen ihre Zeldheren ſolche Beſchaͤf⸗
tigungen auf. Gin wichtiges Beifpiel davon giebt uns Cor⸗
bulo, welcher unter Claudius a, go0. a. u. c. auf biefe Art
einen Kanal von 23000 Schritt zwifhen ber Maas und dem
Rhein ziehen ließ, um das plögliche Austreten des Meeres das
durch uuſchaͤdlicher zu machen, (qua incerta oceani veta ,
zentur,) und der Legat Curtius Rufus, weicher ins Bande der
Mattiaker, eines cattifchen Volkerſtammes, außer andern
Arbeiten, feine Legionen mit Graben der Erde und Anlegung
von Eanälen befchäftigte,
So geringfügig und momentan der Einfluß biefer Thatfar
chen, welche nur dienen follen, um auf wichtigere eben der Art,
Pie wir nicht fo-befimme wiſſen, gu fließen, manchem fcheis-
nen mag, fo folgenreid, find fie für unfer Deutſchland geweſen.
Der wird dies leicht einſehn, welcher die Art weiß, wie durch
Beſchaffenheit des Bodens das Clima, und durch diefe Landes⸗
produßte, Sitten und Charakter der Cinwohner beftimmt wers
en, Woher ſouſt der große Unterſchied mancher Länder, Die
doch gleiche Lage miteinander Haben? Ich müßte fein Clima,
das mit dem ehemaligen unfers Baterlands gräßre Aehnlichkeit
Hätte, alg das sanadifche. Und doc} ift heutzutage bie große
Verſchiedenheit zwiſchen beiden, daß biefes kalt und feucht, je
es hingegen trocken ift, Aber bort ſtehen auch noch die großen
94
128 U. Bemerfunger
Seen und Duͤmpfe, welche. die truͤbe Luft hervorbringen; in
Deutfchland wurde ſchon früh der Anfang gemacht, ihnen ih⸗
ven Einfluß zu benehmen. Beides, die Austtocknung der
Sumofe und das Niederhauen der Waldungen konnte nur das
rauhe meblichte Clima deffelben mildern, und die Natur aug
einer frengen zu einer gütigen Mutter machen. Es iſt eine fo
gegründete. als durch viele Erfahrungen peftätigte Bemerkung/
daß durch viele Wälder die Luft eines Landes feucht, durch
Mangel daran. hingegen troden wird, Durch das Umhauen
der Bäume auf einigen Injeln hat man fie trockner gemacht,
ſelbſt als ihnen dienlich war. So war es aud) mit unferm Bas
terlande der Fall, ehe die Römer es kannten. Die fenchten
Danſte der Sümpfe wurden durch die vielen und dichten
Waldungen angezogen und zufammergedrängt, und da des
Soune die Kraft genommen war, fie zu ‚zertheilen, fo brach ⸗
„ten fie Das truͤbe regnichte Klima hervor. Als jene wenigſtens
großentheils getrocknet, dieſe ausgehauen waren, da hellte.deg
Himmel ih auf, die Stürme ließen nach fobald der Luftzug
freier wurde, pie Sonne zeigte eher und häufiger ihre belebenden
Strahlen, und machte das Land zur Hetvorbringung neuer
Fruͤchte geſchidter. Die römifchen Soldaten, denen doch gewiß
wenig zugefahren werden konute, mußten das Land bearbeiten,
fäen und pflanzen, um fi erhalten zu koͤnnen. Won ihnen;
auch von Gefangenen, oder von eingeiwanderten Römern , des
ven ſich bei der Eroberung der Hauptftadt des Marobodins ſehr
viele fanden, lernten es die Deutihen, und das Land, wel
ches .fie jezt auch düngen lernten, entfprach reichlicher und wil /
figer ihrer obwohl geringern "Mühe. Manche Getraideatt, aly
Widen, Erbfen; mandes Gartengewaͤchs, als Sellerp;
Vorrẽ, Zwiebeln und viele andere Dinge, deren Namen ſelbſſ
über die erflen Kriege ber Römer. nr
—— ññe ñ —ñ —
rmiſchen Urſprung anzeigen, kamen jetzt allmaͤhlich nady
Deutſchland. Die Römer brachten den Deutſchen Obſt, lehr⸗
gen es pflanzen und warten, lehrten fie den Wein bauen; denn
ſchon beinah dreihundert Jahre vorher, ehe der Kaifer Aurer
fius Probus am Rhein und ber Mofel Weinftöde pflanzte,
waren Weinberge an ben Ufern der Donau, wo die Deutſchen
fich and) ſchon mehr durch den Umgang mit Romern an Bil⸗
dung und Bequemilichteiten bes Lebens gewoͤhnt hatten. Mit
Ausrottung der Wälder verloren ſich die wilden Thiere, und
zogen fi in die nördlichen und oͤſtlichen Wälder Böhmens;
Polens, Preußens und Rußlands zuruͤck; denn theils fanden
fie feinen Aufenthalt mehr in den vorderh Ländern, theils ftell?
gen ihnen die Römer zu viel nach, die Ihre Pelze gut zu nungen
pußten Das zahme Vieh aber wurde durch andre Arteid
verbeſſert; die Rheinbewohner, Uſipier und Tencterer, welche
Caſar ſchon kannte, lernten die Pferdezucht, "und 'theilten fie
den übrigen mit; fie lernten die Bienen warten, und ließen fie
nun nicht mehr ihren Honig den hohlen Bäumen anvertrauen,
fondern von Römern unterrichtet, welche hymettiſchen Honig
und Honig vom Hybla fo fehr fehägten, lernten fie ihn erhal⸗
sen, um ihr Meth- damit zu verfügen, ohne ihn mit Gefahr
und Mühe in Wäldern auffuchen zu dürfen. Jetzt lernten die
Deutſchen die gefährlihen Güter ihres Landes kennen; Site
"perminen legte der Legat Curtius Rufus anno gı2 im Sande
ber Catten an; eben dafelöft waren warme Bäder, um welche
die Deutſchen vorher ſich wohl wenig mogten gekuͤmmert haben,
die Plinius der ‘ältere fogar fennt. Jetzt konnte eine Saly
Quelle, wahrfcheinlih die Saale In Franken, zwiſchen den
Hermunduren und Catten einen blutigen Krieg erregen. Cie
fahen dieſen Ort als vorzüglich Heilig an, weil fie'pier leichtel
Ds
133 I, Semerfungen
das erhalten kannten, mas anderwärts, wie fie vielleicht von
Kömern gehört hatten, nur durch die Sonne nom Meerwaffer
ausgekocht wurde. Ihr Verfahren beim Auskochen des Salzes
mar fehr einfach, denn fie ließen das Waſſer bloß über brenz
nende Holzſcheite laufen, ohne amf yieles Laͤutern deſſelben
bedacht au ſeyn.
Allmaͤhlig wirkte alles dieſes num weiter und breitete ſich
von ben Örenzländern ins Innere des gandes aus. Doch dieſe
Brundlegung zur Cultur ift auch faft der einzige dauernde
Einfluß (denm die Bildung der Sprache dann ich hier nicht
tpeitläuftig ausführen) welchen die, Kriege der Römer auf den
Theil Deutſchlands Hatten, welcher ihnen bekannt geworden
war, wiewohl dureh fie das fehwerfte Hindermiß gehohen, und,
qu allem folgenden der Weg gebahnt war. Es if eine leicht in
die Augen ſpringende Bemerkung bei der Kulturgeſchlchte uns
fers Bolteg, daß es nach einzelnen großen Culturepochen nicht
fo ſtarke Fortfchritte gemacht Hat, als es hätte machen können,
und, wie nach einer graßen Anftrengung, qusruhte. Wären,
die Deutſchen eine Nazion, fp wuͤrde dies nie der Fall geweſen
ſeyn; das Ausgehn van einem, und-das Hinwirken zu eig
" nemäwed wuͤrde jedesmal harmoniſcher die Strahlen der Auf:
tlärung vertheilt, und das Ganze in gleichmäßigerm Aufſtel⸗
„gen erhalten haben. Auch beim erften Schritt unfers Volks zu
weitrer Fortbildung finden mie diefe Wahrnehmung beftätigt,
Es wird mie einem Male erweckt, und dann fhlummert es in
einem fort einen Zeitraum won fiebenhundert Jahren Bin,
ohne dag man ſehr merflihe Veränderungen in ihm ſpurt. Die
naͤchſte Urſach davon war, daB die Nömer ſich nicht lange
genug im Lande hielten, und mit einigen Völkern fo ſehr alle
Gemeinſchaft aufpoben, daß ohne Soldatnwache Keiner die
Aber die grfien Kriege ber Roͤmer. u
gezogenen Gränzen überfhreiten durfte, Was ihre Macht
nicht ausrichten konnte, ſollte ihre Politik thun. Sie fahen
voraus, dab Ruhe und Einigkeit im Innern von Deutſchland
vicht lange dauern wuͤrde. Eg loͤſten ſich jetzt die großen Ver⸗
ejnigungen des cheruskiſchen ynp markomanniſchen Vundes auf,
und ſtatt der Einigkeit; welche der Krieg erhalten hatte, kam
Trennung, welche der Friede hervorbrachte. So war dag
gereinzelte Volk, dem noch Kräfte fehlten, um ſich ſelbſt am,
tilden, fih ganz Aberlaffen, und blieb da ſtehen, mo es bie
Bömer gelaffen hatten, Dazu kamen die Kriege der kleinen
Stämme untereingnder, oft auf Anſtiften der Roͤmer ſelbſt er⸗
tegt, und vornehmlich der Umſtand, daß fie nicht mit andern
sieilifirten Völkern, fondern vielmehr mit nad rohern Be⸗
kanntſchaft machen konnten; denn die Hunnen, Gothen u. a...
welche im vierten und folgendem Jahrhunderte Deutſchland übers,
ſchwemmten, trugen wahrlich picht dazu bei, Ihm einen neuen
Antrieb zur weltern Kultur zu geben. Aber quf die Folgezeit
mar doch Immer vorgearbeifet. So laͤßt ſich Immer mit vieler
Wahrſcheinlichteit behaupten, daß durch jeues alles.der Grund,
au größerer Bevoͤlkerung gelegt it. Denn theils war bas Land,
geſchickter gemacht, mehrere zu ernähren; theils hatten die
Deutſchen mehreres Eennen gelernt, wodurch fie, ohne aus⸗
wandern zu dürfen, ſich erhalten konnten; theils lernten ſie,
die vorher fo ausgedehnt wohnten, yon den Romern, indem
blos Germanikus am Mhein über. funfzig Städte anlegte,
ſich in Städten zuſammen zu ziehn; und was auch immer die,
foͤmiſchen Kriege mogten für Dienfhen hingerafft haben, fa
war djes durch die Fruchtbarkeit deutſcher Mütter hald erſetzt.
Und in per That finden mir die ſpaͤtern Mationen, Alemannen,
@uaden, Surgundionen gar nit ſchwoch . Dir lehtern err
124: 1. Bemerkungen
B -
ſchienen einft achtzigtauſend Mann fait, und nur ein Stamm
der erftern konnte vierzigtäufend Krieger Ins Feld fteilen. Ser
doch hatte das Volk nicht genug Ruhe, als daß diefe Wirkung
follte allgemein gewefen feyn, und die Mifchung der Völker‘
biefer Zeiten war zu groß, als daß man fie allein aus jener
Urſach Herleiten tdnnte.
Dean würde bie Veränderung des Sitzes der Volterſchaf⸗
ten als eine gar nicht unbedeutende Wirkung der romiſchen
Kriege angeben können, wenn die Umfände ihre Sicherheie
nund Dauer zugeläffen hätten. Es iſt wahr, mander Stamm
veränderte feine Sitze. Theils zogen fle fich weiter ins Land
zaruͤck, theils nahmen ſie die von den Römern verlaffenen Plaͤtze
ein, vorzüglich nad) der Niederlage des Varus; theils wurden’
manche aus politifhen Gründen von pen Roͤmern ſelbſt vers
feat. Die Spgambern wohnten zwiſchen dem Rhein und der
Kippe. Auguſt vexſetzte vjerzigmuſend derfelben ans jenſeitige
Ufer zwiſchen der Naas und dem RKhein, und fie hießen jetzt
Gagerner. Das von ihten verlaſſene Land beſetzten die Roͤ⸗
mer, bis nach der varianiſchen Niederlage plöglic) ein ganz uns
Befanntes Volk fi) dort eindringt, und unter dem Namen:
Marfer erſcheint. Nachher zogen fie ſich wieder ins innere
Land zurdet, "und ihre Wohnungen nahmen die Tencterer ein,
Die Ubier wohnten am rechten Ufer des Rhein und Mayr,
Als aber die Sueven fie drängten, nahm Auguft fie anno 717
jenfeit des Rheins auf, wo’ fie, weil dies unter dem Eonfular
des Vipſanius Agrippa geſchah, den Namen Agtippinenſer er⸗
hielten. Agrippina, Claudius dritte Gemalin, führte anno 50
P. C. n. eine’ Kolonie dahin, melde den Namen Colonia
Agrippina erhielt, und aus welcher Kolln entſtand. Tiberius
etrichtete von.den Marcomannen, welche mit dem Marobodeus
über die erfien Kriege der Roͤmer. 125
und Catualda über die Donau gegangen waren, ein befonders
fleines Königreich zwiſchen den Fluͤſſen Mares und Cuſus, jetzt
Morava und Gran in Oberungern. Ja, man kann faſt fagen,
daß Erin Volk in ſeinen Sitzen blieb. Allein wozu nuͤtzte es?
Sie ſchmolzen ſich alle Augeublick um, und endlich verſchlang
ſie der große Voͤlkerſtrom, der von Oſten hereinbrach.
So ging es mit allem übrigen, was die Kriege der Nie
mer unmittelbar in Deutſchland fliften Eonnten. Die Religion
änderte ſich jo wenig, daß man felbft lange nachher noch Mens
ſchenopfer bei den Sachſen und zu Tacitus Zeiten bei den Sen⸗
nonen autrifft. Cs hätte ſich ſehr vieles in rellgibſer und poll⸗
tiſcher Hinſicht aͤndern koͤnnen. Arminius war lange in Rom
geweſen und ſelbſt roͤmiſcher Ritter, ſo auch ſein Bruder Fla⸗
vius, deſſen Sohn Italicus a; 800, ſelbſt nach Deutſchlaud
geſchickt, und den Cheruskern zum Koͤnig gegeben wurde, und
eiue große Anzahl waren in roͤmiſchen Dienſten. Schon Sem _
tius Satorinius und noch mehr Varus gewoͤhnten die Deuts
ſchen an roͤmiſche Jurisdiction, und fhon brachten fie ihre
Streitigkeiten häufig vor das Tribunal des Praͤtors. Die
Unvorfihtigkeit und Ueberellung des letztern und die darauf
erfolgte allmählige Abionderung der Nömer vereitelte alles
wieder. Nur in den Graͤnzlaͤndern, die mit den Roͤmern ges
nauern Umgang hatten, wirkte alles ftärfer und daurender.
Di ſe nahmen roͤmiſche Gerichtspflege an, fie fingen ati, ſtatt
Wied und Früchte Gelvabgaben zu entrichten, bei ihnen ſtiegen
nach römilcher Sitte, Freigelaffne oft Über Freie empor, Ihre
Sürften bedurften roͤmiſcher Beftätigung.
So behielten fie allein dag meifte. Gute und Schlechte was
bie Römer ihnen bringen konnten; das Legre nur drang in
nicht geringem Maaße auch zu den übrigen durch. Geld,
126 M. Bemerkungen
rdmiſches Geld und mit ihm all fein ſchlimmes Gefolge brand
iu allen Hin. Als die Waffen Nichts mehr Heffen wollten, da
ipar diefes die ſicherſte Zuflücht? raro armis noftris, Iaep&
pecunia iuvantur, fagt Tacitus von den Martomannen. Und
leider wirkte es gar zu fehnell. Geld lehrte die Deutfchen Vers
rath und Tucke; fuͤr Geld wollte der Cattenfuͤrſt Adgandeftius
unfern edeln Staminvarer Hermann tuͤckiſch vergiften. Geld
und weichliche Ruhe machte die vorhin fo biederm und braven
Cherusker zu ſchlaffen weihen Menſchen; (olim boni nequi-
que Cherusci nuno inertes äc fulti vocantur) fur Geld
verkaufte das drutfche Mädchen fein blond gelocktes Haar del
Romerin. Geld lehrte nachher die Franken mit Meineiden
ſpielen. &o lange das Land war, wie die Natur es bildete,
war auch das Volk natürlich und yut, Menjchenhände vers
befferten jenes, und Menfhenderzen verfhlimmerten dieſes;
mie den Gütern des Lebens kamen Fehler und Flecken deb
BGeiſtes. Ehemals hieß verführen und fih verführen laſſen
nicht Lauf der Welt und guter Ton; flatt koſtb aren Schmudek
war Unſchuld das Heid des Junglings und Mädchens. All
maͤhlig wid) fie in einen Eleinen Winkel zuruͤck, und ruht dort
bis fie nicht mehr Mangel an Welt unter einem Volke heißch
wird, deffen größter Stolz fie einft war. O der falſchen Ge⸗
ſchenke, die ihr uns brachtet, ihr Roͤmer! Sie haben dem
Wolke feinen Charakter geraubt, und es gewöhnt von Fremder
abhängig zu ſeyn. Much und Stärke, Biederkeit und Treite
ſchwanden mit ben Hätten, und Weichlichkeit und Schläffhelt,
Verſtellung und Falſchheit zogen mit in die Städte ein. Als
der Deutfche noch feiner Güter Beſtes willig dem Fürften
ſchenkte, und dürd) Liebe und Ergebenheit ſich ihm zu eigen
machte, da griff er willig zu dem Waffen und fritt für Freiheit
J über die erſten Kriege ber Roͤmer. 129
—— — — — —
und Vaterland; aber als Geld der Preis eines Fuͤtſten wurde,
(iam et pecuniam accipere docuimus: Tacit. Gefm, 15.)
da flieg der Seufzer der Wittroe zum Himmel, als det Deuts
ſche um Solo diente, da jammerte der Vater um ſeine Söhne,
die ihm geraubt waren eine Sache zu veifehtei, bie nicht
Sache des Vaterland war. Als der Deutſche in Wäldern
und Härten lebte und wilde Thiere jagte, da war er Mann 3
als er mit Ochſen, Pferden und Schild feine Fran kaufte, da
Hatte er Gattin und ſtarke Kihdet; ale er aber fremden Thor⸗
heiten nachging, da ward er früh Greis; als eitler Schmuck
das Leibgedinge und der Stolz ber Frau würde, da wurde
" Gattin nur ein Name, und Vater ein Titel. Welcher Biedre
wuͤnſcht ſich nicht jene Unfchuldszeit zuräd? Und fie wird wie
derkehren, wird edler und wuͤrdiger wiederfehren! Es wird
eine Zeit kommen, wo wir die Güter genießen werden, welche
die Cultur uns ſchenkt, ohne fie zu mißbrauchen, wo wir klug
und gebildet fein tderden, ohne bie Reinheit der Sitten zu ve⸗
lieren, welde unfre Voräftern ſchmaͤckte; aber nicht cher, al
bis wir ſelbſſt Kraft haben uns zu bilden, bis Deutſchland
ein Sand, fein Volt eine Nation fein wird4
Wenn Germanien ſich einſt ethebet,
Und vom Meeresſtrande bis zum Rhein
Hehr ſein Genius herniederſchwebet,
Ihm der Söhne Herzen nen zu weihn;
Wenn der Söhne Hände dann ſich ſchlingen
Am der großen Mutter älten Chrom,
Und der Eintracht Jubelhymne fingen,
Ihrer trouen Pflege fügen Lohn; —
a8 “ 1. Bemerkungen ꝛtc.
— —
O dann kehrſt du goldne Zeit uns wieder, J
Wo Thuiskon's Wolf iſt, was es war,
Opfert, reines Herzens, deutſch und bieder,
Auf der uuſchuld heiligem Altar;
Wo nur Redlichkeit und Herzenstugend
Offen aus dem bläuen Auge ſtrahlt
Und das frohe Morgenroth der Äugend '
i Sich auf ungeſchminkter Wange mahilt;
Bo im Pallaf wie in filler Hütte
Alte Treu’ und deutfcher ðlauben wohnt /
Und ein Händediuch nach Vaͤterſitte
Mehr als Gold dir deine Freundfchaft lohnt;
Wo Thusneldens Töchtern nicht an Treue;
Nichts an Stärke Hermanns Söhnen gleicht
Und des Vaters hoher Muth aufs neue
Sich im Sohne blühend wiederzeigt.
"Groß blickt Herrmann dann aus Odin's Saale
Mind der Vaͤterhelden alte Schaar
Bon Walhalla’s ewgem Goͤttermahle
Auf die Söhne, die ihr Land gebahr.
Edles Volk, fie werden dich beglücken,
Sreuden fenden, welche nie entfliehn,
Und mit Krängen deine Stirne ſchmuͤcken
Die vor taufend Völkern ewig bluͤhnl
' Wilhelm Suͤvern.
1. Ueber
IH. Ueber Liedland. 1229
— — — — —
III.
Deber Lievland.
Dritter Brief, von &
Di Betten ſprechen einen litthauiſchen Dialekt, der aber we⸗
viger rauh klingt als die eigentliche lirthauifhe Sprache. Dee
Gutsbeſitzer wird von den Unterthanen der große Herr und
auch der gnaͤdige Water, und die Fran eines ſolchen Herrſchers,
Die große Frau auch die gnädige Mutter genannt. Die Söhne
dieſer Gebieter heißen Herrchen. Brod heißt in diefer Sprache
Maiſe, Waffer Uden, guten Morgen labbe Mit, guten Abend
labbe Wacker. Die Ehſtniſche Sprache iſt ein finniſcher Dialekt,
der recht angenehm klingt. Brod heißt in ihm Leiba, Waſſer
Wette, Feuer Tulde. Die Letten and Ehften hegen einen ums
‚ verſoͤhnlichen Haß gegen einander, ob fie gleich beide unter
Sklavenketten ſeufzen, und einer und derſelben Rellgion zuge⸗
than find, oder eigentlich dieſelben kirchtichen Gebräuche Haben,
denn Religion haben diefe Denen fo wenig als ihre Unters
druͤcker. Jene können fie nicht haben; weil das was man fie
lehrt nicht Religion if, fondern grober Aberglauben; und diefe
wollen ihrer Vortheile wegen keine haben, weil achte Religion
ſich nicht mie Unterjohung und Unterdrädung der heiligſten
Menfchenrechte verträgt, Woher mag der Nazional + Haß
woifchen beiden Stämmen rühren? Ich weiß feine andre Urs
ſache anzugeben, als die, ‚daß. beide bei ihren Wanderungen
“Weiten Yadız. ater Ban a3:
130 \ HI. Weber Liebland.
— — — —
aus verſchiedenen Gegenden in Kolliſion kamen, und ſich feind⸗
ſelig behandelten. Dieſe Feindſeligkeiten vererbten ſie auf ihre
Nachkommen, die den gegenſeitigen Haß noch nicht austilgen
toönnen. Dieſe Erſcheinung iſt eben nicht außerordentlich; denn
es giebt in Europa, ſelbſt unter ſogenannten kultivirten Na⸗
tlonen, einen ſchaͤndlichen Nationalhaß, der keinen andern
Grund als die öfteren Kriege Hat, melde fie mil einander
. führten, und die, auch aus dieſer Urfahe, den Fluch der
Menfchenfreunde verdienen. Die Ehften find mehr Sklaven
als die Betten, äußern daher Menſchenhaß, und alle mit der:
Sklaverei unzertrennlich verburidenen Lafter in einem weit 587
Bern Grade, ſtehen folglich noch welt tiefer als die Fetten: Iſt
“es nun aus der Erfahrung bekannt, daß der Laſtethafte der,
noch Lafterhaftern verachtet, fo if es nicht auffallend, Wenn
der Lettẽ dem Ehſten diefe Verachtung bei jeder Gelegenheit
‚fühlen laßt, und diefet, um fich für foldhe Herabfegung ſchad⸗
-ios zu halten, Rache an ihm ausübt. Die Letten und Ehen
wohnen nicht in Dötfern, ſondern in einzeln abgefonderten
Wohnungen: Dieſer Gebrauch wäre meiner Metnüng nad
nachahmungswerth, indem es doch unftreitig bequemer iſt, deri
nahgelegenen Acer zu bearbeiten; als einen entfernten; inſon⸗
derheit iſt diefer Unterſchied beim Diägen merklich, Es find
aud bereits, fo viei mir bekannt iſt, in andetn Gegenden
Vorſchlaͤge gemacht worden, den Bauerii auf ſeinem Acker
wohnen zu laſſen; indeſſen ſetzt man denſelben Schwierigkeiten
entgegen. Die Hauptſchwierigkeit, die dabei Statt finden ſoll,
iſt die, daß die Kinder die Schule verfäumen wuͤrden, indem
bie Eltern, au$ Zärtlichkeit gegen diefelben, fie lieber zu Haufe
behalten, als einen weiten Weg machen laffen. In der That
ſcheint diefer Einwurf beim erften Anblick wichtig; wenn man
IM. Weber Liedland: 148:
— — — — —
ihn aber gehörig zerlegt, fo iR er fo unerheblich ſo geringe
fagig, daß es faum der Mühe werth fcheint, ihn in Anfchlag
zu bringen. Es fragt ſich nämlich: gewinnt die Menfchheit
beim gewoͤhnlichen Schulunterricht, wird wahre Aufklärung
dadurch befördert? Ich antworte ohne Bedenken, Nein! Man
ziehe die Erfahrung zu Nathe, und dieſes Nein wird das Nes
fultat der angeftellten Beobachtungen ſein. Die Sittlichteit
keidet durch nichts ſo ſehr, ais dadurch, daß eine Menge Kin⸗
ber Anter nachlaͤßiget Aufſicht beftändig .beifammen find. Es
entwickeln ſich unter folhen Umftänden, ale Anlagen zu Las
fern, die fonft in ihrem Keimen erfict mären. Der Staͤr⸗
kere wird der Despot des Schwächen, der Schwaͤchere um
ſich an ber Gewalt zu rächen, finnt auf Mittel durch heim⸗
Tiche Wege feinent Despoten zu ſchaden. Der Einfältigere wird
das Spielzeug in der Hand des Kluͤgern, er gewoͤhnt ſich
allmaͤhlich fih als Sache behandeln zu läffen; der Klügere,
dem feine Kunftgriffe glücten, legt den Grund zu kuͤnftigen
‚feinen Betrugereien.“) Es ließe fich über diefen Gegenftand
‚eine ganze Abhandlung ſchreiben; doch der Raum iſt zu ber
ſchraͤnkt, und meine‘ Abficht gehe nur dahin, gewiſſe Saiten
wu berüßren, die vielleicht gar nicht ober zu.iderig in Bewer
gung gefegt werden. Die Einwendungen gegen bie abgeſon⸗
derten Wohnungen der Landleute hätten. demmach viel vor
ihrer Kraft verloren. Die Letten und Ehſten härten nun
vor den Dorfbavohnern vieles voraus. Indeſſen iſt det
Mugen, der, daraus entfpringen müßte zur Zeit nicht ſicht⸗
) Die Redattoten müen Hier erinnern, daß die Meinung der Mits
arbeiter des Youtnals, nicht aberau die ihtigen And." Wadefdeintih if
Niee-son Heuläudifhen;Lanfiguien die ede. .
5:3
138 I. Weber kLiedland.
———— — —
bar, und bie Mobfpabenpeit: die der umausbleibliche Er⸗
folg davon fein folte, nicht im mindeften bemerkbar. Im
Gegentheil herrſcht un Ganzen genommen Armuth unter beir
den Nazionen. Der. Grund davon liegt aber bios in dem Zus
ſtande der Oklaverey. Wohlhabende Bauern findet man fels
ten, und wenn noch hie und ba deren angetroffen werden, fo
find es nur die, welche ohnweit der Städte wohnen, folglidy
ihre erübrigten Produfte!bequemer zu Gelde machen tönnens
ferner ſolche bie gelinde Herren haben, deren es dach zur Ehre
‚ der Menſchheit einige giebt; und die ehemaligen ſogenaunten
Nitterſchafts / Bauerir, bie feinem einzelnen Gutsbeſitzer, ſon⸗
dern der gefammsen Nitterfhaft augehörten, die über fie zw
disponiren hatte, ſolche Guͤter verpachtete, und aufmerkfam
war, daß die Leibeignen nicht zu Grunde gerichtet wuͤrden,
damit die Einkuͤnfte vom Pachtgelde nicht abnähmen. Sms
defien verfegte die Kaiferin Katharina die zweite, diefe Bauern
in eben den Zuſtand, der das Loos ber Übrigen Letten und
Ehſten if; Sie nahm nämlich der Ritterſchaft diefe Güter
ab, und verpachtete und verſchenkte fie an bie, welche ihren
Meinung nad dem Staate gedient hatten. Der jegige Kaifer
wiederruft, wid es heißt, diefes widerrechtliche Verfahren, uns
giebt die Güter der Rieterſchaft zuruck. Bu wuͤnſchen wäre
es, daß er dabel die Willkuͤhr derſelben fo viel moͤglich ein⸗
ſchraͤnkte; oder, was noch wunſchenswerther waͤte, daß er
den Bauern ihre unveraͤußerlichen Rechte, nemlich Unabhaͤn⸗
gigkeit von der Willkuͤhr der Unterdruͤcker, wiedergaͤbe. Dieſe
That würde mehr glänzen als alle Edelſteine feiner Krone. Es
iſt ja das herrliche Vorrecht der Negenten, Menſchen ans dem
Staube zu erwecken. Die Ackerwirthſchaft wird in einigen
Gegeiiden vollkommener betrieben, als man fi vorſtellen
uil. Weber Lievlaub. 133
— —— — — — —
ſollte. Es giebt einige Gutsbeſttzer, die ſich über alte Vor⸗
urtheile wegſetzen und vortheilhafte Neuerungen einführen,
Der Lette ſpannt vor ſeinen Plus ein Pferd, der Ehfte
Ochſen. Das Getreide wird mit einer Art von Handfenfen
gemäht, welche fehe bequem find; indem bei weitem nicht die
Kraft dazu erfordert wird, die bei großen Senſen angewandt
werden muß, zu denen’ Mannerkraͤfte gehören, da mit jenen
Beiber und Maͤdchen mähen lernen. In der rechten Hand
Halten fie die Handfenfe, in der finten eine Art kurzer Harte,
womit le bie zu mähenden Halme halten. Wenn fie abge⸗
mahet find, faſfen fie diefelben mic der Senfe und Harte zus
ſammen und legen ſie ordentlich auf einen Haufen, indem fie
nicht erſt ndthig haben, das Getreide zuſammen zu harken.
Alsdann wird ſolches in Bundel gebunden, in Haufen geftellt,
aber nicht in Scheuren eingefahren. Man laßt es in der freien
Luft liegen; wodurch freilich viel perloren seht , indem bie Vo⸗
gel ungeftört davon zehren koͤnnen. Selbſt Gutsbeſitzer, bie
ohne viele Koften Scheupen zum Aufheben bauen koͤnnten,
folgen der einmal hergebrachten Weile. Wenn das Getreide
gebroſchen werden fol, fo wird es in die Ruge — fo nenne
man in Kurs Liey / und Ehftland die Gebäude, worin das Ges
treide geddrrt und gedrofchen wird — gebracht, gedoͤrrt und
gedeofhen. Das Getreide erhält ſich weit beſſer und langer,
wenn es gedoͤrrt wird, das if befannt. Hier zu Lande jſt es
aber unumgänglich nöthig es zu doͤrren; ſonſt koͤnnte es nicht
aus gedroſchen werden, indem es aller Witterung Preis geges
den wird, und daher feucht iſt. Man driſcht gewoͤhnlich des .
Nachts bei einem Feuer, welches in einer Ecke der Dreſchdiele
brennt. Märtner, Weber und Mädchen mäffen alsdanıt die
glget in Vrwegung ſeten. Es wird Ihnen wahrſcheinlich
33
x
134 II, Ueber Lievland.
— EEE
fonderbar vorfommen, daß. man die Nacht dazu ‚gebraucht,
Wundern Sie fih darüber nichts die Habſucht der Gewalt,
Haber ift unerfättlih. Sie würden wuͤnſchen, daß die Mens
ſchen gar einen Schlaf hätten, um deſto mehr fär fie arbeiten
zu koͤnnen. Das Gefpann der Letten und Ehſten ift ſehr eins "
fa. In einem Heinen leihten Wagen, vor, welchen ein
Pferd ywifgen zwei Stange nach, ruſſiſcher Art gefpannt
wird, befteht das ‚ganze Fuhrweſen, welches in mancher Hin ⸗
ſicht vorteilhaft iſt. Die Wege werden nicht fo yerdorben ale
durch ſchwere Wagen; auch kann man ſelbſt bei ſchümmen
Wege leichter fortkommen. Der Lette und Ehfte brauche,
ſich dünner Holzſplitter, die ohngefähr.einen Zolf breit und
“ ‚einige Fuß lang find; in der Landesſprache nennt man diefe
‚Splitter Pergel. Obgleich diefe Art der Erleuchtung viel
‚Holz koſtet, und der Rauch der Geſundheit ſchaͤdlich if, fo
dentt doch Niemand daran eine Veraͤnderung hierin vorzuneh ⸗
men, welches auch nicht ſo leicht zu erwarten iſt, denn es
find ja nur Bauern die ſich dabei quälen, und was kuͤmmert's
den Butsbefiger, wenn feine Bauern im Rauch halb erftichen,
kann er doch Wachskerzen brennen!
Dampfbäber find in Liev / und Ehſtland fehr im Gebrauch,
and nicht nur die gemeinen Leute, fondern aud) die fogenannten J
Vornehmen, bedienen ſich ihrer. Ueber den Nutzen dieſer Bis
des iſt man ziemlich einig. Die Transfpiration, wird in Falten
« Gegenden oft gehemmt, und fie zu befördern iſt nothwendig;
wezu dieſe Badehaͤuſer, oder Badſtuben,wie man. ſie hier
nennt, zweckmaͤßig find. Die Badſtuben find von, Hoiz ers
baut. Ein Ofen, unfern gewöhnlichen Badöfen ähnlich, wird
pügtlg gehst, eine Menge Belfrine, bie betardig Im
NT. Weber Lievland. 235
einem‘ folhen Ofen liegen, werden zu gleicher Zeit von dem
Keuer erhizt. Will man einen höhern Grad von Hitze hervor⸗
bringen, fo gießt man altes Waſſer auf die durchgluͤhten
Steine; dadurch wird die Hige aus ihnen herausgetrieben.
Wer das Waſſer ſelbſt aufgieft, muß bie Vorſicht gebrauchen,
ſich nicht gerade vor die Oeffnung zu flellen, wohin er es ſchüt⸗
tet, fonft fäuft er Gefahr verbrüht zu werden. Denn in dem
Augenblick wo es aufgegoffen wird, treten bie heißen Dämpfe
‚mit einer unglaublichen Schnelligkeit jur Deffnung des Ofens
Heraus. In der Badftube find perſchledene Brettergerüfte von
ungleicher ‚Höhe angebracht. Je mehr Hige jemand vertragen
kann, auf ein defto höheres Geruͤſte legt er fih. Der Schweiß
bricht fo ſtark aus, das man in einigen Augenbliden überall
naß wird. Man feift den Körper ein, und reibt oder peitſcht
ihn mit Birkenweifern, an welchen bie Plattet gelaffen werden.
Das Meiben oder Peitfchen erträgt nicht Jeder. Weberhaupt
gehört einige Gewoͤhnung zu dieſer Art des Badens, und man
hat Deifpiele, daß Menſchen davon in Ohnmacht gefallen find.
Wer aber einmal daran gewöhnt.ift, Hat nichts zu befürchten;
im Gegentheil fühlt man ſich leicht nach einem Bade von dieſer
Art, bejonders bei heißen Sommertagen, kurz vor dem Schla⸗
fengehen. Es wäre wohl der Mühe wert die Vortheile
und. Nachtheile der Dampfbaͤder gehörig abzuwaͤgen, und,
wenn man fie vortheilhaft gefunden, in Ländern, wo fie noch
nicht im Gebrauch ſind, einzufuͤhren. Die gewoͤhnlichen
Bauerbadſtuben ſehen ſo ſchwarz aus, wie die Wohnungen · der
Bauern. Es iſt kaum möglich, fih etwas elenderes vorzui
ſtellen, als dergleichen Wohnungen. Von Schornfteinen weiß
man nihts. Wenn der Ofen geheigt wird, zieht der Rauch
wie eine Wolke· im Zimmet herum. Shären und denſtern wers
34 j
136 UI. Meder Lieblaub.
den alsdann geöfnet, um ihm Ausgang zu verſchaffen. Iu
den mehreften Häufern findet man feine Glasfenfter, fendern
blos Deffnungen in der Wand, die mit einem Brett · zugeſcho⸗
- ben werden. Bill man Licht Haben, fo ſchiebt man das Brett
aufs man hat ſolches alsdann zwar aus der erfien Hand, aber
Nicht reichlich: denn die Orffnungen Können .nicht fo groß 8
macht werden, als gewoͤhnliche Fenfer, weil fonft zuviel
Kälte hereindringen wuͤrde. Bei diefer Unvollkommenheit fins
det doch ein Nugen Statt, der wicht überfehen werden darf,
Die Luft mird in dem Wohnſtuben beſtaͤndig rein erhalten,
wodurch die Menſchen in Hinſicht der Gefundheit gewinnen.
‚Denn Hätten fie nicht fo viel feifche Luft, fo mirden, durch
die Unſauberkeit uud eingefchloffenen Ausduͤnſtungen peſtilen⸗
. Hlalifhe Krankheiten entſtehen.
Map muß die Lebensart diefer. Menſchan gefehen haben,
am ſich einen richtigen Begriff davon zu machen.
Wenn ein Leibeigner ein Mädchen ader eine Wittme von
einem fremden, Guie heirathet, fo folgt in der Megel die Frau
dem Manne, ahue daß der Gutsbeſitzer dafür ſchadlos gehalten
"werben darf, Heirathet ein freies Mädchen oder eine freie
Wittwe einen Feibeignen, fa wird fie dadurch feikeigen, fo
auch die Kinder die ir diefer Ehe erzeugt werden. Heirathet
aber ein freier Mann eine Leibeigne, fo wird fig frei, und dee
utshefiger parf ‘fie nicht vorenthaften. Indeſſen meiß ich
einen Fall, wo von diefer Regel Aus ſchaͤndlichem Eigennut
Eine Ausnahme gemasht wurde. Ein freier Mann nämlich
wollte eine Leibeigene heirathen Der Gutsbefiger, ſonſt fein
uͤbler Mann, ließ fich jedoch aufZureden feiner Frau, die Abs
tretung des Mädchens unter feiner andern Bedingung gefallen,
> als paß dafur bezahlt werden follte, Nach vielem Dingen sunrhg
UI. neber Lievland. 137
— — — — — —
man Handels einig: der Preis mar flebenzig und einige Thaler
Alberts. Die Ungewißheit, ob eine Leibelgene nicht einen Lieb
haber auf einem fremden Gute finder, ift die Urfache, daß bie
"Mädchen in einem ziemlich wwohlfellen Preife ſtehen. Man kann
ein ſolches, das weibliche ſelbſt feinere Yrbeiten verſteht, für
Hundert. und nach Umftänden auch für weniger Albertsthaler
kaufen. Es giebt Gutsbefiger, die ſich erlauben, Mädchen,
welche in ein fremdes Gebiet hinein heirathen wollen, zu vers
kaufen. Der Käufer verliert freilich feine Auslage, indem er
das Mädchen nicht hindern darf, ihren alten Liebhaber zu hei⸗
rathen; allein Menſchen, die fo tief geſunken find, daß fie ihre
Mitmenfhen gleich Thieren und Ieblofen Sachen behandeln
tönnen, mögen Betruͤgereien diefer Aot leicht für unſtraͤflich
halten. Wie fehr wuͤnſchte ih, Sie mit ſolchen widrigen Ge⸗
mälden nicht mehr unterhalten zu bürfen, aber noch kann ic'g
nicht, noch muß ich auch ber Züchtigungen erwaͤhnen. Stra
fen, die nach den Geſetzen zuerfannt worden, 3. €. das Peits
ſchen mit Ruthen, werden nach geendigtem Gottesbienft bei
der Kirche vollzogen. Denken Sie fich den fuͤrchterlichen Ken⸗
traft! Won der Kanzel wird gelehrt, man folle Mitleiden mit
feinem ierenden Bruder haben, ihn liebreich zurechtweiſen, und
wenige Augenblicke nachher, einige Schritte davon, wird ein
Irrender, von barbarifhen Händen, bei Iebendigem Leibe ges
fhunden. Ungluͤckliche Mädchen, die aus Verzweiflung, aus
Guccht vor Mishandlung, die Frucht Ihrer Liebe aus dem Wege
raͤumten, Sodomiten, wie man’s nennt, bie aus Mangel an
Gelegenheit ihre Triebe unnatuͤrlich befriedigten, merden, zur
angeblichen Warnung , zerfleifcht. "Es iſt wahr, bag es bes
denklich fein würde, fie unbeftraft zu laffen, allein man irrt,
wenn man greuſame Strafen für die zweckmaͤßigſten Hält; Dis
SI
138 II. Ueber Liedland.
Erfahrung lehrt gerade das Gegentheil. - Eben da, wo die uns
menſchlichſten Strafen Statt finden, werden die meiften Vers
brechen begangen. Beben den Kirchen befinden fich Wifths⸗
haͤuſer, wo Bier und Branntwein verkauft wird. Hier wird
nad) geendtgtem Gottesdienſt tapfer geioffen, und fehr oft der
Grund zu Verbrechen gelegt. Die Kirche {ft der Ort, wo Men⸗
ſchenpflichten gelehrt werden follen, das Wirthshaus der, wo
der Ueberreſt von guten Geſinnungen vertilge wird. Wenn der
Prediger fagt, „ihr folt nicht ſaufen,“ fo ladet die Habſucht
des Edelmanns die Zuhfrer ein, auf der Stelle das Gebot zu
übertreten; und hoͤchſt unzufrieden wuͤrde diefer ſeyn, wenn der
Prediger bie Banern überzeugt hätte, daß es boͤchſt ſtraͤflich ſey,
ein Vieh zu werden, und dieſe ber Ueberzeugung folgten. Ins
deſſen iſt dies nicht zu befuͤrchten. Die Kanzeloorträge find
felten eindringlich. Man f icht etwas dahin um geſorochen
zu haben. Das Uebel wird nicht bei der Wurzel angegriffen.
Nachdem Sie bereits fo vielUnangenehmes gelefen haben, hoffe
ich Ihnen mit der Nachricht von den Landſtraßen und Pofthäus
fern einige angenehme Augenblicke zu verurfachen. Die Lands
fragen find vortreflih, und werden in diefem guten Zuftande
erhalten. Jedes Gut hat nad Verhaͤltniß feiner Größe eine
St de Weges zu beffern. Roth angeftrichene Pfaͤhle, mit
dem Namen des Guis, muͤſſen auch unterhalten werden, dar
mit einem etwanigen Streite über den Gränzunterfchied vors
gebaut werde. Die Kreishauptleute find verpflichtet „- darauf
Acht zu haben, daß die Wege in gehoͤt gem Stande erhalten
werden. Wenn folhe von ihnen unterlucht werden , laflen fie
es vorher den Gutsbefigern willen und zu der beftimmten Zeit
muß der Staroft (Schulze) des Guts, bei den Grängphälen
gegenwärtig fepn.. Sindet nun der Kreishauptmann, daß durch
II. Weber Liedland. 139.
— — — nn
Nachlaſſigkeit der Weg nicht. ausgebeſſert worden, fo iſt der
Staroft dafür verantwortlid, und wird auf der Stelle mit
Deitſchenhieben beftraft. Die Wege find fehr breit. Won kei,
den Selten find Graben gezogen, und jedesmal in der Entfers
- nung einer Werft, deren ungefähr ſechs und eine halbe auf eine
deutſche Melle gehen, let ein hehet teth angefrichner Pfahl,
auf welchem die Entfernung der Städte, mit ſchwarz gemalten
ruſſiſchen und lateinifhen Buchſtaben, angezeigt iſt. Fuͤr die
Reiſenden hat dieſe Eintichtung etwas angenehmes. In kurs
zen Zeiträumen wird man gewahr, daß man weiter kommt.
Langerveile, die fonft quf diefem Wege unvermeidli wäre, in⸗
dem man felten auf Menfchen:wohnungen ftößt, wird auch das
durch vertsieen. Die Poflpäufer, die ohngefägr drei Mellen
von einander liegen, find fa eingerichtet, daß der Reifende alle _
Bequemlichkeit haben kann. Man finder recht huͤbſche Zimmer,
gute Betten, kann bei den Poſtkommiſſarien, die in der Regel
recht artige Leute find, für einen billigen Preis eſſen, und
wird überhaupt anftändig beriethet, Die Aeußerung eines Eng⸗
landers der dieſe Straße beſchrieb, iſt nichts weniger als der
Wahrheit angemeffen, Er fagt: „Jeder, er fey ein dFuͤrſt mit
Gold Hordirten Kleidern, oder ein Bauer in Strohſchuhen,
muß hier zu Lande feine Lebensmittel bei ſich führen.” Wenn
der feßte es thut, fo geſchieht es, nicht weil er muß, ſondern
weil er Stonpmifd) feyn will; er nimmt feine Lebensmittel mit,
um nicht nöthig zu haben, Fe in den Wirthshäufern zu kaufen. .
Wenn der Dritte der dieſes ſchrieb, in Hinſicht der Oekono⸗
mie den Bauern nachahmte, ſo lag die Schuld an ihm und
nicht an der daſigen Einrichtung. War er aber vielleicht zu eigens
finnig, um Speifen auf deutfche wohlſchmeckende Art zugerich⸗
get au effen, fo war es billig, daß er für feinen Eigenfign Hüfte:
D
[72 IM. Weber Lievland.
Er konnte doch nicht fordern, daß feines Gaums wegen, eng⸗
Ufcher Geſchmack den Dentfchen vrrdrängen follte; indeffen iſt
“man Intoleranz von den Britten gewohnt. Was der Engläns
der Hätte tabeln ſollen, Hat er verſchwiegen; nämlich daß man
oft aus Mangel an Pferden aufgehalten wird. Denn dag
Berhaͤltniß derfelben zu den Keifenden iſt zu geringe. Perfonen
won einigen Range reifen ſtets niit Ertrapoft; ordinaire Poſten
giebt's nicht, und mit gemietheten Fuhrleuten oder eignen
Pferden reifet man felten, weil Ertrapoft wenig, Öfter. Man
bezahlt ein Pferd jedd Werft mit zwei Kopeken, der Poftillon
erhält für jede Station zehn bis funfzehen Kopefen; alles zu:
femmen beträgt weniger als bie Hälfte der Koften in andern
ändern. Die gemöhnlihen Poftwagen find Flein und leicht,
mit einen fehr einfachen mir Matten bededten Verded. Fuͤr
einen Holden Wagen werden, auf jeder Station, fünf und
wroanzig Kopeken bezahle. Die Poftilfone find zum Theil verabe.
ſchiedete ruſſiſche Soldaten, die in den Ruheſtand verfogt wor ⸗
den. Diefer Begriff von Ruheftand feine mit dem fonft ges
wöhnlihen zu kontraſtiren. Denn Tag und Nacht, bei jeder
Bahreszeit, jeder Witterung, auf Ben Bock zufammengefchäts
telt zu werden, mag mit allem Recht ein Unruheftand heißen;
Sie erlernen das Fahren, menn fie auch vorher keine Uebung
gehabt, fehe bald, find unnerdroffen und dabei luflig. Ein
Glas Brantewein über die gewöhnliche Taxe fpannt ihre Le⸗
bensgeifter um mehrere Grade; aber dieſes muͤſſen auch die
Pferde fühlen, bie alsdaun in geſtrecktem Gallop den größten
heil des Weges zuruͤdlegen. So wird der Brantewein für
Menſchen und Thiere verderblich!
Dies wäre ohngefahr alles, was ich Ihnen über Liev .
und Eſthland img Algemginen zu fagen häcte,. nun ſollten Sie
IE. Weber Liedland. 14
—
Riga kennen bernen, Vorher aber will ich Sie noch auf eine
ſonderbare Erfeheinung aufmerkfam mache. Die Bedienten
beiderlei Geſchlechts werden gewoͤhnlich aus den Bauern rekru⸗
tirt, und in der Kegel auf dem Edelhofe beffer gehakten als zu
Haufe. Indeſſen bemerkt man allgemein, , daß fie mit dem
größten Widerwillen die ſchmutzige Hütte verlaffen, und nach⸗
her, wenn fie bereits des Hoflebens gewohnt werden, ‚germe.
den Live» Rod mit dem Bauerkittel vertaufchen: Woher
kommt va Mehnſucht nach einem bequemern Leben kann es
nicht feinz- denn der Bauer hat mit unendlich mehr Unbequems
lichkeiten zn kammpfen, als der Bediente auf dem Edelhofe
Heimweh, um die Seinigen wieder zu fehen, kann es auch
wicht fein; "denn die Entfernung ift nicht fo groß, daß er ſolche
gar nicht oder felten zu fehen bekaͤme. Aber wahrſcheinlich iſt "
Hang zur Unabhängigkeit die Urſache. Der Bauer ift zwat
Sklave, hat aber dennoch Augenblicke, ba er als felbfiftäre
diges Wefen handeln darf. Er tichtet z. €, eine Wirthſchaft
ſelbſt ein, beſtimmt ſelbſt den Verkauf feiner erübrigten Pros
dukte u. f. wi, kurz es giebt Boch Momente, wo er. fremder
WÜNtäge nicht unterworfen iſt. Der Bediente hingegen hört
Bänzlid auf ſelbſeſtaͤndig zu fein, und muß ſich bloß leidend
. verhalten: Dumntel fühlt er, daß er Kärkere Ketten trägt, ale
fein Bruder der Sauer; und der Menſch, mit der Anlage zus
Greipeit, haßt Ale Ketten, und wären fie von Gold; Skla—
venſeelen, die ſich zu den Füßen ver Großen wohl befinden,
konnen ſich freilich) nicht erfläcen, wie es moͤglich fei ein unbe⸗
wmemes Leben einem, bequemern vorzuziehen, bloß um, wie
fie es nennen, eine Grille zu befriedigen. Aber der Dann mis
der freien: Seele findet es nicht rächfelhaft;
Nisa iR wohl Sefeftige, inſonderheit iſt Die Citaden⸗ »
143 " MI. Ueber: Liebland.
— — — — — —
ſtark, daß es Mühe koſten würde, fie zu erobern. Außerdem
find außerhalb der Feftung dieffeit ber Düne, eine Menge von
Eleſchen und Redouten aufgeworfen, die dem Feinde viele
Schwietigkelten verutſachen würden; Die Stadt liegt in einer
Fehr fandigen Gegend; indeffen hat der meifchliche Fleiß ſelbſt
in diefen Sandwäften Paradiefe gefhaffen Außerhalb ders
ſelben, auf dem fogenannten Weidendamm, findet man die
Khönften Gätten, wo den Sommer hindurch die Eigenthuͤmer
derſelben fih aufhalten. - Hier Hört der fleife Stödterton gänzs
lich auf, die Menſchen werben froher und freier; Fein Zwang, .
fein Defpotismus dei Konvenienj, diefes fürchterlichein Uebels⸗
findet Statt: In diefer Gegend befinden ſich auch die foger
nannten Ealferlicheri Gaͤrten, die für Jedermann offen flehen:
In einiger Entfernung find Landhäufer, die den Städten für
die im Winter Überftändnen Muͤhſeeligkeiten ſchadlos halten:
Zur linken Seite ber Düna, ohngefähr eine halbe Meile das
von, liegt bie. fogenannie Vietinghofſche Solktüde, eine weit⸗
lauftige Anlage im engliſchen Geſchmack. Wie es zugeht; daß
‚defer ſonſt fo angenehme Ort nicht fo. häufig beſucht wird, als
r's wohl verdiente, kann ich mir anders nicht erklären; älg
daß die Entfernung für den bequemen Staͤdter zu groß iſt;
denn die Erlaubniß dieſer reizenden Gärten zu genießen hat
in jeder, wes Standes er auch ſei. Die Dina, die im ruft
ſchen bie weſtliche Dwina Heift, zum Unterſchiede von der nörds
lichen Dwina, die ins weiße Meer fält, fließt in einer Entfer⸗
nung von mehreren Faden vor den Mauern vorbei, iſt in der
Gegend wo die Schwimmbräde liegt; achthundert Schritt
Lreit, und fällt einige Meilen von der Stadt in den rigiſchen
Bufen. Die Brüde felbft ‚it ein Eoftbares Werk; fie. liegt af
lauter Maſten. Mer. zu Fuß heruͤbergebt oder fährt muß bw
mM. Ueber Liebland. 143
" zalen, ausgenommen Soldaten, und Perfonen die in Dienften
der Krone eben. Der Eisgang der Dina ift gefährlih. Ss
bald man merkt, daß das Eis aufgehen: werde, werden die
Thore der Stadt, — Hier Pforten genannt, — bie nad
der Wafferfelte ſtehen, gefchloffeii und inmendig mit einen
Damm von Mift gegen das Eindringen des Waflers verwahrt.
Das Waffer pflegt zuweilen ſo hoch zu ſteigen, daß es nur
einige Fuß niedriger, als die Waͤlle ſteht; ſonſt iſt die Weſter⸗
flache um einige Fuß niedriger, als der Raum der zwiſchen der
Feſtung und det Dina ilegt. Die Ueberſchwemmungen beim
Eiögange tichten oft größe Verwuſtüngen am Ale Bemg⸗
bringen dürch Daͤmme dem Auströteh des Sttoms vörzubauen,
ſind bisher fruchtlos gerefen. Was wollen auch Menſchen ⸗
kraͤfte gegen gewaltige Naturoperazlonen ausrichten? Wie gern
wuͤnſchte ich, daß die Feinde der Vernunft, die Damme auf
Dimme gegen diefen allgewaltigen Stroͤni aufzuführen ſich
bemühen; ein einzigmal die Natur nad) ihren ewigen Gele ,
ein wirken fehen. Der Muth müßte ihnen doch entfallen,
wenn fie fähen, daß ein Aua⸗nblick alle ihre Bemuͤhungen zer⸗
nichtet. Fiele Ipnen daniı " .e Gedanke nicht ein, auf ein Welle
hen kann der Strom wohl gehemmt, aber nie auf ewig aufges
halten werden, dann wären fie ıberth mit den. Strome fort⸗
Heriffen zu werden, und den Kopf an dei erften Klippe zu zer⸗
ſchellen. Die Schiffarth leidez dutd den Eisgang ſehr. Es
ſetzt fh mitten in der Dina. eine Sandbank an, bie immer
größer wird; und mo fonft ſchwer beladene Schiffe fanden,
kann män jegt kaum mit. einem Boote fahren. Es fcheint ala
hätte ſich alles verſchworen, um Riga zu ruiniren. Die Na
tur erſchwert die Schiffahrt und folglih den Handel dur
Sandbänfe; und ein gewifler von Dahl brachte es bei der
24 II; Weber Lievland.
verſtorbenen Kaiſerin dahin, Daß der neue Zolltarif in Riga
eingeführt wurde, wodurd der Flor diefer fonft ſo blühenden
Handelsſtadt einen gewaltigen Stoß litt. Vielleiht gewinnt
diefer Ort dadurch, daß Kurland und ein großer Theil von
Polen das Schickſal gehabt unter rußiſchen Zepter zu kommen.
Der polnifche Handel der narh Einführung des neuen Zolltarifs
fich nach Libau gezogen hatte, wird fih nun ohnfehlbar nach
Riga zurädztehen: Die Vorſtaͤdte von Riga ſiud von Holz
erbaut, indem es unter keiner Bedingung erlaubt wird maſſive
Haͤuſer zu bauen, und zwar aus ber erheblich fein ſollenden
Urſache, damit man deſto geſchwinder dieſelbe abbrennen koͤnne,
wenn eine Partie Krieg geſpielt werden ſollte. In der Stadt
ſelbſt giebt es lauter maſſive zum Theil huͤbſchgebaute Haͤuſer/
die Straſſen aber find enge und nichts weniger ale regelmäßig;
Des Abends werden fie erleuchtet, aber leider iſt die Erleuch ⸗
tung eben fo elend, als in mehreren Städten, wo der allger
meine Nugen der Oekonomie nachſtehen muß: In den mehre⸗
ſten Häufern befinden fih Pumpen, vermittelft welcher das
Waffer, das in Ninnen durch die ganze Stadt geleitet wird,
geichöpft werden kann. Ein Schöpfwert das von Pferden in "
Bewegung gefegt wird, liefert in diefe Röhren fo viel Wafler,
als die Cinwohner nöthlg Haben. Durch unteritdiiche- Röhren
ſtehet diefes Wert mit der Dina in Verbindung. Bei einer
Belagerung hat.die Stadt keinen Waffermangel zu fürchten,
es müßte denn das Gebäude famt den Mafchinerien durch
Bomben. zerftört werden, Inter den äffentlihen Gebäuden
Hat das Arbeitshaus in der Eitadelle für den Philofephen das
meifte Intereffe. Der ehemalige Gouverneur Bekleſchew ents
warf den Plan dazu und führte ihn aus. Es if für Muͤſ⸗
ſtss anger, Verbrecher und Verruͤdte beſtimunt. Für die Ge⸗
funapeit
IH. lieber Lieolaud, 248°
— — — — — —
ſundheit und: Bequetmlichkeit dieſer bedaurungswuͤrdigen Ges
ſchopfe iſt hinlanglich geforgt; So länge Bekleſchew Gou⸗
verneut in Riga war, herrſchte bie größte Reinlichkeit unh
Ordtnitig darin, denn er ſelbſt gieng Sfters hin, tm zu ſehen,
ob bie Aufſeher und Untergebnen den Verhaltungebefehlen ger
maß handelten; und wenn bie Vorgeſetzten mit eignen Augen
ſehen, und ſich feine Briten aufſetzen laſſen, fo weiß mau
wohl, ba bie eingefuͤhrte Ordnung nicht leicht verletzt wirb.
unter den übrigen Sehenswuͤrdigkeiten zeichtiet ſich eine große
und höhe hölzerne Eſelsſigur als, die auf dem Markte vor dee
Hauptwache ſteht. Die Beſtimmung derſelben iſt, ‚geringere
Vergehungen an Perſonen beiderlei Geſchlechts durch Schande
zu ſtrafen *). Eine ſolche wird naͤmlich eine obder mehtere Stun⸗
den lang auf dieſen Eſel geſetzt, und dem Gelächter und Spott
des Publikums Preis gegeben. Dieſe Art zu ſtrafen iſt meiner
Meinung nach die zweckmaͤßigſte. Denn der größte Theil des
Menſchen würde ſich weit lieber der Gefaͤngniß / odet geringern
Lelbesſtrafen anterwerfen, als zum Spotte feiner Nebenmen⸗
ſchen, und unter dieſen feinen Feinde, dienen, weil in ber That
nichts empfindlicher iſt als von Feinden verlacht zu werben. Die
Anzahl der. Einwohner von Riga belaͤuft ſich ohngefaͤhr auf
ſieben und zwanzig tauſend, davon der groͤßte Thell aus Deuts
ſchen beſteht, die meiſtens von alten Familien, welche ſeit un⸗
dentlicher Zeit dort wohnen, abſtammen; ber kleinſte Aus
neuen · Ankoͤmmlingen. Die Zahl der Ruſſen, bie In Riga
wohnen, nimmt nach und nach zu, welches inſonderheit bei den
Kaufleuten det Fall iſt. In der Folge duͤrften dieſe wohl die
*) In Deutſchland hertſcht Hie und ba eim ahnlicher Gebrauch als mil
tariſche Great:
Deiter Zahts. aiet Band. R
wo II. Ueber kiebland.
deutſchen Kaufleute verdrängen, teil der deutſche Kaufmann
neben einem enffifchen nicht wohl beftehen kann. Diefer ſchraͤnkt
ſich fehr ein, Hat folglich nicht nöthig fo viel Gewinn auf feine
Waaren zu nehmen, als der Dentfche, auch) ift ber Rufe weit
thätiger. Diefes gilt bis jegt nur von Kaufleuten, die nicht
ins Große handeln; denn der Ruffe fheint Feine Neigung zu
gewagten Spekulationen zu haben, und nimmt lieber mit einem
kleinen aber gewiffen Profit vorlieb, als daß er fein Wermögen
aufs: Spiel fegen follte. Diefe Art des Benehmens verdient
meiner Meinung nach Beifall. Es werden dadurch viele Uebel
vermieden, die bei gewagten Spekulationen nicht fuͤglich zw
vermeiden ſind. Man ſpricht freilich viel von dem Flor eines
Landes, wo der Kaufmann ungeheure Reichthuͤmer beſitzt; ich
lann mich davon ſchlechterdings nicht uͤberzeugen. Der reiche
Kaufmann iſt der fuͤrchterlichſte Despot, den man ſich denken
Tann. — Daß hierbei Ausnahmen Statt finden, glaube ich
nicht nöthig zu haben zu-erinnern. Der Lurus, der durch folche
Menfchen eingeführt wird, reißt die andern Staͤnde hin. Diefe
wollen nachahmen, haben aber nicht die Mittel dazu: alsdann
werden oft. verädhtliche Triebfedern in Bewegung gefeßt, blos
um’ dem Kaufmanne nicht nachſtehen zu wollen; vieler andrer
Uebel nicht zu gedenken.
IV. ueber Schwaͤrmer und Sittenrichter. "174
w.
Ueber Schwaͤrmer und Sittenrichter
Beitrag. sur Charakterikit.
Nil in ve feripß, Rirhyniee,
Credere non vis,
Kr jurare jübess imalo fatisfacere,
MaRTıaL. XI. 80
Uner allen Abarten eines Fraftvollen Mannes giebt es fette,
bie eine fo ſchwere Geiſſel der menfchlichen Geſellſchaft werden
Kann, wenn fie die hoͤchſte Stufe ihrer Mebertreibung ertetcht, ale
die Abadt des! Schwaͤrmers und bes Gilttenrichterss and doch
gelingt es vielleicht Reiner ſo oft al ihr, dieſe Hoͤhe zu erſteigen.
| Der Schmwärmer, das heißt der Mann, der, weil
feine ungewöhnliche Einbildungsktaft lebhafter ats feine Beur⸗
| thetlungsfraft ſtark iſt, nie ein gruͤndlicher Beobachter werben
| kann, hat zu vieles Quedhfifber in feiner Mifhung, um irgend
em Feld, mit ruhigen Schritt und in foftematifcher Richtung,
| zu durchkreuzen, und es, anf diefe Art, nach allen feinen Thek
ten Eennen zu fernen. Sein innerliches Prinzipium der ervigen,
unruhe treibt ihn über die Mitte hinweg, von einer Grätrje
jur andern; und weil feiite ungehenre Jinaginatlon eben B
| ſtark auf ihn zurück wirke, als fie die Außendinge ergreift; ſo
Mann es nicht fehlen, daß ſie ihm fein etgnes Bild durch daſſelbe
J K 2
348 IV. Ueber Schwaͤrmer und Sittenrichter.
Vergrößerungsglas vor Augen ftellt, durch welches er alles
außer ſich erblickt.
Aus dieſem Grunde: verhält ſich feine Meinung von ſich
ſelbſt allegeit umgekehrt, zu der Deutlichkeit feiner Begriffe von
der Welt: welches nichts anders heißt, als daß er fa u um fo
größer erfcheint, je kleiner er if.
So wie nun, in ber Wirkſamkeit felner Imagination auf
die Außendinge, der Grund feiner unabänderlihen Oberflaͤch ⸗
lichkeit liegt; fo iſt auch in der Ruͤckwirkung derfelben die Urs
fach enthalten, daß er gewöhnlich für einen großen Mann ans
gefehen wird. Denn es iſt ein, buch die Menſchenkenntniß
und durch die Geſchichte erwieſenes, Paradoxon, daß man der
Anbetung der Menge verſichert ſeyn kann/ fobald man es dahin
gebracht hat, ſich ſelbſt recht feft einzubilden, daß man ein
"ort ſey. j
Kommen zu diefer Eelrte der Einbildungekraft noch vor ⸗
zuͤgliche Talente, fo fheitern an dieſer Klippe ſelbſt Beobachter,
die wicht zum großen Haufen gehören. Es iſt naͤmlich zu bes
merfen, daß Schwaͤrmerel das wirkliche Talent nicht auss
ſchließt. Denn da es bey der Schwaͤtmerei blos auf ein Vers
haͤltniß ankommt, fo ift es damit wie mit einer jeder Propors
tion, die dieſelbe bleibt, wenn nur die Glieder durch einerlet
Zeichen, verändert werden, Ja es pflegt fogar gewöhnlich mit
der Schwärmerel Talent verbunden zu feyn; weil die Einbil⸗
Bungsfraft ſelbſt die Hefte Arme aller Geiſtesvotzuͤge ift, und
nur den Fehler. mit allen Ammen gemein hat, daß fie, aus uns
mäßiger Freude über ihr Wert, ihrem Milchkinde eine zu große
Meinung von fich ſelbſt einblaͤſt, oder in ber Folge die Herr⸗
ſchaft mispraucht, diefie anfangs zu feiner Bildung verwandte.
Dem. zufolge ſind abet die talentvolſen Ochwaͤrmer gerabe
Pr
W. Ueber Schtöärmer und Gittenrichter, 14,
um fo viel gefaͤhrllcher, wenn fie mit ihrem djimärtfchen Willen
auch eine beträchtliche Kraft: verbinden; und würden noch vers
derblicher feyn, wenn ihnen ihre unruhige Einbildungskraft,
zur Ausbildung dieſer Stärke ‚mehr Zeit und Ruͤhe übrig ließe,
So aber kommt es nie, ‚oder aͤußerſt felten dazu, dab
fie ſtark genug wuͤrden, um nicht Aber kurz oder lang einen
Staͤrkern zu finden; ein Zeitpunkt, der gewoͤhnlich ihr gan⸗
des Ungluͤck entſcheidet, da ihre feurige Heftigkeit, mit der
kaltbluͤtigen Ruhe ihtes Gegners in zu angleihem Kampfe,
fie in der Gefahr ſelbſt blind macht, und nnaufhaltfam in-den
Abgrund ftürzt, In welchem fie braufend untergehen, indeß der
Sieger ruhig, und nicht ohne Mitleid, in feiner einmal gemelr
ſenen Bahn fortfchreitet,
Man Fann nie richtiger fagen, daß ein Menſch unrelf fey,
als wenn man von einem Schwärmer fpriht. Der Keim der
Pflanze war vielleicht ohne Mafel, und die erften Sprößlinge
verhießen ein herrliches Gewaͤchs; allein der zu mächtige Trieb
verſtattete ihr nicht, zu zeitigen: fie fehoß zu plöglich empor,
und da ihr nicht Ruhe genug blieb, auch an Stärke zuzuneh⸗
«men, zerknickte fie der Sturm, enträftet über Ihre Keckheit.
Selten gelangt ein Schivärmer zu einer gründlichen Kennts
niß der Wiſſenſchaften; feltener oder nie, zu einer erträglichen
Kennieniß der Welt! Seine Spekulation wird vom Syſtem zu
einer Reihe von Hypothefen hingezogen, und fucht Thatſachen
:für biefe, anſtatt fie aus Thatſachen zu entwickeln. Seine Ber
urtheilungskraft, im Vertrauen auf diefe, verachtet die Stutze
‚der Erfahrung, und fein Geſchmack ift der Sramad am
Sonderbaren, .
Beine moralifhen Eigenfchaften nehmen WB
Menſchenllebe If Seisftäufgjung, feine Uneigennitgüs
83
so IV. Weber Schwärmer und Sitteurichter.
— — — — —
keit Leichtſinn, ſeine Freundſchaft entweder jenes oder Chi⸗
maͤre; ſein Muth, wenn er einen Schatten davon hat, iſt
Verʒweiſlung
I Aber nicht genug, daß feine guten Anlagen verkuͤmmern,
fo tritt an deren Stelle mehrentheils noch ein Gefolge Eleiner
Schwachheiten und großer Laſter, die von der Selbgefaͤlligkeit
genahrt, oder von dem Leicht ſinne geſchirmt werden, mit, denen
er, ſich ſelbſt zu betrachten, von-Kindheit auf gewohnt iſt.
Gewoͤhnlich ſind die Schwaͤrmer auf eine unertraͤgliche Art
elgenllebig und eitel, launiſch und veraͤnderlich; oft, durch
einen ſeltſamen Widerſpruch, geizis oder grauſam: faſt immer
find fie Ausſchweifungen, bis zum Uebermaße, ergeben. „Man
trift nicht leicht ein Beifpiel an, daß fe förperiche Starte oder
Dauer haftigkeit beſaͤßen.
Weil ſie gewoͤhnlich die Puppen geweſen ſind, mit denen
Geſellſchaften aller Art geſpielt haben; fo finden ſich auch in der
Geſchichte Beifpiele genug, daß fie, an ihrer Spige, allezeit
ihre größten Plagen, und wenn ihnen Zeit gelaffen wurde, Urs
heber ihres Ungluͤcks geworben find.
Da fie, wie alle ihres Gleichen, einen unveräußerlichen
Abfcheu vor kaltem Waſſer haben; fo ift die Waflerprobe das
bequemfte Mittel, fig zu erfennen, und, wofern noch eine ans
‚dere Kur hinzu fommen kann, fie zu heilen, wo nicht, fie ,
zu bannen.
Außer dem eigentlichen Schwaͤrmer, it “ endlich no@,
untet ber Heerde der Nachahmer, eine gute Anzahl befcheidener
Leute, bie ſich, da ihnen die Natur die Wirklichkeit verfagt hat,
mit dem Scheine diefes koͤſtlichen Kleinods begnügen laſſen,
und fih in der That nicht glücklicher, oder, welches eins If,
- geehrter fühlen, als wenn fie Enthuflaften genennt werden.
. I. Ueber Schwarmer und Gittenrichter.' 197
— — — — —
¶ Dieſes Geſchmeiß ſchattelt man mit der Maͤhne ab, und
es * nicht eines Wortes werth.
Gerechtigkeithalber iſt ernſtlich "zu wigen daß ein
Menſch weber deswegen von dem Vorwurfe der Schwaͤrmerei
freigufprechen ift, weil er ſelbſt nicht davon ſpricht; noch daß
er ihm unterworfen ſey, weil er einmal in ſeinem Leben bavm
xeſprochen hat.
Den ganz entgegengefeten x Anblick gesägt. der vr ana
liche Sittenrichter, der mit dem Schwärmer nichts gemein zu
baden ſcheint, als Laͤcherlichteit und Seachaͤdlichbeit. Dieſer
ſchwetfaͤllige Schlag von Leuten, ungeachtet er- gar nicht das
Anſehen hat, Berge fteigen zu koͤnnen, erllettert doch, mie
aller Anftrengung feiner Unbehuͤlflichteit, den Fuß eines Ber⸗
ges, und wird, von ba bis.auf den Gipfel, durch feine treu⸗
herzigen Freunde getragen, gehoben, gefhleppt, geſtoßen oder
gedrängt, wie es kommt, und, was das poſſierlichſte iſt, ger
woͤhnlich, ohne zu wiflen wie es kommt.
Was der Schwaͤrmer feinem hohen Fluge verdankt, das
verdankt biefer feiner Langfamkeit.
Man muß-fih nämlich vorftellen, daß er aus bemfelben
Stoffe hervorgeht, aus dem, bei geringerer Gruͤndlichteit und
größerer Eitelkeit, der Pedant wird. r
Langſambkeit ift fein Hauptingredienz, und Gutmirfigtit
die Beimiſchung.
Gewoͤhriich iſt ſein Verſtand gut, fein Her, wo nis⸗
lich noch beſſer, und die Neigung zur Ehrbarkeit groͤßer als
beides „Mit einem Wort: es it oftmals ein guter Kopf, mit
einem ehrlichen Herzen, der das Unglüd has, das Opfer eines
niedrigen Erziehung zu werden. .
Da fein Verftand nur halb angebaut, fan Sen nicht ge
24
u.” IV, Ueber Schwaͤrmer und Gittenrichter.
— r r— — —
bilbet, feine Sinnlichkeit nicht verfeinert werben konnte, der
gefunde Keim von allem aber nicht ganz erſtickt wurde, fo ent /
ſtand daraus, zur Zeit der Meife, nachdem ſich dazu verhaͤlt⸗
nißmaͤßiges Alter, vermelnte Erfahrung, und fremder Beifall
geſellten, ein Zwitter yon vorzuͤglichem und gewoͤhnlichem
Menſchen, der ſernerhin keinen andern Erfolg hervorbringen
konnte, als den, ſich ſelbſt, und die Zuſchauer, zu beider
Schaden zu taͤuſchen.
Vermoͤge der Bedächtfichfeit und Geſetztheit feines Wer
fens, erhielt er Aufmerkſamkeit; vermoͤge des unibereilten
Gebrauchs feines Verſtandes, Achtung; vermöge der Bieder⸗
feit feines Herzens, Liebe; und vermöge feiner bereitwilligen
Eerlenntlichteit, Breundfchaft,
*Weſaß er, welches in dep Regel zu fein pflegt, einigen
Ehrgeiz; und faſt eben fo viele Herzhaftigkeit, und befand er
ſich igend einmal in einen Sage, wo deren Wiekungen arfhäßt
wurden, fo gelangte er dadurch zu einem Anſtriche vom
Selbſtſtandigkeit und Würde, und, ſo ſchwer diefes falle
mußte, zu einigem unentſchloſſenen Zutrauen auf ſich ſelbſt.
SGruͤndliche Kenntniß hatte er nicht; wohl aber den un⸗
Klücküichen Roſt der Fähigkeit, fie zu erwerben; und die noch
weit größere, und weit unglädlichere Neigung, die Außerlichen
Vortheile davon zu genießen. .
So machte er ſich am die Wiſſenſchaft, Die dem erſten
Rang zu behauplen, und, da fie mit bloßem Denken abger
dacht wurbe, beim Mangel von Sachkenntniſſen, die leichteſte
gu fein fehlen. Er fing an zu philofephfren, und da er, ver⸗
möge fehies natirlichen Mißtrauens In fich felbft, und der
noch größeren Bereltwilligkeit zur Huldigung anderer, einer
Mer unbewußten ‚Folge von jenem, auch gegen einen Kopf,
W; "Ueber Schwaͤrmer und Gittenriter. . 153
der ihm gut ſchien, nie ganz Unrecht; ofe fehr Recht Hatte,
weil er in Hauptſachen derfelben Meinung, In Mebenbingen
mit Geduld gehört war; fo konnte es nicht fehlen, daß Ihm
der Beruf zum Philofophen Immer velzender werden mußte, " :
Nun befand er fih nur noch wenige Schritte von feiner
Vollendung. Es mar nothiwenbig, und, vermöge feiner ar
gebohrnen Bedaͤchtlichkeit, unvermeidlich, ein für allemal ein
Syſtem zu ergreifen, wonach er alle feine Handlungen ein ⸗
richten, und ſich eines beſtandigen Zweifelne und Kampfens
Aberheben konnte.
Da das Syſtem einer vdlligen Vernunftmaͤßigkeit, ſo wie
es in der Theorie enthalten iſt, bie meiſte Uebereinſtimmung
und den meiſten Schimmer Hat; unſer Philoſph aber, vermöge
ſeines unhellbaren Mangels an Erfahrung, im der wirklichen
Belt voͤllig fremd, und folglich außer Stande war‘, die Unger
veimtheit eines idealiſchen Principe‘ für wirkliche Yandfangeit
am beherzigen; fo war nichts natuͤrlicher, als daß er es voller
Freuden annahm, und ungewöhnliche Beruhlgung empfand,
nachdem er die Hauptmomente davon gefaßt hatte.
Die Webereinfimmung feiner natärlichen Langſamkeit und
Anentſchloſſenheit, mit ben Vorſchriſten dieſes Syſtems, volls
endeten das Werk. Denn nunmehr ſtoͤrte ihn nicht nur die
Philoſophie in feinem langſamen Gange nicht, ſondern fle be⸗
guͤnſtigte denſelben ſogar; indem ſie, unter allen Erforderniſſen
ver Seelenſtimmung, wie ſehr natürlich und ſehr wahr, keines
mehr erheiſchte, als die Zmpgervrar, den Zuſtand der Beſon⸗
nenheit. ‘Durch eine, feinem Scharffinne und feinem Natutell
-angemeffene Hermeneutik, deutete unfer Vernunftmenſch diefen
Begriff auf feine Schwerfaͤlligkeit; und, Aberglüdlich, feine
natürliche Anlage mit dem Vernunftgeſetz in beifplellofer Hats
85
154 IV. Ueber Schwärmer und Sitteurichter.
monie zu finden, befam er, durch Beifall und Achtung ſubal⸗
terner Menfhen unterftägt, plöglih einen folgen Schwung,
daß er den lebendigen Glauben faßte, zum Vernunftmenfchen,
und zum Verfechter bieles Syftems geboren zu fein. ai
So ward er, was wir ihn fehen, ein Gegenftäd. zum
Schwaͤrmer; ein Menfh, der durch fein Mißtrauen in ſich
felöft, fo wie jener durch fein Vertrauen, einen. Namen ers
hielt. Jenem wird gehuldigt, weil er es verlangt: diefem,
weil er es verbittet.
Nach Plattners fehr gegründeter Claſſifikation der. Tems
veramente, gehört das Temperament des Sittenrichters zu
denjenigen. Arten, die dem Einfluffe eines feuchten und ſehr
genaͤhrten Körpers unterrorfen find. Denn gewoͤhn lich find
dieſe Leute ‚von guter Leiheskonſtitution; und daher iſt auch die
Wirkſamkeit des gröberen Seelenorgans bei ihnen, mehr oder
weniger, herrſchend. Sie Eönnen nicht fuͤglich eher denken,
als bis fie fatt find, und nicht leichter, als Im Schlummer.
Im Schauſpielhauſe gehören fie unter bie horazifchen Zus
ſchauer, die gerne Nuͤſſe effen.
©, Man Fann überhaupt von dem Sittenrichter nicht füglich
etwas beftimmteres fagen, als daß er eine verungluckte und
unvollendete Miſchung guter, mittelmäßiger und ſchlechter In⸗
gredienzen ſei. Daher kommt, daß er, ſowohl ſich ſelbſt als
dem Beobachter, für immer ein Irrlicht bleibt.
Die Meinung, die er-von ſich ſelbſt Hess, wird nothwen
digerweiſe, und ohne fein Verſchulden, periodifd größer oder
kleiner fein, als er ſelbſt iſt; je nachdem, bald die Reſte veruns
‚ ‚glüdtter Anlagen dem Gefühle der Kraft, oder bie wirklichen:
Unvollkommenheiten dem Gefühle der Schwäche, die Ober
band geben,
WV. Weser Schwärmer und Gittenrichter. 135
Eben deswegen ift beides ſchwer, fowohl ihn in Thätigs
feit zu Bringen, als ihn davon zuruͤckzuhalten; jedoch von beiden
das exfte weniger, weil er gem Gutes thun, das legte mehr,
weil er Gutes nicht gern aufgeben will.
Ungeachtet diefer Menſch nun, weil er bei großen En
wuͤrfen immer erſt zu fragen hat, ob er ſchon im Stande fei
den Entwurf zu machen; unb’ob es ſchon Zeit fei dies zu fras
gen, an keinem Poften in der Weit taugt, ber Ucberfiht und
Entſchloſſenheit erfordert; und wegen feiner ewigen Armuth an
Sachkenntniſſen, nicht einmal’ zur Berichtigung fremder Nach⸗
fäßigfeiten, die bei einem großen Werke vorfallen, zu gebraus
. hen iſt: fo bleibt er dennoch ein brauchbarer und zuverlaͤßiger
Beamter, fobald die Graͤnzen feines Amtes nicht zu ausge⸗
dehnt ſind.
Was den Einfluß Betrift, den er uf den Geift eines
Staates haben darf, fo muß biefer,' wie bie Sachen jegt
ſtehen, und an dem Ende fo vieler, nicht mit Zuyerlaͤßigkeit
aufauzäßtenden Jahrhunderte, die manche politiſche, philoſo⸗
phiſche und moraliſche Revolution, ganz neuerlich ‚aber, mas
mehr als alle vorhergehenden fagen will, eine franzoͤſiſche erlebt
haben, ohne Widerrede Außerft befhränkt werden. Ein
Schwachtopf kann ein ganzes, Land, verwirren, menn es feiner
Willtuhr uͤberlaſſen wud.
um
“ rom
ERSTEN
156 V. Demonfrativer Beweis,
— v.
Demonſtrativer Beweis, daß Kant kein Rantianer ift*):
Ein xdert ſpticht tächeriich „ was ato weidtich (prach. Waller,
Applicetur —F
auf.
alles, mas fih — aner je nannte, noch nennt, und je
nennen wird,
gu einer Zeit, wo die Philoſophen die afftägfichften und zehn /
taufendmal gefagten Wahrheiten ohngefaͤhr auf eben die Art
«und wer weiß, ob nicht auch aus den ſelben Gründen?) in
einen Wulſt ſchallender Worte einhuͤllen, wie gewiſſe Menſchen
it duͤrren Hahnerdemen falſche Waden tragen: zu einer Zeit,
too die nächtliche" Gbillan des Tieffinns den Thron der Weis⸗
beit mie allen ihren Motten umzogen hat; muß es allerdings
Befreimben eine der allerneuſten und orlginellſten Wahrheiten,
Kin achtes Horagiſches
9" Ananditum, röceis, iudictum ore alio —
hoͤchſt plan und ſchlicht, als wäre fie die alltaͤglichſte, vorgetra⸗
gen, id ſie fo gar nach derjenigen Methode entwickelt zu ſehen,
=) Wie unterfcheiden forgfättig „Groß: -und Klein Kantlaner,“ In der
Pbitofopdie, wie Groß, und Kieinhändier in Sachen des Handels, Das
große Publikum, bei welhem gewöhnlich dad Prineipium Indiscernibilinm
gie, kennt nur Kantlaner. Grot-Kantianer und Kleinı Kantianer aber
derhalten fi su einander, wie z5 iu 45. Wir baden es immer nur mit
den Klein ⸗ antianern au thun.
. daß Kant fein Kantianer if. 157
—— — — — — — —
die von je her fuͤr die Methode des Lichts und der Deutlichkeit
galt, nad der mathematiſchen.
Aber fo neu. und originell auch unfere Wahrheit iſt; und ſo
viel Ruhm wir uns durch eine modiiche Einhällung derfek
ben erwerben Eönnten: fo ift fie doch zu wichtig für das Heil
der uitterariſchen Welt, als daß wir ſie nicht mit aller moͤglichen
Klarheit umringen, mit ihrem vollen Lichte leuchten laſſen fol
ten: und wir ſelbſt denken zu edelspatriotifch, zu erhabefs
kosmopolitiſch, als daß wir. nicht unfern eigenen Ruhm dem
Heil der Menſchheit herzlich / gern zum Opfer bringen ſollten.
Hier iſt alſo zuvdrderſt — das große sugunm:
Kant iſt kein Kantlaner,
Wollten wir die Herren Kantianer nachahmen: fo wäre hier
ſchon — unſer Werk gethan. Denn dieſe Herren begna⸗
gen ſich überall mit dem bloßen Sagen. und Seßen.ihrer
Dogmen. Hoͤchſtens fhreiben fie am Ende des Satzes, oder
laſſen öfters den Lefer auch nur denfen — den Namen Kant —
and that is all. Nicht alfo — wir, Wir gehen gründlich zu
Werte: und führen unfern Satz durch alle Kategorien, ö
« *
Da nämlich bie Kontianer mit Kant ohngefaͤhr auf eben die
Art zu einer und derfelben Gattung aweifüßtger Denker (Phis
loſophen genatnt) gezählt werden, wie Ragen und Mäufe
mit dem Elephanten zu einem und demſelben Gefchlecht vierfü-
Giger Ruoͤſſelthiere gehören: fo fehen wir uns auch genoͤthiget,
das. philsfophifhe Geſchlecht der philo ſobhiſchen
Brofamennager *) (denn fo Henne Homer in feinem
— — — — —
”) Das erram pacas lebt ja hur von ben Vroſamen, die von des
reihen Ranned Kant Tiſche fapen.
258 V. Demonfirativer Beweis, '.
— — — e—
Froſch- und Maͤuſe⸗Krieg bie kleinere Ruͤſſel /Thiergat/
tung) mit dem weltberuͤhmten Trinker des Gans
ges *) nach allen den Punkten zu vergleichen, in welden f fe,
fi) einander aͤhnlich oder unähnlich find.
Phitofophen und Philoſophen alfo Einnen fih einander
gleich, oder ahnlich, oder auch verfchieden feyn
L nad ihrer Art zu denken
u nad ihrer Art zu ſchreiben
UL nad ihrer Art zu Handeln,
und zwar
1. gegen Freunde,
\ 2. gegen Feinde.
Nachdem wir unfere Demonftrazion auf eine fo-tadellogs
gründliche Weiſe vorbereitet; fo Beginnen wir nunmehr den gro⸗
ßen Beweis ſelbſt:
$. I. Major. Kant iſt der originellſte Liefdenter des I
hunderts.
Probetur. &irhe alle feine Werke vom kleinſten
bis zum größten.
Minor. Die Kantlaner find die erklaͤrteſten Flachkopfe.
Probetur. Siehe alle ihre Werke von einen
\ philoſophiſchen Abe ſtuͤckchen in
dem ehemaligen Soumal * * *
an, bis zu einem dickleibigen Com⸗
mentar über die Vernunſtktitik.
Coneluſio. Alſo ft Kant Fein Kantianer.
*) Dis Eudant date ach meineng fm Indicn wide Gandeoröm anf,
daß Kant fein Kantianer if. 159
— — — — —
$.IL. Major. Kant braucht oft dunkle Worte, um tiefe Ges
danken dadurch zu enthuͤllen.
Probetur. Siehe alle Werke Kants.
Minor. Die Kantianer brauchen dunkle Worte, um
I die flachſten Alltagsgedanken darin tief ei
zuhuͤllen.
Probetur. Siehe alle Werklein der Kantianer.
Concluſio. Alſo iſt Kant kein Kantianer.
5. M. Major. Kant ſchrieb nur Eine Vernunft⸗Kritik.
Probetur. Siehe die Leipziger Meßkatalogen
ſeit 1781. *).
Minor. Die Kantianer ſchreiben Kritiken Aber die Kris
tie, und Erläuterungen über ihre eigene Keis
tiken; und- Auszüge aus diefen Erfäuterun«
gen; und Auszüge aus dieſen Auszügen;
Auszüge für Kenner; Auszüge für Unkenner;
Auszäge für die Jünglinge auf Univerfitäs
ten; Auszüge für die Juͤnglinge auf Gym⸗
naften ; Auszüge für die Knaben in den Schus
fen; and erläuternde Anmerkungen zu diefen
Auszügen; und Selbft : Rezenfionen diefer
ihrer eigenen Kritifen, Erläuterungen und
Auszuͤge; und Rezenfionen der Nezenfionen
ihrer Selbſt / Rezenfionen.
Probetur. Siehe gleichfalls die Leipziger Meß⸗
katalogen felt 1781, wie auch die lit⸗
terarifchen Anzeiger aller und jedes
Rezenfionsinftitute,
m — — —
*) In Diefem Jahre erſchlen die Wernnnfekriti,
160 V. Demon ſtrativer Bew eis,
Concluſio. Alſo ik Kant kein Kantianer.
$. V. Major, Kant kann, wenn gleich nicht viel, doch eints
gen Widerſoruch vertragen:
Probetur. Seitdem er in dem, Schluß feiner
f s Prolegomene gegen Einen feiner
5 Widerſacher feine maͤchtige Stimme
erhoben, thut er gegen alle andere
ſeinen Mund nicht auf.
Minor. Die Kantianer polemiſiren und bellen unauf⸗
hoͤrlich gegen die Nicht / Kantianer, ja gegen
ihre eigene Bruͤder in Kant.
Probetur, Siehe bie Werke und. die Hezertw
ſtonen der Kantianer.
Concluſio. Alſo iſt Kant kein Kantlaner.
4. V. Major Kant zerkrazt hoͤchſtens feinem Gegner das
Angeſicht.
Probetun Siehe den bluttriefenden
Schluß ſeiner oben zitirten Pro⸗
legomene.
Minor. Die Kantianer raͤdern, zerfleiſchen, vierthei⸗
len ihre Gegner.
Probetur. Siehe die Nezenfionen Aber Plat⸗
her, Eberhard, Garde, Feder,
in den verfdjiedenen Rezenſions⸗
Niederlagen der Kantianer,
Concluſio. Alfo iſt Kant kein Kantianer.
$. VL Major, Kant deingt in feiner Vernunftkritik, ſo wie
j in feinen ganzen Syſtem, überall auf Eins
beit und Selbſtvollendung. (Tote
litoͤt).
Probetw.
daß Kaut Fein Kantiautr ifk 16r
Probetut: &iehe dem oberſten Grundfah der
Bertunftkritit:
Minor. WE Kaneianer bewirken in dem Reiche ber
. Wahrheit und der Weisheit nur Theilung
und Selbſtzerſtoͤrung.
* Probetur: Siehe die Geſqhichte der deutſcheu
Philoſophie vom Jahre 1781; ale
ir dent Geburtsjahre der Kantifchen
Aritik an, bis auf den heutigen
Tag; als den 17. Junius 1797,
und wahrſcheinlich bis zu Kante
Xode, mo, wenn nicht alle Weiſ⸗
fagungen ppHofophifgier Noſtro⸗
> Dame trügen, eim neuer Himmel
und eine neue Erdeder Phh .
tsfopbie zw erwarten ſteht.
Concluſio. Alſo it Kant fein Kantianer.
5. VI. Major; Kant hat noch keinen feiner Lobpreiſer wiedel
gepriefen; Keinem auch nur gedankt.
Probetur. Giehe das ganze Benehmen des
Mannes gegen feine abergläubir
ſchen Gotzenbiener.
Minor. Die Kantlaner köuten fi einander aicht oft
genug beraͤuchern/ das Weihrauchnaͤpfchen
"hehe genug einander an die Naſe Halten.
Probetur. Siehe die Kleinen in großen Schrife
ten und Nezenſionen der Kantianer.
Concluſio. Kifs iſt Kant kein Kamtianer.
5. VER Major: Kant iſt ein treflicher Mathematiker —
"Prob. (©; fein erſtes Werlehen „üben.die
Dritter Jabegı et Band. 8
182 v. Deiitonfieativer Veweis,
— — — —
Sqhaͤzung der lebendigen Kräfte);
ein guter Phyſiker (OS. daffelbe Werk:
* chen); ein vorzuͤglicher Aſtronom (S.
feine neue Theorie.des Himmels);
’ ein Kenntnißreicher Geolog (©. feine einft
herauszugebende ,phyfifhe Geogra⸗
phie“)3 ein origineller Menſchenbeob⸗
achter (S. ſeine einſt herauszugebende
Anthropologie); ein feiner Aeſthetlker
(©. fein Werten äberdas Schoͤne
und Erhabene)
Minor. Die Kantianer find nichts, durchaus nichts
als Kantianer.
Probeter: ©. das Schriftnverzeichniß dieſer
Männden.
Oonclufio. Alfo if Kant fein Kantianer,
$ x Major. Kant eifert gegen die Misbrãuche ſeiner Dit
loſophie.
Probetur. ©. die Vorrede zu feiner Dart
fit des Rechts.
Minor. Die Rantianer Schaffen diefe Misbräuche,
Probetur. ©. die Predigten, die. Eregefen,
die Kinder /Metaphyſiken in trans ⸗
cendentalem Styl.
Conclufo. Alſo if Kant ein Kantianer,
Zeder Kenner der Höheren Wiffenfchaften weiß es, welche
unaus ſorechliche Geheimniſſe, nach den principiüs artis ma-
gicae. in bey. Zobl Mann enthalten find; ſintemalen es dayotz
Weißt, daß das goldene Siegel anf dem bemokritifhen
botß gant kein Kautaner — ARL
Baprpeits-Brännen *) mit der Ziſer Henn bezaͤchnet
iſt. Wir konnten uris demnach mit unſerm heunshäufigen
Soriten **), als einer unwiderſprechlichen, unwidetleglichen
Demonſtrazion bes oben aufgeſtellten Satzes, vollkommen be⸗
gnůgen: und, allſelig in unſerm Selbſtgefahl, wie ein Kantia⸗
ner bei der Durchleſung ſeiner lobpreiſenden Selbſt / Rezenſion/
unfer „Quöd erat detiönftrandüni«* hinzuſetzen.
Weil wir aber mit ünfeem matheniatiſch / philoſophiſchen
Verſuch insbefondere auch die lebendige Ueberzeugung
der Herren Kantianer ſelbſt beabſichten, ind biefe Leute,
wegen Ihres erklärte Unglaubens an -alies, was nicht Kant
ft, an die Geheimniſſe der Zahl Neun ſchwerlich glauben; ſo
wie wegen ihrer gewoͤbnlichen Unwiſſenheit in allem, was
nicht Transcendental / Terminologie iſt, dieſe Geheimniſſe ſelbſt
ſchwerlich kennen durften? fo find wir gezwungen, Hoc einen
andern Weg der Demonſtradion einzuſchlagen. ind dieſer iſt
ber per argumenta zur’ ardguror, zu teutſch, buch Beweiſe
nach der eigenen Schlußart ber Kantianer, und,
was noch etwas mehr fagen will, nach den in ber Bibel Alter
philoſophiſchen Wahrheit, in der: Berunfusch
sit, aufgeſtellten Grundſaͤtzen.
Nach ©. 30. der Kritik ber teinen Senf, ‚von Im⸗
mianuel Kant, Profeſſor in Königsberg 1781. Kiga,
j vetlegts Johann Friedrich Hattknoch PR
#3 Dis Mäheheit, fährt Demokrat,‘ läge Im einem tiefen Bennnen
betgraben. Ja wohl, guter Bemiokrit: Anh mit unfern, mit dietoslvod⸗
fen Tetwiinneletien beſchtiete ten gettelcen- die wir In
ten Ginelihsenfen, datften wie wodi ſchweruch den 86a
ſch waren.
N. Boriteß Heißt in der kat eine aus —E beſleheade
iupit⸗
83
164 V. ‚Demonfratiger Veweis
iſt die Tafel der Kategorien folgende: ,
1.
Der Quantitaͤt.
Größe.
. Reinheit.
x “ 2:
Der Qualitat.
ı ö RKealtitaͤt.
Dun Irrealitaͤt.
3.
Der Relazion.
Sub ſtanz.
U or Accidenz.
9
Der Modalitat.
Seyn.
Nichtſeyn.
Dieſem gemaͤß ſagen wir alſo:
Kant und Kantianer And derſchieden
1. Der Quantitaͤt nad.
Beweis: In Kants Art zu denken, zu ſchreiben,
zu handeln, if alles rieſenhaft.
u In der Kantianer Art zu denken, zu fchreis
u ben, zu. handeln, if alles awer⸗
1— wen mäßig
= Der Qualität nad.
Deroeis: Bei Kant iſt alles reell.
nn re den Kantlanern If alles irreel
daß Kant fein Kantiauer if. 205
3. Der Relazion nah. u ”
Beweis: . Kant, gleich der geoßet‘ Belt Cusfan,
bedeckt alles in der philoſophiſchen Welt.
ö Die KantlanersXcitvengen, kriechen,
: gleich den Erdgerotienmen;; "an" dem Sons
5 renſtrahl dieſer philoſophiſchen Welt⸗
Subftanz, ans Tarehtt Iren.
4 Der Modalltät'nad. 0 En
Beweis: Kant mar von je ber, iſt unferm Jah
nt ö hunderte, und wied allen nachfolgenden
+ Jährhunderten ſeyn ein großer Denker.
Die Kantiantfgen-Undenker, um
mit Vater Homer zu beden, flattern und“
zerflattern, wie die Schatten.
Die Tafel der Grundfäge see nach Seite 161, der
Bermanft Kritik: ö
. nn
Ariomen der Anfhannng.
2. 3.
Anttzipazionen der Wahr⸗ Analogien der Erfahrung
nehmnug.
4
Pofulate des empiriſchen Denkens,
Und hier fagen wir x
2. Kants Axiom iſt das der prufenden Auſchauung der
Wahrheit.
Der Kanttaner Ariom iſt das ber gehefteten Anſchauung
des Kantiſchen Buchſt ab ens und der ſelbſtge⸗
faͤligen Befhauung ihres mit kategoriſcher
Reinheit und Unbedingtheit geliebten Selöfs
25
3 Kants Antizipazion, von welcher alfe feine Philoſophie
a: usglngy- mar Die: daß alle philoſophiſche Syſteme trů⸗
gen konnen.
Die Antinlpadiqn der gantiauer und erſtes Subſtrat
1. Hllen.ikren Denkens und Machbetens ift diefe, daR.
1. Kant. nicht irren, und Kants Syſtem aicht
truͤgen kann. *
3. Kants Geiſt ſteht in der cahmlchſten Analogie.mit .
den Ariſſotelen, Nemwtonen nnd Leibnitz en.
Die Geiſtloſigkeit der Kantianer iſt, ohne alle Analogie
in der. philoſophiſchen auttetatutheſchichee, nur ſich
ſelbſtglelch.
* Kants großes Poſtulat iſt; prafei, was wahr iſt.
Das Poſtulat der Kantjianer il; Glaubet an Kant,
vi. and.an unſere Compendien. >
Uns dünke, wir Finnen, nach fo vielen, fa mannigfaltig ger-
wandten, und durch Thatfahen belegten Beiyeifen mit gutem
Gewiſſen das mathematifhe Fo triumphe! Herfegen: Quod
Erat Demonftrandum.
vellais!
—
—
VI. Sum» Hoam oder die Gerichwanberung. Tup
Fum-Hoam oder die Seelenwanderung.
Von Große I
Tongel, Safer ven Shina hatte fi mit-Sultendam, einer
" geotgiänifcpen Prim⸗ſſen vermahlt, weihe, eine ſehr eifrige
Anhängerin Mahomets , die füge Vereinigung mit einem am
gebeteten Gemahle, fo mie überhaupt ihre ganze Gluͤckſeelige
feit durch nichts weiter geftdrt ſah, als durch bie Abwei⸗
dung, welche ih zwiſchen ihren beiberfeitigen Religionen bes
fand. Sie ſehte es fich daher in · den Kopf ihn zu belehren;
lag ihm unaufhoͤrlich in den Ohren, feinem fo Handgreiflichen
Unfinne zu entſagen — aber mas konnte ſie wohl mit allen
ihren Beſtrebungen anders hervorbringen, als daß er ſich
wicht minder bemuͤhte, fie von der Wahrheit der Lehren Char
tabuts zu Überzeugen, denen er unmanbelbar anfing? Dieg
iſt das Schickſaal alles Religioneſtreitigkeiten. Da ein jedee
ein eignes Intereſſe hat, fh ‚nicht in ſeiner Meinung zu
irren, überführt er niemanden von dem Grunde ve berfben. =
als lediglich ſich ſelbſt.
Chakabut lehrte die Seelenwanderung. Nicht bloß
zu einem unfzuchtkaren Grundfage feiner Glaubenslehre hatta
ex ſie gemacht; fie-mußte ihm auch zu einem Beweggrunde
Bienen, ter lebſien zu folgen. Pens feinen Anhängern vers
ſprach er darin eine endlofe Reihe von Wollfften, und feine
$ 24
on VI. Beach ober Die Serlenwanberung.
Beinde bedrohte er mit einer breitaufenbjährigen Wanderung
durch eine Menge von Thiepkörpern, morin fie wahrnehmen
ſollten, wie gegründet es fei, was fie leugneten.
x Miefer Artikel befonders kam der Monarchin ſehr abge⸗
ſchmackt vor. Sie begriff nicht, mas ſie noch au lernen
Haben falle, um nach dem Tode der hoͤchſten Seeligteit fähig
zu werden; denn unter allen Weibern halten die Gultaning
nen ſich am eheften für gänzlich volltommen. Unzählige und
ſeht ernfthafte Zwiſte gab es deshalb mie ihrem Gemahl,
der, feines eigtnen Werther fich vollfommen-berouße, eben
darin einen Grund’ fand, am dem ifrigen etwas zu ziweh
fen. Um diefem @treite über ein Wunder ein Ende zu
machen, bedurfte es zulegt eines anderen. Wunders.
Es brach ein Krieg zwiſchen dem König von Georgien, -
dem Water ber. Kaiſerinn, und einem feiner maͤchtigeren Nach⸗
baren ans; es war zu entfernt, um ihm auf: einem gemöhnkis
Gen Wege Hulfe zu keiften und chinefifche Truppen zu feinem
Beiſtaude zu fenden. Darum war es um dem bedrängten
Monarchen ohne alle. Rettung gethan, wäre ihm nicht auf
Befehl feines Schwiegerſohnes der Mandarin Fum / Hoam in
Ende Viertelſtunde Dusch die Luft. zu Huͤlfe gekommen. Diefen
fing ſeinem Gegner: ohne Umſtaͤnde den Kopf-ab, zerſtreute
Die Truppen beffelben, und endigse fa den Krieg in einem einge
gm Tage.
Zuffendam, obgleich von ihrer Religion mit noch unglaub⸗
licheren Dingen bekannt. gemacht, erſtaunte doch ein wenig
Über. diefen Vorgang. -,, Das ift bie Frucht von den außer«
gebentlichen Kenntniffen Fum / Hoams — fagte ir. Gemahl.“
und wie kaun er ſich dieſelben erworben Ihm! —
eatwortete ſie.“
vi. Fum⸗Hoam ober die Seelenwanderung. 109
— — — — —
Vermittelſt dev Seelenwanderung.“
Vepmittelſt der Seelenwanderung?
„Dit anders, Madam. Am beſten iſt es, daß wir ihn
felbſt kommen laſſen. Aus ſeinem eignen Munde menden ei
dies alles weit beſſer erfahren.’ .
Sum / Hoam ward herbeigerufen. „ohn Zweiſel —
fagte er, — wird es den Vegebenheiten: meines Lebens, wie
allen anderen ungewöhnlichen Ereigaiffen gehen. Em. Mas
deftät werden Sein Wort davon glauben.. ‚Aber die Umpände
muͤſſen · hinreichen um Sie zu Überzeugen, daß Ich unmöglich:
die Kenntniffe, von denen ich eben eine Probe abgelegt habe,
anf irgend einem anderen — u erhalun km Stande ger
weſen bin.“ ·
Die Monavchin ward durch Die Veriheeens nur noch
ungläubiger in Ruͤckſicht desjenigen was fie vorbereiten fellte,
Indeß, od fie gleich. mit dem Kopfe ſchaͤttelto, reizte ihre nas
taͤrliche Meugierde ſie doch nicht wentger an, dieſe wunderſelt⸗
ſamen Begebenheiten bes Mandarins moͤglichſt bald in Erfah⸗
rung zu bringen. Fanm · Hram, ihren Wuͤnſchen gehorſam,
verueigte ſich in tieſter Unterthaͤnigkeit, und begann feine
Errahlung ſolgendetmaßen:
un . Binsran..
Der allereeften: Begebenheiten meines Dafeys kann ich
mich unmoͤglich ohne Schauder erinnern. - Denn bei meinen
Herabkunft auf Erden müßte Ich dan Körper eines unglücklichen
Kindes beleben, das nachher zu einem Ungeheuer von Grau⸗
ſamkeit und Laſter heranwuchs. Ich ward in’Perfien unter
dem Nahmen Pinsrab gebohren, und Sohn eines armfecligen.
gr
vro Vi, Sams Hoem oder am Seelenwanderung.
EEE.
Hieten, im bitterfien Elende erzogen, und ohne ale Ausſicht
es jemals verbeffern zu Kbumen, ſchienen bie Keime der Talente
am Laſter, hie in meiner Bruſt (himmmerten, in biefer Duns
Aelgeit unbemerkt erfierben zu follen; als Siamek, Schach von
Perſien, meiner von ohngefähr auf der Jagd anſicheig wurde.
-.. Meine Bildung gefiel ihm, einige raſche Antworten bes
Märkten. ihn in der erften vortheilhaften Meinung von mir;
von Schmeichlern umringe, glaubte er fih aus mir einen
treuen Anhänger erziehen zu können; von dem er zum we⸗
nigſten die Wahrheit erfahre, wenn er fle nirgends mehr
Böre: So nahm er. mich an den Hof, und erwaͤrmte eine
Schlange in feinem Buſen. Gold, Eitelkeit und Hofluft
verbarben mich bald, meine Talente bie ſich mit jedem. Au-
geublick nothwendiger machten, weckten den anerſattlichſten
Ehrgeiz auf, und, Siameks erklaͤrter Gunſtling, feinem Throne:
usb feiner Perſon fo nahe, wie konnte es mir an Gelegenheiten
feßlen, jedem Wonſch zu Sefriedigen? Der Sklaverei mude, an:
der Spige einer ſehr anfehnlihen Parthey, und der Umterthäs
nigteit eines. Volles ‚gewiß, das. von Natur zur Veränderung.
xveigt, jeden Aufruhr beguͤnſtigt, erfah ich endlich.einen Aus
genblick, wo Siamet allein von mir bewacht und meiner gewiß,
auf feinem Ruhebette einfhlummerte, und erwuͤrgte ihn mit
einem Kiffen. Alsdann bemeifterte id; mich ſelbſt des erledigten
Thrones; aber anſtatt · bie Att wie id) davon Veſitz nahm,
ducch eine milde Reglerung vergeſſen sr. machtn, ldſchte ich dag
ezſte Verbrechen nur durch ‚eine, Relhe zahlloſet darauf folgon ⸗
dar aus. Mein Nahme ward bald der Gegenſtand des —*
ſcheues und allgemeiner Verwuͤnſchuns. J
Es ſcheint · zuweilen, als ob die Vorſehung fir Pen
erdentliche Schandthaten Gh an beſondere Gteafen amfhee
—
VI. - Fum⸗ Honıs ober die Seeleawauderuus· z7=
— — — — —
halte. Nach einer langen Reihe von Greueln befielen mich uns
heilbare und ſchmerzhafte Krantkheiten, mein Körper loͤſte ſich
allmaͤhlich von ſelbſt and mit der grauſamſten Pein in ſeine er⸗
fen Elemente auf, ich ſtatb unter. Raſereien. Aber. ein nech
weit bemüthigenderes Gchickſaal ſtand dem ſtolzen Schach ont
Perſien bevor. Budererwachend fand er m in einen vekau
lichen en verwandelt.
Der Bon .
i u Ing etmae Pen ‚eruledrigendes darinn, und dad lanb
ich noch eine gewiffe Troͤſtung in dem Umftande, das meine
Gemächsart unverändert geblieben war. Selbſt hler gab es
noch Gelegenheit; meinen Durſt nach Menfchenblute zu ſtillen,
meine Rachſucht fand Begenftände ſich zu befriedigen, umd\
ſelbſt die miedrigfte aller Leidenſchaften, bie Wolluſt ging in
Ihrem werborgenen Genuͤſſen dabei nicht gang leer aus; Mit
nicht geringerem Vergnaͤgen als ehemals überlief ich die Reize
der Sultaninnen meines Serails, aber gerade mie fonft feſſel⸗
ten mich zuletzt die meiner Favoritin, welche ich mit unendlicher
Zärtlichkeit liebte, und welche diefe ebenfalls Heiß und aufs
richtig zu erwiedern ſchien.
Wiein ich nahm itzt wahr, wie granfam ich mich betrogen
hatte, und wie die zarte Flamme des weiblichen Herzens zw
feiner Unterhaltung ſanftere und edlere Neigungen heiſcht, ela
die welche Ih im Vuſen zug... Kaum wat mein ehemaliger
Körper aus dem Serall weggeſchaft und zur Erde betattet,
als auch das zaͤrtlicht Weib ſeinen ſo lange unterdrücken Ems.
pfindungen einen- ganz freien Lauf. verfiattete. Ein junger
ſchoner Gaͤrtnerſlav, der mir vorher le in bie Augen gefallen
sa VI. FZum⸗ Hoam ober die Seeleiwanderung.
— — e — —
woer / tam ige oiädlich zum Vorſchein, und wurde mit ſaheren,
berauſchenderen Liebkoſungen uͤberhaͤuft, als die Eitelkeit oder
Hab ſucht hervorbringen konnte. Eine koͤſtliche Lehre für bie
Dunarhen!. Wollen’ fie es niemahls lernen, daß ein Herz ſich
ſchwerlich erkaufen laͤßt!
Es iſt unmöglich, ſich eine Vorſtellung von dem Unwillen
zu machen, mit dem ich ein Zeuge dieſes Schauſpieles war.
Ein jeder Ruß glich einem Doldftoße für mich, ein jeder
ſchmeichleriſche Nahme den fie ſich einander beifegten, hallte
ſchrecklich in meiner innerften Bruft wieder, die Seufzer des
Vergnuͤgens, dem fie fih nun ungeftört und mit voͤlliger
Sicherheit hingaben, vernichteten mich, und als.ob alles zus
fommentreffen fee, um mid gaͤnzlich niedergubräden, fo
hörte ich von ihnen ein Gemaͤhlde meines Karafters mit grellen
Zauben und einer geaufenden Wahrheit darſtellen. Da: ver:
blendete mich die Wuth vollends, ich bedeckte ihren ſchoͤnen
Leib mit den ·empfindlichſten Biſſen; aber meine Anſtrengun⸗
gen waren fo kurz als ohnmaͤchtig, ich wurde erhafcht, und
bägte meine Schuid mit dem Leben.
3.
Der Hund.
Als habe meine Seele in den Schreckniffen und Befchäs
mungen meines vorhergehenden Zuſtandes ſich ſchon etiwas vom
Ipten Suͤnden gereinigt, wanderte fie, mit einer erträglicheren
Bage befoßnt;; Inden Körper eines kleinen Hundes ißer, der
einen indianiſchen Diartefchreier, Mahmens Zatem angehörte,
Deſer hielt ſich damals gerade in Arrakan auf, und meine uns
gewöhnliche Schönheit, ein Inſtinkt der dern menſchlichen Ver⸗
Mond? mahe kam, die daraus herſllehende wunderbare Geleh⸗
Vi. Banıs Hoam oder. die Seeleumanderumg. 173
—r — —— — —
eigkeit, ein ſchmeichleriſches Weſen, das mit einem beſonderen
Scharfſinne Freund und Feind unterſchied, — fo mancherlet
Eigenſchaften in meinem kleinen Körper vereinigt, erregten im
Surzer Zeit die Aufmerkſamkeit der ganzen Stadt. Jedermann
bekam Luft zu mir, aber der Preis, den mein Here auf mich
feste, war ſo unmäßig hoc, daß er alle Käufer zuruͤckſchreckte.
Unterdeffen ſprach man in Arrakan von nichts anderem
‚ale mir, and meinen feltfamen Naturgaben. Der Ruf, der
alles vergrößert, machte ein Wunder daraus. Bis daß er
endlich zu den Ohren einer jungen reichen, und nicht weniger
seigenden Wittwe gelangte. Dieſe, hoͤchſt neugierig gemacht,
lleß meinen Herrn zuletzt zu ſich rufen. Ralem gehorſamte
dieſem Vefehle, auf das feſteſte entſchloſſen, aus Ihrer Luͤſterm
J heit allen nur erdenklichen Vortheil zu ziehen, doch hatte er
taum ihre Thuͤrſchwelle betreten, als er auch aller feiner ſcho⸗—
nen Enefchläffe vergaß. Wermuthlich zerrannen fie im nehm⸗
lichen Momente am Feier ihrer himmliſchen Augen,
. Dasiat: (dies war ber Mahme der Wittwe) Eonnte ihrers
feits ſich nicht fat an mir ſehen. Sie bewunderte tieffinnig.
meine Kleinfeit, meinen zarten Gliederbau, die Lebhaftigkeit
meiner Augen, die Seidenweiche des Haares, die lieblofende
und, zugleich fhelmifche Miene, das Leichte, Gelenkfame und
Muntere in. meinem ganzen Wefen ; und nachdem fie über alle
diefe Eigenfchaften vorher mehrmals fehr unpolitiſch in Lobes⸗
erhebungen ausgebrochen war, ſchloß fie damit, daß fie meinen
Herrn befragte, was er. für einen Preis auf mid, fegte?
. Deine ſchoͤne Dame — antwortete ihr Zalem — von
jegt an ift mir diefer Hund für feinen Preis mehr feil, Er if
Ener Eigenthum, doch auf eine Bedingung, die Ihr, wie ich
beforge, nicht werdet zugeſtehen wollen. Indeß wie koͤnnte e⸗
274 91 Jum⸗ Hoam oder die Seelenwanvernug.
Euch Wunder nehmen, daß Eure Reize mich auf das tlefſte
‚gerührt haben. Ihr Eindruck IR’ ſo ſtare, daß er mich zu einer
Berlegung aller Schicklichkeit zwingt. Ich liebe Euch auf das
yäreiichfte. Ob ich gleich hier in Arrakan nur für einen Abende
eurer und Markrſchreyer “gelte, ſo bin ich doch In meinem
Baterlande von einer fehr hohen Geburt: wollt Ihr daher go⸗
gen dieſen Hund Eure Sand austauſchen, fo iſt er der Eurige.“
Wer Hat jemahls eine groͤßere Wuth geſchen, ale bie,
worinn Dariai bei dieſer unerwarteten Erklärung ausbrach.
Man konnte es nicht leugnen, mein Herr hatte darinn Ort
und Zeit aus den Augen gefegt, indeſſen lag eine Art von Eut⸗
ſchuldigung in ber überrafchenden Stärke eines erſten Gefuh ⸗
tes, Allein die ſchoͤne Wittwe gab lediglich den’ Eingebungen
ihres Zornes Gehoͤr. „Wer du ach fein magft — ſchrie fie "
mit halberftichter Stimme — geh mic augenblicklich aus dem
Geſichte, oder ich rufe meine Sklaven herbei, um did) deiner
Vermeſſenheit wegen nach Gebuͤht zůchtigen zu laſſen“
&alem verlohr ſeinerſeits bei dieſer Drohung hicht das
mindeſte von feiner alten Gelaſſenhelt, ‚fa er ſchien Hoch dazu
mit Wohlgefallen zu betrachten ; wie der Zorn ein ſchoͤnes Weib
noch viel teizender made. Ein ſanftes aͤcheln, das wenn es
auch nicht das der Getingſchaͤtzung war, demſelben ſich doch
feße merklich naͤherte, ſchwebte fehr Bebentend auf feinen Lips
pen, und nachdem er es einige Momente hatte voruͤbergehen
haſſen, um feine natuͤrliche Ernſthaftigkeit wieder änzunehmen /
antwortete er Balebldeig der erhitzten Witewe. „Ich rathe Die
eben nicht Schöne Frau zu einem fo gewaltſamen Verſuche, als
Du da im.Sinne haft, mm mich von Dir zu jagen. Denn
jede Ahle Begegnung würde niemanden ah «is
Dir ſelbſt zufügen.” 08
Ni. Sams Hoam oder. die Seridnwanferudg. 75
— — — — — —
Für nichts iſt man empfindlicher, wenn man in Eifer ge⸗
rath, als für eine kalte Gleichguͤltigkeit feines Gegners. Da⸗
Sail, tiefer-als jemahl gekraͤnkt, gerieth bei diefen Worten und
diefem Tone vollends außer ſich, rief ihre Sklaven herbet, und
befahl ihnen, biefen unverfhämten Marktſchreier derbe ausge
prügeln, und aus dem Haufe zu werfen.
Wie viel ſtaͤrker mußte fie ſich aber wundern ; als weder
diefe Drohung noch bie herbeiklommenden Sklaven, die ſich ia
Bereitſchaft fegten, dem Befehle ihrer Gebleterinn auf bee
Stelle Golge zu leiften, Ralem um nichts mehr aus feiner bes
leidigenden Faſſung brachten! Er zog eine kleine Doſe hervor,
Bahn etwas von einem weislichten Pulver daraus, blleß es
vor ſich im bie Luft hin, jene Sklaven, weiche ſchon ihre Waf⸗
fen "gegen ihn aufgehoben hatten, fielen nun über einander
ſelbſt Her, und ihre Wath ließ nicht eher nach, bis daß fie faſt
alle halbtod auf dem Boden ausgeſtreckt lagen.
Alsdann wandte ſich Zalem zur Wittwe, welche dieſe un⸗
erwartete Erſcheinung beinahe ohnmaͤchtig machte, und ſagte:
„Hier haft Du, meine ſchoͤne Gebieterinn, einen kleinen Bes
weis meiner Geſchicklichteit. Wenn Dir daran nicht genugen
ſollte, fo bin ich jederzeit bereit, Dir davon noch andere zu
"geben. Indeß glaube ich am beſten zu thun, wenn ich Dich
fr itzt Deinen eigenen Gedanken überlaffe. - Denke unterdeffen
über die Reinigken und Stärke meiner Leidenſchaft nach, in
vier Tagen werde ich wieder mit dein Hunde zu Dir zuruͤck⸗
tommen, ‘und hoffe, daß Du mich alsdann mit mehr Nach ⸗
ficht als heute aufnehmen wirft,’
Das Erftaunen der Witwe, worin mein Heer fie zus
ruͤckließ, war. grenzenlos und unbefchreislich. Die anderen
Umpände verwandelten e6.indeß bald: In mildere Empfindungen.
176 VI. gum⸗Odam oder bie Seeleuwanderuug.
— — — — —
Zalems blühende Jugend, ſein feiner ungezwungener Ans
ſtand, der. einen Mann von Stande vertieth, die ungemeine
Sauberkeit feiner Kleidung ſchwebten ihr ohne Zweifel unauf⸗
hoͤrlich vor Augen; vielleicht ſelbſt meine kleinen Reize mochten
dazu beitragen, dies Gemälde in ‚Ihrer Vorſtellung noch Ins
tereffanter zu machen; endlich. ihre Neugierde nach feinen wun⸗
derbaren Geheimniſſen war durch jenen ſchreckhaften Verſuch
aufgeregt, ihre lebhafte Einbildungskraft verſprach ihr tanz
ſenderlei fi immer erneuernde Genuͤſſe im Beſitze derſelben —
mit hoͤchſter Ungeduld ſah fie den ihr, von meinem Herrn ander
raumten vierten Tage entgegen:
Dan empfing uns an denſelben mit mehr Säflichfelt und
Zeremonie, als das erfte mal, So ift es in Natur und Wahr
heit begründet, daß Furcht mehr Ehrerbietung hervorbtingt,
als Liebe einflößen kann. Dan führte uns fo zu der ſchoͤnen
Wittwe ins Zimmer, die auf einem Ruhebette unter einem
Thronhimmel ausgeſtreckt, unferer zu harren fchien.
Ich erinnere mich, nie auf allen meinen Wanderungen
eines. reizenderen Schauſpieles genoſſen zu haben, als uns izt
Dariai anbot, Alles was die junge Begierde in ihrem erſten
Aufſproſſen verfuͤhreriſches hat, belebte ihr von Natür fon
bluͤhendes Geſicht, ihr Buſen ſchwoll von faufend neugebors
nen Empfindungen an, bie in der Geſtalt von Seufjern fichts
barer wurden, eine füße- Schaam ſchwebte auf ihrer Stirn,
und milderte, einem leichten Schleier ähnlich ‚ den zu ftarfen
Glanz ihrer Schönheit, welcher die Sterblihen font *
blenden koͤnnen.
. Ralem ſtand ein Weilchen ſtill, ſich gleichſam in das An-
ſchauen feiner Geliebten verlierend. Da. fie ihm aber freunb⸗
U) entgegen laͤchelte, und er Auf Ihrem -Gefichte Feine Spur "
. mehr
VE. Gurk» Hoam oder die Seefenwanderung. 177
— — — —
mehr von dem ehemahligen Unwillen, ja vielleicht ganz entge⸗
gengefegte Gefühle erblickte, faßte er neuen Muth, nahm mich
auf den Arm, als das Unterpfand und den Vermittler feiner
Liebe, und warf fich dreift zu ihren Füßen. Er fchien eben
fo fehr von Nene und Wehmuth buchdrungen, als von einer
heftigen Leidenſchaft überwältigt, und nachdem er eine Weile
vergebens nad) Worten gejucht hatte, brach er endlich in
diefe aus. —
„Meine ſchoͤne Gebieterin — ſagte er — ich beſchwoͤre
Dich vor allen Dingen, die grauſame Beleidlgung zu vergef⸗
ſen, welche ich Dir neulich hier zugefuͤgt habe. Es war die
bloße Nothweht, die mi zwang, auf dieſe Art deinem Zorn
zu entgehen. Aber iſt es wuͤrklich ein Verbrechen, Dich zu
Heben und anzubeten, fo geftehe ih Dir freimaͤthig das ich
heute noch tauſendmahl ſchuldiger als damals bin.“
Er hielt Hier einige Minuten inne, and ſuchte nach einer
entſcheldenden Antwort ia den Augen Dariais Dieſe waren
im Anfange beſcheiden anf den Boden geheftet, als getrauten
fie fi nicht, dieſe Antwort zu geben, Bald aber ſuchten fie
einen ihrer wuͤrdigeren Gegenſtand, und mein Herr mußte in
ihnen lefen, was er nur wuͤnſchen konnte, genug er fuhr im
feiner unterbrochenen Anrede fort:
„Glanbe Abrigens nicht, daß ih Dir ein Herz anbiete,
weldyes Deiner ganz unmärdig fei. Mein Water mar der erfte
Vezier des Königs von Golkonda, ich fein einziges Kind. Er
wollte mich gegen meine Neigung vermählen; ich lehnte mich
Wider eine Verbindung anf, die ich verabfgeuen mußte; Dres
hungen und Mißhandlungen aller Art zwangen mich endlich
zur Flache, und ich nahm nichts zu meinem Unterhalt mit mic,
ruert Zapıg, atet vand. M
178 VI. Fum«Hoam ober die Seelenwanderung:
— — — — —
als eine kleine Summe, bie ich mir vorher von feinen Ge⸗
ſchenken zufammenzujparen gewußt hatte,”
Bon Zeit zu Zeit biels mein Herr in feiner Erzählung inne,
um die Wirkung derfelben auf die ſchoͤne Wittwe in ihrem Ges
ſichte zu beobachten... Wie er aber darin nic eine Veränderung
bemerkte, die ihn Über irgend etwas hätte argwöhnifc machen
konnen, fo fuhr er in der Geſchichte feiner Begebenheiten unges
ftört weiter fort. ‚
„Zwei Jahre lang durchftrich ich ganz Indien, and einen,
Theil von Perfien, gefellte mic, alsdaun zu einem der beruͤhm⸗
teften Marftfchreier des Morgenlandes, hatte das Gluͤck mie
durch einige Dienfileifinngen fein Wohlwollen und fein Vers
trauen zu erwerben; bald machte er mir Fein Hehl mehr aus
feinen Geheimniffen, und wir Eamen zulegt dahin überein, mit
einander nad) Golkonda zu gehen, wo unterbeffen mein Vater
geftorben war. Aber das neidifche Schickſaal entriß mir mei
nen Freund und Gönner in Bankam, wo ihn ein Zufall befiel,
wogegen alle Huͤlfsmittel ſeiner Kunſt nichts vermochten.
„Auf dem Landgute eines der vornehmſten daſelbſt einge⸗
laden, brachte er mit den übrigen Gaͤſten einen Theil der Nacht
an der Tafel zu. Allgemach ſtieg ihnen der Wein zn Kopfe,
und fie ſchlummerten neben einander auf den Nuhebetten ein.
Die Hedienten, dem Beilpiele Ihrer Herrn vollkommen und in
Allem getreu, liegen es darüber aus der Acht, nach den Lich⸗
tern zu fehen, ein Vorhang fing Feuer, dies breitete fid) mit
einer unglaublichen Schnelligkeit. aus, und in wenig Minuten
war mein Freund nebft allen andern Gäften erſtickt, ehe mag
nur daran denken konnte, ihnen Hülfe zu leiften
',, Mid) brachte biefer Verluſt einer warklichen Werzrocifer
lung nahe, und es bedurfte einer geraumen Zeit, mich mus wiedte
vi Fum⸗Hoam oder die Seelenwanberung. 19.
etwas ruhig zu machen; ih nahm alsdann feine Arzneimittel
und das Bud) in Befig, worin fid) alle feine Geheimnifie aufs
gezeichnet befanden, Fam nad) Arrakan, in der Abſicht, durch
Entfernung und Zerſtreuung meine Wunde vollends heilen zu
laſſen. Die Schoͤnheit meines Hundes machte ein allgemeines
Auffehen, dies erregte Deine Neugierde. Du ließeft mid) zu
Dir rufen, ich kam, und Dein Anblid raubte mir das Herz.
Schenke mir daher aud) Deine Hand, fhöne Dariai, vers
ſchiebe nicht länger die Gluͤckſeeligkeit des treuſten und zärtfich
fen Liebhabers, und begleite mich nach Golkonda, um die uns
ermeßlichen Reichthuͤmer, die ich von meinem Water wei,
mit wir zu theilen
Diefe Erzählung und Verfiherung meines Herrn — fuße
der Mandarin in feiner Gedichte fort, — mochte ſchon an
fich felbft rührend genug feyn, er gab ihr aber dazu noch ein fo
leidenſchaftliches Gepräge, daß fie einen Stein erweiht haben
würde. - Wie wäre nur daran zu denken geweſen, unter folden
Umftänden einem fo fchönen und beredten Mann etivas abzus
fhlagen? — Darial ließ ſich zulezt überreden, gab dem drins
genden Liebhaber die Verſicherung ewiger Liebe und Treue,
empfing mit Vergnügen diefelben Schwüre von ihm, und nicht
lange Zeit darauf, fah ich fie einander Glück über ihren wech⸗
felfeitigen Beſitz wuͤnſchen Nachdem fie alle zu nehmenden
Meaasregeln miteinander verabredet hatten, ſich ungeftört und ofts
mals zufehen, entfernte fih Kalem, und ließ mich feiner Gelieb⸗
ten zurüd, welche bald eine ſehr innige Neigung zu mir faßte.
Ich fühlte mich gluͤcklich, Ihr anzugehören. Unmoͤglich
kann man fi auf der Welt ein füßeres, einnehmenderes Ges
ſchoͤpf denken. In ihrem Blicke, Elarer und erfreulicher als
dir Abendſtern, ſchwamm in einem blaͤulichten Thaue ein ent,
Mz2
180 VI. Sams Hoam oder die Seelenwandetung.
zuckender Ausdruck von Liebe und Empfindung; in ihrer klein⸗
ſten Bewegung friegelte fih ihre Seele mit Ihrer ganzen Deli⸗
kateſſe und Grazie; ihr Lächeln, die gewoͤhnlichſten Worte, ihr
Mienenfpiel, ihre Seufzer, felbft ihre Vorwuͤrfe erhlelten da⸗
von einen Zauber und eine Bedentung, die jedermann ſchon
aus der Ferne beraufchten. Es gab auf der Welt keinen feliges
sen Menfhen, als meinen Heren im Beſitz biefes holden
Geſchoͤpfes.
Aber das Gluͤck dauert oft nur fo lange, als es unbekannt
Bleibt. Die Schönheit und der Reichthum Dariais lockten eine:
Menge von Liebhabern und Freiern herbei, die Eiferſucht hlelt
die Augen aller offen, und ein jeder bewachte die Schritte und
Bewegungen ber andern, Ein junger Indlaner befonders, der
hoch dazu in der Nachbarſchaft wohnte, umgab meine Gebtes
terin mit Kundſchaftern, und nahm auf diefe Art bald die Häus
figen Beſuche meines Herten bei ihr wahr. Außer fih von
Wuth, glaubte er dem Eindrucke, den biefer anf das Herz
feiner Geliebten machen könnte, nicht beffer vorzubeugen, als
wenn er Abel von ihm in Ihrer Gegenwart ſpraͤche. Dariaf
nahm fid) deſſelben, und vielleicht mit zu großer Wärme any
and nun fi von feinem Ungluͤcke überzeugend, dachte der Ins
dianer an nichts anders als Rache. Es war Dariais guter
Ruf, den er angeiff, weil fie denfelben nicht feinetwegen hatte
beſudeln wollen.
Dieſe Verlaumdungen, mit den beißendſten /und ſchaͤnd ⸗
lichſten Erfindungen aufgeſtutzt, kamen meiner ſchönen Gebie⸗
terin wieder zu Ohren, und fie, aͤußerſt ungefüm in jedem
erſten Ausbruche ihrer Gefühle, überließ ſich darüber dem uns
mäßigften Schmerze. Ein Mann bekuͤmmert Ah um das,
was man von ihm denkt, eim Weib um das, mas man vom
v1. Sum» Hogm oder die Seelenwanderung. 181
- Ahr Spricht. Dariai Fam beinahe von Sinnen, ihre bisher fo
unbeflechte Ehre vom Gifte diefer Zunge angetaftet zu fehen.
Denn fie hatte ihre guten Gründe, warum fie ihre Vermaͤh⸗
lung noch nicht befannt machen wollte; es waren nur erft zwei
Monate, daß fie ihren erften Gatten verlor, und fie konnte
siner öffentlihen Entehrung auf Feine Art entgehen, wenn
man fo Aberzeugende Beweiſe fand, fie einer Unenthaltſamkeit
au zeſhen. Zalem that ihr vergebens den Vorſchlag, daß fie
mit ihm nach Golkonda gehen möchte, fie Eonnte es nicht laͤn⸗
ger Über das Herz bringen, ihrem guten Rufe fo ganz zu ents
ſegen, ſondern bat ihm im Gegenteil, fich felbft auf einige
Zeit gus Arrafan zu entfernen. Mur mit dem äußerften Kum⸗
mer fügte gr fih in ihren Wunſch, den er für einen Befehl
auſah, und gab daher bei.allen feinen Bekannten vor, er unters
nehme eine weite und lange Reiſe nach Perſien. Damit ward
se unfihtbar, ohne daß jemand beſtimmt wußte, wo er bins
gekommen ſeyn möge.
. Dariai litt unterdeffen nicht weniger als ihr Freund von
piefer Trennung , und befchäftigte ſich mis nichts and:rem, als
in ihrem fruchtbaren Geifte nach Mitteln zu fuchen, die das
Intereſſe ihrer Liebe mit dem ihres guten Rufes am Ende vers
ginigen Eönnten. Sch befonders ward zum Hauptgegenſtande
ihrer Sorgfalt und Zaͤrtlichkeit, fie überhäufte. mich mit den
Liebloſungen, die ihrem Gemahle zugedacht waren, ich ſchien
fie zu perſtehen, und die geheimſten Bewegungen im jhrer ins
nerften Bruſt zu errathen. Wie oft nahm fie mich nicht auf
ihre Arme, bededte mich mit den füßeften Küffen, redete zu
wir, las in meinen Augen die Antwort auf ihre augelegeuslis
hen Fragen, der Zögling Zalems war ihre
bebſte Gelellſceiät.
m;
182 VI. Fum⸗Hoam oder die Seelenwanberung.
1» Könnteft du mir doch — fagte fie eines Tages zu mir —
deinen ehemaligen Herrn wieder zurüdrufen, den du, treulofes
Thier zu dem meinigen gemacht haft, und doch wuͤrde ich bie
danten, und dich noch taufendmat lieber Haben, als izt.“
Sie begleitete diefe Worte mit den rährendften Seufzern,
and warme Thränen roliten auf mich herab. Kaum hatte fie
"aber geendet, als ich ihr auch vom Schooße fprang, die Haus
thuͤr hinauslief, und in den Straßen auf und nieder rannte,
um meinen Heren zu fuchen. Das Schickſal begänftigte mid
mehr, als ich erwarten Eonnte, und nachdem. ih einen Theil
der Stadt durchſtrichen hatte, traf ich glaͤcklich Zalem an, der,
anſtatt nach Perfien zu gehen, ſich in ein altes Weib verklei⸗
dete, und izt behutfam und laufchend auf unfer Haus zuſchlich.
Ich erfannte ihn auf der Stelle, fo kuͤnſtlich er fh auch ven
ſtellt Hatte, '
Da fprang ih an ihm hinauf, machte mich ihm von
neuen durch taufend LiebEofungen kenutlich, und diefer zänts
liche Gatte, als erwartete er eine fo günftige Gelegenheit mit
begieriger Sehnfuht, nahm mich alsbafd auf den Arm, pochte
am unferer Hausthüre an, und ließ fich bei Dariai als eine
arme Nachbarin anmelden, welche den verfaufenen Hund aufs
gefangen habe, und ihr denfelßen izt zuruͤckbringen wolle,
Dariai, hätte die Liebe fie auch nicht fo fcharffichtig ges
macht, würde doch nicht weniger leicht ihren Gemahl unter dies
fer Verfleidung erkannt Haben. Sie entfernte daher ihre
Sklavinnen, und gleichſam als ob fie noch einer andern Probe
bedürfe, nahm fie ihn bei der Hand; wie fie aber feine Augen
feucht werden ſah, warf fie ſich ihm ohne Ruckhalt mehr um
ben Hals. Außer ſich vor Liebe und Freude, machte fie darauf
ihren Leuten befannt, daß fie diefe gute Grau nicht heffer Fig
V. Fum⸗Hoam öber bie Seelenwanderung. 183
— —— — — —
einen ſo anfehnlichen Dienſt belohnen zu koͤnnen glaube, als
wenn ſie dieſelbe zu fi ins Haus nehme, um ihr die Oberauf⸗
ſicht über die Sklaven anzuvertrauen. Auf diefe Art brachte fie-
Zalem ihrer Perfon näher, genoß mit ihm friedfid des Glacks
‚ihrer Liebe, beranfchte ihn und fich mit allen Genüffen, die in«
nige Freundfchaft, ein auf Hochſchaͤtzung gegrändetes, wechſel⸗
feitiges Vertrauen gewähren, und die man nur in der ftillen
Stäefeligkeit feines eigenen Haufes fo rein und dauerhaft ans
trifft. Es bedurfte eines traurigen, ungewoͤhnlichen Zufalles,
um eine Beränderung in diefer hervorzubringen,
Das Nervenfyftem meiner ſchoͤnen Gebieterin war fo zart
and empfindlich, daß es vom ſchnellen Webergange aus dem
tiefſten Kummer in ein fo febhaftes Vergnuͤgen nothwendig lei⸗
den mußte. Die heftige Revolution in den Lebensgeiftern brachte
ein Fieber hervor, dies machte fie bettlägerig. Ralem ward uns
troͤſtlich darüber, und fuchte in feiner Kunft nach allen Huͤlfs⸗
mitteln, die ihm nur der Unterricht feines verſtorbenen Freun⸗
des und eine ausgebreitete Erfahrung darbieten konnten. Das
ganze Haus nahm an feiner Unruhe Theil, und in der allge /
meinen VBeftärzung, wo jedermann ſich ſelbſt zu vergeſſen ſchien,
war es auch natuͤrlich, daß man Aber Dariain ſogar ihren ehe⸗
maligen Liebling vernachlaͤßigte. Niemand reichte mir Waſſer
zum Trinken, ein heftiger Durſt begann meine Eingeweide zu
verjehren und artete zuletzt in eine völlige Wuth aus. Der Zus
fall wollte, daß niemand auf ‚den eigentlichen Grund meines
Stöhnens und Schreiens verfiel, mein Blut gerieth datuͤber
vollends in Gaͤhrung, und ich biß in einem Anfalle von Wahre
Finn endlich einer jungen Sklavin ins Bein,
Die Konvulſionen, welche diefe beflelen, Elärten zuerſt die
Hausgenoſſen Aber meinen wahren Zuſtand auf, Daxigi war "
Mt
184 VL Fum⸗Hoam oder die Seelenwanderung.
hoͤchlich darüber beträbt, kaum fehlen fie den Verluſt desjenigen
ertragen zu können, was ihr die Bekanntſchaft und Liebe ihres
angebeteten „Gatten verfchafte. Mit thränenden Augen und
sitternden Händen Enäpfte fie mir ſelbſt einen Strick um den
. Hals, ließ einen Stein daran binden, und mid) in den Strom
Mankuban werfen.
Während daß ich hier mit den Wellen kaͤmpfte, und den
ſchwachen Strick, der mich niederhielt, zu zernagen fuchte, err
eignete ſich etwas nicht weniger trauriges im Haufe meiner [hör
nen Gebieterin. Zwei Brüder ihres erften verſtorbenen Gemah⸗
les, vielleicht vom Gerächte verführt, und nachher von den
Eingebungen jenes verfhmäheten Indianers noch mehr aufges
weizt, ſuchten ſich felok won der Wahrheit derſelben zu uͤberzeu⸗
gen. Dariai, noch ſchwach, frank und deshalb empfindlicher,
zerfloß in Thränen über meinen Verluft, Zalem bemüte fih,
fie mit den zaͤrtlichſten Liebkofungen deshalb zu troͤſten, ihre bet;
derfeitige Lage ward darüber verdächtig, und gerade in dieſem
kritiſchen Augenblicke Hatten jene den Eingang ins Haus gefuns
den, und traten zu den beiden Verliebten herein. Meine. Ents
fernung war an diefem Ungluͤcke ſchuld, ich hätte ſonſt das Zins
mer bewacht, und fie von der Annäherung eines jeden Störeng
benachrichtiget.
Wie ſie daher ihre Schwaͤgerin auf dieſe Art mit einem
vermeintlichen Buhler antrafen, machte fie der Gedanke ihrer
entehrten Familie alle Weberlegung verlieren, und che Ralem
ſich vor ihren Angriffen ſicher ſtellen konnte, oder derſelben nut
gewahr wurde, hatten fie ihn ſchon mit mehreren Stichen Durchs
bohrt. Das nehmliche Schickſal traf Dariain, die unglädlichen
Liebenden treunten ſich aher Darum nach uicht, ſelbſt feſter ums
ſchlangen fie ſich, und mit einem Kuſſe gaben fie gemeinſchaſt,
lich ihren Geiſt auf.
VL Sum: Hvam oder bie Seelenwanderung, 185
— — — —
Die Wogen des Fluſſes rollten mich indeß eine Zeitlang
mit unaufhaltfamer Heſtigkeit fort, bis ich damit zu Stande
kam, den Strict zu zerreiffen. Ich. rettete mich hierauf elligſt
ans Land, und da die Kaͤlte des Waſſers meine Gluth etwas
abgekühlt, und mich wieder etwas zur Beſtunung verholfen
hatte, rannte ich ſchnurſtrals nad) Hauſe.
Aber wie groß war mein Erſtaunen, hier nichts als Blut
und Jammer zu finden. Die Mörder Kalems und feiner Ges "
mahlin befhäftigten ſich eben, die Wohnung zu durchfuchen,
und die Koftbarkeiten ihrer Schwägerin in Beſitz zu nehmen.
Vuͤthend fiel ich über fie her, biß fie wo ich nur konnte, und
wären die Kräfte dem Grimme beigefommen, der mich verzehrte,
th hätte fie ohne Zweifel ermordet. j
Doch reichte hin, was ich that. Wergebens wendeten fie
alle erdenkliche Mittel an, meine Biffe unſchaͤdlich zu machen.
Sie farben beide unter den gewaltfamften Verzudungen. Ich
meinerfeits warf mich roinfelnd auf die Leichname der ungluͤckli⸗
hen Gatten, verfchmähete alle Nahrungsmittel, die man mie
anbot, leckte bloß die blutenden Wunden, und ſtarb endlich von
Schmerz, ein Beifpiel unwandelbarer Treue und Anhänglichfeit,
4
Maſſuma.
Ohne Indien zu verlaffen, ging meine Seele in den Koͤr⸗
ger eines Mädchens von Bisnagar über, der Tochter von EL
tern, Die ſich nicht weniger durch den Adel und das Alterthum
ihres Stammes, als durch ihre unermeßlichen Reichthuͤmer
aus zeichneten. Man nannte mich Maſſuma, und kaum hatte
ich mein achtzehntes Jahr erreicht, als auch mein Vater ſehr
Mr
186 VI. Sum=Hoam ober bie Seelenmanderung.
Mb] — —ñ— e e —⸗ —
ernſtlich darauf dachte, mir einen wuͤrdigen Gemahl zu ver⸗
ſchaffen. Obgleich nichts weniger als ſchoͤn, beſaß ich doch ſo
mancherlei andere, in den Augen der Welt ſo guͤltige Ver⸗
dienſte, daß einer der ſchoͤnſten und bravſten jungen Herren
von Bisnagar um mic) anhielt. Nicht ohne Verſtand, um die
Mängel in meinem Aeuffern zu verbeffern, oder vergeffen zu
machen, flößte ich ihm eine fehr ernftliche Leidenſchaft ein;
Mein gefühlvolles Herz wußte fie zu erwiedern, und der wech⸗
felfeitige Beſitz, anſtatt unfere Empfindungen zu ſchwaͤchen,
gab denfelben nur noch viel mehr Stärke und Dauer.
Die erften fehs Honigmongte unferes Eheftandes waren
noch nicht gänzlich verfloffen, als ein Krieg zwifchen den Koͤni⸗
gen von Disnagar und Naringa ausbrach. Manfur, fonannte
fich mein Gemahl, riß ih nun aus den Armen der Liebe los,
um feinem Monarchen Hilfe zu feiften, Man übergab ihm
den Oberbefehl eines Älügels vom Heere. Als man endlich zu
einer Schlacht Fam, warf er mit einer beifpiellofen Tapferkeit,
"alles über den Haufen, was ſich ihm nur in den Weg ſtellte,
und fchon neigte ſich der Sieg auf unfere Seite, als fein bren⸗
nender Muth ihn in die Mitte der feindlichen Armee trieb. Die
feinigen konnten ihm unmoͤglich mit der nehmlichen Schnellig:
feit folgen, in kurzer Zeit fand er fi von allen Seiten uns
"ringe, und voll Bewunderung für feine unbezwingliche Tapfer⸗
keit, rief man ihm zu, daß er ſich ergeben ſolle. Aber er ant⸗
wortete nur mit Saͤbelhieben, uud indem er ſich bis auf den
Testen Blutstropfen vertheidigte, ſank er endlich, von zahllo⸗
fen Wunden zerfleiſcht, auf einen Haufen von ihm erfehlagener
Feinde nieder. Selbſt feine Gegner fanden ein fo rühmlichee
Schickſaal beueidenswerth.
Wäre Danfur fogleih im Anfange des Trofens gefallen,
Y1. Sum» Hoam ober bie Seelenwanderung: 157
—— — —ñ —ñ —ñ —⸗
dies haͤtte wahrſcheinlich einen ganz andern Ausgang genom⸗
men, aber fo hatte das Gluͤck fih ſchon für den König von
Bisnagar erklärt. Doc, erfaufte diefer den Sieg fehr theuer
mit. dem Verluſte der Stäge feines Thrones. Empfindlich
dafuͤr ſuchte er meinen Gemahl zu ehren, wo er nur konnte,
und als man feinen Leichnam fand, ließ er-denfelben mit einem
koſtbaren Schaugepränge und von den Bornehmften der Armee
begleitet zu mir ins Haus bringen.
Wer befepreibt meine Gefühle bei diefem fo unerwarteten
Anblicke7 Sie drangen mit siner folhen Stärke auf mic) ein,
daß fie mich des Athems beraubten. Die einzelnen, aufgeſtie⸗
„genen Thränen verteockneten in dieſer unendlichen Gluth des
Inneren, meine Bruft und mein Herz wurden zu enge, in bem
Adern erftarrte das Blut, ohne Bewußtſeyn ſtuͤrzte ich zu Bo⸗
den. Eine fange glückliche Ohnmacht beraubte mid, alfer Ge⸗
fühle meines Elendes, und als ſchmerze es meiner abwefenden
Seele, in dies Leben zurückufehren, wandte man eine ges
zaume Weile umfonk alle Mittel an, um mir ein verhaßtos
Beben wieder zu geben,
Wie ich mich aber endlich beſaun, fo gab es keinen Kuss
druck des höchften Schmerzes, mit dem ich nicht dem meinigen
Rufe zu machen bemüht war. Sch riß mir die Locken aus, vers
fündigte mich an meinem Gefichte und Buſen, und begleitete
dieſe Ausſchwetfungen des Jammers mit feinem heftigften Kla⸗
gegeſchrei. Ja, anſtatt daß die Zeit meinen Kummer haͤtte
vermindern ſollen, diente fie nur dazu mir denſelben noch un⸗
gleich theurer zu. machen. "Am ihn nach Möglichkeit zu nähren,
ließ ich mir den Leichnam meines Gemahles .einbalfamiren, m
meinen Schlafzimmer auf einem Ruhebette ausftredten, hielt
mich immer „Dicht neben ihm auf, benegte ihn Tag und Nacht
a8 VI. Fam⸗Hoam oder die Seelenwanderung.
— — — —
mit heißen Zahren, gab ihm in jedem Augenblicke ueue Beweiſe
mod Zeichen einer unausloͤſchlichen Leidenſchaſt.
Moch waren nicht acht Tage nach einer ſo traurigen Bu
gebenheit verfloffen, als auch eine gutmäthige Nachbarin, die
in mein Zimmer fehen Eonnte, meinen Water mit einem hefti⸗
gen Tugendeifer aufluchte, um ihm ihre Beobachtungen Aber
feine Tochter mitzutheilen. „Du haft — fagte fe ihm — bis
ist Maſſuma immer für ein Mufter ehelicher Treue, Eindlicher
Pflicht, aller weihlihen Vollkommenheiten gehalten, aber es °
thut mir leid, dir darüber die Augen öffnen zu muͤſſen. Ber
lauſche fie ein wenig in ihrem Zimmer, wo fie unanfbsrlid) den
Nui Lagen ſtraft, den fie ih fp unrechtmaͤßigerweiſe anmaßen
subchte. Einen andern Liebhaher wirft du in ihren Armen ans
treffen, der fie über den Verluſt deg braven, berühmten, uns
erfeglichen Manſurs zu troͤſten bemüht iſt.“
Meinen Bater fetten diefe Worte, und befonders bie
Ditterkeit, mit der fie vorgebracht wurden, in Wuth; er ſah
and hörte nichts mehr, und überließ fich den Eingebungen ders ⸗
felben ohne Ruͤckhalt. Die Ehre feines Hauſes befand fid auf
dem Spiele. Entiveder muß e er feine angeflagte Tochter vor
den Augen aller Welt rechtfertigen, oder Damit jener ein blutis
ges Opfer bringen. Darum nahm er feinen Dolch, Heß trotz
saeines Eleinen Widerftandes und meiner Slagen Aber eine ſolche
Gewaltthaͤtigkeit das Zimmer erd:nen,.. drang wütend herein,
erftaunte aber nicht wenig, feinen anderen Gegeuftand meiner
Bärtlickeit, als den Leichnam meines-angebeteten Gemahls bei
wir zu finden, Mit ihm hatte id mich beſchaͤftigt, als jene
Frau mich erblickte.
Wenig fehlte itzt, daß mein Water bie unvsrfiätige Klaͤt⸗
ſcherin nicht dem Gefühle feines. Unrechtes aufonferte, ‚Nur
VI. gum⸗ Hoam odet die Geeieninanberung. 189
durch eine fehleunige Flucht entging fie ihrer Strafe. Mein
Vater benachrichtigte mich hierauf vom Grunde feiner uner,
warteten Erfcheinung, und von dem unmäßigen Schmerze,
der mich verzehrte, gerührt, glaubte er im Traum feiner Bas
terliebe nichts befferes thun zu Finnen, als wenn er mir den
Gegenftand defielben aus den Augen fchaffe.
Es bedurfte hierzu eines ausdruͤcklichen Befehles von un⸗
ſerem Monarchen, meine Vorſtellungen, mein heißes Slehen,
ſelbſt die Thränen einer verzweifelnden Gattin, die man Ihres
theuerften Schatzes beraubt, rührten niemanden mehr; mit
einer unmenfchlichen Härte riß man mir den geliebten Leiche
nam vom Buſen weg; errichtete hierauf, gleichlam meinen
Schmerze zum Troy, den Scheiterhaufen vor unferem eigenen
Kaufe, und mein Vater nahm freudig felbft das Geſchaͤft über
fich, denſelben anzuzuͤnden. Doch meine unwandelbarr Liebe
und Treue vereitelte alle ihre Wuͤnſche und Hofnungen. Ich
erſah einen guͤnſtigen Augenblick, flirzte mic auf bar dam⸗
pfenden Körper, die Flammen liebten mic) beffer als meine
graufamen” Verwandten, und verzehrten mic) zugleich mit dem
theuren Gemahle. .
(Die Fortfegung folgt.)
190 „VII Noch einige Gedichte von Marie Muioch.
— — — —
vil.
Noch einige Gedichte von Marie Muivbch
gebohrne Schmidt.
= B z
1.
Bo te⸗ glauben - fie leicht, das Güte feiten ‚und
ü . langſam,
Blaub' und Zweifel, wie nah feid ihr dem Serien verwandt!
2
wit dem Herzen nur slauben und iweifeln die Men⸗
ſchen. — Die unſchuld
Gürchtet kein Unsluͤck, die Schuld athmet im Fruͤhlinge ſchwer.
3.
Summer fich gleich find Herder und Klopſtoc, Schiller
auch Wieland;
ProtenssG*e wer faßt deines Herzens Gefalt!
+
elefet man Wer, fo ih man in Eluger und feiner Gefellfhaft.
Uber ich bitte Dich, Ders, werde mis ihm nicht vertraut.
VAL. Noch einige Gedichte von Marie Mnioch. 191
\ 5.
Was die Männer verſtehn und wiſſen, ihre Gedanken
Und ihre Kunft verlangen ein weites Feld
Ruͤhmlichen Wirkens; es darf des Mannes Verdienſt ig
der Fremde
"Bekannter fen, als uiter dem eignen Dad.
Uber ben Weibern ziemt es, daheim iu bleiben in Allem,
Was fie an Kun vermögen, was ihrem Geiſt
Von den Muſen geſchenkt ward. — O ihr ghidlichen Grauen,
Was in der eignen Hütte nicht wohlgefaͤlt,
Was die Eurigen nicht verſtehen, was fie nicht höher
Und werther halten, was nicht von ihnen mehr,
Als vom Kreife der Fremden geliebt wird, Damiz, ih teieben,
Seid nie geſchmuͤct, es iß ein au theuter Yug.
Diefer blühende Kranz in des Geiftes Loden sefalle
Den Auge treuer Liebe zuerſt, die Hand
droͤhlicher Kinder, die euch zum Spiele rufen, ſie dien
In ſeinen Blumen ſpielen, ihn ungeſtraft
Bon des Muͤtterchens Stirne loſen, und neben bie Puppe
Vertraulich niederlegen! — Die gute Grau
Und die weife Ces wohnt der Frauen Weisheit im Heron)
gebt in der großen Welt für die Eleine nur,
Mebet im Stillen dort fo manche höhere Tugend,
Zwar nicht dem Ruhme, aber ber Liebe befannty
Und belohnet von ihr, wie nimmer Verdienſte des Manues
Bon dir, du fremde, neidifche, große Welt.
6
Bedarf mein Kind des Slaſes,
Worin ich jene Blume
198 VII. Noch einige Gedichte von Marie Mnioch.
—
Mit reinem Thau erquicke,
So laß die Blume welken.
Sie iſt ja nicht endeten,
Sf kein Geſchenk der Muſen
us Sunſt, — fie iſt entfallen
‚Dem uͤbetbollen Körbchen,
und firhe gewiß doch morgen.
Don 7
Ahfer Betgißhmeinnicht
Bluͤhet im Auge Her Kinder,
Stäbe, fd fange von und
Einet lebet, in Herzen
Die wir nach unfern etiehn.
Liederchen fprechen Aur-damt,
Wann wir fie leſen.
Berlinifhee
Archiv der Zeit
und
ihres Geſchmacke.
September 1797;
1.
Ueberſicht bei merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten
Am Anfange des Auguſt 1797;
gl; dem Schiuffe ner Reihe von Sahreh, bie dürch eine
kafche Folge großer Begebenheiten ſich ausheichneten, fällt ein
Monat, der an eigentliche” Erelgniffen ſo arm iſt als det vers
floſſene, Beni Beobachter der Zeit außerordeüitiich auf. —
Genau betrachtet, iſt et aber nicht fo leer an Vorfallen, die
Einen Piatz in einer kuͤnſtlgen Wetgeſchichte verdlenen; nu
liege dieſe noch in dem Dunkel des Geheimniſſes verborgen:
Ein driede kann nicht gleich einem Siege das Werk eines Mo⸗
hients feyn und wenn die Zukunft einſt die großen Schritte,
die in dei Verhandlungen des Friedens wahtend des Laufes
dieſet Tage gefhahen; derzeichnet, tvird fie dieſelben nicht tha⸗
kenleer nennien duͤrfen.
uns, dle wir nut einen kieinen Zeitraum zu aͤbetblicken dich
Stande ſind, ſcheint allerdinge wenig geſchehen zu ſeyn. Die
ſchwankende Rage; ih weicher ſich, am Schluſſe des dorigen
Monats, das Schickſal ſo vieler europäifchen Staaten befand/
bauert noch fort, und nitgends iſt es zu einer beſtimmten Ent /
frheidung gekommen. Die iſt dem allgemeinen Frieden auf
Weiteor Zadıg, ater wvand n
194 1. Ueberfichtder merfmärdigffen Staatäbegebenheiten,
—_— — — — —
behalten, der zu Montebello, Udine und Lille unter⸗
handelt wird. -
Die künftige Lage Italiens, dem eine größere Verändes
tung bevorfieht, als es je erlitt, und, dem erften Anfcheine
nach, auch jegt erleiden follte, hat — näcıft dem Frieden und
feinen Bedingungen — bie, gefpanntefte Aufmerkfamfeit und
Theilnahme gewommen. — Die cisalpiniſche Republik hat das
deſt ihrer Stiftung gefeiert, und eine Eonftitution angenoms
‚men, die der franzöfifchen vom hritten Jahre fehr gleich koͤmmt.
Buonaparte hat das Gebiet derfelben in Departements einges
theilt, hat die erfte Kepräfentation und das Direktorium ers
nannt. Da von den. Repräfentanten in den beiden Näthen
- Jährlich nur ein Deittheil austritt, und duch. die Wahl des
Volks erſetzt wird; da aus dem Direktorium jährlich nut ein
Mitglied ſcheidet ſo bleiben die von Buonaparte ernannten
Mitglieder beider Corps in den Raͤthen drei, in dem Direktorio
fünf Jahr. Dies Verfahren verdient allerdings um fo mehr
Aufmerkſamkeit, da die bewaffnete Macht der Franzoſen in
Italien Überall mit einiger Willkuͤhr zu Werke gegangen iſt.
Es giebt Beobachter der Weltbegebenheiten, die hieraus auf
"eine künftige Vereinigung der franzöfiichen und cisalpinifchen
Republik, die nur noch auf ein gewiſſes Ereigniß warte, ſchlieſ⸗
fen wollen. — Das Schickſal Venedigs naht fih einem uners
warteten Ausgange. Aus einer druͤckenden Ariftofratie ſcheint
dieſer Staat durch eine kurze (proviforifche) Demokratie in die
monarchiſche Verfaffung Überzugehen, indem es wahrfcheinlich
iſt, daß ein großer Theil derfelben, und vermuthlich die Inſel⸗
ſtadt ſelbſt, mic der Sftreichifhen Monarchie wird verbunden
merden, welche hier Entſchaͤdigungen für den Verluſt der Lom⸗
bardei und der Niederlande findet. Iſtrien und Dalmazien
|
Am Anfange des Auguſt 1797. 195
— — — — — —
find ſchon von den kaiſerlichen Truppen beſetzt, Verona und
andere Theile des ehemaligen venetianiſchen Staates hat Buos
haparte mit der cisalpinifchen Republik vereinigt, Corfu und
andre Inſeln find von den Franzofen befeßt, der Bürger Bas
taglia, der an Buonaparte geſandt war, hat wenig troͤſtliche
Antworten zuruͤckgebracht; eine Erklärung des Siegers von
Stalien, worin der zu Verona getödteten Franzofer auf eine
bedeutende Art Erwähnung gefchleht, läßt noch mehr beforgen,
und die Weigerung des Öftreichiichen Hofes, den von der Mur
nieipalität zu Venedig gefandten Minifter anzuerkennen, giebt
einen deutlichen Wink, was man eigentlich zu beforgen habe.
So oft.man auch ſchon Buonaparte in Venedig erwartete, und
namentlich am 24ften Juli, mo das Jahresfeft der Sturmung
der Baftille dafelbft gefeiert ward, fo hat er diefen Ort doch
Immer vermieden. Die Zeit muß noch nicht für Erklärungen,
die er-dort zu machen hätte, reif feyn. — Der Doge zu Ger
nua hat diefen Titel abgelegt, und nennt fih Bürger: Prafk
dent; auch hat bie ganze Nepublik den Namen der liguriſchen
angenommen. — Die Ariftsfraten von Lucca ſuchen indeß
Vereinigung mit Florenz, in Rom zeigen ſich Gährungen, die
vielleicht nur den Tod des achtzigjaͤhrigen Pabſtes erwarten.
Ein in der. Engelsburg ausgebrohenes Feuer, welches mit
einer Erploflon eines Pulvervorraths verbunden war, und vier
len Menfchen das Leben Foftete, foll von Mißvergnuͤgten an⸗
gelegt ſeyn. In Piemont und Meapel ift die Nuhe — wert
fie anders wirklich auf eine bedeutende Art war geſtoͤrt wor⸗
den — wieder hergeftellt. — Die Schweizercantone haben auf
ber Tagefahung zu Frauenfeld beſchloſſen, fih nicht in den
Streit der Buͤndtner und Veltliner zu mifchen. Buonaparte —
der wahrſcheinlich auch Hier-entfcheiden wird — hat durch feine
Na
196 1. Ueberichtder merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
— — — — —
Erklaͤrung: daß es auffallend ſey, wie Buͤndten, trotz feinen
weinen Demokratie, könne Unterthanen haben wollen, — einen
Wink gegeben, wie er entfcheiden wird. — Der Durchmarſch
feanzöfifcher Truppen durch die Schweiz bezog ſich bloß auf
einige Diviſionen, die nach dem ſuͤdlichen Frankreich gehen ſoll⸗
ten, und dieſer Anlaß zur Mißzufriedenheit zwiſchen Nachbarn
iſt glädlic) vermieden.
In England und Irland iſt das Parlament bis zum Ob
tober aufgelöft, nachdem noch zuvor das Staatsgeſetz durchge⸗
gangen, daß ber König berechtigt ſeyn ſoll, im fhnellerer Zeit
als bisher die Wahlen und die neue Verſammlung anzufegen,
Was jegt wichtige Verhandlungen nothwendig machten, ſchien
auch für die Zukunft vortheilhaft. — Wie gewoͤhnlich, ſiud
auch fuͤr die Zeit, wo das Parlament aufgeläft ift, dem Ks
nige Geldbewilligungen gemacht worden. Die Unrußen auf
der Flotte find geftills: man- hört nur von Todesurtheilen, an
den Nädelsführern vollzogen. Auch aus Irland erfähre man
nichts von tumultuariſchen Bewegungen; doch follte noch neus
lich Cornwallis als Heerfuͤhrer dahin abgehn. Admiral Lord
©t. Bineene haͤlt mit feiner Flotte noch dem Hafen von Cadix
geſchloſſen, und hat neuerdings, am sten und sten Juli, ans
gefangen, die Stadt zu bombardicen. Mazaredo hat ihm
einige Ranonierfchaluppen und andere Fahrzeuge vergebens ents
gegen gefandt. Aus Gibraltar iſt noch eine Anzahl von Kano⸗
„nen und Vombenbarken bel der Flotte St. Vincents (Jervis)
angekontmen. — Admiral Dunkan kreuzt noch vor dem Texel⸗
Die hollandiſche Flotte unter Admiral de Winter erwartet erſt
feften Oſtwind, um zu der Unternehmung, die wahrſcheinlich
gegen Irland gerichtet ift, auszulaufen. Sie wird dann von
einen ſramoſiſchen Flotte, Die In Breit ausgeruſtet wird, mut
Am Unfange bes Augufl 1797. 197
gerfkügt werden, zu welcher mehrere Divifionen der Sambre⸗
and Maas armee abgegangen find. Man glaubte, daß Gene⸗
al Hoche, der von diefer Armee abgerufen ward, deren Com⸗
mando Moreau zugleich mit dem der Rheinarmee uͤbernahm,
um Heerführer dieſer Expedition beſtimmt waͤre; das Direktor
rium hatte ihn zum Kriegsminifter ernennen wollen: ba er aber
" das erforderliche Alter von dreißig Jahren nicht ganz hat, fo
wird nun der ehemalige Anführer bes itallaͤniſchen Armee,
Scheerer, die Stelle Petiets einnehmen,
. Beränderungen im Minifterlo von Frankreich, und Tenps
\ penmaͤrſche die gegen die Eonftitution zu feyn fhlenen, und bie
neuen Elubs auf der einen Selte, gemäßigte Gefinnungen ger
gen die nicht vereideten Prieſter, die Emigranten, und das
Beſtreben bes neuen Drittheils in des Legisfatur fih um fo
mehr durch Humanitaͤt zu harafterifiren, je mehr auf Mitglter
dern der alten Drittheile noch der Verdacht von Geptemberfcer
nen, Terrorism und Sacobinism ruhte, haben einige Beforgs
niſſe im Innern Frantreichs erregt, die den Beobachter un⸗
möglich überrafchen Eben. — Partheigeiſt brachte Gefahren
‚Aber die entftehende Republik, aber die Energie des Euthuſias⸗
mug hielt ihn das Gegengewicht, indem ein jeder zu Aufopfes
rungen entfchloffen war. Seitdem bie Gefahr verſchwunden
ift, hat der Partheigeifk freieres und müßigeres Spiel, ſelbſt
die Sräfte, die einem bewaffneten Yuslande entgegenftehn muß "
ten, ijnd — Indem fie allgemeine Gefahren abwandten und alls
gemeine Teilnahme erfosderten, einen Vereinigungspukt abs
gaben — find bereit Mafchienen eines oder des andern Thellg
— wenn nicht gar Geſetzgeber für beide zu werden, — Es zeigt
mehr Gusmäthigkeit als Einfiht, wenn man den erfien Mor
ment der Ruhe ſchon für @lcjerheit Hält. - Und auch diefe Gute
n3
18 1. Ueberfichtder merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
— — — — —
muͤthigkeit bleibt fo lange zweifelhaft, als es gewiß ift, daß
durch die Maske des Wohlwollens und der Humanität ſich die
Gunft des Volks gewinnen läßt. — Das neue Drittheii hat
allerdings die Pflicht auf ſich, durch ſein Betragen als Geſetz⸗
geber das Zutrauen der Nation zu beurkunden, und das Epr
trem zu wählen, iſt immer ein fiheres Mittel zum Glänzen und
Hervorſtechen geweſen; allein eg frägt fih mit Recht, ob es
nicht edler fey, verborgen und verfannt zu feben, als durch
Grundſatze zu glängen, die, als Geſetze conſtituirt, den Staat
an den Rand des Verderbens bringen koͤnnen. — Das Direk⸗
torium geht einen feften Schritt, und dem ber fern von der
Scene viejer Begebenheiten lebt, mag es vergoͤnnt ſeyn, der volls
ziehenden Gewalt eine beſſere und genauere Kenntniß der Lage
der Dinge zuzutrauen, als ſpekulirenden Geſetzgebern. — Mehr
tere Minijter find vom Direktorio entlaffen, ihre Stellen aber
nicht ganz feft befegt. — Das geleßgebende Corps hat alle
Elubs als geſetzwidrig verboten, und die Mißverftändniffe we⸗
gen des Truppenmarfches, die fih.nur um eine Liene über die
eonftitutionelle Gränze der Hauptſtadt genähert hatten, ſcheinen
ebenfaiis. der Aufklärung nahe. . .
Was in diefer Ruͤckſicht vorgefallen iſt, kann nur allein
als Vorbedeutung einer enticheldendern Zukunft gelten. — Bis
diefe die Ereigniffe diefer Zeit gewürdigt hat, verſchieben wir
die Dartellung derfelben. B
Es iſt ſonderbar, aus ihnen Beſorgniſſe für den Frieden
ziehen zu wollen, und fo weit zu gehen, daß man einem Theile
” der Frieden fehließenden Partheien den Wunſch nach Ruhe abs
foricht, weil er. diefe Ruhe und die Rückkehr feiner zahlloſen
Krieger zu fuͤrchten habe — Die Ausgleihungen der Erobe⸗
zungen, und namentlich Mantua's und hollandiſcher Hefiguugeng .
Am Unfange des Auguſt 1797. 19
machen die größte Schwierigkeit, bie freilich gehoben waͤre, fos
bald die franzöfifche Republik ihre Macht gegen eigene Trak⸗
taten anwenden wollte.
So eben verbreitet ſich die Nachricht, daß in Turin eine *
Empsdrung ausgebrochen fey, die die Verhaftung der Löniglir
hen Familie und den Tod mehrerer Großen zur Folge gehabt
Babe, — Sollte diefes Königreich ſich gegen die Republiten,
die es rund umgeben, und den von ihnen ausftrömenden Geiſt
erhalten koͤnnen?
Uebrigens ift in Europa Ruhe. Alle Mächte arbeiten
gleich thaͤtig an einem begfädtenden Frieden. Nur dir
Suitan fühlt, daß der Revolutionsgeift Über das adriatiſche
Meer wandere, und indem alten Sige der Freiheit Wurzel faſſe.
Der ruſſiſche Kaifer Hat den bewaffneten Emigranten unter
Condẽ Dienfte, und ihrem Adel’ gleiche Rechte mit dem ruſſi⸗
ſchen verfprochen. Schon feine verewigte Diutter trug ihnen
Grundftüde im Aftrahan an, -aber-fie forderten ſtlaviſche
Bauern, weil fie nicht felbft den Boden bearbeiten wollten.
Es frägt ſich, ob fie den Antrag des Sohnes wuͤrdiger achten,
als den der Mutter?
Berlin, den sten Auguft 1797.
Ro
abo IT. Ueber das Privatleben der Deutſchen 1,
H .
Weber das Privatleben der Deutfchen, nach der BR
ferwanderung, und vor Karl dem Großen.
Bon
Seren Heriog
ur das Privatleben ber Deutfchen Hatte der nähere Yingang
derſelben mit den Römern einen mächtigen Einfluß. Zwar
blieben fie anfangs Ihren alten Sitten getrens aber das konnte
nicht fange dauern. Lebend unter den Beguemlichteit liehenden .
Römern, mußten fie fehr bald neue Beduͤrfniſſe kennen fernen
und fie zu befriedigen wuͤnſchen. Nichts feste ſich diefem
Wunſche entgegen. Sie fiengen qn, bequemer zu wohnen,
fh beſer zu Heiden, und koſthater zu effen amd zu feinfen,
Mean ſchloß ſich näher ap einander, und lebte in engeren Ger.
felfhaften; aber qn Feinheit {m gefeüfhafelichen Umgange
war nach lange nicht zu benfen. Die milden Neigungen dey
aus ihren Wäldern kommenden Barbaren, gepaart mit den
Laſtern der überverfeinerten Roͤmer, Fonnten unmöglich die
Deutſchen in diefer Hinſicht recht ſchnelle Fortſchritte machen
laſſen. Hätten die Franken ſtatt eines Ehlodwigs einen
Theodorich gehabt, und wären big auf Karl den Großen
noch einer oder zieh andre Regenten auf dem fraͤnkiſchen
Throne gemefen, die mit jenem großen Ofigothen Aehnlichkeit
gehabt Härten; fo Härte das geſelſchaftuiche Sehen wol ehe
1. Ueber das Privatleben ber Deutſchen 1. 201
gervonnen, als bei ber wirllichen Lage der Dinge möglich war.
Die Franken Hatten indeſſen keinen Theodorich, und unter den
grauſamen Buͤrgerkriegen, und bei dem fittenlofen Betragen
der Höfe, konnten fie nur langſam in der Verbefferung ihres
Privarzufaudes forträden. Doch rüdten fle fort, Wie weit?
damit befchäftige ſich folgender Verſuch.
2. Wohnungen.
In diefer Hinſicht waren wichtige Veränderungen vorge /
"gangen, Zwar blieben dieſelben noch weit von der Bequem⸗
ſichteit entfernt , welche wir ben unfrigen zu geben wiſſen, aber
fie Hatten ſich doch um ein Merkliches gebeſſert. Schon zus
Zeit der Völkerwanderung mohnte man nicht mehr untericdifch.
Das häufige Zuſammentreffen mit den Römern, und bie Be⸗
auemfichfeit der römifhen Wohnungen, die man nicht ver«
kennen konnte, mußte auch die Deutfhen auf Ihre ungwed«
mäßige Bauart qufmerkfam gemacht haben. Sie fiengen an,
fo gut fie konnten, über der Erde zu bauen, zwar immer noch
mit über einander gelegten Balken; aber doch bequemer. Die
Allemannen, der römifhen Stadt Mainz gegenüber, hatten
ſchon einmal Häufer gehabt, ganz nach roͤmiſcher Bauart.
Micht lange nach der Völkerwanderung, da die Franken
eine Zeitlang in Ballen gefeffen, und ihre erworbenen Kennt ⸗
niſſe ihren Landsleuten dieffeits des Mheins mitgetheilt hatten,
finden wir den Deutfchen nicht mehr, wie zu Taritus Zeiten,
feiedfjd) mitten unter feinem Vieh wohnend, und mit Knecht,
Weib, Magd und Kind um einen gemeinfhaftlichen Heerd ſich
herlagernd; ſondern Vieh und Menfchen und Vorrathskam⸗
mern hatten Ihre heſondern Gebände, Anfangs bauete man
noch von. Holz, ohı über ginander ſtehende Stockwerke, mehe
Rs
303 IL Ueber das Privatleben der Deutfchen ıc.
mm 1 — ——
Buden als Haͤuſer, und trennte davon die Ställe für dag
Wieh a), die man verihliegen konnte, die Scheuern
(ſcurias), die Kornböden (granias), die Keller (cel-
Iarias) und die Speicher (Lpicarin). Auch die Leibelgenen
harten ihre beiondern Nebengebäude. Ihre Häufer kanden
um das Hauptgebäude bes Herrn ber, und waren wieder mit
leinern Scheuern, Kornböden, Kellern und Speichern ums
‚geben, deren jedes, wen man es beichädigte, verfdieden von
denen der Herren vergütet werden mußte.
Man haste in der erften Hälfte diefer Periode u nicht
gelernt, wenigſtens noch nicht verſucht, in einem und demſel⸗
ben Gebäude, Gemaͤcher zu verſchiedenem Gebrauche anzuler
gen. Die Stuben (fubae) d. h. Gemädyer, wo man fi
waͤrmen konnte, b) waren getrennt von den Sälen ([alae)
d. h. von folhen Gemaͤchern, welde zu Zufammenfünften,
Gaſtmaͤhlern und Trinfgelagen beitimmt waren. An Berbins-
dung von’ Böden und Kellern, mit Stuben und Sälen, war
alſo noch weniger zu denken.
So gut wohnten indeſſen nur die freien Gutsbeſitzer; die
Leibeigenen fchlechter. In dem Titel der allemannifhen Ges
fege, wo das Wehrgeld für alle jene Gebäude beſtimmt iſt,
wird zwar von Häufern, Kornböden, Speichern und Scheus
ven der Leibeigenen geredet, aber nicht von Stuben und Saͤ⸗
2) Es fommen fon Gräge für Schafe und Schweine, getrennt von
einander, vor. Ber einen feiden Stau eines Andern verdraunte, mußte
drei Sciilinge Grrafe bezablen, und einen neuen aufführen Jafen. LL. Allam.
Tir. 81.6.3. «
d) Daher noch jeht ein Fenerdübchen. Auch nenne man nur die Ge⸗
Wäher Gruben, worin Ofen oder Eumine ind. @o bedeutet das Jtar
Sönifige Aufs, ein geheistes Zimmer, eine Badflube, und sinen Ofen.
IL Ueber das Privatleben der Deutſchen e. 203
— —— — ——
len: der Beſitz dieſer wird nug, den Freien zugeſchrieben. a),
Was Tacitus einſt · ſagte, daß die Söhne der Freien unter
einem Dache mit denen ber Leibeigenen aufgewachſen ſeien;
daß fie eine und dieſelbe Erziehung genoſſen; daß bie Kinder
der Freien keinen Vorzug, feine größere Bequemlichkeit gehabt
haͤtten, als die der Leibeigenen, paßt aljo nicht mehr auf diefe
Zeizen. Die bequemern Gebäude der Freien machten den Uns
terichied zwiſchen dieſen beiden Ständen im Aeußern vielleicht:
noch fihtbarer, als die Kleidung.- Wenn gleich der Unterfchied
zwifchen der Wohnung eines damaligen Leibeigenen und der
eines Freien nicht fo groß war, als der zwifchen der Hütte
eines jetzigen leibeigenen Bauern und dem Pallafte feines
Gutbefigers, fo war folher doc) in die Augen fallend genug,
um dem Kinde des Freien früh begreiflich zu machen, dafes -
beffer und wichtiger fei, als der Leibelgne. Man ift einer fol«
chen Lehre leicht empfänglich.
Außer dem Holze bediente man fh, zur Erdauung der
Haͤuſer, auch einer Materie, welche Tacitus eine unfoͤrmliche
Maſſe nennt; vielleicht, wie nach jetzt viele Huͤtten der Lands
leute gebauet werden, in die Erde gefchlagener Stämme mit
Keifern durchflochten und mit Lehm verklebt. Die Leibeigenen
wohnten gewiß noch in folhen Hütten. Sie waren zum Theil
fo Elein, und, wenn fle von Holz waren, fo leicht, daß fie,
noch in fpätern Zeiten, in mehrern Gegenden Deutfchlands,
zur fahrenden Habe gerechnet wurden b). Nur bie und da
fingen die freien Wehren, die jegt reicher geworden waren,
aus Kalk und Stein zu bauen an o). Aber felten muͤſſen biefe
2) LL. Allam. Tit. u.
2) Meinerd HiNoe. Wetsteiche. 2 Vd. S:109.
© Ik. Bajuar. Ti. L 0m
amg II. Weber daß Vrivatleben ber Deutfchen 1;
nn
Gebäude immer noch geweſen ſein, weil es der Kaltöfen nur
wenige gab. Alle Arbeit fiel hier wieder auf die Leibeigenen zu
ld: fie mußten Kalk brennen, Steine hauen, und die Mater
rialien herbei führen. Um ihr Schidfal aber nicht gar zu
ſchlimm zu machen, gab man das Gefeg, daß fie nicht gebun ·
den ſein ſollten, weiter als funfzig Lienes (quinquaginta leu.
pas) mit dem Karren für ihren Herren zu fahren. Gedeckt
waren die Gebaͤude immer noch mit Stroh.
Unbequemlichkeiten gab es bei diefen Wohnungen genug,
An Rauchfänge und Abtritte war nicht zu denken. Die Wohns
zimmer waren eng, niedrig und dumpf. PAr Keinlichkeit
amd Mettigkeit hatte man nicht Sinn. Hin und wieder kamen
doch ſchon Slasfenfter vor, wiewol die Lufen und Winds
Iächer =) noch am gewoͤhnlichſten waren. Das Hausgeräth
was mehr als bloß einfach. Selbſt die Tiſche in den Speiſe⸗
öimmern dee Großen waren gewöhnlich von fhlihtem Holze,
wie die Bänke, welche um bie Tifche herliefen, und mit Decken
und Polſtern belegt wurden b). Mur In den Wohnungen ber
BVornehmern war der Boden mit Eſtrich belegt. Man ber
fteeuete ihn mit hohen Lagen von Stroh oder Schilf, und ing
Sommer zuweilen mit Blumen, Laube und feinen Reiſern.
Nur dadurch unterfchieden fic) die Vornehmen von den Gerin⸗
gen, daß in den Zimmern der erſtern biefe Strohlagen öfter erg
nenert wurden. Die Gewohnheit dauerte Bis tief in das Mits
telalter. Seſſel und Stühle waren dabei felten:, man lag fies
4) So nannte man in den Äftefien deutſchen Hütten hin und wiedet
angebrachte Löcher, die dazu dienten, den Nauch abzuteiten und Eicht oder
friſche Luft einzutaſſen. Siebe meinen Verſuch einer Geſchichte ber Kulgur
der dentfihen Nation. S. 190.
8) Meinty6 0.9.0. S. 114
I. Ueber das Privatleben dee Deutſchen ze. a0g
bet auf dem Stroh #).. Des übrigen Hausgeräthes war inn
mer noch wenig. Veſaß einer von den Wornehmen mehr ale
ein Landgut, fo führte er, wenn er feine Beſitzungen bereifete,
geroöhnlich feinen ganzen Hausrath, Betten, Tiſche, Stuͤhle,
Kaͤchengeſchirr und bergleichen mit fi;
Nach und nad) bildeten ſich aus ben fohft einzeln ſtehen⸗
den Wohnungen Eleine Dörfer; aber keineswegs erſt dutch bie
unter Pipin in Deutſchland angelegten Kloͤſter: fie entflans
ben fchon früher: Alle jene genannten einzelnen Gebäude,
Häufer, Stuben, Säle, Koenbösen, Speicher, Keller und
Scheuren, zum Theil auch bie Wohnungen det Leibeigenen,
waren mit einem Zaun, einer Hecey oder mit eintr Planke
eingefaßt, und Heißen ein Hof (durtis). Rechnete man 36
dieſen Gebäuden noch die dazu gehörigen Beſttzungen an Feld,
Waldung, Wieſen und Seen, ſo bieß das Gange ein Weiler
Crilla); Aus mehrern Wellern, wenn ſie nicht weit entferne
von einander lagen, entſtanden die Dörfer (vitus)s mehreik
Dörfer bildeten eine Markung (marcha), und mehrete
Markungen einen Gau (pagus). An Städte war im eb
gentlichen Deutſchland nad nicht zu denen. Eine nähere Vers
bindung in der menſchlichen Geſellſchaft war alfo unmöglich;
In dem Mdlichen Deutſchlande Hatte anfangs der feänkir
168, nachher auch der baierſche und allemanniſche Abel, ſchon
die Gewohnheit, auf hoben Felſen zu hiften und dafelbft Berg
ſchloͤſſer und Kaftele anzulegen: Mehrere noch jest vorhandene
Ruinen folher alten Schlöffer gehen ſicher über Karl den
Großen hinaus: Von diefen Felſenneſtern herab konnten fib
allen Gofegent trogen, rauben, pländern und mordbrennen, ohne
= — —
Meiners a. a. o. 8
206 I. Ueber Das Privatleben der Deutſchen ıc.
daß man im Stande war, Ihnen Einhalt zu thun. Karl der
Große fand für gut, einen folhen Herrn, der an einer Ems
porung Pipins feines Sohnes Theil genommen hatte, auf
dem hohen Berge, wo er feine Feſte anzulegen gedachte, am
einen Golgen zu knuͤpfen. OB die Franken diefe Gewohnheit,
auf Bergen zu bauen, von den Römern gelernt haben, oder
ob fie ganz von ſelbſt darauf verfallen find, laſſe ih dahin ges.
ſtellt ſein. Mir fälle wenigftens jest: kein Beiſpiel ein, daß
bieß gerade Sitte der Römer gervefen fi; und aus den ‚Steb
len, weihe Hegewifch anführt a), läßt fih nichts gewiſſes
folgen, weil fie alle ays fpätern Zeiten find, in denen man
ſich den Uefprung dieſer Feften, welche der gemeinen Freiheit
fo verderblich wurden/ aus dem Heldenthume zu erklären fuchte,
2. Kleidung und Putz.
Auf dieſe hatte der näßere Umgang der Deutfchen mit den
Römern feinen Einfluß. Sie blieben hierin-geößtentheils ihrer
alten Nationalfitte getrey, und thaten wohl daran. So oft
auch die Mode die Außere Form diefer deutſchen Nationaltradt-
des männlichen Gefchtechts verändert. hat, fo ifk fie dennoch
ſich weſentlich gleich geblieben, und. die allgemeine Tracht des
ganzen Europa geworden. Nömifche, griechiſche, ſlaviſche
and orientalifche Tracht war länger, ſchloß nicht fo genau an
als die deutſche, wad ‚verhinderte deshalb auch mehr bei der
2) Mllgemeine Ueberfiht der deutſchen Aufturgefhidte
DIE auf Marimiiian L @. 45. Er fahet and Königdhofen an: der
GStammvarer des Sftreichifchen Haufes habe allemeiſt auf der Heid,
nifgen Bene, genannt Hobenburg, 'gehaufer, und in dem Ger
fange auf den’ Sr Maid Heiße 8: Die alten Buröin timen von din
stimmen Heiden her.
IL. neber daß Privatleben der Deutſchen ꝛe. 207
‚Arbeit. Vieleicht war gerade die letztere die Urſache, warum
man die alte Tracht heibehielt, ba man ſouſt ſo gern und Mat
roͤmiſche Sitten annahm,
Während der Voͤlkerwanderung war ihre Kleidung noch
ganz bie alte. - Der Kopf, die obere Bruſt, und der’ obere
Theil des Ruͤckens waren unbedeckt; der übrige Theil des Kdrs
pers, bis aufs Knie herab, mit einem Kamifol (Rod) beflels
det, wodurch aber manche Theile des Körpers unbedeckt blei⸗
ben, unter andern einTheildes Oberarms. . Unter dieſem Rode
war ein Huͤftſchurz, der bis auf die Waden herabhing, und
mit einem Gürtel aufgegurtet werdem konnte. Wenn dies ges
ſchah, fo war das Knie entblößt. Vom Knie bis zum Kuds
Gel war keine Bekleidung. Die Füße waren mit Schuhen: bes
deckt, an deren Außenfeite ſich noch die Haare oder · Borften
des Thieres befanden, von dem das Fell:gememmen ware),
So trug ſich der gemeine Franke wie der Vornehme, gewöͤhn⸗
— — — — —
a) Die merkwardioſte Gteüe über de Kiefdung der Ftanken, Andet fh
im Sidon. Apoll. Bp. 1. 1". ep. 20 Es if die Beſchreibung eines Anfiuges
eines zewiſſen fräntifden Beinen Sigiömer, der leine Braut heimbodig.
Swöngehmüdte Pferde wurden, vorangefühtt und folgten. Er ſeibſt ging,
weil man dies für antändiger bielt, in der Mitte” su Buße, mit feidenen
Kieidern angetban, an denen ſich viel Goid Hefand. Seint Megieitse trugem
behaarte Schuhe, die bis an die Andchel gingen, und angebunden waren,
Knie, Schiendein und Wade waren ohne Bekleidung. Der Nod war eng,
anfchliegend und ſciuerfarbig, und reichte bis ans Knie. Nur ein Theil
des Oberatms war bedeft Der Hüftfhurs war geünfich, mit einer rorben
Einfalung verfehn. Von der Schulter bingen, an prächtigen mir Budel;
verfehenen Gehenken, die Schwerter herab. Hintendbet hing ein Pi
In einer andern Stelle des nämlichen Verfaſſers. Paneg. maj. Heißt e#t
Strictins affutae Vefles proeera eoercent 2
Membra virum. Patet his altato tegmine popless
Katus er angalam fufpendis baltens alvum., ,
na U. Ueber das Peidatiebin der Deuiſchen ic,
fig; nur bei ſchlechtem Wetter hingen fle weite Mäntel uny
:die an beiden Seiten hoch ausgeſchnitten, und vorn und hinten
länger waren, als an den Seiten a).
. Daß die Tracht der übrigen deutſchen Wölterfhaften, be⸗
ſonders der Sachſen / won der der Franken verſchleden geweſeri,
iR. gewiß b); worin aber bieſe Verſchiedenheit beſtanden,
weiß ich nicht anzugeben. Sie milffen in der Folge bald bie
frankiſche Kleidung als die bequemſte angenommen haben.
Paul Warnefried mag wohl nicht fo ſeht unrecht has
„ben c),, mern er den Longobarden 34 den Seiten; wo fle tk
Italien einwandern, weite Kleider giebt: Die enge Klei⸗
dung wird zu Häufig eine Mode des Franken genannt, als daſ
knan behaupten konnte, kein deutſches Volk habe weite Kleider
getragen. Die Angelſach ſen, Abkoͤmmlinge der nördlichen
Deutſchen, trugen fie zu Warnefrieds Seiten, nad} jenek
Stelle, gewiß d): J
¶ Die Rocke der Franken waren in ben früheſten Zeiten ent;
weder aus Leder; oder aus einem groben leinenen oder hanfe⸗
ben Zeuge gemacht. Bald aber wurden aud bie Friesklei⸗
der allgemein, und allgemeiner als es für die Seſundhelt det “
Deut
3) Meines ä. a. 0.6. ini:
5) Bon Ötto dem Stonen Heißt eb, er habe, wie dt in Wachen ſei
heiröner worden, eine sünicam Arictam more Francorum geteägen:
Wirich, L. IL. Er mar dee jweite Kaiſer aus bemn ſachiſchen Hdnfe, und
Houie wadrſcheintich den Franken dadutch ein Kompliment machen.
9) Here Meinets meine dies tut neuen gött. didoe. Mag. 1: Mb: 2: Gt;
Site 297. fat.
4) Paul. Wärme. L. IV.cäy. Vefimenta vöro eis erant IAXA et ıhizihd
Unes, quilig Angle-Sizones habere foleat;
I. Ueber das Privatleben der Deutſchen se. 209
— — — — —
Deutſchen zutraͤglich war 2) Man trug fie auf dem bloßen
Leibe. Weil fie mehr erwärmten, zog man fie vielleicht den
leinenen vor. Sie waren in der Folge die Haupturfache, daß
der Ausfag und andre Hautkrankheiten fo ſchnell fich verbreites
‚ren, und fo ſchwer auszurotten waren. — Seidene Kleis
der, wozu man den Stoff aus Aſien duch den Handel bekam,
waren nicht in der Negel; eben fo wenig Koftbarfeiten und Ges
fchmeide, welches man daraus fieht, daß fie als etwas Seltenes
erwähnt werden. Des heiligen Eligius Kleider, heißt es
einmal, waren alle fehr prächtig, einige fogar ganz Seide;
und von den Bräutigams : Begleitern des Sigimer hatte
fein einziger etwas ſeidenes an ſich, als Sigimer felbft.
Landes unverſchnitteues Haar, das entweder fllegend,
oder in Flechten gefchlagen war, trugen nur diejenigen, welche
koniglicher Abkunft waren. b) An der Tracht der Haare fah
man den Unterſchied des Standes. Der gemeine Franke ſchnitt
ſich fein Haar rund an dem Nacken hinweg, ohngefahr wie uns
fer jegiger Landmann, Bei den Sachſen war ganz die näms
liche Sitte. Der Adel trug fein Haar unverfchnitten, und auf
die Schultern herabfchießend. Langes ſchoͤnes Haar heiße daher
bei ihnen adelihes Haar. Der gemeine Sachſe männlichen
Geſchlechts hingegen, ließ fein Haar nur zum Zeichen der
Trauer wachen. Die Frauen und Jungfrauen trugen langes
unverfchnittenes Haar, als Zeichen ihrer freien Geburt, und
a) Dan .fede meinen Berfuch einer Geſchidte dee auitut der Deu
fen. Seite 7.
5) Man erkannte Derfonn vom Bönigiichen Gebiute, nach dem Treffen,
Anter den Erfblagenen, an Ihrem Haar; und denjenigen von der Bönigils
Sen Familie, welche man jum Megieren unfähig machen wolse, (ax man
Die Haare ab. Beiſpiele dann Anden ih Häufig. :
Deitter Jahrg. aser Band. 8
210 IL. Weber das Privatleben der Deutſchen x;
freie Frauen Heißen daher in dem angelſachſiſchen Geſetzen
loktkebare Frauen Die verheuratheten Frauen in Altſachſen
wickelten ihr Haar gewoͤhnlich in Flechten um den Kopf, und
bedeckten den Kopf mit einer Haube. Jungfrauen gingen un⸗
bedeckt, und ließen das Haar entweder frei fliegen, oder in
Zlechten den Rüden herabhängen. a)
Den Bart, wachen zu laffen, war bei feinem deutſchen
Volke diefer Periode allgemeine Sitte. Bei den Franken ges
Hörte ein langer Bart zum Ehrenzeichen der Königlichen Far
milie. Nur nad) einer verlo.nen Schlacht ließen die Sachen
ihren Bart wachfen, und die jungen Ratten thaten dieß fo
Tange, bis fie einen Feind erlegt hatten. Zwickelbaͤrte hingegen
ſcheinen bei allen Ständen üblich geweſen zu fein. b)
3. Nahrungsmittel.
Anftatt jener Einfachheit der Koſt, die unter den alten
Deutihen Sitte war, finden wir jegt bereits Ueppigfeit auf
den Tafeln. Gregor von Tours erwähnt eines Franfen,
ber bereits ſtudirter Freffer war, und Aloe nahm, um beffer
zu verdauen. Nach dem Küchenzettel zu urtheilen, der bereit
gehalten werden mußte, wenn ein Eöniglicher Geſandter auf
der Meife war, muß der Luxus groß geweſen fein. Es wird
angegeben, wie viel Pfund feines Weizenbrod, wie viel Bein
a) Daher wohl noch die Gitte in einigen Gegenden Deutfchlands, daß
Dasienige Frauenjimmer'gemeinen Standes, weiches ſchon vor der Heurath
geboren Yat, ich in einer Haube trauen laffen muß. Sungfsauen werben.
an ſoichen Tagen frifet.
* 5) Man vergleiche Grupen uXor theotisca an mehrern Deten, und
Weimers Mpbandtung Ober den Hancı und Vartwne der zermaniſaen
Mationen. Meues Gott. dik, Mag. 1. Bd. 2. St.
U, -Ueber das Privatleben der Deutfchen ic. arı
— G — —
> and Bier, wie viel Schweine, Spanferkel, Schöpſe, Lam⸗
mer, Sänfe, Faſanen, Hühner, Eier, wie viel Pfund Oel,
Sardellenbruͤhe, Honig, Efig, Pfeifer, Gewuͤrznaͤgelein,
" Lavendel, Zimme, Datteln ꝛc., vorhanden fein follten. «)
Auch gab es ſchon foͤrmliche Koͤche.
So konnten indeſſen nur die Großen ſpeiſen. Der ges
meine Mann hatte zwar beffer eſſen gelernt, als in den Zeiten
vor der Voͤlkerwanderung; aber an eine ſolche Mannigfaltig⸗
Seit war nicht zu denken. Der Genuß des rohen Fleifches,
wenn er ja zu Tacitus Zeiten noch flatt gefunden haben
ſollte, war ganz weggefallen; aber man ſcheuete ſich nicht,
Baͤren, Biber, Schwalben, Pferde und dergleichen zu genie⸗
fen, Das gleich wurde entweder gefotten und gebraten, oder
eingefalzen und geraͤuchert. Brod von Weizen, Gerfte oder
Roggen, war an die Stelle des ſonſt allein gewöhnlichen Has
ferbreies getreten, den man aber, zur Abwechſelung gleichfalls
Beibehielt. Die Arten des Gemuͤſes hatten ſich durd, Anbau
vermehrt und verbeffert, befonders liebte man, als’ nährend,
die Huͤlſenfruͤchhte. Außerdem genoß man Milh, Butter,
Kıfe, Fiſche. Fir die Burgunder waren Zwiebeln und
Knoblauch ein Lieblingsgericht, welches fie ſchon als Fruͤh⸗
ſtuͤck zu fid) nahmen. b)
Meth und Bier blieb das gewöhnliche Getränf. Der
Wein war häufiger geworden, aber, wenn er niht aus dem
Auslande kam, ſchlecht; und man mußte feine natürliche
Säure, durch eine Vermiſchung mit Honig, oder mit dem
7
a) Form. Marenlf, IL.
») Sidon, Apoll. Carmen XIf. ad Catallin. Parif. 1614. © 351. Y. 1%
Da
sı2 I. Weber das Privatleben der Deutfchen ꝛc.
— — — — —
Safte gewiſſer Beeren, auch wohl mit Zucker und Wermuth
mildern.
Zu den Mahlzeiten Hatte man jetzt bereits eine beſtimmte
Zeit, und hin und wieder kommen ſchon große und prächtige
Gaſtmaͤhle vor. Die fräntifchen Könige ſtellten dergleichen oft
on, und es wurde für eine große Ehre gehalten, dazu gezogen
zu werden. Bei Eleineren Gelahen verfah die Hausfrau,
oder eine huͤbſche Tochter vom Haufe, das Mundfchenkamt;
bei größern aber thaten diefes Mannsperfonen; und wenn es
vecht hoch hergeben follte, harte jeder feinen eigenen Mund⸗
ſchenken. a) Die Tafeln der Großen waren mit feiner und
weißer Waͤſche belegt; in den Käufern des gemeinen Mannes
blieben aber noch In weit fpätern Zeiten die Tifchtücher fo lange
liegen, daß man ihre Grundfarbe nicht mehr "erkennen konnte.
Gabeln waren nicht allgemein, und an Servietten war -
noch nicht zu denken;
2) Fifpers Sitten und Bebräuce der Europked im V u. VI. gahr⸗
undert. Seite ag. , “
Wird fortgefegt.)
II. Ueber die bronzenen Arbeiten ic. aiz
— — — —
III.
Ueber die bronzenen Arbeiten zu Stockholm und
St. Petersburg.
Dr Statuͤe equeſtre Guſtav Adolphs, ift von lArcheveque
‚einem franzoͤſiſchen Bildhauer, der aber der Beendigung des
Guſſes, der fhon vor zehn Jahren gefchehen iſt, nicht ſelbſt
mit beiwohnte. Im Monat Mai diefes Jahrs iſt fie von dem
Attelier, wo fie gegoſſen und cifelire ward, weg, und auf
das Poftement gefeßt worden, fo, daß fie zwar vier Wochen
Tang frei zu fehen geweſen iſt, aber dann wieder mit einem hoͤl⸗
zernen, mit vielen Glasfenſtern verfehenen Gebäude umgeben
wurde, um ungeftört die befonders gegpffenen Theile, bie
Steigbägel, ben Baum, den Commando : Stab ꝛe anzus
fegen, fo wie aud) die an das Poſtament zu fügenden Medail⸗
lons/ welche von Herrn Sergel find, der noch außerdem zu
mehrerer Verzierung des Ganzen eine, nad) demfelben coloſſall⸗
fon Verhaͤltniſſen ie die Statue equeftre, gearbeitete Gruppe
an die Vorderfeite des Poftaments ftellen wird. Diefe Gruppe
ſtellt den Grafen Hfenſtierna: vor, wie er der neben ihm ſitzen⸗
den Sefdihte, die Thaten Guſtav Adolphs diktirt. Das
große Modell diefer Gruppe ift fertig, und liegt jezt in der
sipfernen Form, man hat fünf Jahre noch angenommen, um
dieſe Gruppe zu beendigen, und alsdann fol] diefes Monument
yolftändig fertig fein. Da alsdann fünfzehn Jahre feit dem
83
214 N. neber bie bronzenen Arbeiten
—— —— — m —
Guſſe des Pferdes vergangen ſind, ſo ſollte man freilich meinen,
daß man ſaumſelig müffe zu Werke gegangen fein, welches aber
nad) der Auflage tes Herrn Adam 2) Feinesmeges gefchehen iſt.
Weil jest außer diefer legt erwähnten Gruppe, 'alles übrige vols
lendet ift, fo Hat man den Sten November d. 3. zur Inaugura⸗
tion beſtimmt, b) und gegen dieſe Zeit wird das berumftehende
Gebäude weggenommen werden; auch wird man gegen dieſe
Zeit die ſchon fertig liegende Bronzen, Basreliefs und übrige
Zierrathen an das Piedeftall anfegen. Das Pferd ift wie ge⸗
woͤhnlich im Schritt. Guſtav Adolph Hält in der rechten Hand
den Kommando; Stab; er iſt in bloßem Kopfe, aber übrigens
ganz in Eifen gepanzert. Außer dem. Kettenhemde, welches
von ben Hüften bis an die halbe Lende, unter bem Karaß her⸗
vorfömmt, und dem nach alter Art breiten feidenen Ordends
Bande, find feine Falten an der Figur; denn er iſt ohne Man ⸗
tel. Dies giebt dem Ganzen gin-etwas-Eahles Anſehn, von
deffen Wirkung man aber jezt, da die Maſſe fo coloffal iR,
und man fo dicht dabei ſtehen muß, nicht echt urtheilen kann.
Der Schweif und die Maͤhne deg Pferdes Find Außerft ſchlecht
gearbeitet, Im übrigen ficht man wohl den Meifter, deffen gan⸗
zes Verdienſt aber darum nicht recht erſcheint, weil es eigents
lic) ein übelgerathener Guß iſt. Das Ganze iſt zwar da gewe ⸗
fen, und die Theile find alle berausgefommen, aber fo voller
Löcher und von fo beträchtlicher Groͤße, daß man zur Reparatur
gerade Halb fo viel Detall verwandt bat, als zum Buß dee
Ganzen, j "
Der Gießer it num todt, ein Eöniglicher Stuͤckgießer mit
— —
a) Setiger Bronze: Ciſeleut diefer Gtarde equeſtre.
5) So eben erfahre ih, Daß es nicht gefcheden Bann, weil nichte fertig
deworden.
su Stockholm und St. Petersburg. as
Namen Meyer. Er war damals ſchon ein fehr alter Mann,
und von einem eigenfinnigen und -fonderbaren Charakter. Eis
tige Perſonen Hatten Verdacht, daß der Buß nicht gelins
gen möchte; da er aber ein reicher und angefehener Mann war,
To wagen diefe es nicht, ihre Meinung zu Außer, als ihm
diefe Arbeit Übertragen wurde. Man hatte den traite de la
fonte de Louis XV à Paris, auch fieht man wohl, da ich
daſſelbe Buch mit mir habe, daß man mit großer Genauigkeit
ihm befolgt hat, denn die ganze Werffislle, der Ofen und die
Grube ſtehen noch, Alles dies ift noch in fo gutem Stande,
daß mar nun in derfelben Grube die Gruppe pon Oxenſtierna
‚gießen, wird. Diefe Werfftelle liege ohngefähr einige Hundert
‚Schritte vom der eigentlichen Stuͤckgießerei ab, vom der, wo
‚man es wol hätse gießen Fönnen, man doch, da fie etwas nie
driger liegt, befürchtete, in der Tiefe der Grube vor Waſſer
oder Feuchtigkeit nicht ficher zu fein. Ehe die Fprm von Erbe
-Über dem Wachs gemacht wurde, ging l'Archeveque meg und
nah Frantkreſch, wo er kurze Zeit darauf ſtarb, und wie man
ſagt, vor Verdruß Äber dieſe Arbeit, woruͤber er manche Kritik
Hören mußte, und andre Verdrießlichkeiten hatte. Sergel war
nicht Hier, and Meyer, der num freie Hand hatte, fing damit
on, den Wachs au corrigiren. Da er und mehrere andere den
Kopf Suftav Adolphs nach dem Bilde nicht ähnlich fanden, fo
ruͤckte ex die ganze untere Kinnlade vor, und machte ihm einen
groͤßern Bart. Dos halbe untere Gefichte mußte Adam nachs
Ber wegſchlagen, und nad dem noch vorhandenen gipfernen
Modell von UArchevegue wieder formen, und fo auf der Stelle
wieder angießen, welche Operation an fehr vielen Stellen ge
ſchehen, und von Adam hiebei erfunden it Nachdem bat
Meyer in die Weine des Pferdes, wie gewoͤhnlich zu geſchehen
» . 04
216 II. Weber die Bronzenen Arbeiten
— G m— — —
pflegt, keine Eifen geſetzt, die einige Fuß tief aus den Hufen
beruntergehn, in eben fo tiefe Löcher, welche in das Pledeſtall
‘gebohrt find, gefenkt werden, und fo die ganze Laft halten;
daher denn auch die Plinte von Metall mit -angegoffen iſt.
Meyer wollte fi einen großen Ruhm damit machen, baß er
die Plinte yon Metall ſogleich mit angoß, Dadurch wurden
die Eifen In den Beinen, und die Befeſtigung berfelben in
‚der That erſpart, aber der Huf des linken aufgehobenen Hin⸗
terfußes, blieb aus im Guſſe, fo daß man fich nur auf zwei
Beine verlaffen konnte; daher auch big jest, da noch immer
daran ciſelirt amd geflopfi wird, die Statde mit Streben und
Stägen verfehen if. Dies wäre noch angegangen, wenn
Meyer, nachdem der Guß mißlungen war, nicht angefangen
hätte, ihn ſelbſt pn repariren und zu eiieliren, wodurch vieleg
ganz verdorben wurde. Bald darauf farb er, und man lieh
nun den Ciſeleur Ydam fommen, einen Eleven von ſArche⸗
veque, einen außerordentlich geſchickten und einfichtsvollen
Mann; denn dieſe Statue iſt ein Meifterffü von Reſtaura⸗
tion. Als er ankam und die Statue ſah, deflarirte er, daß eg
ihm unmöglich waͤre, fie zu retabliren, und wollte wieder nad
Zrankreich zuräc; man brachte ihn aberendlich dahin, wentgfleng
einen Verſuch zu machen. Er gefteht felbft, daß er bei diefer Arbeit
Verſuche und neue Operationen angewandt hat, die ihm vor⸗
Her unmöglich fepienen, als 4. ®, ganze Theile auf der Stelle
neu anzugießen, quf ganze Parthien, wo zu viel weggenommen
war, Metall aufzutragen ze. Das Gießen fet falt geſchehen,
ſagt er. Zehn Jahre hat er nun auf dieſer Arbeit zugebracht,
und fünf Jahre if mit ſolchem Eifer daran gearbeitet worden, daf
eilf Leute von Morgens ym fünf Uhr, Bis Abends eilf Uhr, unaufs
borlich beſchaftizt waren. Man Hat nachher, wegen intserenpgp
zu Stockholm and St. Petersburg. a
— — — — — — —
"Mangels der noͤthigen Fonds, muͤſſen langſamer zu Werke gehn.
Sonſt fagt er felbft, daß bei einem wohlgerathenen Buffe,
drei Jahre zus Cifeltenng Hinfänglich find. Auch meint er, daß,
"nachdem diele Operation eines Guſſes duch eben dieſen Tractat
‘von Ludwig XV fo fehr ins Licht gefegt wäre, er, wenn ein
Mann yon Aufmerkſamkeit ihn birigirte, gar picht mehr mies
fingen fönne. Die ganze Schuld des mißlungenen Guffes von
Suſtav Adolph läge hauptfächlic darin, daß der Mann nad;
feiner Arbeit nicht recht gefehen hat, und mie man angefangeh
habe, die erdne Form zu brennen, fo fei fie nicht troden ges
wein; dadurch wären in der Form eine Menge Defekte ent
fanden, von denen man freilich von außen nichts gefehen hat.’
" Wan habe nad) feiner Meinung nichts zu beobachten, als alle
Möhren in der Form fo zu dirigiren, daß fie das Metall der
Statue im Steigen zuführen, fo nehmlich, daß ſich alle Theile
nicht von oben herunter, fondern von unten herauf. füllen,
welches er ſelbſt bei den angegoffenen Theilen bei der Reſtaura⸗
‚Fion beobachtet Hat, und mit dem beften Erfolge, u
Zu dem nun bevorftehenden Guſſe des Orenftierng wird
man, tie ich vernommen habe, einen gewiſſen Appelquift waͤh⸗
fen, der zwar Metallgießer ift, aber fich außerdem fehr mit
Verfertigung von Maſchinen und dergleichen abgegeben hat,
and der Aberhaupt in der Mechanik eine große Gefchiclichkett
beiigen fol. Da diefer num ein fehr erakter Mann ift, fo fegt
man, obwol er nie dergleichen gegoffen hat, mehr Vertrauen
in ihn, als in Meyer, den Sohn des verflorbenen Stiidgie
Bers, der zwar bei dem Guffe der Statuͤe equeftre immer zugegen
gerveien ift, aber dem man wegen feiner Nachlaͤßigkeit mißtraut.
An dem Piedeftall diefer Bildſaͤule, ift der untere Theil wirklich
merkwürdig; denn gr beſteht aus ein paar fehr großen Stuͤcken
Dr
28 m. ueber die bronzenen Urbeiten
—r — — — — —— —
ſchwediſchen Granits, der den egyptifhen an Schoͤnheit weit
überteift, um deſtomehr, da ein gewiſſer Blume allhier die
Methode: erfunden hat, ihm eine Politur zu geben, die der
des Agaths nichts machgiebt. Man macht jest Säulen aus
einem Stuͤcke von Biefem Granit. Man kaun ſich Feine größere
Pracht denken, und ich werde eine Probetafef davon nach
Berlin ſchicken. B :
Sergel ift jetzt dabel, bie Statue pedeftre von vierzehn Fuß
hoch, des jeztiebenden Königs von Schweden Guſtav des drit⸗
ten, zu machen. Diefes Monument wird ebenfals in Meta
:gegoffen werden. Doc werden wohl bis zur Zeit des Guſſes
ein paar Jahre vergehen. Der König ift im jegigen ſchwedi⸗
ſchen Koftume, in der fehreitenden Stellung bes Apollo von
Belvedere. In der ausgefiredten rechten Hand, worüber, fe
wie beim Apollo über den linken Arm, der kurze Mantel 9
worfen iſt, hält er einen Oliven: Ziveig. \
Da ich nun in Petersburg bin, fo. ann ich zu gleicher
Zeit meine Gedanken. Über das Monument Peters bes Großeg
4aßern. Fürs erfte kann ich breift behaupten, daß es gar nicht
den frappirenden Anblick gewährt, den man von einem mit ſo
ungeheuern Koften errichteten Monumente erwarten follte, An⸗
ſtatt diefes Felſens, worauf das Pferd flieht, uad wofür man
gewiß einen prächtigen Piedeftal hätte machen koͤnnen, wuͤnſcht
man ſogleich etwas anderes. Als Felſen betrachtet, ſcheint die
fer Stein immer klein, und als Poftament iff er noch immer zu
groß, denn er verkleinert das Pferd, weiches, ob es gleich fehr
coloſſal if, nur in ber Naturgröße erfheint; man hat auf der
Stelle fehr viel mäffen wegſchlagen, denn Falconet ſah gleich,
daß er feine Statue jehr verjünge. Man fieht nur zu deutlich,
daß der Stein, ob er wohl natürlich feinen ſoll, kuͤnſtlich bez
zu Stockholm und St Petersburg. arg
hauen ift, und überdieß kann fo ein kahler Stein keine Unter:
haltung gewähren. Die Statue macht von allen Seiten einen
guten Effekt, außer von vorne: denn von biefer Seite verbirgt
der Kopf des bäumenden Pferdes ben Kopf des Reiters; und
Überdieß, da man viel niedriger als das Pferd ſteht, fo ſiehe
man, der Perfpective wegen, das Pferd son unten auf. Aber
auf der andern Seite muß auch bemerft werden, daß es eine
der kuͤhnſten Unternehmungen ift, welche im Gebiete der neuern
Kunſt vorgekommen. Das fih bäumende Pferd-ift allein, vers
möge der Eifen welche aus den Hinterfüßen und dein Gchweife
ſich in den Felſen fenken, befeftigt; die ganze Übrige Laft, nebft
der "des Neiters, ſchwebt gleichfam in der Luft. Vom Kopfe
des Pferdes an, der fehr dünne gegoſſen, bis zu den Hinters
fügen, waͤchſt die Dicke des Metalle nad) und nach dergeftalt,
daß die Hintern Theile und der Schmeif des Pferdes ganz voll
gegofien find, und durch diefe legtern ftelgt aus dem Felſen
eine Charpente von Eiſen mit Aeſten und Zweigen durch die
ganze Gruppe hinauf, die, aufs ſcharfſinnigſte durchdacht, ans
gebracht ſind. Außerdem waͤre es auch gar nicht moͤglich, eine
Balance zu geben, welche die hiebei fo ſchwierige Soliditaͤt her⸗
vorbraͤchte. Schon der Gedanke, einen Felſen hieher zu legen,
iſt einig; und es mag in der Felge der Zeiten noch fo barbariſch
hergeben, fo muß doch biefer auf der Stelle bleiben; denn wer
wird ihn wegnehmen? und mit Recht darf man diefes ein ewl ⸗
ges Denkmal nennen!
Petersburg, dem gsften September 1791,
Sn feiner Stadt werden fo viel Statuen in Metall gw
goſſen, als in Petersburg. Faſt alle antite Statuen vom
erſten Range fichn jegt ſchon in Zarskoe / Zelo, einem Band
2420 UL ueber die bronzenen Arbeiten
hauſe der Kaiſerin; auch fährt man beftändig fort, ſowohl
Statuen als Bruſtbilder zu gießen. Unter diefen gegoffenen
- Statuen find einige von beträchtlicher Größe, als z. B. der
farneſiſche Herkules und die Flora, die Gruppe der Niobe, ein
großer Kopf der Juno ıc. Der Apollo von Belvedere ift zwei⸗
mol dafelbft, aber beidemal durch eine ſchlechte Eifelirung vers
dorben. Die biefigen Eifeleurg find gemeine Ruflen, und ars
„beiten unter ber Leitung per Bildhayer + Profefforen von der
Akademie. Die Gießerej oder das Gießhaus ift neben der Aca⸗
‚bemie der Kuͤnſte erbauet, auch wird es mit zur Academie ges
rechnet; die ganze innere Einrichtung if aber blos auf Spas
tuen, Basreliefs und Bruſtbilder gemacht. Seit fuͤnf Igh⸗
ren iſt Monſieur Gataclou aus Paris kaiſerlicher Gießer bei der
Academie. Der jet darin ſtehende Ofen if von ihm erbauet,
und dieſer Ofen wejcht pon dem in Stockholm in vielen Stücken
db. Er iſt piel ſimpler. Außer dem Rauchfange fließt man von
außen gar feine Defnungen; er ſchmelzt und gießt in Zeit vom
acht Stunden Statuen im Lebensgrößg. Die vier Statuen,
die nun eben heraus find, hat er in dieſer Woche alle zuſammen
mit einem male und in derſelben Grube gegoſſen. Zwei davon
ſind zwei wohlbekannte ſitzende antike Muſen, und die zwei
andern gehören zu einem Grab» Dronument, modelirt von
Martas, einem der beften biefigen Bildhauer. Was man das
von ſieht, iſt alles vortreffli heraus gefommen; man ift dabei
bie Potẽe oder gebrannte irdene Form abzunehmen, und all die
Hefte von Metall wegzuſchlagen, melde das Metall zugeführt
Haben. Die Erde, deren er ſich bis jet bedient hat, erhielt
er noch immer aus Frankreich; er verſicherte aber, daB man
eben fo gute in Rußland fände, Bon feinem Ofen, movon
ich fo gern bie Dimenfionen hätte Haben mögen, war es mir
zu Stodholm und St. Peteröburg. 231
nicht möglich , fie zu erhalten. Diefes ganze Atteller ſteht auf
einem moraftigen Boden; alles ift über der Erde, und das
Maffiv der Dammgrube ift viele Fuß über der Straße erhoben;
Rund herum find acht Fuß dicke Mauern. Man fieht hieraus,
und aus dem Verfahren, welches ebenfäls bein Guffe der
Statuͤe Peters des Großen iſt beobachtet würden, daß man i
auch in einer flachen, feuchten ind niedrigen Gegend, fich durch
Kunſt Helfen kann. Beim Guffe Deters des Großen hatte man
die obern Verbände nicht ſtark genug gemacht, es verlief ſich
eine Menge Metall, daher mußte der Kopf bes Pferdes beſon⸗
ders ümgegöffen werdenẽ dieß iſt fo wohl gelungen, daß man
nichts davon fieht. Indem man nachher auf der eineit Seite
des Pferdes die Nöhren losfchlagen wollte, und vorher nicht
tief genng eingefägt hatte, riß man eln großes Stuͤck von
dem Bauche des Pferdes mit heraus. Sonſt kam alles fehe
rein heraus, und von eoloffalen Statden neueret Zeit, iſt
feine fo duͤnne gegoſſen als dieſe. In den Vordertheilen iſt ſie an
einigen Orten kaum drei Linien dick, die Hintertheile des Pfer⸗
des aber haben die Dicke eines ganzen Zolles. Man giebt an
44541 ruſſiſch Pfund Metall, und das Eifen ; ivas darin ſteckt,
auf: 10000 ruſſiſche Pfunde,
Set Stein iſt 15 Werfte von Petersbürg Und 4 Werſte
von! Krönftädtfchen Buſen jgelegen geweſen; auf ber Stelle
ſchaͤtzte man fein Gewicht drei Millionen Pfund, als er aber
in Petersburg war, ließ Faleonet wenigſtens den dritten Theil
herunterſchlagen. Diefe ungeheure Laſt fteht Auf pilotietem
Grunde. Auf der Academie der Künfte ſteht das Modell der
metallenen Bahn, worauf er iſt tranfportiet worden. Man
bat eine genaue Beſchreibung mit Kupfern vom Ritter Lascar
ſelbſt, worin der Tranſport des Steins betailiet wird; fie
222 JIE. Weber die bronzenen Arbeiten
führt den ‚Titel: Monument eleve à la 'gloire de Pierre le
Grand, du Comte Lascari, es ift mir aber unmöglich geweſen,
in Petersburg ein Eremplar davon aufzutreiben; daes iu Frank⸗
reich gedrudt iſt, fo kann man es wohl von dorther.am ges
ſchwindeſten haben, L
Die Tranfportkoften diefes Steine werden nach der Berech⸗
nung des hiefigen Baucomtoirs gefegt 70000 Rubel, und fo die
übrigen Koften des Monumente.
FZalconets neunjähriger Gehalt 48000 Rub.]) Baucom⸗
freie Statiion. 2268000 — toirs Berech⸗
fur den Guß.1717700 — % mung alles
feine drei Untermeifter . . 27284 — | zufammen
der Stuͤckgießer Chailen . . 2500 — 4246 10 Rub.
Hierbey find noch keine gelieferte Materialien, Pilotis,
Atteller und andre Ausgaben.
Meiner Meinung nad ift Petersburg der Ort, wo man
am füglichften diejenigen Kenntniffe, welche das Gießen felbft
betreffen, erlangen koͤnnte. Denn ich glaube ſchwerlich, daß
man mehr Practit haben kann, als eben diefer Gataclou na⸗
tärlicher Weife befigen muß. Da die biefigen Bildhauer faſt
‚gar Eeine Kenntniffe von der Behandlung des Marmors haben,
und aus biefer Urſach alle Arbeiten in Marmor fehr langfam
sehn, fo wird jegt faft alles in Metall gegoffen, welches hier
geſchwinder geht, und weniger als Marmorarbeit koſtet. Mein
Aufenthalt war zu kurz, und überdies würde es immer ſchwer
fein, alles zu erfahren und bei der ganzen Operation zu ſeyn,
es wäre denn, daß man, felbft etwas machte, und es hier zur
glei gießen ließe, In Italien gießt man freilich ſehr viel
kleine bronzene Statuen und andre Arbeiten, aber weder Gas
taclon in Petersburg, ‚noch Adam ‚in Stockhalm, wollen dies
gu Stockholm und St. Petersburg. 233
— — — — —
für Bronze paſſiren laſſen. Adam erzaͤhlt, daß, da er einſt
eine von diefen Statuͤen zu repariren gehabt hätte, er um dies
ſelbe Pate heraus zubringen, faft nichts als Blei mit fehr we⸗
nig Kupfer vermiſcht, habe nehmen muͤſſen, aus welchen
Grunde die Italiener auch bloß in Gips » Formen gießen,
melde bronze Arbeiten denn auch der Witterung nicht fehe
lange widerftehen können, und nie von ſich felbft eine ſchoͤns
Garde annehmen, :
Stockholm, den 25ſten October 1791.
©. Schadow.
224 IV. Die Brüder.
W.
Die Brüder.
Ein bramatifdes Gemälde
An-meinen Bruder
Dr. Johann Jacob Rambad,
Arit in Hamburg.
Perfonen:
Telasto,
Zusto,
Narine, Sklavin.
} Brüder, Sklaven.
Scene
Buſch, — hinten die Maugr eihes Gartens, Nacht, Wetten
leuchten, entfernter zuweilen fish mähernder Donner,
Erfe Scene
TelasEo. camein.)
«Er liegt noch ein Weilchen fchlafend unter einem Vaume, einige
Biite beleuchten ihn, dann ſchrect ihn ein Heftiger Wetten
ſdias auf.)
& donnert, und ich habe gefchlafen? — ces stur.) Endet,
ober beginnt bein Zorn, lichtſcheuer Sort des Nacht? —
Spanien,
IV. Die Bräber. das
— — R .
Spanier mögen vot dir zittern; ich verachte dich, ich fchlief. —
Cr alege einen Dolch Herooe.) Ich ſchlief, und will morden. Das
kann mein ſpaniſcher Henker nicht: — Es ift auch nicht · Mord⸗
luſt, die wie ein Tiger nach Blute duͤrſtet, es iſt ein Entſchlu,
der mir Kampf, Sram, Thränen, und mein Leben koſtet. —
Ich will meine Narine eöbten. — Ich will Narine morden,
und doch fehlief ich hler ſo fanft; mie am Ihrem Buſen, kein
Donner weckte mich, kein Blitz ſengte mein Haar; Die Sit
ter ſchutzten Ihren Mörder; fie ıiuß fterben, weil ich lebe. —
Und Kustö? — Ich bin fein Bruder; diefen Bruder mil ich
Im erhalten, mid wenn alle Gotter dagegen donnetten —
dnach eainer Dale.) Wo ſie wohl bleibt? der Gott der Schtecken
verſchließt ihre Thure, und weckt ihre verhaßten Wächter,
Ger witſt Ad an die Erde.) Sch will fie erwarten. Wietief es
in der i Sache fein mad? — Ich kenne die Geſtalt ‘der erde
nicht mehr, feit die Spanier mich in ihte Eingeweide verbann /
ten, um nach verächtlichem Golde zu wihleh +."
Bwriie Siehe Fr
Lelasko Narine. Cauf der Mani)
ET ori - “
’ iela witier, weiche Nat checun) Kustoi
Telaskor can Bainie fie ah.) Natine fie ruft
meinen Vruder. Warnender Geiſt haſt du ihr im Trauma
ihren Mötder gezeigt, and ſcaudert fe; ferien Namen muss’
üfpregen? !
. Harine; ein.) Rust!
Tetasko. Sie ruft mich
Hier bin ich ; liebe Natine.
Narine. Biſt du de, outer Telasko r — Kine näher;
Wine Sapid, and Band, BE
taste ! U
Dei nik Rebe anf; hnd hehi zu abe. ”
226 VI Die Brüder.
— u —
undgieb mir eine Hand. Es if fo finfter, daß ich dich nicht
ſehen kann.
Telasko. Meine Hand willſt du? hier iſt ſie. Ich
gruͤße dich herzlich, mein freundliches Mädchen.
Narine. Hätte ih doch nie geglaubt, daß du in einer
folhen Nacht kommen wuͤrdeſt Aber du biſt ein braver Mann,
du Häleft dein Wort, dir kann man trauen. ,
Telasko. Glaubft du das? das freut mid. Unter
jenem Strauche Hab’ ich gelegen, und gefchlafen.
Narine. Geſchlaſen? — wie Eonnteft du das in dem Wet⸗
ter? — Telasko, du biſt ein Mann, den ich liebe, und hoch⸗
fhäge, denn du bift ehrlich, treu und unerſchrocken, du wirft
dein Weib nicht betrigen, und in des Gefahr nicht verlaffen.
Telasko. Wahrlich, das werde ich nicht.
» Marine Aber du.bifk ja allein, wo bleibe dein Bruder?
.Telas ko. Ich weiß es nicht,
Narine. Du weißt es nicht?
„Telastko. IR es nicht ſchrecklich, daß ein Bruder due
fagen muß? — und doch ift es wahr. — Sonſt barg uns eine.
Grube, und wir fhlichen aus unferm Kerker in der Nacht mic
einander hervor, um dich, unſte Sonne, anzubeten. Einer
leitete den andern, einer warnte ‚den andern vor Gefahr. Jetzt
ſind wir getrennt, und ſeitdem trafen wir uns zuweilen Abende
am Bade, nicht weit vom- Bereit, Heute dab? ich auf
ihn vergebens gewartet
Narine. Das thut mir kei. Ps fehlt etwae, wenn
ich einen von euch beiden vermiſſe. — Wo der arme Kusko
wohl fein mag? vieleicht iſt er in einen Abgeund gefallen, viels
leicht auch ins Gebuͤrge verirrt,
Zelasfo. Sorge nicht, liebes archefames Mädchen.
Wenn wir die Leitern emportlimmen, um dich zu beſuchen⸗
W. Die Brüder. 227
nn _ —
dann iſt uns das Leben boppelt werth, und von dem Wege zu
dir wird gr eben fo wenig fich verirren, als der leuchtende Gott
von feiner täglichen Bahn.
Narine Und doch zittre ich für ihn.
. Telasto. Komm an mein Herz, daß du Muth faſſeſt. —
Komm herab, meine ſchoͤne Narine. — Du zögerft?
Narine. Guter Telasko!
Telasko. Du drauͤckſt meine Hand fo innig, fol ih
dich nicht an mein Herz druͤcken?
Narine. Ich will erſt fehen, 05 die Spanler ſchlafen.
Während des Gewitters waren alle wach und zitterten — Sie
konnten nicht fchlafen, wie mein Telasko.
Telasto. Wie dein Telasko! Du glaubſt nicht Mäds
Gen wie mid, dies Wort erquickt, — und erichredt — —
Seh, meine holde Narine, und komm bald herab, ich bin ſo
froh, wenn ich dich ſehe.
Narine Ich auch, licher Telasko.
Telasko. So eile, ich warte, bis du kommſt.
¶ Narine geht von der Mauer.)
Dritte Scene
Telasko. Cateiny
- Cabnehmender Donner und Brig)
„ Ich Bin fo froh, werm ich dich ſehe.“ Und das ſag' ich
mit dem Dolch im Bufen? — (aou.) Mit-dem Dolche, der
mic im Schlafe nicht drückte. Ich liebe fie, fie erhebt mi
iur Verachtung meiner Ketten, und meiner Peiniger. O! ihr
gefühllofen-Spaniert laßt uns bie Liebe, und wir opfern eurer
nimmerfatten Habſucht gern alles Gold der Gebuͤrge. Und
ich will meine Liebe und mein holdes Mädchen erfchlagen? —
Pa
208 IV. Die Brüder.
— 0 — — —
Ach, Kusko! Kusko! du koſteſt mir viel, aber dich zu erhak⸗
ten wag ich mein Leben. Brüder, die Gefahren fo feft in eins
ander fchlangen foll fein Spanier, kein Gott, und feine Na⸗
eine trennen, — Ob et meine Hand wohl druͤckt, wenn Nu
rinens Blut an ihr klebt? ob er ihren Mörder wohl Bruder
nennt? Wenn fie ihn liebte, mir vorzöge, wenn fie im mir
nur Kuskos Bruder liebte? — CEucie Daufe.) Ein Mädchen wie
Marine theilt fein Herz nicht. — (nach einigem Namberften.)
Kusko muß es willen. — — Wenn fie ſich dam aber dor
meinem Dolche in feine Arme fluͤchtet, wenn ich verlaffen, und
beſchaͤmt neben ihm ſtehe. — Er Bleibt mein Bruder. "Eifer
ſucht zwiſchen Brudern iſt ein fpanifches Lafer. Meine Liche
iſt ein ſchdͤnes Opfer auf den Altar der braͤderlichen Zärtliche
keit. (an Hört in der Ferne Angen.) Eine Menſchenſtimme! —
Wenn es Kusko wäre! O! guter Geift, laß es meinen Kuste
fein. Cer sehe am die Seite ias Gebuiche.)
Vierte Scene
Busko (atein.)
(Er formt ſchneu gelaufen.)
Bin ich endlich da? &o weit iſt mir der Weg bieher noch
nie vorgekommen. — Und' hier niemand? — Sie ift wohl
ſchon wieder fort? Die Eulen und Vampyen flogen ſchon wies
der ihren Kluͤften zu, der Morgen kann nicht mehr fern fen,
Und ich fehe fie alfo nie? — Wirſt bu an mich denken, Na
sine wenn unſer ſtrahlender Gott über den Himmel fährt? —
Sie kommt nicht. — Ob fie mic wohl vermißt bat. — Ih
muß zu Telasfo, damit ich von ihr höre, weil ich fie doch
nicht fehen fan; (Erwin fotos Kim begegnet Seiasko.)
W. Die Brüder, 229
Sünfte Scene
Telaoko. Busko,
Kusko. Sieh, da bil du ja. cer umarme in.)
Telas ko. Kommſt du endlich? — Bruder, wir fehen
uns jest felten.
Susto. Ach! id werde auch die Beſchwerden, bie ich
ohne dich erdulde, nicht überleben.
Telasto. Wie haft du aber fo lange⸗ ausbleiben toͤnnen?
Der Morgen iſt nah.
Kusko. Ohue meine Schuld. Wa iſt Narine?
Telasko. Sie war vor kurzem hier.
Kusko. Hier? — Ich werde alſo mein holdes Maͤd⸗
gen nicht ſehen? ihre rothen Lippen nicht Füßen? — Sie iſt
ſchon wieder fort? —
Telas ko, Sie ſaß dort anf der Sauer, and wird Bald
wiederkommen.
Kusko. Bald? o Telasko, wie lieh’ ich dich!
Telasko. Um dieſer Nachricht willen?
Kusko. Ah weiß gar nicht wie du biſt. Was fol diefe
Seage? Hat wohl je ein Menſch einen treuern Bruder gehabt,
als ih?
Telasko. Fuͤhlſt du das? Sieh, ich nehme dies Wort
wit dem folgen Bewußtſein der Wahrheit an. So wahr, wie
es jezt iſt, foll es immer fein; aber ch fürchte, daß ich es
wicht. oft mehr hören werde, .
Kusko. Warum nit?
Telasfo. Wir lieben Narinen, und bu llebſt ge wehr
als mi;
Kusko. Das glaub? ih nice, das bu a uch
glauben. ... - 9;
330 I, Die Brüder.
Telasto. Du mußt. — Wenn du uns für gewöhnliche
Brüder haͤltſt, wenn du es nicht fuͤhlſt, daß das Schidfal vom
jeher arbeitete, uns ungertrennlich zu verbinden.
Kusfo. Das fühle Ih, du biſt mein Bruder. unb
nichts joll ung frennen.
Telasko, Auch Narine nicht?
Kusko. Thut ſie es denn?
Telasko, Noch nicht, aber weißt du was geſchehen
wird? — Kusko ich Habe etwas ſehr ernſtes mit dir zu reden,
und biefe Nacht iſt ganz dazu geichaffen, ernft zu fein. Aber
gieb mir dein Wort, daß du mic ohne Verdacht Hören, und
nie vergeſſen willſt, daß der Bruder mit dir fpricht. . Wie es
auch falle, wir jind Brüder, und. felöft die feinfte Quaal der
Spanier foll uns nicht trennen.
Kusko. (umarme isn.) Michts, nichts auf der weiten
Erde,
Telasto. Setz dich hierauf dieſen Baumſturz; — gieb
mir deine Hand, — Wie oft faßen wir als Knaben fo beifams
men in unferm Vaterlande; da drüben jenfeits der blauen
Berge, wenn wir mit bunten Muſcheln fpielten, Wie ſchlan⸗
gen wir unſre kleinen Arme in einanper, und glaubten, fo
werde es immer fein! Wir waren fehr glücklich, fo gluͤcklich,
wie man nur als Kind, nur in feiner Heimath iſt.
Kusko. HD} eine goldne Zeit!
Telasfo. As wir hernach heranwuchſen, und zum ers
ſtenmale mit unferm Vater, — —
Kusko. Ah! unfer Vater! cer weint)
Telasko. Sei ein Mann, Bruder, fürchte dich vor
der · wehmuͤthigen Erinnerung nicht. Dieſe Vergangenheit iſt
es ja allein, wo wir frohe troͤſtende Milde erblicken. Andre
"yV. Die Bruber. J 251
— — — — —
freie Menſchen ſehen in die Zukunft hinaus, und hoffen. In
unfrer Zukunft leuchtet kein Sonnengott.
Kusko. Verarge mir die Thräne nicht, fie iſt das eins
ige, was ich habe — — fahre fort.
Telasto. Als wir mit unſerm Vater nad; Quito gins
gen, um unfern Gott zum erftenmal anzubeten; wie verflart
fanden wir in feinem Glanze, wie drang feine Glut in unfer
Herz, und feuerte es zu dem Schwur einer ewigen Bruder⸗
liebe an.
Kusko. CAiese Ihm an den Haid, und Eniet dann wor hm.)
D1 16 will Ihn Halten, diefen Eid,
Telas ko. Und wie drängten ſich Gefahren um uns her,
um die bruͤderlichen Bande in ihrem Feuer zu ſtaͤhlen. —
Kusto. Sie haben fie geſtaͤhlt.
Telasto. Wie ftolz gingen wir nebeneinander in die
Schlacht, jeder nur ſtolz guf den Fünftigen Ruhm des andern,
deſſen Zeuge er fein wuͤrde. — Dich traf zuerft der Blitz der
Spanjer. Sie fielen über dich her, ich deckte dich mit meinen
Schilde, und focht wie ein’ Löwe, bis es um mid) ſchwarz
ward. Dann erwachte ich in deinen Armen, du verbandft
meine Wunden, füßteft das Opferbfut der Bruderlieb hinweg,
und ich genas bald durch deine Pflege.
Kusko. Ad! du genafeft nicht pur Freiheit: wir waren
Gefangene,
Telasko. Und wurden auf einem Schiffe den großen
Strom hinunter geftoßen. j
Rusto, Ju deſſen Fluten ich mich ftürgte, um mich zu
retten.
Telasko. Ha! zu retten! — Wer rettet ſich vor dem
Beuestoßr der. Spanier? — Ich folgte dir, und als fie nach
P 4
232 IV. Die Brüder.
‚die ſchoſſen, tauchte id) mit dir in die Tiefe und trug dich voy
den Wogen begünftige halb entfeelt ans Ufer. — Da vergalg
ich Dir die Pflege meiner Wunden: aber mehr fonnte ich nicht.
Bon unferm Gott verlaffen waren wir zu Sflanen beſtimmt.
Die Spanier fingen die Wehrloſen von neuem, ſchlugen fie in
Ketten, und brachten fie wieder auf ein Schiff.
Kusko. Ad! auf das Schiff wo Norine war. Wie
bedurften feiner Kettetn, da wir dir ſchoͤnſte Peruanerinn ger
fehen hatten, "
Telgsko. Aus deren lieblichen Munde wir wieder unſre
Mutterſprache hörten.
Kusko. Wir waren Gefangene, und dog glüdlih; ie
fiebte uns beide gleich zärtlich.
Telasto. Damals!
Kusto. Noch.
Zelasto. Noch? — daran zweifle ich ſehr. So ge
xecht ſie auch die erſten Gunſtbezeigungen unter ihre Bewerber
vertheilte, fo wird fie doch jetzt ihre Liebe nicht theilen.
Kusko. Aber Bräder, wie wir,
Telagko. Die brüderlihen Rechte walten nur zwiſchen
uns beiden ob, für fie und jeden andern mäffen fie ehrwuͤrdig,
aber ohne Wirkung fein. — Bruder, werden fie nicht auch
hen Rechten der Liebe weichen?
Kusko. Mie! das fühl ic ganz.
Telagko. Miet — Kusko! Kusko! fie liebt dich) mehr
als mich, fie Hat es dir gefagt, und du erlaubſt mir mitleidig,
mich an dem Feuer zu wärmen, welches nur fuͤr dich brennt.
Kusio. Sie hatte es mir geſagt? — Welch ein Mi
frauen gegen den Bruder! — Ich weiß nichts: In dem Augens
blicke, wo ich mich ermftlich frage, ob fie mich light, fange ih
IY, Die Brüder, 238
en zu weiſeln. — Ach Narine! Marine! — Ste muß did
mehr lieben, als mich, Telasko, du biſt ein weſt beſſerer
Menſch, und das fühlt Narine wohl. — Nimm, fie, denn
habe ich nichts mehr, die Spanter haben mir ja ſchon meinen
Bott und meinen Bruder genommen.
Telasto, Wer nahm dir deinen Bruder? — Hie
haben mic). yon deiner Seite, aber. nicht mein Herz yon dem
deinen geriffen. Auch kann das Marine nicht, denn ich Kin
ein Dann. Aber dich kann fie wankend machen, du biſt jüpr
ger als ich, du fiehft dreifter in die Zukunft hinaus, und bie
Vergangenheit demifthigt deine Hofnungen nicht, — Wir leben
jest getrennt, gehen nicht mehr Arm in Arm zu Ihr, und bes.
genen uns felten am Wafferfalle. — Du verlernft, daß auch
ch Rechte auf fie Habe, lernft in ihrem Arme den Bruder enty
Pehren, und vergeflen; du wirftgleichgäftig gegen mich werden,
Kusko. Nie, niet .
Telasko, Und wie, frag’ ich, fo das enden? willſt du
diefe Liebe Immer teilen? — Willſt du ewig lieben, und nie
peſiben? oder willſt du auch den Befig theileg? | -
Kusko. (qwelat.)
Telasko, Pu ſchweigſt.du willſt, und kannſt nicht,
und wenũ dy koͤnnteſt, fo theilte ich doch nicht, denn ich wuͤrde
Narinen verqchten, wenn ſie theilen wollte.
Kusto, Bruder, was willſt du?
Telasfo, Narinen zwingen, paß fie ginen wähle,
Kusko. Und der Verſtoßene? * B
Telasko. Iſt Mann, und entſagt jhr. J
Kusto. Das kann id) nicht,
Telasto, „Sp ferbe fie, und feiner fei gluͤchich.
Kuskto. Sterben?
Pr
2 W. Die Bräber.
—— [1 —
. Telasto. Ja! — Diefer Entſchluß ſteht feſt, und
meine Hand ſoll den Dolch fuͤhren, denn ſie zittert nicht.
Kusko Bruder!
Telasko. Ja, Bruder! Bruder! dieſen Ton gebe ich"
dir zuruck. — Gelte ich die nicht auch etwas? — Wir lagen
unter einem Herzen, tranken eine Bruſt, und gingen bis hie⸗
Ber durch Leiden und Gefahren immer Hand in Hand. —
Eannſt du den alten Gefährten deines Lebens auf dem noch
Übrigen Wege fo leicht entbehren?
Kusko. (Fäbt ihm weinend um den Häld. MPaufe ) .
Telasko „Wire ihn auf, und kant ihn ; Sei ein Mann,
, wähle! Er sehr in den Hintergrund, und verliert ſich im Das Gebuſch.)
Sechste Scene
Rusko. Cauein.)
(er seht ein Weilchen ſchweigend und nachdenfend umber.)
od, oder Entfagung. — Ihr Tod, oder der meine, —
wo iſt da noch eine Wahl? — Er neve Am um.) Telasto! —
Ich ſterbe für ihn, und für Narinen, — oder fie lebt allein
für mi, — erquicender Gedanke, für mid. Ceufend,) Te⸗
lasko! Narine lebt für Kusks, und er erfauft fie nicht mit
dem Verluſte feines Bruders. crufend.) Telasko! — — Er hat,
Recht, ich Habe felten am Wafferfalfe ihn erwartet, Narine
zog mich hieher, und ich konnte nicht widerſtreben. Wenn ich
an ihrem Halſe hing, ſah ich nur fie, mein Herz ſchlug nur
ihre, und wenn ich hoher aufloderte von bruͤderlicher Zaͤrtlich⸗
keit, fo war es das Feuer der Liebe, welches auf den Altar
der Brudertreue fiel. — Ich hoffe! zum erſtenmale hoff' ich
wieder. (Er Mebe Ab am, und erblict Deiasko, der im Hinsergeunde
auf und abgeht.)
W. Die Brüder. 235
Siebente Scene
Busto. Telaoko.
Kusko. Coehe auf in m) Ich bin entfchloffen, Bruder.
Mit feſtem Gleichmuth erwarte ic die ungewiſſe Entſchei⸗
dung der Zukunft.
Telasko. Wirſt du auch jede mit Gleichmuth tragen?
Kusko. Jede. — Verſtoͤßt fie mich, fo wird es nicht
fange dauern.
Telasto. Was? nicht lange dauern?
Kusko. Der Sram wird das feine thun; oder glaubſt
du, daß der Ungluͤckliche feine legte Hofnung Aberleht?
Telas ko. Sch glaube, daß der Mann alles vermag.
Kusko. Was der Mann thut, träge Glanz und Kraft
der Männlichkeit, auch feine Liebe,
Telasko. Die feine Sklavin bleiben muß.
Kusko. Du Haft nicht geliebt.
Telasko. Kusko!
Kusko. Ich fühl es, und gegen mein: Gefühl gelten
deine Worte nichts. _ '
Telasto. Marine entfcheide. — Glaube, Bruder, das
Weib fühle eroig den Werth unfrer Würde und Kraft; und
wenn das Mädchen den liebte, der ſich unter ihr Joch gefällig
bog, fo wird das Weib Ihn verachten. In unfrer Feſtigkeit
llegt unfer Werth; fle ift der Grund, aus dem viele Tugenden
fproffen, Tugenden, auf welche das Weib ſich in Gefahren
fügt. — Doc) wir wollen darüber nicht ftreiten, du wilft daß
fie wähle, und ich bin aufeieden , weil ich fehe, daß unfre bruͤ⸗
berliche Liebe gerettet if. * ”
Kusto, Auch dann, wenn ich ſterbe?
23€ IV, Die Brüder,
Telasto. Was dir jegt fo wahrſcheinlich if, wird es
gufhören zu ſeyn; die ſchweſterlichen Rechte, welche du auf
Marinen behältft, werben die fo.werth bleiben, daß du um
thretwillen dein geben liebſt, wenn du es nicht um dich felbfE
und um beinen Bruder Tieben follteff. — Wenn fig nun aber
die Wahl ausfhlägt? EEE
Kusto. Wie? ausfhlägt?
Telas ko. Wenn fie nicht wählen mil?
Kusko. Nicht will? ich verftehe dich nicht.
Telas ko. Wenn fie fagt, daß wir ihr gleich werth find,
Yaß fie feinen vorziehen, feinen verftoßen will; wenn jeder wer
nigſtens fg viel bei ihr gilt, daß fie ihn ungern kraͤnkt; wie dann?
Kusko. Dany? — Wir find Brüder, ſie kennt uns,
Fe wird wählen. .
Zelasto. Sie muß wählen, und thut fie es nicht, fe
liebt fie einen andern, und unfre heilige m war eii
Spiel ihres Leichtſinns.
Kusto. Bruder!
Telasto. Sie betrog ung beide,
Kusto. Das that Narine nicht. \
Telasko. Aber wenn fie es that, dann will ich bie
rüber blutig rächen, dann will ich fie mit Woluft am Altar
der bruͤderlichen Liebe ſchlachten, und das lachende Ungeheuer,
das ſich zwiſchen uns drängte, ſoll mit feinem legten Zucken
noch den Racher der Bruderliebe anbeten. — — Wenn ft
jet kaͤme, ich bin in der Stimmung, mit einem einzigen Borte
ihr das Geſtaͤndniß abzufchreden. 5
Kusto. Ab zuſchrecken Ich bitte dich, Bruder, fen fanft,
Telasko. Ich will es, maige Stzafe ſoll nicht yorſchnetg
IV. Die Brüder, 237
. - i
ſeyn, darauf nimm meine Hand. — Aber fie kommt nicht,
und es wird ſchon Heil.
Kusko. Sieh das Morgenroth, ‚den jugendlichen Boten
unfres Gottes, Ad! Bruder, wir ſahen ihn fange nicht,
Sene Klafte, in denen wir Haufen, hat et nicht zu Wohnungen
feiner Menſchen geweiht. "
Telasto. Bruder, das if ein felerlicher Morgen. Mit
Verehrung grüße ich den erften Stral, den unfer Sort aus
durch die Wolken fendet, welche fih golden um feine Stirn
kraͤuſeln. Hoͤrſt du, wie alles, was lebt und Odem hat, ihe
mit Verehrung begrüße? — Umarme mich, fein Strahl weihe
diefen Ort zum Heiligthum der Bruberliebe, &o wollen wir
ihn verehrei. CAe umarmen fich fefi.)
Kusko. Bruder, ſo ſah ih dich lange uicht. — Adi
ich fühl es jegt, daß ich lebe, da ich den Gott meiner Hei
iath ſehe.
Telasko. Heimath! Beiaizie Kusko, was dal
du gefage? Hier iſt feine Helmath, feine Freiheit.
Kusko. Sieh ihn recht am, unferh Gott; iſt es dei
felse, der Quito fegner, und Aber Den s Fluren sänger =
Er fleht mit Unwillen auf dies Land.
. Telasko. Auf das Land; wo ſelue Kinder Feſſeln tra;
gen. Mein Herz wird warm an feinem Feuer, und mein
Muth lodert anf. Ich Höre eine Stimme, die und auffordert,
Anfre Ketten zu brechen. Was iſt das Reben in deli Gruben
gegen den Tod in feinem Strahl. — Kusko, laß uns fliegen v
Kusko. Und Narine bliebe in der Sklavetel7 u
Telasko. Wir erfparten einen Mord;
Kuste; erden wir es verlernen, fie zu lieben?
PM W. Die Brüder;
Telasto. Im Vaterlande?
Kusto. Wo fie fehlt? — Telasko, ich bin bereit zur
Zlucht, aber ich bitte dich, laß uns Narinen nicht vergeffen,
auch fie ſchmachtet nach Freiheit,
Telasko. Auch fie ſchmachtet nad Freiheit. — Ich
ehre diefes Schmachten. — Komm auf jenen Hügel; wir wol
fen unfern Gott anbeten, in felnem Slanze den Eid der Bruders
treue ſchwoͤren, und ihn um Beiſtand zu unfrer Rettung bitten.
(Arm in Arm 06.)
Achte Scene
Varine. Cateın.)
eSie komme durch die Ehe dee Mauer, ſchiticht an den Seiten uns
der, und ſucht im Gebüſch.) ,
Niemand hier? Cieife eufend.) Kusko! Kusko! Telasko! —
Niemand da. — Nie wuͤnſcht' ich fo fehr, fie zu fehen, ih
Tann ihnen ben erften Wint der Freiheit geben. — Das kriege⸗
riſche Blutgewand unſrer Bruͤder weht auf jenem Berge, die
Spanier zittern, und wie dürfen hoffen. — Der Morgen iſt
da, Telasko fortgeeilt, und Kusko kam alfo gar nicht? Ach!
wenn er nur lebt! — (Vauſe.) — Welche Männer! welche
Brüder! Es würde mir ſchwer werden, einen dem andern vor⸗
auziehen. Kusko iſt jung, ſchoͤn, fanft, gefällig und gut;
Telasko if fefter, edel, brav, ‚unerfchroden; ich fühle Ehr⸗
furcht, wenn ich ihn fehe, und ſchuͤchtern fragt fich mein Herz:
darfſt du ihm lieben? — Ady! dürft’ ich ihnen fagen, daß fie
frei ſeyn können, fobald-fie Muth haben es zu feyn. Ich darf
nicht, fie lieben inidh beide; ein toͤdtendes Feuer würden die
" Blägtlinge mit ins Vaterland nehmen. Weine, arme Ne
W. Die Brüder. 239
sine! — Cie kommen nicht, weine, und geh troftlos in deis
nen Kerket. (Ne seht auf Die That zu, ihr begegnen Die Wräder.)
Neunte Scene
Bus?o. Telasko. (kommen umfchlungen den Hintergrund Heranf)
Harine, J
Narine. Aledt ihnen reudig entgegen.) Nusfo! (Ne umarmg
40.) Left du, mein Kusto? Du glaubft nicht, wie ich fie
dich gezittert habe. Aber du lebſt, ich habe dich wieder, ung
die Blitze fielen kraftlos neben bir in den Boden.
Kusto. Sa, ich lebe, hier an diefem Herzen fühl i6e,
daß ich lebe, — Zum erftenmal ſehe ich wie ein Strahl meis
nes Gottes fic in biefem ſchwarzen Auge ſpiegelt, und in meli
Herz dringt. Narine! fo ſchoͤn warſt du nie.
Telasko. cin ihren Anbiie vetſunten, für ac.) Sie Überficht
Telasko. Meine Wänfche bluͤhen.
Narine. cause, Und du mir noch nie fo werch,
Mir it wie einem Weihe, dem der Mann aus ber Schlacht
zuruͤcktehrt. Die Gefahr iſt vorüber, und ich bin um fo feoher,
je beforgter ich war, .
Kusto Du biſt fo froh über, ben Sorten, deß
meinen Bruder uͤberſiehſt.
Narine. Telastol guter, großer, Telasto! es iſt dein
Bruder.
Telasko. Dein Bender!
Narine Zreue did, wir haben in wieder, du und
id. — — Du feeuft dich nicht? du biſt fo ernft. — cipm ueb⸗
totend.) Haft ou fein Lächeln für deine Marine? Ich liebe dich
fehr, Telasto; aber wenn ich dich fo feierlich, ſo ernſt ſehe /
fuͤrcht ich mich, es zu geſtehen.
345 W. Die Brüder.
Telasks. Und doch ſchwindet jumeilen dieſer Ernſt vor
hurem Lächeln. So feſt auch der Gram im Herzen des Mans
tes‘ niftet, eure Reize verfcheuchen ihn. Wie oft verſchwand
meine Verzweiflung, wenn ich dich erblickte; aber jest — —
Narine. Sept? — Lieber, Telasko, rede weiblich mit
dem Weibe, du haft einen Ton, der mein ganzes Hery mit
Bucche erfüllt.
Telasto. Meine Blicke wühlen in den Gehelmniffen
der’ Zukunft, meine Seele waͤgt den Werth eines Menfchens
lebens. — Die Vergangenheit lebt auf vor meiner Erinnes
tung, mein und Kusko's Leben geht vor meiner Seele vorüber.
"Harine, Ich verſtehe did) nicht: Kusko, was wili
bein Bruder?
Kusko. chebe ern und ſchwelgend nieder.) ,
Narine. Du ſchweigſt? — Männer, Brider, ich
bitte euch, redet. — War ich nicht immer die Vertraute eurer
vruͤdetlichen Heizen? — Warum fchröcige ihr jegt? Redetr —
and wenn eier Wort mich toͤdtete, tedet!
Kusko. Töoͤdtete
Telasko. Das fol es nicht. Was id bir zu fagen
habe, ſtimnit mich auf ‘ven ſanften Ton dei Wehmuth. Ich
Habe die von ‚unfter Liebe, von ünfter bruderlichen Treue, und
von der Zukunft j in fagen, die heute if von einem oleilichen
Strahle erleuchtet ward. ”
. Näritie Geſchwind, ich ietee jur; ©
9 getasti, Wir lieben dich Natind, jeder gab die gang
fein Herz, die aufloderüde Leidenſchaft iwär das Feuer; wel ⸗
des unfee Herzen inniger zuſamnienſchmolz, iofe wurden durch
dich beffere Menſchen, treuete Brüder: — Wer ſo wirds nicht
Immer fein, . “
Nr
Narine.
. IV. Die Brüder. Br” |
— — — — — —
Narine. Nicht immer fein? Telaskol Kusko! fo wirde
nicht immer fein? j
Telasfo. Die Leidenfhaft it zum Manne geworden,
ſtolze Wünfhe find mit ihr aufgemachfen, und diefe gebieten
über fie, und über unfer Herz. — Du kannſt nur eines Weib
feyn, und wer von uns dich nicht zum Weibe wünfchte, wer
dich nicht als Mutter feiner Kinder fehen wollte, der hätte
dich nicht geliebt.
Marine, Telagko!
Telasto, Wir find Männer, und diefe Wuͤnſche unwi⸗
derruflih. Wir hatten fie ung verſchwiegen, Heumlichkeit hatte
ſich in die ungertrennlichen Bruderherzen geſchlichen, wir ſuch⸗
ten einander bei dir zuvorzukommen, und jeder ſchien bereit,
über fein Glück das Gluͤck feines Bruders zu vergeffen.
Kusko. Bruder, was fagft du?
Telasko. Die Wahrheit, — Marine! du weißt, wie
viel jeder Bruder dem andern koſtet, — und daß du das nicht
erfegeft, was jeder von uns in einem Bruder verliert. — Das
Sift der Eiferfucht und des Verdachtes fihlich fih in unfern
Adern, da riß ich die Wunde auf, und zeigte ſie Kusko. —
Er erſchrak, und entſchloß ſich an dem Heilmittel, welches uns
den Bruder rettet. Zuͤrne nicht, Marine, daß ich für die Ret⸗
tung des Bruders alles thue, es ift das einzige, was wir
befigen,, und wir haben geſchworen, uns nicht zu trennen.
Marine. weine.) Laßt mich!
Kusto. Weine nicht, Marine, deine Thränen bremen -
auf meinem Herzen. — Bruder, fel ſanft.
Telas ko. Du wirſt uns nicht trennen, wenn du einem
wählt, dem du als Eigenthum der Liebe. gehoͤrſt. Bir im
Männer, N
Buster Zabes. aer Band, a
242 W. Die Brüder,
— — — — ——
Narine. Ihr liebt mich nicht mehr.
Kusko. Narine!
Zelasto.” Wähle einen zum Gatten, der andre ſei
dein Bruder, bein erfter Freund, und wenn ihm zumellen eine
Thraͤne im Auge fleht, fo dent: es fei eine Freudenthräne uͤber
das Gluͤck des Bruders.
Narine. Telasko! großer, ebler Telasko! ich fühle,"
was du ſagſt. "
Telasko. So wähle — Bruder! das iſt ein Augens
blick, der über ihr Leben entfchelder, — wir wollen fie allein
laſſen.
Kusko. Allein? arme Narine.
Telasko. Die Einſamkeit gebiehrt feſte Entſchluͤſſe,
und die guten Goͤtter felen mit Ihr. Ce sehen Arm in Arm nach dem
Hincergrunde; dort kehrt Telasko um, nägert ſich Narinen, und ſteht neben
198) Bei diefem felerlichen Morgen, bei der Freiheit, die uns
winkt, beſchwoͤre ich dich, wähle! — Wenn du nicht wählen,
wenn du noch ferner mit unſter brüderlichen Liebe das Spiel
‚beines Leichtfinns fpielen wollteft, wenn du nicht wählen koͤnn⸗
teſt, weil — — Narine! einzig geliebte Marine] — er siehe
den Doich Hervor.) ich werde weine, und mein Leben verfluchen,
aber — cKöränen Aärien aus feinen Yugen, ee fält dor ibe auf Die Ane.)
um aller Götter willen, Marine, wähle! (er Reyt auf, faptipre
Hand, und deäde fe.) Wette meinen Beuber! (er acht a6.)
m Behnte Scene.
“ Narine. Codein.)
War. das die. Sprache der Liebe? — Diefe Drohungen,
vbiefer Dolch! —. Du. fhlägft Heftig, armes Herz. Iſts
Sreude oder Furcht vor dem Stahl, der die Pforte des Todes
”-
s W. Die Brüder, 243
— — — — — —
Affnet. Was hab’ ich zu fuͤrchten? ich bin ja entſchloſſen. —
ſhloſſen? — Er ſei alſo verftoßen, der große Mann, vordem ich
mit Ehrfurcht ftehe; verftoßen, weil er die Wahrheit redete, die
ihm fo viel Kampf koſtete. — Nein, fo thöricht, fo ungerecht
wähle ih nicht. Aber Kusko — — der fanfte, freundliche
Kusko. — Ah! Kusko! Kusko! — Armes Herz, warum
fliegen deine Schläge fo raſch? — — Ich kann nicht wählen,
ic kann feinen von ihnen Eränfen und verſtoßen. — Und doch
ſoll ih, muß ich wählen. — — Wohlan!- Dich wähle ih,
Dolch! — Dolch! — Was iſt das Leben in der Sklaverei ges
gen den Tod von des Geliebten Hand? Ja, den Dolch, den
Dolch. — Ich werde frei fein, von feiner Hand werde ich ſter⸗
ben. — Sterben! zittere id) vor diefem blaffen Bilde? —
ort in Ihre Arme’, ehe ber glückliche Entſchluß wanft. — Sie
find nicht da? — Ich / muß fie auffuchen, -bei dern Anblicke
ſolcher Männer werde ich fühlen, daß id hinweg muß, und
daß es ein Sid ik, von ihrer Hand zu fallen. °
Cabder den Hinteeakund 09.)
Eilfte Scene
j Telasko, Kusko. (vorn durchs Gebülch.)
Telas ko. Du biſt eu, Kat, du redeſt von Ban,
du biſt unwillig.
Kusko.Woraaf?
Telasko. Auf mich. Du ſagſt dir, daß Ich den bluti⸗
gen Entſchluß von dir erzwang.
Kusko.! Er war nothwendig. —
Telasko. Siehſt du das ein? Sagſt du —E
am mic) zu beruhigen? Huͤte dich var zu ſpater Neue.
Kusko. Du wirſt nie Verwaͤrfe hoͤren.
Q2
24 IV. Die Brüder.
Telasko. Aber ich werde fie ſehen; biefe Roͤthe der
Bangen wird verſchwinden, und in dieſe glatte Stirn werden
ſich Jurchen graben.
Kusto. Bruder, bafür kann ich micht.
Telasko. Wirſt du fie beweinen, wenn fie die Wahl
auneſchlagt — wirſt du dann zweifeln, daß ſie uns betrog?
Kusko. cwir Kampf.) Nein!
Telas ko. Und wenn fie mich wählte? ing: du es mi
entgelten taffen, daß du dein Schickſal eine kurze, Zeit fru⸗
ber erfuhrſt?
Kusto. Das gewiß nicht,
Telasko. Gieb mir deine Hand. — Bei dem Sorte
unfers Waterlandes beſchwoͤr ich dich, überlege es, ehe du
leichtſinnig in den Abgrund fpringft.
" Rust. Ich habe Äberlegt, wie ein Kranker einen ſchnell
settenden Schnitt durch bie eiternde Bunde langſamheilenden
Babungen vorzieft:
Zelasto, Und ih bin, wenn er and mislingt, vors
wurfsfrei.
Kusko. Du biſt es.
Telasko. Ich hebe meine rechte Hand zu unſerm
Gotte empor, und rufe laut: auf mich komme feine deiner
„ Tränen, keine deiner Runzeln, Peiner deiner Blutstropfen.
Kusko. Cfäur ihm in den Arm.) Keine, Leine. .
Telasko. chatt idu umfase,) Daß ich nie diefer Stunde
luchen muͤſſe, daß ich den Bruder nicht da verliere, wo ich
ihn für immer zu gewinnen hoffte, daß ich diefen Dolch nie
gegen mich felbft wende.
Kuste, (weinme.) Bruder!, Bruder!
Telasto. Trockne dieſe Thraͤnen, diefe Stunde ver
Br
IV. Die Bräber. 239
langt einen männlichen Sinn. «er trocnet ihm die Etränen ab.)
Sieh mich an. Sei getroft. Bei biefer Stunde werth. Cna®
einer Heinen Paufe Mebe er Ach um.) Wo iſt fie? — Marinet\
Kusko. (aberau umperfedend.) Marine Narine! — we
biſt du? Cer gebt ſuchend 8, und ſteht dann erflaune vor Telacto.)
Telasko. Cöirter iagend.) Ha! ha! die Treulofe, fie ent ⸗
rann, und floh in die Arme ihres Spaniers. — Wie unedel,
. wie verächtlih! Du warft unfeer Liebe unwerth, ein guter
Gott gab mir diefen Heilfamen Entſchluß in bas Gerz, und die
Brüder find gerettet. Freue dich, Kusko, wir find gerettet.
Umarme mid, und vergiß fie. Ich verachte dich, wenn es
dir nicht leicht wird, die Treuloſe zu vergeſſen.
Kusko. Cfänt ihm weinend um den Hat.)
Telasko. Wem gehören diefe Perlen? — Sie find ein
zu koͤſtlicher Schmuck für die Verraͤtherinn. — Mein, mein
find fle. Sie gehören dem Bruder. Nicht wahr, Kusko?
Kusko. Ach! Telasko
Telasko. Sieh mich an, ſei froh und muthig. — Nun
iſt unſre Rettung nahe. Laß uns eilen, daß wir in die Gebirge
tommen. Zwei Männer vetten ſich feihter, als wenn eln
Weib an Ihrem Arme hängt. — Fort, ehe ſie ihre geliebten.
Spanier gegen uns aufbringt, — ich fuͤrchte alles von ihr.
Kusto. Telasko, du forderſt zu viel.
Telasto. Nicht mehr, als der Bruder forderndarf, und
muß. — Sort! die Freiheit winkt. — cer siehe Kusto am Hrmetort)
Kusko. Laß mic noch einmal die liebe Gegend Abers
ſchanen, wo Ich oft fo glucklich war. ward
Telasto. Bruder! Bu
Kusko. Cindem m fh ınm Gehen wenden.) AT Marines
Marine? Cae sehen: Im Olntitgrunde begtamer Ihnen Natine.)
i Ras
Die, Brüder. '
Zmölfte Scene
VNarine. Telasko. RKusko.
Telasko. Cerſchtidt.) Narine!
Kuskor cfeeudig:) Narine l
Telasko. (wenden ach beſchämt von ihr, und geht in den Bot,
atund. J
usko. Caeht froß auf Natinen zu, und Tafle ißre hand.) Halt
ich noch einmal diefe Hand, druͤck id noch einen heißen Kuß
auf dieſe Eipnen, und fühl ich noch einmal dies Herz an meiner
Bruſt fhlagen? u
Narine, Moc einmal. — Che Acht ihn wehmmärhig an, gang
mit Ihm in den Worgeund, und lehnt ſich weinend an feine Brufl. Telasko
Beobachter fe aufmestfam. 2 Wir mäffen uns trennen Kusfo! Nas
sine muß fort.
Kusko. Narine! was ſagſt du?
Narine Was wird es denn nun fein, wenn Nartne
nicht mehr iſt? wer wird ſie vermiſſen? =. Ber fügt den
Thautropfen, den der Strahl der Gottheit trank?
Aus ko. Nicht In diefem Tone, Geliebte, Hülle den
ſchrecklichen Gedanten, nicht in dies fiebliche Gewand.
Naring., Sol mein Tod nicht fein, wie mein Leben
war? — Du iwdedeft mie den Tod nicht geben? — O! wie”
danke ich den Göttern für dies Ende. — Ich ſcheide und
rette euch.
Kusto, Uns? — das wäre ein heher Preis.
Narine, Laß; es iſt au, etwas hohes, euer Retter
au fein, — Be, ‚find die Brüder, die. euch gleihen? — und
welches Mädchen wär” im Stande zwiſchen euch zu ‚wählen,
nen vorayalehen, den andern iu verfioßen, und beiden den
- Bruder m ehmen? — Ich kann nicht waͤhlen. x
W, Die Brüderz \ 27
—— — — — — — ——
— Ausko. Narine!
Telasko. (tritt näher, etwas anſter. Du kannſt ih
waͤhlen?
Narine. Stellt mich vor ein Gericht von Jungfranen,
laßt mich euch ihren gefuͤhlvollen Herzen mahlen, und wenn
eine zu entſcheiden vermag, wenn fie ihr Herz lieber gäbe, dem:
ernfen feften Telasfo,..oder feinem fanfteren Bruder, fo will,
auch ich waͤhlen.
Telasko. Dann willſt du waͤhlen? — du taͤuſcheſt
uns nicht.
Narine Ich euch cauſchen? — o ihr kennt Narinen
nicht. Maͤnnerherzen lernen ſpaͤt den Werth des Mädchens,
uber die Weiber fühlen den Werth der Maͤnner ſogleich. r
Telasfo. Und dennoch willft -du- wicht: waͤhlen? —
Was noch) nie der. Fall war, fände jetzt ſtatt, du liebteſt ung,
gleih? — Das ſollſt du mir nie Äberreden,
Narine Warum nit? firenger Telasko! Und liebte,
ich euch auch nicht gleich, fo kann mein Herz doch nicht ents
ſcheiden, wen es kraͤnken, und verftoßen fol. \ u
Telasko. Du verfiößeft beide, — o! das iſt fehr mits
leidig· — :Dein Spanler wirds dir Dank willen, , die
Sfloninn! - -
Narine. Spanier? — — Auch diefer kraͤnkende Sport,
Telasto, foll mich nicht won dir entfernen, da du fonft fo
edel biſt.
Telasko. Entfernen? du tommf nit von Gier n weg.
Kusko. Bender! Bruder! Fu E
er. Marine, Darym ſchweig von: Spantern, und nenne
die nicht Sklavinn, die nun bald.filr immer. frei iſt. — g59
faßt die Hände beider, nnd ſteht in ihrer Miete) Sa, Brüder, Ges
24
248 I. Die Bräber.
llebte, ich gehe nicht von hier weg, ich Habe gewählt — — —
den Dolch.
Kusko.
Telaeto. Den Dolch?
Narine. Ihr muͤßt leben; Männer, wie Ihr, vermiße
bie Welt; was liegt an’meinem armen Leben? — Seht mich,
nicht fo an, — Kusko, weine nicht, und dir, Telasko, will
ich die Falte wegkäffen, in der noch immer Verdacht lauſcht. —
Kann mein Blut dich nicht verſohnen? —
Telasko. (Aede ne tart an.) Narine! wähle!
Kusko. (Enter vorige.) Liebe Marine, entſcheidel
Marine. Ich Habe entfchieden. Gebt mir den Dolch, um’
ben ich bitte, gebt mir den Tod; was von eurer Hand kommt,
iſt mie werth, und erwuͤnſcht. — Ihr feid gerührt, -Telasko fhaus
dert. — Dies ift mir Buͤrge, daß ihr mich nicht vergeffen werdet.
Kusko. Did vergeffen, Marine? nie! nie! ich werde
nur in dem Andenken dn dich leben.
Narine. Das Hoffe ih, ihr werdet die unſchuldige Nas
rine nicht vergeffen. — Wenn ihr in das Vaterland zuräde
kehrt, und das müßt ihr, denn eure Brüder ſtehn bewafnet
Binter jenen Bergen, dann bringe meiner Mutter diefe Perlens
ſchnur, als Zeichen meiner Freiheit, und errichtet mir Im lie⸗
ben Vaterlande ein Grab.
Zelasko. (färnd.) Ich bin entmafnet, mein Pr
fallt, Gott Peru's, dir weihe ich fies — rette fle und mic.
. «Banfe.)
Narine. Umarmt mic noch einmal. — (neumarınt Telasto)
VBergiß mich nicht, ich bin vielleicht des Platzes in dem Kerzen
anes fo edlen Mannes nicht unwerth. —
Telasko. (weint.)
W. Die Brüder, 29
— — — — —
Narine. Ich bin ſtolz, Telasko hat um mich geweint. —
Cfie-amfast Kusto.) Lieber Kusko, bärme dich nicht, du haſt
einen Bruder der dir mehr werth iſt, als ich. — Brüder, ums
arme euch noch einmal, ehe ich ſcheide. Cdie Weider Aiegen einan /
Der In die Arme, fe umfehftage Heide) So, fo, enig fo. — Mun
Habe ich gelebt. (Die Bruder rennen Ach, Kusto fäur Narinen in die
Weine). J
Telasko. Confmend.) Der ſchauerliche Augenblid
naht, und ich zittre, wie ein Kind. — Cer sieht den Doich dervor)
Du bift alfo der gluͤckliche. — O! waͤrſt du für-mich beſtimmt.
Marine, (aebt At nach Tuiasto um.) Teinste! Ce geht auf
mm)
Telasko. Sie ruft. Schnell zur That. (er wender ni;
amd gebt mit 'geiucktem Doiche auf fie zu.)
Marine, CAebe den Dolch, und autit nieder) Noch eine ein
iige Bitte, die Bitte der fterbenden.
Kusko. Bruder! Bruder!
Marine. Moc eine einzige Bitte,
Telasko. Sie ift mir heilig.
Narine. Gieb Kusko den Dolch, laß mi, son fine
Hand flerben. Cfeiselie Brite.)
Telaoko. Bon feiner Hand flerben?
Marine. cweinend.) Der Tod wird mir fo füßer fein.
Telasko. Chebene lange (üpeisend am, fein Wild iR ach In
Heiterkeit auf. Er mähere Mh ihr, debt Re auf, und fest fe in Die Nemo
leines Veudert.) Lebe für ihn!
Narine. Den Tod, Kusko, den Tod!
Telasko. chenden den Dos weg.) Lebe für ihn. —
Muften Todesfhauer dir dies leife Geffändniß abpreſſen? —
AG! Narine, du liebſt mich fehr. — Miımm fie Hin, Bruder,
as
20. IV, Die Brüder,
fie fei dein, dich liebt fie, denn von mir. verfhmähte fie den
od! — cer inter nieder.) Gott Peru’s, ich danke dir, mit
Thraͤnen der Selbftzufriedenpeit dank ich dir.
» Narine,
Kusto.
Telasko. Dorthin wendet euer Gebet, — unfer Bott,’
ber euch begluͤckte, wird euch auch retten — erhebt euch ges:
ſuvtt von feinem Strahl zu feeligen Hofnungen. — Glüctiche,
wie ihr, dürfen ige Sklaven fein. —. Fort! ich rette euch
oder ſterbe mit euch.
Marine. cerdebt nd) Michts vom rer⸗ edler Telasko! ⸗
Lebt, edle Brüder! und hoft mit Zuverſicht auf eure Freiheit.
War ich euch lange verbarg, weil ich das Zeuer der Eiferfucht
ſcheute, ſollt ihr jegt wiffen: :unfre Brüder find auf jenem
Webinge, die Spenier zittern, und bereiten ihre Donner. Wir
erden wilffommen fein ;- nur taufend Sthritte,
Telasko. Edle Narine!
Kusko. Narine und.Greiheict,
Narine. (kuiet daneben) Gott Peru's, wir hoffen auf
tch:: BIN aœioviau niq·tuiad. Die Berbans caut.)
Fr. Nambach.
Ctnien vor Telasto.) Großer, edler Telasko!
} fie Enien dor ihr.) \
—8R
V. Fum⸗.Hoam ober bie Seelenwanderung, 251
b t
Sumsncam oder bie Seetenwanderung.
‚Bon Große,
guen Ust. ° “4
Hurauf ward * 196 oOrmus in einen ‚Jungen Dienfeen, ve
fegt, der bei ziemlich gluͤcklichen Anlagen, und einem ungaus⸗
loͤſchlichen Durfte nad. Kenneniffen,: endlich zut Stelle eines
Imaus hinanfieg. Aber nicht bloß hie Talente, welche mich
au diefem Poften führten, bereiteten durch Erregung eines all;
gemeinen Neides meine nachherigen Unfaͤlle darin vor, ſondern
es gab auch noch in mir ſelbſt eine unreine Leidenſchaft, die
allen Anſtrengungen der Vernunft, nie gaͤnzlich hatte weichen
wollen. Meine Würde trug daher nicht das mindeſte dazu Bei,
mich befonuener zu machen; ja ich fand daritg ſelbſt neue und
bequemere Auläffe aur Befriedigung meiner Begierden. Es bes
durfte endlich eines aukerordgutlichen Geigniſſes, um mid an
meine vergeffenen Pflichten nieder. zu erinnern, und zung Wege
der. Tugend zurädguführen. . PA
In menge Nachharſchaft wohnte, e eine funge Pr son
ganz vollkommener Hchoͤnheit. Ihx Ruf war indeß nicht ger
rade der beſte, und wan beſchuldigte Re einer Dienge von Ele
252 V. Fum⸗Hoam oder die Seelenwanderung.
nen Yusgelaffenheiten. Sie erſtickte endlich an einem Knochen,
ber dr in ber Kehle ftedten blieb, und da ihr Haus zum Bes
zirke meiner Mofchee gehörte, fo ward ich zur Abwafchung des.
Leichnams gerufen. Beim Anblide fo außerordentlicher, Reize,
die entblößt vor meinen Augen lagen, und denen felbft ber Tod
nichts von ihrem urfprünglihen Glanze entzogen zu haben
ſchien, rief ich unvorfichtigerweile aus: „O großer Prophet,
dies Weib Eonnte unmöglich eine geringere Glaͤckſeeligkeit ges
währen, als diejenige, welche bu mit den Houris im Paradiefe
deinen Heiligen aufſpareſt!“
Die Vorfehung wollte diefe meinem Charakter und Stande
fo Außerft unziemlihen Worte beftrafen. Im Abwaſchen kam
meine Hand von ohngefaͤhr auf dem Munde zu liegen, ein Zins
ger’gliefepte hinein, und zwiſchen die Zähne; diefe fuhren zu⸗
fammen,. und preßten denfelben fo ftark, daß ich vor Schmerz
in ein lautes Gefchrei ausbrechen mußte.
"Alle Verſuche, meine Hand zu befrelen, waren vergebens,
und um meine Ehre zu retten, blieb bald fein anderes Mittel
übrig, als mir den Finger abzuſchneiden. Ich führte diefe
graufame Operation mit einer Standhaftigkeit aus, womit
uns die Begierde nad einem unbefleckten Namen und nad
öffentlicher Achtung beſeelt, und eilte auf diefe Art verftämmelt
nach Haufe, voß von Gedanken über diefe wunderbare Beger
benheit, über den Fingerzeig des Himmels darin, und beſon⸗
ders über meine eigene Schuld. Was konnten diefe anders herr
vorbriugen, als eine gänzliche Aenderung meiner Lebensart? —
Ich machte mic genauer mit meinen Pflichten befannt, und
indem ich fe auf alle meine Handlungen und Gemauͤthsbewe⸗
gungen ohne Unterlaß anmendete, ward ich unvermerft in der
Aus aͤbung derfelben volllommner. Ein heute glacklich vermie
V. ums Hoam ober die Seelenmanderung. 253
dener, unbeträchtlich feheinender Fehler, erleihterte mir doch
morgen die Verbefferung eines Lafters, und am Ende eines _
Ieden Monates, wenn ich die Summe meiner erworbenen Tu⸗
genden 309, fand ich fie jedesmal um ein beträchtliches größer.
Aber, wer hätte es wohl geglaubt, daß, indem ich auf
dieſe Art für meine innere Gluͤckſeeligkeit Sorge trug, zu glel⸗
er Zeit auch meine äußere Ruhe zu, Grunde richtete? Mieis _
nen Amtsbrüdern war mit dem Rufe, den eine kluͤgere Aufs
führung mir verfchaffte, gar nichts gebient. Sie verftelten
ſich zwar noch immer gegen mich; allein da fie bloß auf eine
günftige Gelegenheit fauerten, um ihrem Grole Luft zu vers
Schaffen, fo fanden fie diefelbe bald in der Sicherheit und Uns
achtſamkeit auf den äußern Schein, wozu ihre Liebkofungen
wich verfüßrten. Sie nahmen fo fehr die Miene der Freunds
‚haft, Achtung und Ergebenheit an, daß ich bei meinen nach⸗
maligen Unfällen nur fehr fpät erſt ihre fchlaue Bosheit im
Spiele erblickte. \
Als ich einft des Abends nach Haufe zuruͤkkam, von Amtes
selhäften hoͤchlich ermuͤdet, eilte ich mein Gebet und meine
letzte Abwaſchung zu verrichten, um ſobald als möglich ſchla⸗
fen gehen zu können. Indem ich aber eben auf mein Polfter
mich aus zuſtrecken im Begriff war, und, mit dem Lichte in der
Hand, die Teppiche darüber in Ordnung. brachte, fand ich
datin etwas eingewickelt, deſſen unerwarteter Anblict mich beis
nahe zur Bildfäufe machte. u
Ein ſchoͤnes Kindtag fhlummernd darauf. ‚Die erſte Be⸗
tAubung verging, und id) nahm es genauer in Augenfchein.
Gewiß war es ein Sohn der Liebe, fo-frifch und bluͤhend lag
er da, ſich und feiner jungen Reize ganz unbewußt. Der Schim⸗
mer der Unſchuld und Gefundpeit ladete auf feinen Wanzen zu
3 v. - Sum» Hoam oder die Seitenwanderung.
tinem freundlichen und theifnehmenden Kuſſe ein. Das Eis
cheln des ftillen Wohlſeyns ſchwebte auf feinem Munde, und
lebte im Voraus um Verfhonung. Weri Hätte das Herz
nicht beim Anblick diefes Gemaͤhldes gefchlagen, worin die reinſte
Natur ihre rührenden Zaubersien ausbreitete, in halb entwik⸗
kelter Schönheit fo vieles für die Zukunft verſprach, und die
Sorgfalt, wozu fie aufmunterte, ſchon mit einem! hoͤchſt ange⸗
nehmen Vorgenuſſe belohnte. Im erſten Moment haͤtte es
immer mein Leben gelten können, ich hätte mich dieſes Kindes
annehmen mäffen. \ j
Aber mein Leben war unter folhen Umftänden nur tbenig;
auch meine Ehre fand auf dem Spiel. Wie konnte ich, fo ſtrenge
beobachtet, dies Ereigniß vor ben Augen der Welt verbergen;
und gab esirgend Entſchuldigungsgruͤnde, gab es Aberhaupt eine
Beredſamkeit, die einen fo farfen Schein gegen mich zu wider⸗
legen, oder auch nne zu mildern vermochte? Nicht nur mein
guter Nahme und die Früchte einer fo fangen Anftrengurig und
Vorſicht gingen darüber unwiderbringlich verlohren, auch harrte
eine nicht weniger unerträgliche Dürftigkeit meiner, denn mei
nes Amtes wäre ich auf der Stellt entſetzt. — So-fhwanfte ‚
ich lange in biefem heftigen Gedränge anf mich auftrömender
Gedanken unentſchloſſen hin und her, fand bald einen Aursıveg,
verwarf ihn wieder einen Augenblick darauf, ſchwebte zwiſchen
Zweifel und Hofnung, wollte eine Mittelſtraße entdecken, fand
aber nirgendwo etwas als neue e Grunde zum Kummer und jie
Beängftigung. J
Endlich behielten der Stolz und die Ehrbegierde, welche
die Hauptgeundläge Meines Karakters ausmachten, die Ober⸗
Hand Aber die Empfindungen, welche mir zwar die Menſchlich⸗
keit einflößte, Ich aber "in dieſer Rage als unflug verwarf. Ich
V. Fum⸗Hoam oder die Seelenmsanderung. 259
aa — — — —
nahm das ſchlafende Kind in den Arm, hatele mich vor allen
Dingen es nicht aufzuwecken, und wickelte es in mein weites
Gewand. Ich dachte es vor der Thür eines meiner veichen
"und vertrauten Freunde nieberzulegen, und nachdem ich anges
klopft hatte, mid, wieder mit Vorſicht davon zu: entfernen,
Damit konnte id mit der Erhaltung meines guten Rufes viel⸗
leicht noch das Vergnügen verbinden, das mir eine Theilnahme
an der Erziehung dieſes mir fhon theuer gewordenen Fuͤnd⸗
Kings verf: rach.
Doch als ich eben mitt meiner Buͤrde zur Hausthare hin⸗
austrat, fühlte tch mich in der Dunkelheit von jemandem ſehr
unfanft umfaßt. Beſorgt, daß man das ſchlummernde Kind
drüden, aufwecken und fchreien machen Eönnte, ſtrebte ich aus
allen Kräften diefer ungelegenen Umarmung wieder los zu wer⸗
Je mehr ich mich indeß ſtraͤubte, deffo fefter hielt man
mich "Eine Art von Kampf entftand daraus. Ich befreite
mich endlih. Die Stimme eines, Weibes ließ fich hören. Auch
mein Fündling erwachte, und fehrie. Aus ben benachbarten
Häufern kamen Leute mit Lichtern zum Vorſchein. .
Gleichſam als habe die Wache ſich ebenfalls hier verbots
gen gehalten erblickten wir uns auf der Stelle von derfelben
umringt. Man ftelle ich meine Verlegenheit vor. Alles war
entdeckt: Ich hielt ‘den fehrelenden Knaben im Arme," und
"Dachte gat nicht mehr daran, ihn zu verſtecken. Alle Umſte⸗
henden ſtarrten mich an, als erwarteten ſie aus meinem Munde
die Aufdfung" dieſes Raͤthſels. Dies vermehtte nur meine
Zodesangft noch, und ich fuchte vergebens nach Worten. '
Die Frauensperfon, welche mich umarmte, und' welche ich
dst zum erffenmale in meinem Leben ſah, Nberhob mich der
Wehe auf eine Anrede zu ſirmen, und indem ſie die Miene ve
2536 V. Zum⸗Hoam oder die, Geelenwandernng.
— rG — 6,e— —
Berdruſſes annahm, und ſich gleichſam in einen Eifer hinein⸗
azwang, ſagte: Ainedernb, wo willſt du mit unſerem
Rinde Hin?”
„Mit unferm Kinde — twiederholte ich erflaunt — und
"bie Worte erftarben mir auf den Lippen — ich kenne dich nicht,
Weib,’ fegte ich ftotternd Hinzu.
Aber fie lieg fich in Ihrer auswendig gelernten Rolle nicht
iere machen, fondern fuhr mit einer Unverſchaͤmtheit fort, die
alle Umſtehenden uͤberzeugte: „Sagte ich es nicht, daß dieſer
Nichtswuͤrdige fein unſchuldiges Kind ausſetzen wollte? —
Nein, nein! gieb her, es iſt ebenfalls das meinige, und ich
Babe ein Mutterherz in der Bruſt.“ ö
Der Pöbel ift ein fonderbares, launigtes, beweglicheres
Thier als eine Wetterfahne. Unter den Anmwefenden befanden
ſich Leute, die mir noch am nehmlihen Tage den Rodzipfel
kußten, und zufriedener über meinen Seegen nach Haufe gins
gen, als fei ihnen das größte Gluck wiederfahren. Und ige
erſchallte einftimmig aus aller Munde: „O der Gotteslaͤſterer l
der heuchleriſche, beträgerifche Iman! — Man bringe Ihn,
nebſt feinem Kinde, zum Kadi! — Man befirafe ihn, andern
zum Beifptel und zur Warnung!”
Zugleich riß man mir das Kind aus ben Armen, die Wache
nabm mich in die Mitte, und ſchleppte mich zum Hauſe des
Kadi. Meine Vorſtellungen, Bitten und Thraͤnen, meine
Beredſamkeit, welche font fo oft aller Herzen ruͤhrte, halfen
zu gar nichts; mir einem laute Huſſah! das mit jedem Schritt
den Schwarm noch duch Neuhinzukommende vermehrte, bes
gleitete man mich im Triumph.
Was elnem uneingenommenen Sufhaner kiht Verdacht
erwedt hätte, war bie Geſchaͤftigkeit der angeblichen Mutter
des
WV rare Obam oder die Berfenanbeiüng. Big
——— — — — —
des Kindes, den tollen Haufen noch mehr gegen mic zu erdit⸗
tern. Ich ſetzte Ihren Schmaͤhungen und Verwuͤnſchungen
von meiner Seite nichts ‚als ein veraͤchtliches Stiulſchweigen
dätgegen, und ⸗bies mochte vielleicht nicht wenig dazu beitragen,
thre Wuth auf das hoͤchſte zu bringen. Ich fah voraus, daß
wit dieſer Auttaͤgrrin imd-bei ſolchen Zeugen ‚mein Verdrrbeu
kaum zu vermeiden ſein wuͤrde, doch uuterlleß ich deswegen
nicht, der guͤtigen Vorſehung mich. anzuempfehlen, ‚dis
dicht am Rande des Abgrundes noch einen Weg zur Rettung
erofnet. ee)
x. Die Miene des Kadl war das erfte, was mic, inmen
ner tiefen Bekuͤmmerniß tröftete. Sie drückte fo viel unbefam
gene Leidenſchaftloſigkeit, und zugleich fo" viel Gutmuͤthigkeit
ans, daB id} mir von derſelben in einem fo zweifelhaften Jane,
zum menigften einige Nachficht verſprach. Ich vergaß Dom
halb keinesweges, daß man, um die. Meufchen zu Äberzengen,;
weniger zu Ihrem Verſtande, als zu ihrem Herzen, das heiße,
zu ihrer Sinnlichkeit and Einbildungstrafe reden nruß, und
weine Anklägerin, ein junges, blühendss und’ gefälges Weib
hatte bier vieles. vor mir voraus; aber’ ih ver ieß mich auf die
Stärfe und Zuverfiht, welche die Unſchuld einflöße, und wet⸗
Wr den Zuhörer oft felbft wider Witten mie fich fortreißt.
Machdem der Kadi mit der größten Geduld eine unzufams
" menhangende Erzählung meiner Gegnerin, nebſt allen thren
Verſicherungen und Schwuͤren angehört hatte, wandte er ſich
gu mie und fragte mich, was Ich darauf zu antworten Habe?
Bch erʒaͤhlte ihm den Vorgang mit den kleinſten Amiitänden,
und, ich bin es gewiß, mit den Farben ber Wahrheit. Es—
a mir vor, als höre er mich mit mehr Aufmerkſamkeit als
meine Antlägesin an, und darum wagte Ich es · zuletzt, ihm ein
Deister Japıg. atet Vand. Zu
258 V. Fum⸗Hoam oder bie Gerlenmanderung. "
— — — — —
Gewaͤhlde von meiner huͤlfloſen Lage, von der meiner harren⸗
den Entehrung, von dem unverdienten Elende ber Zukunft zu
machen, die ihn im Innerſten ruͤhrte.
Vielleicht um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, befahl
er, daß man das Kind, worüber man ſtreite, naͤher zu ihen
heran bringen moͤchte, und that hierauf, als unterſuche er die
Zage deſſelben, und vergleiche fie im Stillen mit den unſrigen.
Dann wollte er wahrſcheinlich die Würfungen der elterlichen
Kiebe erproben, und fagte, indem er uns beide genau if,
Bas Auge faßte, daß er den Säugling, da fein rechter Was
ger tzn vauuane, zu fi ine Haus‘ ———
aehimen wuͤrde.
Soviel ich wiſſen kann, aͤnderte ich BR reine Mine
nicht im geringften. Das Weib erblaßte aber, doch aus einem
ganz andern Grunde, als ber erſte Anblick errachen ließ. Denn
im. nehmlichen Augenblide drängte ſich aus dem Haufen der
Umſtehenden ein anderes, noch nicht bemerktes Feauenzimmmer
hervor, nahm dem andern, welches dem Kadi eben den Saͤug⸗
King binreichen wollte, denfelben ans den Armen, und fagte
mit raſcher Stimme und entfchlofiener Gebehrde: dies Kind if
mein, Kerr!
Der Knabe, welcher vom erſten Erwachen an immer HER -
anrtuhig war, und feine vorgebliche Mutter nicht leiden zu
tonnen ſchien, hörte jet zu ſchreien apf, und ward mäuschen
ſtill. Selbſt ſtreckte eu feine zarten Hände nach ber Hinzus
kommenden aus, und liebkoßte fie. Sie ſelbſt vergaß eine
Weile Ort, Umſtehende und Richter, ſich in feine ſchuldloſen
Meize und fchmeicheipaften Liebkofungen verlierend. Es ward
ein ruͤhrender Auftritt Daraus, der zw der nehmlichen Zeit mid;
Mn den Augen allen rechtfertigte, und meine Feinde beſch amte.
J
v. BumsHeam oder Die Geckeiwanderung. 259
— — — ——
Der Kadi indeß wollte es hiebel wicht bewenden laſſen,
ſondern hielt es fär feine Pflicht, dieſe zufällig entdedten Spu⸗
"sen einer überlegten Bosheit mit Sorgfalt zu verfolgen.
Meine befhämte und überwiefene Anflägevin gefland daher,
dies Kind von ihrer Nachbarin geborgt, und es auf mein Bett
gelegt zu haben, zum Spiele: iprer Rolle aber von einem Uns
" befannten gedungen zu fein. Du haft Feinde, Iman, (fagte
der Kadi zu mir, nachdem er das Weib zu einer Geldbuße vers
Artheilt hatte) die dir nach Leben und Ehre trachten. Wenn
id) die aber als Freund tathen fol, fo huͤte dich beſonders vor
denjenigen, von denen du nichts als Menſchenliebe erwar⸗
ten ſollteſt. Ein jeder naͤhrt feine Hauptfeinde in feiner eige⸗
ven Bruſt.
Diefer Gefahr entronnen, befchloß ich mit mehr Vorſicht
als jemahls zu leben. Ich begriff. nun wohl, daß mie eben
die geringe Anzapl meiner Tugenden Feinde verfhaffe, und
daß ich gerade wie einer von ihnen ſein muͤſſe, um von meinen
Amtsbrudern nicht verfolge zu werden. Ohne daher irgend
jemanden, oder nur die allgemeine Verderbtheit des menſch⸗
Uchen Geſchlechtes anzuklagen, dachte ich auf die Verbeſſerung
von dieſem Theile meiner Aufführung, that das Gute bloß in
der Stille, bekuͤmmerte mich um niemanden weiter als mich
ſelbſt, ſuchte meine Glaͤckſeeligkeit in der verſchwiegenen Aus⸗
uͤbung meiner Pflichten, in dem Streben und ſtufenweiſen Fort ⸗
gange nach Bildung und Vollkommenheit, in jeder unzerſtoͤ ⸗
baren Ruhe des Geiſtes, die ſich nach und nach von allen Ge⸗
genſtaͤnden und Ereigniſſen ganz unabhängig macht. "
Auch ſchien es eine Zeitlang, als ob es wenig Dinge mehr
gäbe, deren Einflüß bis zu meiner verſchwiegenen Eingezogens
beit reichte, md der Groll ehemalige Meier und, Geinde war
ö . s - Ri .
.
260 V. Fum-⸗ Hoam oder die Seelenwanderung
— — —— — —⸗ —s —
durch meine Anſoruchloſigkrit auf Alles, was ſie in Werih hiel⸗
sen, wenn auch nicht gänzlich verſohnt, doch zum Theil abge:
tahlt, und ohne eigentlichen Gegenſtand mehr. "Was daher
unter der Aſche glimmte,. nahm ich niche wahe, "und *
begnuͤgte ich mich. “ *
Unfer große Prophet hatte indeffen meine Tugend und
Standhaftigkeit noch nicht hinreichend gepräft, und eine von
ben unerklärharen Begebenheiten, welche im Dunkel ber Zu⸗
kunft verhält, uns Sterbliche fo oft unvorbereitet, und deſth
ſchmerzhafter uͤberraſchen, lauerte we hinteruſtis an meinem ein⸗
ſamen Wege.
Einen Theil des Tages, nad: Beendigung meiner Amt⸗⸗
geſchaͤfte pflegte ich mit der Abftattung von Krankenbeſuchen
zuzubringen. Wenn ih alsdang von einem folhen Geſchaͤfte
zuruͤcktam, nahm ich die Augen vor mie auf den Boden nie⸗
dergeſenkt, und in einem mehr als geivähnfich tiefen Nachden⸗
„ten verlobren, gewoͤhnlich nichts von demjenigen wahr; was
doch oft gang dicht neben mir vorging. Mit diefer Bedacht⸗
ſamtelt fegte ich daher einft meinen- Weg ſtiul durch die Strafen
fort, und bemerkte nichts von dem lauten Serhmmel, ı das eine
derſelben halb mit Menfchen erfüllte,
Wie Ich es aber ſchon eine gute Ötrede Kinter mir fette,
hoͤrte ich es noch viel flärker werden, und endlich einen großer
Haufen fhreiend heranetlen. Da ic) befürchten mußte, darlıt
verwickelt oder am Ende wohl gar umgeftoßen zu werden, ſo
verboppelte ich meine Schritte ein wenig, doch ohne zu laufen,
oder die mindefte Furcht zu bezeigen: Es mar indeß nicht möge
lich dem Strome zu entgehen, und ich hielt es deshalb für das
kluͤgſte; mich an die Seite oder in irgend eine Hausthüre zu⸗
ehchjuziehen, und den tabenden Haufen vorbeizufaffen.
V. Gum s Hoam oder bie Seelentoanderung. 263
Die Dämmerung war fchon. eingebrochen, und ich dachte
folgfich mein Vorhaben um fo fiherer ausführen zu innen,
Allen nichts defto weniger wurbe ich:benerfe, in einem Augens
blick verfammelte fih das Volk um mic) ber, und bald hörte
ich von. Allen Seiten her den Ruf erfchallen: „der Iman! der
Iman!“ — und — „Hier, hier iſt ber Morder!“
Diefe ſchrecklichen Worte raubten mir zuerſt das Bewußt⸗
fein, und ich ſtarrte ſprachlos die wilde Menge an; doch das
Gefühl meiner Unſchuld, und elme lebhafte Zuverfiht zum
Schub des Propheten,- gaben mie Heiterkeit und Muth wies
der, und ich fagte fanft, aber gefaßt: „, Kinder, was verlangt
ihe von mie?” a
- Ein Fauſtſchlag war die einzige Antwort, die I erhielt.
Ich hatte mich auf einen erhöhten Stein vor einer Hausthuͤre
geſtellt, und wehrte mir fo gut ich nur konnte, die andringens
‚den ab, von denen einige mich beim Kleide faßten, und nieders
ausziehen bemuͤht waren. „Allah ſtehe mir bei — rief ich zu⸗
letzt mit einiger Dewegung — „habt Ehrfurqht por dem Diener
unſers heiligen Propheten!“
Herab mit dieſem heuchleriſchen Imant — ſchrie je
mand aus der Mitte des Haufens, und alle ihm nach? Herab!
herab! zum Kadi! in den. Kerker! — Widerſtehen wollen,
wäre hier offenbahrer Unfinn gemefen, ic fügte mich daher
gelaſſen und ſtandhaft in das mir bevorſtehende Schickſal, und
folgte dem Pößel, wo er mich hinzuſchleppen für gut fand;
Zu meinem größten Erftannen nahm ſch darunter Hald mehr
rere meiner Bekannten and Amtsbrüder wahr, die mic) Ihrets
feits gar nicht mehr zu kennen fehlenen. Ich erinnerte mich Hier
bei jenes anderen Vorfalles, und erfarmte ohne Muͤhe auch in
dieſem Ihre heimliche Wirkung. Wie hatie mir aber moon
nel ee 3
263%, dam⸗Voam ober bie Serleiwanderung.
das Mittel aus dem Sihne kommen Binnen, wodurd mich eine
" Höhere Hand ans der Lebensgefahr fo munderbar vettete? —
Der bloße Gebanfe daran, erfüllte mich von neuem mit Troſt
und unbeſchreiblichem Vertrauen. -
Erſt als ich vor dem Nichter bes Gtadtviertele Kand, ber
‚merkte ih, daß mein weißes Gewand an der einen Seite mit
Blut befprengt war. Dies fiel dem Pöbel in die Augen, unb
da man in der Straße einen Ermordeten antraf, ohne.des Mir
ders gewahr zu werden, fo fehienen dieſe Zeichen hinreichend,
"mich für denfelben zu halten. Alle Umftände des Handels wurs
den mweitläuftig, mit Eifer, und daher auch mit einigen Vers
größerungen auseinandergefegt, und als ber Kadi mich fragte,
auf welche Art id zu diefen Blutflecken gekommen wäre, fo
diente mein Stillſchweigen und meine Verwirrung nur nach
dazu, feinen und aller Verdacht zu beftätigen. —
Was konnte ich auch wohl für eine Antwort darauf erfin⸗
nen, die ſelbſt einen unelngenpmmenen: Richter einigermaßen
Hätte befriedigen mögen?. — Eine Thatſache ſprach fo Laut ges
gen mid), daß fie Beinahe für einen Beweis galt, und dazu
noch trafen ebenfalls alle die übrigen Umſtaͤnde zufammen.
Bergebens foderte ich meinen Scharfſinn auf, um etwas zu
erklaͤren, das ich ſelbſt nicht begriff; ich fand mich von meiner
fonftigen Beredſamkeit, von Muth und Kräften verlaffen, und
verfteinerte vor Angſt mit jedem Pulsfchlage mehr.
Dein Anfcheine nach bedurfte es izt eines Wunbers, um
mich aus biefer Verlegenheit zu helfen, und doch ließ auch biess
mal unfer gütige Prophet feinen treuen Diener nicht im Stiche.
Eben als der Kadi gegen mid das Todesurtheil ausſprechen
wollte, welches der wuͤthende Pöbel felbft auf der Stelle: zu,
vollſtrecken bereit. ſchien, vernahm man aus bem Hintergrunde
des Saalıs die Stimme eines Weibes, das gehört du werden
V. dan⸗ Heam ober bie Geelmmanberung. 263
verlangte. : Man machte ihin Platz, es näherte ſich, um den
Beklagten nach beffer in Augenſchein zu armen, n und wandee
Ach Hierauf zum Kadl. J
„Ihr Habt, großmächtiger Richter — ſagte fie — zu viel
Wichtigkeit auf den Umſtand der Blutflecke gelegt; denn wenn
6x den Hufſchwid, welcher der großen Mofchee gegenüber
wohnt, zum Zeugen Kohlen zu laffen, far gut befindet, fo
werdet Ihr von ibm Hören, daß biefer Iman Hier eben vordiben
sing, als man einem Pferde die Ader öffnete, und, da er ſich
nicht vorfah, vom Blute beſprizt wurde. Wir bemerften es
gleich, und riefen ihm nach, aber eu war fo fehr in Gedanken
vertieft, daß ihn unfer Geſchrei nicht daraus erwecken konute.
Dies iſt die reine Wahrheit, großmaͤchtiger Kadi, und laßt .
unr den Schmid Kohlen, fo werdet ihr alles nad) viel m
erfahren. "
Der aufſgerufene · Zeuge kam, und ——* die Enkktng
des Beides in allen ihren Umftänden. Ich Hatte indeß meine
Bar ſprecherin erkannt, und muthmaßte mit Recht, daß and
ſie fih ebenfalls auf mid; wiederbefann. „Wollt Ihr mie
Euren Knaben zus Erziehung uͤberlaſſen?“ -fagte ich ihr beim
Herausgehen. Sie mar es zufrieden, und ich machte daraus
meine esffe und einzige Gluͤckſeligkeit.
Naqh dieſer Zeit lebte ich noch mehrere Jahre hindurch in
hauslicher Ruhe und Freude, ließ mich von Feinden und Laͤſte⸗
rern · nie In meinem fanften Gleichgewichte ſtdren, und hatte die
Genugthuung, mir die Augen von einem angenommenen Sohn
‚zudräden zu laſſen, der meine Wohlthaten anestannte, . und‘
mis; der füßeRen alles Belshhungen, einem gleichen Maaße von
Zartuchteit Dank bafür wußte,
4 Rs
264 V. Fum⸗Hoam nder bie Seelenwauderuns⸗
— — —
dum / Hoam, dem als einem geſcheuten Hofmann ſeht
wohl bekannt ſeyn mußte, daß ſchoͤne Damen fh nicht gerne
Langeweile machen laſſen, hielt es an dieſer Stelle der Erzaͤhr
lung fuͤr geziemend, die Gefchichte feiner. Begebenheiten ins
Kurze au faſſen. „Auf dieſe Are — ſehte er daher kluͤglich
bunu — durchwanderte ich die. meiſten Stände dieſes Lebens
vom Sultan. bie zum Waſſertraͤger, von / der erſten Schoͤnheit
eines. zahlreichen Seralls bis zur verworfenſten Dirne herab,
war bald ein ſchwelgender Nichtathuer, dald ein shätiger Kaufe
Mann, zehn Sabre Song ein Priefter, zehn andere ein Quads
ſalber, machte wich, oft auf Unkoſten mebser Maut, mit dem
Eigenheiten und Geheimniſſen aller: Sagen bokannt, und erhielt
endlich zum Lohn für fo mancherlei aͤberkaudenen Bebrängniffe,
die Gabe, mich derielben nach Belleben erinnern, und fie in
eine nugbare Summe zufammen stehen zu Fönnen; "Nur eines
allerein zigen Zeitraumes will id bier nach erwähnen, weil er
in Beziehung meiner Isigen Verhaͤltniſſe, unter allen der
merkwuͤrdigſte iſtz und dies iſt die Rolle, melde ih in der
Belt mit ausgebreitetem Rufe unser dem Mamen des Zauberer
Alimans fplelte, uno
6. J
Aliman.
Sch wurde Dies Mahl In Mekko, vor der Genn eines Meſ⸗
ferfpmiebes geboren, ber ein ſehr anfepuliches Verkehr mit Sär
beiklingen und Eiſenwaaten Aberhaupt, durch ganz Arablen
trieb. Alle Jahre machte er überdieß eine Reife. nach Damas⸗
kus, ſelner Vaterſtadt, und kam van da geroobulich mit einen,
fo anſehnlichen Gewinnſte wieder hein, daß er die Zwiſchenzeit
V. Fum⸗ Hoam odex bie. Seelenwandervug. ncg
in Muͤßiggaug, Wohileben und. Ueberftuß zubringen konnte,
Häste er auf dieſe Art feinen Handel mit, feinen Vergnuͤgungen
immerfort verbunden ,. niemanden waͤren feine Reichthuͤmer und
feine ſchwelgeriſche Lepengart in bie Augen gefallen, allein man
bemestte bald, daß in eben dem Verhaͤltniſſe, als feine Ger
bäfte abnahmen oder vernachläßige wurden, ſich aud fein,
Luxus vermehrte, und der Gloffen über die eigentlichen Hülfsg
wmittel deſſelben, gab es Daher nicht wenige, Er ſeinerſeits bes
tkuͤmmerte ſich um nichts in der Welt, verſaumte nie feine jähry
liche Reife, und die Ausbeute von dieſer, ‚reichte aͤberfluͤßig hin,
unſern Haushalt nicht. gllein auf dem alten Fuße fortzuführen,
fondern vielleiht auch no zu erweltern und verfchänern. Die
Sorglofigkeit in feiner-Miene und in feinem Betragen, welche
eo, um alle geheime Feinde und Meider zu ärgern, vielleicht
noch flärfer im Aenßern anusdruͤckte, als er fie wirklich im Ins
nern fühlte, uͤberredete jedermann von der Unfehlbarkeit feiner
Hälfsquellen, und felöft meine Mutter, die im Anfange nicht
wenig trübe Stunden uͤber dieſe Verſchwendung gehabt hatte,
fing an, nad) und nach Ach Darüber zufrieden au geben, - —
Als ich endlich das ſechzehnte Jahr erreichte, nahm mein
Vater mic) eines Tages. mit fich in fein entlegenftes Zimmer,
hieß mic) daſelbſt noben ſich nisderfegen, und ſprach folgenden
maaßen zu mir; „Aliman, du wirft mir ohne Zweifel die Ger
rechtigkeit wiberfahren laſſen, daß ich, ungeachtet aller meiner.
Zerfireuungen, deine Erziehung keinesweges vernachläßige
habe. Bon früher Sugend auf, wurdeſt du von den beften Mei
Kern in allen Künften und Wiſſenſchaften unterrichtet, wodurch
du in der Welt dein Gluͤck machen kannſt, und die meiften Wär
ter würden ihre Pflicht firenge und überflüßig erfält zu Haben
tlauben, wenn ſie dich unter folgen Umſtaͤnden deinem eigenem.
’ »s
28V. dam⸗ Soam ober bie Seelentsandermg.
Sohickſale und Fleiß Aberließen. Aber ich Habe im Sinne, die
noch weit größere Beweiſe meiner Liebe und Sorgfalt Zu geben.
Die Zeit meiner jährlichen Neife nach Damaskus naher heran.
Müfte dich daher, mic diesmal dahin zu begleiten!‘
Reifen war von jeher eine meiner Lieblingsideen geweſen,
und gleich jemanden, der einen goldnen Traum anf einmal fidh.
verwirklichen ſlieht, ſtand ich in der erſten Ueberraſchung are
und ſtumm und ungewiß, ob ih auch meinen Ohren recht
trauen därfe? Doc feine Miene war die der Güte und Va⸗
terliebe, und ich dankte ihm dafuͤr mit Thränen in den Augen.
Die Reife wurde mit jedem Tage beſchwerlicher, weil mein
Vater bald die Karavane verließ, und von der großen Heer
firaße in das wuſte Gebirge abbog. Wir waren beide allein,
denn er ließ die wenigen Bedienten, die dir mit uns genom ⸗
men hatten, im lezten bewohnten Orte, unter dem Vorwande
einer Refigionspilgrimfchaft, die er jährlich einem Geluͤbde ges
maß, zu verrichten habe, und wo er mit mir allein fein wolle. -
Die Wüfte ward graufender, je mehr wir uns darin vers
tieften. Kable Selfenkläfte, tiefe Grotten, duͤrre Sandebenen
wechſelten in einer wunderbaren Miſchung mit ‚einander ab;
nicht ein Sraßhaͤlmchen unterbrach das beflemmende Einerlel,
und ſelbſt das verlöhrene Moss hatte die Farbe der Klippen "
angenommen, woran es fich nur kuͤmmerlich feſthielt. Nichts
lebendiges, Fein zwitſchernder Vogel, eine rafchelnde Eidechſe,
nicht einmahl ein verlohroner Käfer erinnerte uns daran, daß
sole uns nicht ganz allein auf dev weiten Erde befänden, und
das Herz an Theilnahme und mitfäßlende Gegenftände ges
möhnt, überließ es jetzt der ſich erhigehben anbldurzelcaln
chm troſtende Luftbilder zu ſchaffen.
Im Anſange uͤberbaͤufte ich meinen Vater it: Son,
V. Fum⸗ Hoam oder bie Seelenwanderuns. 267
um herauszubringen, wo er mid doch hinfuͤhren wollte , allein
feine einzige Antwort war einftiefes, unbeugſames Still ſchweigen.
Es machte mid nur noch viel ängftliher; denn was fonnte ich
unter mir ſo fremden, grauſenden Gegenſtaͤnden Gutes erwar⸗
ten? Ich war von den Menſchen und aller menſchlichen Hatfe
entfernt, und dies tiefe Gefühl einer gaͤnzlichen Verlaſſenhen
erweckte alle wunderbaren Träume und Mährchen der Kinds
heit. Es war gewiß, bis zu diefem Zeitpunkte gab mir mein
Water taufend überzeugende -Beweife feiner Liebe; aber zu⸗
gleich Hatte ich auch von Eltern gehört, die nicht-anftanden,
‚geliebte Kinder einem nichtswuͤrdigen Eigennuge oder Ehr⸗
geize aufzuopfern.
Wir langten endlich in einem ſchmalen Thale an, das wie
durch Feerei hleher gezaubert zu fein fehlen. Denn es war das
einzige, in dem ich während unferer ganzen Reife Bäume ans
traf, und wo eine ſilberhelle Quelle duch die fchattigte Kühle
riefelte. Erfriſchende Lüftchen, bie hier vieleicht ihren Wohn⸗
fig aufgeſchlagen hatten, ſchwaͤrmten zwiſchen den Baſchen
umher, ſchoͤnfarbige Blumen, welche ſie mit wolluͤſtigen Düfs
ten beſchwaͤngerten, bluͤhten in einer angenehmen Mannichfal⸗
tigkeit auf den Raſen verftreut, und dreifte Vögel näherten fich
"uns, feine Gefahr ahnend, auf dem niederhängenden Aeſten.
Mein Water flieg Hier ab, und ich folgte feinem Beiſpiele.
Nachdem wir unfere Pferde an bie Bäume angebunden hatten,
befahl er mir, trockne Neifer vom Boden aufzulefen und auf
eine Stelle, die er mirl anzeigte, zufammenzutragen. Waͤh⸗
send diefer Zeit zog er einige befchriebene Blätter aus dem Bus
"fen hervor, und Ting an, darin ſehr emfig zu leſen. i
Als Id) mit der aufgegebenen Arbeit zu Stande war, und
sinn ſehr großen Haufen yon duͤrren Zweigen zufammenger
N
268 V. Sum» Hoam oder die Seelenwanderans
vrache hatte, befahl mir mein Vater, mich ſtill unter einem
Baume niederzuſetzen, immer zu ſchweigen,. und über nichts
zu erſchrecken, was auch neben mir porgehen möchte. Hierauf
ſah er noch einmahl das bisher geleſene durch, ſtedte die Blaͤt⸗
ter in den Bufen, zog an ihrer Stelle ein Feuerzeug hervor,
zundete ein Licht an, und mit dieſem das aufgehaͤufte Reiſigt.
Im Anfange ſchien dies nur wenig brennen zu wollen, als
er aber einige undeutliche Worte zu murmeln begann, loderte
es in eine hohe und lebhafte Flamme auf. Aus einer goldenen
Schachtel warf er eine Art von Weihrauch hinein, und das
erfte Korn deſſelben verlöichte wieder das euer. Ein dicker
Rauch erhob Ah, und bildete Wolken. Einige Blitze. Ein
ſtarker Donnerfhlag. Ein Erdbeben yon einigen Sekunden,
welches den Boden por uns eröfnete. Kaum war meine Ber
ſinnung zuruͤckgekehrt, als ich auch an der Stelle des Feuers
‚ine Höhle erblickte, deren ‚Eingang mit ehernen Pforten vers
ſchloſſen war.
Steh auf, und folge mir — fagte mie mein Vater. Er
beruͤhrte bje Thore und fie ſprangen von felhft auf, Er zuͤndete
alsdann noch einmahl fein Licht an, und als er mid vor
Schreck und Erſtaunen yerfteinert erblickte, ſo rief er mit une
gedulpiger Haft: mas ſaumſt du? — Wille! nur zehn Miny
ten haben wir Zeit! — Hierauf, als trieb ihn eine unwiden
Nſebliche Leldenſchaft fort, eilte er vor mir. in die Höhle, und
ſchien ſich gar nicht mehr parum zu Pefhmmern, ob ich ih
nachfomme pder nicht?
. Die bloße Meugierpe machte, daß ich Hinter ihm berging.
Auch wich die erſte Furcht nach und nach andern Empfindungen.
Denn kaum waren wir in der Oefnung zwanzig Schritte bei
dem ſchwachen Lichtſcheine weiter. gekrochen, als ter Sana ſih
V. ums Hoam oder die Seelenwahberung: 265
— — — —
auch betraͤchtlich ausdehnte, und zuletzt in einen weiten Saal
endigte. In dieſem funkelten mir von allen Seiten maſſive
goldene Bildfäulen eritgegen, die an den Wänden herum auf
Hohen Piedeſtalen vom nehmlichen Metalle fanden. Sie tru⸗
gen Kronen, mit reihen Edelgeſteinen geſchmůckt, und am
Füße eines jeden derſelben befatid ſich ein Käftchen mie Perlen
von einer ungewöhnlichen Größe. " .
Doch über den Eingang des Saales laß man in arabiſcher
Schrift; welche aus Rubinen zuſammengeſetzt wart „Hier
findet die Habſucht alles um ihren verderblichen Durſt zu ſtil⸗
ten; aber kluger Wanderer, gehe weitet und berachte dieſe ver⸗
dänglichen Schaͤtze“
Vermuthlich Harte mein Vater nie biefe merkwuͤrdigen
orte gelefen, denn er fiel mit einer Eilfertigkeit Über die Pers
ten vor ſich Her, als: denke er an dar nichts anders als ſich das
mit techt bald die Taſchen zu füllen, nahm endlich ohne ale
Barmherzigkelt felbft einem dieſer Könige feine reiche Krome
vom Haupte, ſteckte fie in den Buſen, hieß mir Hierauf feinen
Beiſpiele folgen, aber ohne darauf zu achten, 6b ich ihm ge⸗
horſame, machte er ſich alsbald wieder nach dem Eingang
auf den Weg. Wie ich ſeine Übergeoße Eile erblickte, nahm“
ich mir weiter feine Zeit zur Beſinnung, erfaßte einige Hände "
vol Perlen, und ef hinter Ihm dtein. Wir hatten noch die
rechte Zeit abgefehen, und’ wenige Momente befanden wir und
‚Im $reien, als fih auch die Pforten Hinter uns mit großem
Krachen verſchloſſen, und der Voden wieder ſogleich und ei
var, ale vorher,
Wären’ mie nicht die Perlen fuͤhlbar im Buſen und in den
Haͤnden · zueadgeblleben, ich Härte öhrie Zweifel den ganzen”
Vorgang für die Taufhung eins Ttraumes gehalten. So
270 V. ums Hoam ober die Seelenwanderung.
x
— — — — ——— —
aber lag der Beweis von ber Wahrheit des Geſehenen ganz
dicht und unleugbar vor mir. Mein Vater laß mir in den
Augen das Erſtannen, das mic ganz unfähig zum Reden
machte, und ſagte laͤchelnd: „Wiſſe, mein Sohn! Ohnweit
von dieſer Stelle rettete ich vor mehreren Jahren einem per⸗
ſianiſchen Derwiſch das Leben, der von Raͤubern angefallen
war. Ich verband ſeine Wunden, und fuͤhrte ihn auf meinem
eigenen Pferde durch die Wuͤſte hindurch bis zum naͤchſten be⸗
wohnten Orte. Hier uͤberfiel ihn aber ein ſehr heftiges Fieber,
und allen Bemuͤhungen zum Trotze verſchied er nach wenigen
Tagen in meinen Armen. Kurz vor ſeinem Tode uͤbergab er
mir dieſe Schriften und dies Pulver, zeigte mir die Stelle des
Schatzes auf das genauefte an, und unterrichtete mich Im der
Art, ihn einmal des Jahrs zu eröfnen. So, ſiehſt du, bleibt
einem ewigen Geſetze der Vorſicht gemäß, eine Wohlthat nie
ohne Belohnung!”
. Bir vollbrachten nun unſere Reiſe nach Damaskus, um
das Seh, die Perlen und Edelgeſteine zu baaren Gelde zu
machen. Ich kann es nicht leugnen, die Ausſicht meines Fünfe
tigen Gluͤckes regte meine Einbildungsfraft zu taufend. heiten
Träumen auf, aber nicht feltener dachte ich darum am die Webers "
ſchrift des Sanles zuruͤck, die mir viel merkwuͤrdiger ſchien,
als alles Gold in demſelben. Warum follte man diefe Schäge
derachten? — Und was, gab es für Gegenftände, die noch
Kofibarer gewefen wären? — Reichthum ſchien mir der Bu
dum Befige aller übrigen Güter auf Erden, und ich begriff
nicht, was man außer ihm noch entbehren könnte? Es war
sin Gehelmniß, das mir allein die Zeit aufklären mochte, und
ich fah daher diefe mit Ungeduld fo langſam bis au tinem au⸗
deren Jahre voruͤberſchleichen.
V. Fum⸗Hoam oder bie Seelentwanderung. ayı
- : Bu ber nehmlihen Zeit brachen wir wieder zu unferer
Reife auf. Bis dahin hatte mein Water mit mir immer ein
unverhruͤchliches Stillſchweigen beobachtet, und wich ſelbſt
meinen. Fragen gefliffentlich aus, wenn fie ihm zu viel Neu⸗
sierde verriethen. Denn mit dem unlenkbaren Worwige mals
nes Alters nur zu wohl bekannt, glaubte er ihn anfänglich auf
dieſe Art zu erftiden; aber wie er ſah, daß ihn feine Zuruͤck
haltung nur noch vergrößerte, benugte, er die erfte befte Gele⸗
genheit, die dag Geſpraͤch auf unfer Vorhaben führte, und
fagte:
„Vielleicht haſt du die Auſſchrift bemerkt, die noch viel
sroßere Schaͤtze ankuͤndigt, als diejenigen welche du Hier im
Saale aufgehäuft fandeſt. Doch laß dich davon nicht täufchen.
Ein Zimmer mit Büchern gefülle.it daneben. Sch wagte kaum
einige Schritte Hineln , denn nichts iſt gefährlicher.’
Ich verftand nicht fogleih, worin. hier die Gefahr läge,
nm Segentheil wurde meine Neugierde nur. noch mehr aufges
- segt, fie zu beftehen. » Konnte ich einige von diefen Büchern
erwifchen, nichts war gewiffer, als daß ich mich dadurch zum
Gebieter der Welt machte. Wie viel mehr Zeit konnte dazu
sehören, als die während welcher mein Water ſich die Taſchen
anfuͤllte ? Ich zitterte dieſem glüdlichen Momente ensgegen.
Nachdem mein Vater die nehmlichen Zerimonlen als das
erſtemal beobachtet hatte, eröfnete ſich die Höhle von neuem.
Wir fliegen hinab, ich halb außer mir vor Ungeduld und Be
gierde.. Es war als erfülle eine wunderbare Ahnung aus der
‚Butanft mein ſchlagendes Herz mit neuen Begierden und Hofe
mungen. Wie unbegreiflid langſam ſchlich mein Vater nich
vor mis. vorauf? Er hatte den Gang noch nicht gänzlich vers
laſſen, als ich mich auch bei. ihm wegdrängte, und ungeftäm
572 9: Bäri- Hoam oder diẽ Selenbanderung?
dvuvoreilte.-Noch antnal heftete ich. mieine verblendeten Augen
auf die · geheimnißvolle Inſchrift, und ſuchte alsdand den Ein
gang zu einem anderen Saale, worauf ihr verborgener Sinn
iu verweiſen ſchien. Ich: fand- ihn. Mit · einer gedanlonlo ſen
Begierde trat ich hlneln. Aber es war ſtockdunkel vor mir⸗
Fund bald fand ich daß es auch hinter mir fo warb, Mein Vater
glaubte mid) viellelcht ſchon aus der Grotte heraus, and ver
lleß fie ebenfalls haſtig. Umſonſt rief ih ihm nach. Eine uns
Watchoringüche · dinſternig umringte mich, und als fehle nad
etwas zu meinem Entſetzen, ſo hoͤrte ich wenige Augenblicke
Varauf "die ehernen Pforten ſich mis einem erſchũtteruden
Krachen verſchlleßen.
Ich war nun allein, und mit ganz ſelbſt uͤberlaſſen. Me
Tofigen Zauberelen einer erhizten Phantaſie verſchwanden vor
dieſen nur zu fuͤhlbaren Schrecktiſſen der Wirklichkeit. Hunger
And Durſt, welche im Freien wahrſcheinlich noch lange nicht
mertbar geworden waren, meldeten ſich jetzt um fo ſtarker an,
da es kein Mittel gab, fie zu befriedigen: Ein gewiſſer Tod
Harvebte vor meinen Augen, es war dazu noch einer der ſchreck⸗
lichſten, und er fing ſchon an, mich mit ſeinem Nebel und ſeiner
Vetaubung zu umhuͤllen. Wie ſchmerzhaft bereute ich nun
dieſen unfimigen Vorwitz, und fand die ſttafende Hand der
Vorſicht darin, die mir den Ungehotſam gegen die Warnun⸗
‚Sei meines Vaters · nicht ungerügt wollte hingehen laſſen.
Die Kraͤfte und der Wille, alles nur Erdenkliche zu mei⸗
ner Rettung zu verſuchen, kehrten indeß zuräd, fü wie der
vrfle Eindruck · abnahm, welcher mir dieſelben raubte. Nachdem
A) mich noch ein Weilchen auf alles beſonnen hatte, was bier
wohl zu thun ſeyn mochte begann ich in dem Sarıge, worin Id
Ent Sefanb, forntappert. Cine fange Zeit irre Ihlierte,
\ ‘ bw
v. Zum⸗ Hoam ober die Stelenwanbetung. 273
— — — — —
Bis ich zufege mich in einem ganz foren Raum fühlte. Ich
bemuͤhte mich wenigſtens die Wand wiederzuſinden, die ich
doch nur einen einzelnen Moment vorher aus dee Hand ließ,
Allein ſie war ſchon verſchwunden, und ſo weit ich auch zurdch
gehen mochte, nichts traf ih mehr, weder vor nach hinter
wir an, s
Da fand ich fein anderes Huͤlfsmittel, als mich niederzus
fegen, und die Entfcheldung meines grauſamen Schickſals in Ges
duld zu erwarten. Mein Herz var beklommen, aber eine wohl
thätige Betäubung kam mir zu Hilfe. Es war gerade fo dun⸗
Bl und verwirrt in mir, als um mich her, und vergebens fuchte
ich aus der Finſterniß einen ſchwachen Lichtfrahl von Hofnung
heraus zu unterfcheiden. Da bemerkte ich würklih in einer
Weiten, weiten’ Feine eine Art von Dämmerung, Ich glaubte
zu träumen, aber je ſtaͤrker und länger ich hinblickte, deſto
deutlicher ward ich ihrer gewahr.
Ber Eennt nicht die Empfindungen eines Wandebers, ber,
in einem unficheren Walde verlohren, vor jedem Gegenſtande
siteert, und nun af einmahl ein flimmerndes Lichtehen erblickt?
Obgleich noch ungewiß Aber das, was mir nun bevorſtaͤnde⸗
trdſtete ic) mich doch ſchon mit der Erwattung irgend eines
lebendigen Weſens, dem ein nicht ganz verdientes Elend, wie
das meinige, unmöglich ganz gleichguͤltig ſeyn kͤnnte. Nichts
batte ich uberdies zu verliehren, denn mein Tod mar vorher
unvermeidlich, und Ich gewann immer noch dabei, Ihn ſchneller
iu leiden, -
Mit wankendem Tritte machte ich mich auf den Flianner
zu, der mir dus der Entfernung beit Weg zeigte. Doch veräns
derte et unaufhoͤrlich Farbe und Geſtalt, ſchien bald purput⸗
roth, Bald grasgruͤn, glich einem leichten, matterhellten Mi
writter Iadız. ar Wandı “ ©
274 V. Fum⸗Hoam oder die Seelenwanderuug.
— — rr—— —
benwoltchen, dann wieder einem lebhaften Sonnenſchein, zu⸗
letzt einem brennenden und vervielfaͤltigendem Spiegel. Dar⸗
aus nahm ich ab, es ſei Hier etwas Uebernatuͤrliches im Werke,
und ich ſei vielleicht beobachtet, ohne daß ich es ahne; ein
Gedanke, der von Zeit zu Zeit meinen ſinkenden Much erhob,
und mir eine ſchmeichelhafte Hofnung vorhielt, ich habe viels
keicht die vorhergehenden Minnten meiner Angft und Unfichers
helt nicht umfonft fo übel verbracht,
Allmaͤhlich ſchien der Gang ber darauf zuführte, enger zu
" werden, wie ich am Luftzuge bemerkte; der Schimmer warb
ſtarker, und machte mir etiwas vom Wege, fo wie die Bände
zur Seite ſichtbarer; endlich trat ich heraus in ein weites Ger
woͤlbe, und hier bemerkte Ich, tons meine Taͤuſchung hervorge⸗
bracht Haben konnte. Auf einem Hintergrunde von vielfarbige
tem Keyftalle brannten Lampen in einer zahllofen Menge, und
verbreiteten, nachdem man feinen Standpunkt weränderte, bald
einen helleren Schein als das Tageslicht, bald einen dunkeln
:Mebelflimmer, der in dem mannichfaltigen Farbenfpiele noch
wunderbarer und magifcher wurde. Wie bezaubert fand ich
im Anfange ſtill, und meine Sinne verlohren ſich in der war
ung eines fo neuen Gegenftandes.
&s bedurfte eines noch ungewöhnliheren, um fe "von
‚jenem abzuziehen; und dieſer befand, ſich gerade vor mir, Ein
Gteis mit grauem Barte faß an einem langen Tifhe von Ebens
helz, und las emfig In einem Bude. Mm ihn herum lagen
noch andere dergleichen, und die Wände an der Seite waren
damit angefüht. Sch bewunderte dieſen anfehnfihen Bücher
ſchatz, der fich mit jedem Augenblicke noch zu vergrößern ſchien,
und ·dachte an die Ueberſchrift der erſten Höhle zuruͤck, webche
dae was fie enthielt, gegen dies hier als eine veraͤchtliche Klei⸗
V. Sums Hoam oder die Serlenwanderung. 2758
—rr tn — — — — — — —
nigkeit anſah. Der Weiſe, der ſich vor mir ſo ernſthaft be⸗
ſchaftigte, war vielleicht der nehmlichen Meinung, denn mit ⸗
ten Im Ueberfluß deſſen, was wir Menfchen vergättern, ſchien
er ganz andere Freuden zu ſuchen.
Doc) Hatte ich mich geiret. Se naher ih kam, deko mehr ,
verfchönerte ſich das Bild diefes Greiſes, das mir in der Ente
fernung fo runzficht und widerlich vorkam. Das Gewand,
welches geoh und ſteif vorher nur nachlaͤßig und in Unordnung
feinen Körper bedeckte, floß ist weich und feldenartig in mahle⸗
riſchen Falten auf den Boden nieder. Das graue Haar ward
* Iodigter und Faftanienbrauner, die runzlichte Wange glatt,
fanft ablaufend, und rofenfarben, der Bart am Kinne ſchmolz
Hinweg, und} ließ ein Gruͤbchen zuruͤck, die Stirn ward frei,
—E erhob ſich. — Wie ſehr Hatte ich mich nicht geirrt! —
Eine Huri aus Mahomets Paradieſe lag hler auf einem So⸗
pha wolluͤſtig ausgeſtreckt, und wuͤhlte in vor ihr befindlichen
Blattern.
Eine Veränderung ging bei dieſem unerwarteten Anblicke
in meiner Bruft vor. Den Greis hatte ich aus feinem tiefen
Nachdenken nicht aufzuwecken befürchtet; dies ſchoͤne Weib hin,
gegen Mößte mir eine Scheu ein, daß ich kaum hätte Athem
ofen mögen, um fie nur nicht in: Ihrer Beſchaͤftigung zu ſtoͤh⸗
sen, oder wohl gar unwillig zu machen. Im erften Falle konute
ich hoͤchſtens das Leben verliehren, im dieſem, fühlte ich wohl,
ſtehe nach etwas mehr auf dem Spiele. Sch blieb daher ſchuͤch⸗
teen In der Entfernung, und. tartete,. bie fie meiner von.
ſelbſt gewahr werden wuͤrde.
Indeß beobachtete Ich ‚fie. mit, unermuͤdlicher Aufmerkſam⸗
keit. Zuweilen ſchien fie ein flüchtiger Gedanke, ver beinahe
au einem Träumen wurde, im ihren philoſophiſchen Gruͤbelelen
‚ea
276 V. Zum⸗Hoam oder die Seelenwanderung.
— — — — —
gu ſtohren, und dann verſchonerte ein fanftes, verraͤtheriſches
Lacheln den Mund; es ſchien fogar, als ſchwebten von Zeit zu
Zeit Worte um ihnen, halb gebildet und nur noch der Stimme
bedärfend. Dann machte fie mitleibig dem launigten Spiele
‚ein Ende, und fagte, doc ohne ihre Augen von den Blättern
wegzuwenden: ,, Willtommen, Aliman!“
Ohne Zweifel erwartete ſie eine Antwort auf ihre gütige
Anrede, doch als diefelbe ausblieb, fegte fie hinzu: „Seit
mehreren Jahrhunderten biſt du endlich wieder der erſte, den
die Begierde nach Kenntniffen hieher treibt. "Alle, welche den
Eingang zu biefer unterisdifhen Welt fanden, blieben beim
erften Saal ftehen, und wen die Neugierde vielleicht zu einer
Weiterforſchung angefpornt hätte, hielt die Furcht vor Gefahe
und Ungemach zuruck. Wiſſe, ih bin bie Bee Fatesta, und
ttzt bereit dich fo weife und gluͤcklich zu machen, als du durch
Beine Bemühungen um mich zu verdienen fuchen wirſt.“
Dazu hob fle die funkelnden Augen auf, wandte fle zu mir
Hin, und ich erkannte eine. Welt darin. Ich flog zu ihren
Fügen, und umfchlang ihre Knie, meinen Dank nur in einzels
nen Splben fkammelnd. Sie zog mich zu ſich herauf, nahm
meine Hand, und führte mich in einen Garten, we aus allen
Gegenden der Welt die fhönften Blumen dufteten. „Die
Wiſſenſchaften — ſprach fie oft — find das, was den Men⸗
ſchen zum Menſchen macht. Sie beruhigen unfer nad) Genuß
durſtendes Herz, erheben und ftärken unfern Geiſt, tröften ung
‚über des ocbens anveriaridliches Ungemach, mäßigen im Gluͤck
bie nur zu leicht ausſchweifende Begierde, begleiten uns in die
Einfamteie und ſelbſt Bis zum Gerämmel der Welt.“
V. Fum⸗Hoam oder bie Seelenwanderung. 277
Wer weiß, was Fum / Hoam noch alles zu ſagen hatte,
als er bemerkte, daß der legte Periode feiner Erzählung auf
den Monarchen und feine Gemahlin die Workung des Opiums
bervorbrachte. Er erhob’ daher noch einmahl feine Stimme,
und vief fehr laut: „Die Zee lehrte mich endlich ein Schoͤn⸗
beitsroaffer verfertigen, das bie Weiber auf zeitlebens fung
und reizend erhält, — — und unterrichtete mich.für die Man⸗
ser im der Kunſt, alle Hafen und Füchfe.aus einem. Bezirke von
bundert Meilen herum in einem einzigen Tage zu fangen. *
Die beiden fahren augenblichlich aus ihrer Träumerei aufy
fo wie fie dieſe Nachrichten erhielten. Fum / Hoam aber beugte
ſein Haupt bis zur Ende nieder, und fagtes „, Meine Geſchichte
iſt au Ende." ‘
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8 VI. Etwas über die Griechen.
—————
VI.
Etwas über die Griechen.
An unſre Damen. J
Ammer noch Halten wir die-Teacht der fchönen Griechinnen
fet, ob aus vorzuͤglichem Geſchmack daran, oder nur aus Man⸗
gel an neuer Erfindung? das iſt bei ans Deutſchen, ſeitdem
wit unſre Nationaltracht ablegten, nicht mehr zu beſtimmen.
Die Griechen erfanden, wir ahmen nach, Erfinder find Schs⸗
pfer des Schönen, Nachahmer Ihre Oklaven. Doch etwas
Gutes und Edles nachahmen iſt immer lobenswerth, ob es
gleich mehrentheils hinkt. Jede freie Nation hielt ſonſt auf
eigne Erfindung, und mar ſtolz darauf ſich darin vor andern
auszuzeichnen. Ihre Verſchiedenheit unter einander bot ben
Yugen ein vortreflich gemifchtes Ganzes, indem es zugleich dag
Abſtechende ihres Charakters, ihrer Kultur, ihres Geiſtes dar⸗
ſtellte. Zu jener Zeit war unfre deutſche fittliche beſcheidene
Tracht, in welcher Kurfürft Georg Wilhelms Gemalin, in
Hartungs Brandenburgiſcher Geſchichte, fo weiblich « edel
bingegeichnet erſcheint, gewiß feine laͤcheiliche noch veraͤchtliche
Mode, Sie bezeichnete aͤberall den ſchoͤnen Gliederbau, hatte
Neichthum, Schmuck, Anſtand und Beſcheidenheit, wie es
ans Deutſchen zukam. In ber Folge fanden wir die framzoͤſi⸗
ſchen Moden beſſer, dann die engliſchen, und nun gefällt es
uns Griehinnen zu fein; ob mit Erlaubniß unfres National
Geiſtes ? das If die Frage nicht mehr, Das grichifche Volt
batte den feinften, ebeiften Maßſtab des Geſchmacks, warum
ſollen wir ihm nicht Abnlic zu werden fireben? Freilich gab
ihm ſein milderes Klimg, Pine rege Gabe der Erfindung, feine
VI. Etwas uͤber die · Sriechen. 279
— — — — —
Lebensweiſe, Sitten und Religion Frethelten, welche wir Deut⸗
ſchen uns ſchwerlich anmaßen duͤrfen, wen nicht der Reſt uns
frer Eigenthuͤmlichkeit, den uns Frankreichs Eingebungen etwa
noch ubrig lleßen, ganz verlohren gehen fol, indem die gri—
chiſche Weiſe ſich unmöglich mit deutſchen Sittenbegriffen vers
einigen läßt. i
"Eine aufgeſchurzte, nackte Hüfte, ein bloßes Knie, uns
Befleidete Arme, odeh?die Hälfte eines offenliegenden Buſens
in Geſellſchaft zu bringen, war bei den Griechinnen nicht ans .
ſtoßig. Die Schönften Heideten ſich nach dem Ideal der Schöns
heit, welches ihnen vorſchwebte, und hatten ein fo feines Ge⸗
fuͤhl, dag fie genau mußten, was fie zu Ihrem Vottheil ver⸗
ſchleiern, oder unverhuͤllt laffen ſollten. Ihr Gewand war
"nicht, wie unfre griechifch genannten Kleider; unter den Schul⸗
teen mit Angftlikleinen Rockfalten zufammen geriegelt, noch
genäht, fondern ans einem Stuͤcke gewebt. Es ward dem Koͤr⸗
per Übergehangen, und mo man es verkürzen, oder ſchleppen
laſſen wollte, da fügte man es durch Guͤrtel in Ordnung,
ſchuͤrzte es, an der Hüfte und queer Über den Schultern, mit
goldenen Ketten und Bändern auf, oder befefligte es mit einer
großen Perle und andern Juweelen. Sie wußten dieſes Ges
wand fo anzulegen, daß es einem ühergeworfenen Schleier
US), durch weichen die Formen der Schoͤnheit lockender ſchim⸗
merten. Immer ſuchten fie der Natur fo nah als möglich zu
bleiden, fie errathen zu laffen, fie zu veredeln, nicht ſie zu
übertreiben. Sie wuͤrden ſich geſchaͤmt Haben, etinas zu erfins
den, wovon fie nicht uͤberzeugt gewefen wären, daß es ſchoͤner
fey als das Alte, daß es einen Hebelftand entferne, und neue
Anmuth verbreite. Anmuth war ihr Zwei; Wohllaut, ge
ſehmeidige Biegung, leiſes Hinwallen, weiche Zorm ihr Be⸗
©4 b .
30. VE Gewaß. Üben die Griechen:
— e — — ——— — — Du
ſtreben. Einfach und erhaben, ſchoͤn ohne zu blenden, new
doch nie rauſchend, wuͤnſchten die Griechinnen zu erſcheinen
So leicht ihre Umriffe ſchienen, ſo ſorgfaͤltig waren ſie gewaͤhlt,
am feinen Reiz verlohren gehen zu laſſen. Gewoͤhnlich beſtand
ihr Anzug aus zwel Stuͤcken van verſchiedener Barbe. Mit
Blumen durchwirkte oder geſtreifte Gewaͤnder trugen fie nicht,
ſondern einfärbige oder mit Blumen eingefaßte, Meiſtentheils
Pleideren fie fich in Feuerfarbe, Roth, Blau, Weiß, fanfteg .
Grün, oder. Purpur. Schwan erfgienen fie nie, vermuthe
lich weil dieſe Farbe gegen ihren heitern Sta zu. Sehr abfladk,
Ibre Trquet war ein langes weißes Gewand, in welches ſie
ſich vom Kopf Bis zu den Süßen vielfach einhuͤlten. Niemal⸗
ſah man eine von Ihnen wie die andere gekleidet. Sede befolgte
in ihrem Anzuge:ihren eigenen Geſchmack, und waͤhlte die Form,
die fie. am vortheilhafteſten duͤnkte. Sparſam und.einzeln nur
ſchmuͤckten fie. ſich mit Juweelen, welche ie nirgends als zu
einer gewiſſen Beſtimmung anbrachten, etwa zum Aufknuͤpfen
des Gewandes, aber zur Zierde des Haars. Sie trugen nur
einen Ring am Daumen, und einen am Zeigefinger. Perlen⸗
ſchnuren, Diedeme von Gold und Edelſteinen, zuweilen eine
fanfte Blume, open ein grüner Kranz, waren ihr ganzen Kopf⸗
pus Ohne Puder ließen die jungen Schoͤnen ihr Haas in fir
ner natuͤrlichen Farbe wallen; unvergleichlich reizend wußten
fie es au flechten, zu fcheiteln, und in leichte bochen zu bein,
Immer harte die Hand der Erfindung, nach der Laune ihres
Morgens, dieſe Lacken geformt: aber. jede ſchien kunſtlos, un⸗
gezwungen dahin zu rollen, wo fie eine weiße Schlaͤfe bezeich⸗
nen, einen hlendenden Buſen oder freundlichen Machen erheben
follte, Mach dem Koplputz war der Gaͤttel ihr vorzuͤglichſter
Sohmuck, und fir forgten nach Vermoͤgen dafür, daß er tefe
dar feyn mußte,
VL Etwas über die Sriechen. E13
ae ——— —
Leicht, edel und zweckmaͤßlg, wie ihre Ant ſich au kleiden,
war auch ihr geſelliger Umgang. Sie hrachten zu ihren. Vaſuc
chen die elfenbeinerne Spindel mit, und fanden mehreutbeilz
bie Dame des Hauſes am Weberſiuhl; da war Fein Whyſt⸗
noch l Hombre/ Tiſch zu ihrem Empfange bereit geſtellt, denn
fie kannten keine Karten; und, wuͤrden dieſen Zeituertreib „eine
Tödtung der Zeit genannt haben«). ; Die griechiſchen Damen
kamen zufammen, um miteinander froh zu fein, und — mar
wor der deutſche Sinn erroͤthen wird — am fich- untereinans
der zu üben, wie fie den Mannern gefallen kͤunten. Ga
verſchaͤmt wir won. diefer Uebung bie Augen nieberfchlagen
wuͤiſen, fa nothwendig fchim er den Griechinnen; ; denn ihre
Männer waren nicht fo gutmäthig, als die unſrigen. Sie
begehrten nicht. blos fhöne, au häuslichen Arbeiten geſchickte
Weiber, fondern auch folhe, welche denken, und mit ihnen
reden konnten; und nicht allein folche, fondern. Weiber, welche
die Kunſt verſtanden, fid ihnen immer nen zu erhalten, und
fie vor Langerweile zu bewahren. Pas erforderte Uebung, und
da die Griechinnen mußten, daß aller Werth des Zaubers uns
ſrer Reize davon abhaͤngt, in wie weit wir den Männern gefal⸗
len, fo ann man ihnen nicht verbenfen, daß ihr ganzes Ber
fireßen auf biefen Zweck zielte. Die vorzüglichfte unterhal⸗
tung ihrer Zuſammenkuͤnfte beſtand alſo darin, daß fie ſich
wechſelſeitig in gefälligen Kuͤnſten belehrten, im Kochen, Bat⸗
ten, Mahlen, Beben, Zeichnen, im Spiele allerlei lieblichen
) Es ih indeffen doch zu vermuthen, daß die Griechinnen auch, wie
andre Nationen, gewife gefelfchaftliche Spiele gedabt Hatten, wovon mip
aber nichts bewußt it. Doch glaube ich nicht, daß eins diefer Spiele eine
Eisung ganıer Stunden erforderte, wie unſte gefelfchafttichen Spiele, fons
dun dap fie, wie die romiſchen, mehr auf körperliche Sewegung abItWeRtet,
er
"ie VI. Etwas Aber die Griechen,
— — —— —
Inſtrumente, und in reizendem Tanz. Der zweite Gegen⸗
ſtand ihrer Unterhaltung beſtand in der Veredlung und Ver⸗
ſchoͤnerung ihres Putzes, ihrer Gebehrden und ihres Mienen⸗
ſplels, der Stellungen und Viegungen ihres Körpers. Aber
der griechiſchen Männer Wohlgefallen ruhte nicht nur auf der
Oberfläche der Schönheit, es verlangte gedachte Darſtellung
des Reisenden, und ihe Auge zog eine unmerfbar feine Graͤnz⸗
linle zwifchen Bälle und, Ueberfüllung des Schönen, zwiſchen
‚gefallen, und gefallen wollen; das Bild Ihrer gefälligen Freude
war die Roſe. Sanft, wie die Farbe diefer Blume, war ihr
Geſchmack, Aug’ und Ohr mußten nicht übereike werden, die
Sinne nur gereizt, nicht betäubt, noch bis zum Ueberdruß
befriedigt. So liebten es die Griechen.
Der dritte Zweck ihrer Zuſammenkunft war, fih im Witz
und Wohllaut zu üben, Wohllaut war der geoße Zauber nach
welchem ihe ganzes Erfindungsvermögen ſtrebte, Wohllaut,
Harmonie, gefaͤlliger Einklang in ihrer Kleidang, in ihren
Kanſten und Gebehrden, mehr noch in ihrer Sprache. Eine
Uspelnde, leichte, fülberntönende Zunge, und ein Mund ber
einlockend zu lächeln, und geiftreich zu reden wußte, waren
die vorzägfichften und unwiederſtehlichſten Reize einer Griechin
Die diefe Vorzüge nicht beſaß, ſuchte fe andern durch Uebung
abzulernen, -und oft gefchah es, daß die Schuͤlerin bald bie
Meifterin übertraf, ohne dag fie auf elnander neidiſch wurden
Penn Neid hindert den Bortgang zur Vollkommenheit, und voll
kommen wollten fie werden. Wie viel aber dazu gehörte, vor ei⸗
nem griechifchen Helfen reizender zu erfcheinen, lieblich Elingender
zu reden, zauberiſcher ihn anihren Umgang zu feſſeln als andere,
da faſt jede Griechin ) ſchoͤn, ihre Mutterſprache die füßefte,
) Nadh einem abgerifenen Vlat, weiches von den Athenienſern datıs
delt, und mir neulich in Die Hände el, (ol die Schönheit unter den Geis
v1. Etwas über die Griechen. 288
— — — — — —
und ihr Mund ſchon von Nataur mit feurigem Verlangen beſeelt
war, — as mögen die gtiechiſchen Weiſen verantworten, die
fo viel foderten. Doch fagt Man ihnen’ nach, daß ihre Bode}
Fangen nur göttliche Gendgfamteit geweſen wären, und daß ſie
feine Kunft, keine Bollkommenheit verlangt hätten, welche
der weiblichen Erfindungskeaft unmöglich geweſen waͤre.
“Die Freimuthigkeit der Griechen erlaubte den Damen ge)
miſchte Geſellſchaft beiderlei Geſchlechts, und diejenige melde
Bas gtdßte Gefolge, den aus zebreitetſten Zirkel, verſteht ſich/
edler Manner, in ihrer Geſellſchaft hatte, war die geretefte:
Daher war es gewöhnlich, Weiſe bet ihnen zu finden, ober
taglich und ſtaͤndlich Damen In den WWerfftätten der Kunſtler,
und am der Selte der Philofophen zu fehn. - Es gab fo gar
Männer, welche die Werke der Kunſt und des Geſchmacks
dem Urtheil der Damen unterwarfen, und fie von ihnen prüfen
ließen; welche nach ihnen ihre Goͤttinnen bildeten, und ihre
Anmurh durch Werke des Meißels oder Pinfels auf bie
Nachwelt brachten. Dadurch verlohr die Ehre ber, Damen
nichts: denn den Umgang Achter Weiſen und Kunſtler ſuchten
ja Männer, warum ſollt' er den Damen nachtheilig fein, de
diefe wohl von ihnen lernen, aber nichts durch fie verlernen
konnten? Die Griechen wollten ihre Damen eben fo verfeinert
und veredelt wiſſen, als fie feloft waren ; und wie konnten fie
das beffer werden, als unter ihren Künftlern und Weiſen?
Durch die Freiheit mit einander umzugehn, verbreitete fich der
Erfindungsgeift Aberall, und bie Verfchönerung war einheis
Minnen nichts weniger als allgemein geweſen fein. Allein, ihre Känktee
woußren doch unter Ihnen Mufier der Gchöndeit bervorzufnden, weiche ip
in Werken der Kunff ats Ideale für die Nachwelt auffelten. Ein Borzug,
des mnfee Einbitdungsfraft berechtit, ale Damalige Damen in Griechen⸗
Hand aewiſſermoffen und alt kön vonufteuen.
2% VL. Etwas über die Griechen:
ng
wilh. Die Frauen, deren Geiſt nicht bloß .am ben Heerd ges
feſſelt blieh, erhellten ihre Ideen durch Geſpraͤche mit weiſen
Mannern; und in den Werkſtaͤtten der Kuͤnſtler lernten fie
urthellen. Ihre Einbildungskraft mard dadurch erhößt, unh
verfeinert. Das Schöne. war ihnen bald nicht mehr ſchoͤn,
wenn es nicht Geiſt beishte, wenn nicht Seele baraus herz
vorpeang. Daburd, wurden fie Mütter fhöner Kinder, zu
welchen ihm Cinbildungskraft ihnen verhalf. Dadurch entſtand
das unvergleichliche National » Profil, welches einzig den Gier
chen eigen war, und an ihnen gerühme wird. Wermöge ihrer
blubenden feurigen Einbildungskraft, vermöge ihres erfinberte
ſchen · Geißes, amd. der Verfeinerung in Sitten und Kultur.
welche ftets höher ſteigt, jemehr der Verſtand days angewendet
wird, gelang es Ihnen, das Vollkonmeuſte, feinfte und ber
rhmteſte Volk der Erde zu werden. . Unſterblich hat manche
Mation ihren Namen gemacht; das griechiſche Volk allein eu _
Bielt ihn durch die unnachahmlichen Muſter, welche in jeder
menſchlichen Vollkommenheit von ihm hinterblieben find. Das
den griechiſchen Damen die Hälfte der Ehre dieſes unſterblichen
Mamens gebüpet, iſt unſtreitig. Wenigftens riffen fie, wie
hie. Grauen anderer Mationen zu thun pflegen, mit ihrer Mas
wiſſenheit und ihren Vorurtheilen nichts nieder, was bie Maͤn⸗
ger angebaut.hatten. Sa, fie waren es, welche mit muͤtter⸗
licher Sorgfalt an ihren Kindern den Liebreln ausbildeten, im
deß die Väter den Geiſt mit Much und Weißheit erfüllten.
. Dad, wie das Spruͤchwort fagt, ländlich, ſittlich. Wenn
das freie Griechenland ſich durch feine Erfindungen uuſterblich
machte, wenn feine fanften Umeiffe, feine leichten Ebenmaße,
gefälliger für die Sinne waren; wenn fein Geiſt, feine Kuͤnſte
den Verſtand bezauberten, und die Eindildungskraft feſſelten :
o wangelte ihm doc jener feſte gutmaͤthige Tan der Treue,
VL Etwas über bie Griechen. 285
— — — —
die Unbefangenheit deutſcher Herzen, unſte kunſtloſe Schaam⸗
roͤthe, der frohe, immer lachende Blick reiner Natur, der aus
einem deutſchen Antlige fo rührend hervorgeht. Wir, bie wie
fonft nur das für ſchoͤn hielten, was dem Kerzen gefiel, was
die Seele rührte, möchten wir doch immer den Griechen, wie
andere Nationen, die Ehre ihrer Mobdenerfindung gelaſſen has
ben, und dafür Deutſche geblieben fein. Mit jedem neuen
Wechſel der Mode, mit jedem veränderten Zuſchnitt duͤnkt
mich, geht unbemerkt Etwas von unſerm eigenthiimlichen Cha⸗
rakter verloren, welcher ehedem ſo gut, ſo muſterhaft war,
daß er uns noch vor allen In den NRittergeſchlchten gefallt. Wir
hatten gute Hausmuͤtter, zuͤchtige Töchter, fleißige Maͤgde,
treue Männer, und ruhigen Hausſtand, niemanden machte
die Sorge für Modeveränderung, tk Spiels und Pußgelder
jeder Woche, befümmert, und vor ber Zeit alt, und die Frauen
gefielen Ihren Männern darum nicht minder, weil fie mehr auf
Häusliche Tugenden, als auf ſchimmernden, Außern Wohl⸗
Fand hielten. Zwar hebt in Fugen Haushaltungen die häufige _
Modenveraͤnderung diefes alles nicht gänzlich auf, aber die Uns
ruhe abgerechnet, welche fie in jedem Balle mit ſich führt, hat
fie doc) den Nachtheil, daß wir num nicht mehr Nation, fons
dern Nachahmer find, B €, von Rienf,
Anmerkung der Herausgeber.
Es Kann der Hächzlgften Mekannerhpaft mit Dem Kiterrgnme unmbauch
entgehen, daß Die Verfaferin Diefes modlgemeinten Nuffages, Die Geräten
Vrieeniands mit den Kausfcauen, Frauenjimmer, die aein-fic öffent:
Ti) heigten, mit Denen vermechfelt Hat, welche ihre Tage In Dergebtnmree
Eingezogendelt veriebten. Auch vad es vieueicht, ſeit Mlegung bed Thiers
Häute, Feine Trade von urfprängsich deuiſcher Erfindung, und vieleicht
war fogar der Sohnitt dieſet Bekteldung don jeher dem Yuslande nachger
ade Indefen mögen die ferneren Wünfthe der Gchreiberin au, ohne
‚NO anf Geſchichte zu Kügen, beſtehen, und und entfchuldigen, wean mie
daß MWergnügen, teided Die Lefung derfeiben dei und Hervorbramte, mit
unſern nachfichtigen Freunden in teilen wunſchen.“ ‘
286 " VIE Erfindung der Schrift.
VIL
Erfindung der Schrift.
An —
Hai ihm, der einf des Raumes enger Schranke,
O Sreund! ben Schall der Sterblichen entiog;
Den Fittig ſchuf, anf welchem ihr Gebante
Bon Pol zu Pole durch Aeonen flog;
Die Trauer der getrennten Lieben hörte, "
Und der Gefühle Taufch die Fernen lehrte.
Wie härmte ſich, verbannt in Tauris Haine,
So wehmuthvoll Dianens Prieſterin.
o trüge doch der Nereiden eine
Nach Hellas ihre Senfien freundlich hin !
Umfonk. Cie Rarben in der Bogen Schwelle
Gern von dem Heerd der heimathlichen Halle
VII Erfindung der Schrift. 287
Zu frohen Längen lockte bie Najaden
Des Hebrus Orpheus mit dem Saitenſpiel;
Der Tieger folgte ſchmeichelnd feinen Pfaden ;
Ihm athmeten bie Felſen Mitgefühl.
Doc) wer verlieh des Sängers Tönen Flügel? *
Sein Lied verBlang im Wiederhal der Hügel,
Da dub, geweiht von Mnemofpnend Lippe,
Den Griffel kuͤhn ein Götterfohn empar,
Und feiernd Tränzte ſich an Aganippe
Der Pierinnen ſchweſterlicher Chor ;
Bei Plutons Schatten jauchite der Pelide,
Unfterblich waltend, wie fein Maͤonide.
Die Zeit begrub im wilden Oteane,
Was. göttliches des Zeuris Hand erfhufs
Sie laͤchelt, fhallt aus Trümmern ſtolzer Thane
Dem Wanderer des Uhus ernſter Ruf.
Platone ſchwanden nicht in ihrem Grabe,
Kein Flakkus zitterte vor Hermes Stabe.
Einf fahn auch wir, o Freund! noch ungefchieden
Die Geifter in ber Vorwelt Dämmerung.
Uns Iabte, wie bie Roſe dort Sylphiden,
Der Weisheit Garten, ewig ſchoͤn und jung,
Den unter fernem Himmel die Vertrauten
Araniens mit frommer Obhut bauten,
288 VIE Erfindung der Schrift.
uns rauſchte der Iuiſf am rm Der Weiſenz—
Aus fpäter Aſche bob ſich Ilion;
Wir klagten in der Troerinnen Kreiſen,
Sahn mit Anchiſes Sohn den Acheron,
And duͤrften traulich, hingeſtreckt auf Roſen,
it Tiburs Sänger und dem Tejet koſen.
Gern folgten wir, gelockt von leichten Halmen,
Dem Sikuler in feine Hirtenwelt.
Uns‘ Hub der Seher Schaat von Galems palmen
Auf Ydlersflügeln zw der Sterne Zelt. ,
Uns fang der Greis ans Cona's Selfenhöhle
Der Wehmuth Wonne freundlich In die Seele.
Nun biſt du fern, mein Bruder. Doc; verbannen
Die Himmlifhen mich an des Indus Strand! "
Uns bleibt ein Tallsınan. Was bei den Tannen
Des guten Vaterlands dein Her; empfand,
Mag unter Palmen mir in fernen Thalen
Dein Kiel, der treuen Freundſchaft heilig, mahlen,
Grendentheil,
Bertimifdee
Yrdiv der gert
und,
thres Se (made.
Ottobet 1797.
L
Ueberficht bee neueften Staatsbegebenbeiten. Am
Anfange des September 1797.
Kos immer ſchwankt das Schidfal Europens unentfchieben
in der Wage, welche eine Höhere Hand hält. Es iſt jegt noch
eben fo ungewiß wie im Anfange des yorigen Monats, ob die
Rube, deren unfer Welttheil feit dem glädlicen ı8ten April
genoß, der. fihere Vorbote eines begluͤckenden Friedens ſeyu
wid, oder ob fie nur eine Friſt war, in welcher die kriegfuͤh⸗
wenden Theile fich zu neuen und erbittertern Angriffen ruͤſteten.
Denn es fteht in der That zu beforgen, daB wenn von neuem
Feindſeligkeiten ausbrechen follten , diefe nicht blos darum, weil,
fie mit erquickten und. verjängten Kräften begonnen werden,
andern auch aus dem Grunde von auffallenderer Heftigkeit und
Erbitterung charakteriſirt fepn werden, weil aͤberall fruchtlofe
Verſuche der Ausfähnung Feinde immer. mehr zu erbittern pfler
gen; well eine der Partheien, die ſich aͤbervortheilt glaubt,
dteſe Taͤuſchung raͤchen boird , und weil beide: fich überzeugt hal⸗
sen, dag nur Strenge, Zwang, Nothwendigkeit, und ſelbſt
eine durch bie Ab ſicht entſchuldigte Sranfamfeit pie erſebute und
iedem Theile gleich wünfchengmgerepe Ruhe . toͤnnen.
Deistes Jahrg, ater Vand.
290 1. Ueberſicht der neueſten Staatsbegebenheiten.
— —r — — — — — — —
Der nur zu laut gewordene Zwiſt, welcher in Frankreich
wroifchen den gefeßgebenden und vollziehenden Gewalten auss
brach, der. hier und da Wartheigänger ſich erwarb, aber body
nicht im Stande war die Maſſe des Volks, welches fonft fo
raſch und gern aufftand, aus feiner Rube au bringen und in
Partheien zu theilen, hat die Hofnung des Friedens zugleich
mit dem Schluffe deffelben hingehalten und eritfernt, — Wenn
Frankreichs Feinde in diefem Zwifte und der Trennung der
Nation eine Schwächung der Macht fahen, die allein durch
ihre innige Vereinung ihnen bisher furchtbaren Widerſtand ge
leiſtet Hatte, fo mußten fie allerdings von einem erneuerten
Kriege, dem die Energie vereinter Kräfte fehlte, Hofnungen
faffen, die nahe an Erfag des verlohrnen gränzten, und einen
theuererfauften Friedensſchluß verzögern. Frankreich ſelbſt aber
mußte ih-füchten, anmaßende. Krieger, die jenfeit der Gräns
zen Her durch Adreffen und Deliberationen ſich Einfluß in die
Regierung ihres Waterlandes zu verfchaffen fuchten, in ein
Land zurädzurufen, wo die Befintiungen getheilt und der
Saame der Zwietracht, der hler immer einen enpfänglichen
Boden fand, ſchon ausgefkveueh war.
Es fällt dem Freunde der Unpartheilichkeit füne, ſich
für eine von den Parthelen, die eine dunkle Gewitterwolte
über Frankreich gezogen haben, welche die Stralen der Sonne
des Friedens entferne, ‚zu entſcheiden.
So auffallend es feyn mag, daß das Direktorium ſich
Anmafungen und eonfitutienswidrige Schritte erlaubt Hat,
welche durch Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen den Armeen und Zelds
herren nar ſchlecht maskirt werden, fo gewiß iſt es doch, daß
eben dieſes Corps, deſſen Charalter ſeit ſeiner Eriſtenz feſte,
treue und eutſchloſſene Maßigung war, mus durch wichtige
Am Unfange des Sertembers 1797. ° ng
Seunde und- entfihledene Veſorgniſſe bewogen werden konnte,
ſolche Maaßregeln zu ergreifen. 1
Es iſt einleuchtend, daß die geſetzgebenden Verſammlungen
ſelbſt durch manchen ihrer Veſchluͤſſe ſolche Maaßregeln noth⸗
weundig machten.
Denn es läßt ſich nicht leugnen, daß die beſonders im
Mathe der: Fuͤnfhundert herrſchende Milde, welhe gegen die
ehemalige terroriftifche Strenge ſo fehr contraftiet, und ebanfe -
ſchr daau gemacht iſt, die Glleder des Raths bei ber Matiom, -
bie nichts mehr ſcheut als die Ruͤckkehr der Immer zu ſpaͤt vers
floffenen Schreckenszeit, Beliebt zu machen, ‚ als die Nation .
ſelbſt in neue Gährungen und Tumulte zu kürzen, für die junge:
Republik, die noch lange nicht über alle Stärme Hinaus am :
ſeyn ſcheint, bei weitem zu früß ausgeübt mird. — Man rufe
bie Emigranten zuruͤck, — denn mache man then nicht:bie .
Wiederkehr zu leicht? — fie betreten den weiten Boden der Re⸗
publik, wo es ihnen fo leicht Partheien zu bilden, und dem :
eonftituirten Gewalten fo ſchwer wird, auf ihre Machtnationen
ein wachfames Auge au haben, — Der Ariſtekratism giebt
Vorurtheile, wenn fie die Grundlage von Rechten waren, nie
auf. — Das hohe Alter, welches diefe. Mechte mehr zu begruͤn⸗
den, fie ehrwuͤrdiger zu machen fcheint, dehnt er wenigſtens
ben ſo weit in die Zukunft hinaus, als er es aus der Vergau⸗
genheit herholt. — Ueberdieß iſt es nicht moͤglich, daß In einem
Staate wie Frankreich, der erſt kuͤrzlich aus gewaltſamen Er⸗
ſchutterungen hervarging, alle Gemuther mit, der jetzigen Ord⸗
nung der Dinge, die ſie mit dem Verluſt maucher ihnen ſehr
theuren Koſtbarkeit erfauften, zufrieden waͤren. — Unger allen
Staats maſchienen ift die demokratiſche Republik die zuſammen⸗
geſezteſte; hier und da muͤſſen Reibungen entſtehen; dieſe Anh
<a
nga I. bericht der neueſten Stantöbegebenfeiten,
— — — — —
aint Schmerz verbunden, der die Küctehr der alten Ordnung
nur zu leicht wůnſcht; ein Wunſch den die Gewinuſacht, weiche
ſich eine Parthei Hilden will, nur zu ſchlau zu nähren weiß...
Eben dahin gehört die Zuräckherufung der anbeeidigten
Prieſter, die Beguͤnſtigung ber katholiſchen Religion, welche
gegen die Grunbſaͤtze der wahren Toleranz ſtreitet: denn was
it gewiffer, als daß bie anerfannte herrſch ſuͤchtige Kirche,
die Ihre Glocken durch ganz Frankreich bald wird ertoͤnen laffen,
fi bemühen wird, auch die Here fchende Kicche zu werden. —
Die Republik Hat den Prieftern allen ihren Einfluß genommen,
und was bußt dieſes Geſchlecht minder gern ein, als Einfluß
und Macht? — Die Synodalverſammlung der Beiftlichen in
Paris, die am Ende des achtzehnten Jahrhunderts Europe
das auffallende, faft möchte id; fagen, das drollige Schan⸗
ſpiel eines Kirchenconciliums giebt, wird weit eher Unruhen "
umd eine neue Vendee vorbereiten,.als Ruhe, Frieden, und
ſtille thaͤtige Neligiofität, welche die Tugenden hervorbringt,
auf welche ſich Menfchens und Staatswohl gründen.
So hat man zwei Partheien hereingerufen, die ſich ſchnell
genug vereinigen werben, weil beide ſchon ehemals eng verbun ⸗
den waren, Adel und Geiſtlichkeit. Eine dritte geben die Ar
meen, die vieleicht bald zurückkehren; und io mag es dem,
ber alles Dies aus ber Nähe noch deutlicher flieht, fehr- zweck⸗
mäßig feinen, einen Frieden zu verzögern, deſſen Hofnung
ſchon zu einem: fo gefährlichen Vertrauen verleitet. Denn bie
drohendſte Kitppe für den kaum entflandenen Staat ſcheint
ſorgleſe Sicherheit zu ſeyn.
Der mit Portugall geſchloſſene Friede hat indeß die Hof ⸗
mung des allgemeinen ſehr beſtaͤtigt. Frankreich hat dadurch
ſeinem Felnde, England, einen wichtigen Bundesgenoſſen ent:
—
Am Unfange des Seplembers zu. 2
— — — — —
riſſen, und in England ſelbſt ſcheint dem Miniſter dieſe Er /
ſcheinung unerwartet und uͤberraſchend gekommen zu ſeyn.
Ueber den Verhandlungen in Eile ſchwebt ein undurchdringli⸗
des Dunkel, Auch was die Geſchaͤfte in Udine betrift, fo
ſcheint dia Veſtung Manta noch immer den. Abſchluß des Des
finitiofeiedens aufzuhalten, obgleich neuerdings ein falfches
" Ceräät fagte, daß das Direktorium die Abtretung derſelben
augeftanden habe, . u
Uebrigens herrſcht übern Kur. Die Kriegsräftungen:
geſchehen nur, um auf Norhfälle , die hoffentlich weit entfernt
feyn werden, bereit zu fepn, — Die Unruhen an einigen Or⸗
ten, befonbers in Turin amd Nom, ſind anterdrackt. Lches
das Shicial Benepigs iſt goch nichts gewiß, Im ebemallgen
Grirchenlande ſcheinen fih gleichwohl Bewegungen zu
die den Sultan beſorgt machen.
. Gin. für Die Menſchtat ſebe wit. Een ven
Sir nad Ermähnung. Mit Cinwilligung bes Pabſtes iſt dig
Inquiſition in Gpanien aufgeheben. — (Es. if. hiec, nicht. deu
Art, die Bolgen davon zu zeigen; jeden, melcher. das Work
Bnqyiftion in feiner furchtbaren Bordeuung verſteht, wir J
ahnen koͤnnen.
AIm lnauiſchen Amerika. hat ein anfakenbes Cetheten em
naht und mehrere Gegenden verſchuutet. Genaue Nuten .
daraͤber fehlen noch. e
Berlin, ‘dem 7ten September 1797; Bu oa
09 Au: tieber die Hälienifche Zomedie
— — — —
12
Ueber die italienifche Komebie,
(gorefegun.)
’ Siebenzehntes Jahrhaudert.
Et giner, emanSeiger Desaster, vr de Br
ſqritto, welche die Wiſſenſchaften in dieſem Jahrhunderte tha⸗
ten, mit dee Abnthme in Vergleich ſtellt, der bie ſchoͤne Litte⸗
gatur-unterworfen war, wird ungeachtet bes allgemeinen Auss
Wenden dor Gelehrtru, die es bardarifch / ſchelten, leicht feine
ſparſamen · Fruͤchte den durren Blättern und vergänglichen Bla⸗
then des ſochezehnten vorziehen. Aber · wer ſeinen Blick, gleich
wir, bloß auf:ein. eingelnes Feld: der ſchoͤnen unſt beſchrankt,
kann nicht:umbin, feine Stimme mit der des Pußkkumsizu |
vereinigen; um fo mehr, da dies Zeitalter bie Komedie nicht
wor mit jeder pt won: Thorheit, Abgeſchmocktheit und Ver⸗
" Behetfeit befleckte, ſondern dioſetbe mie einer Geringſchatzung
behandelte, wodurch fie vollends niedergedruͤckt wurde. Obgleich
der Hang zur Schauſpielkunſt damals mehr Stärke ums eine
allgemeinere Ausbreitung gewann, das Theater zu einer Haupts
beluſtigung des baͤrgerlichen Lebens wurde, und der Reichthum,
der Luxus, und die ausgelaffenfte Verſchwendung ſich der Bühne
Semeifterten, welche die Vernunft und der gefunde Geſchmack
verlaffen Hatte, fo findet man doch unter ber unzäplbaren Menge
m. uaber Die Valieniüche Saneedie. agg
theatraliſcher Vorſteſlungen nur ſehr wenige eigentliche Kowner
dien; zum Söeraeife , Daß, dieſe Gattuns derſelhen ne und
vernachläßiget war . url.e
. Dies Raͤthſel, —* af dm gen Aoptid GEAR wun⸗
Bersor ſcheint, ‚findet sine ſeht leichte. Auflöfung jm herrſchen ⸗
den Geſchwacke jenes Jahrhunderte ‚ud man ſtoßt In diefem
obne Mäße auf die Aräpde, warum die Komedie für denſelben
weuig augenehme Refrlebigungen euthielt, und auf, welche Art
die andern Gattungen theatraliſcher Vorſtellungen, die damals
dm Gebrauch waren; alle. Eigenſchaften vereinigten, wadurch
‚faglängend, anziehen und andlich zu tiuer. Hauptluſtbarleit
des Zeitalters · werden mußten.
Der Absott van den Orb do oberen —
bapderta war die Neuheit. Lediskich dueſemn opferten Be, and
ſaben daber mut entſchiedener Vevachtung anf diejenigen Werke
hberab, welche vor hrer Bet in elnigem Anſrhen ſtanden. Die
u große Nachahmungs ſucht, worin die Autoren des ſechszehn⸗
ten Sahrhunderte aueſchweiſten, war du dan Augen der des
Febenjehnten unter. allen Wergehen-gerade das unverzeihlichſte,
ſewohl weil darin diejenigen verfielen ; die fie vorachteten, als
‚andy, weil fie ein ganz anderes Ziel zun Augenmerk Hatte, ale
Dasienige,, welches jene zu erreichen ſtrebten. Gewoͤhnlich ereige.
net es ſich überdieß, in einem folgen Falle, daß wenn man
elnen Gegenſtand haßt, man nicht nur einen Widerwillen gegen
die fehlerhaften Theile empfindet, ſondern daß man auch feine
ten mit einem uͤhlen Vorurtheile betrachtet, und fie ihm gar
oft zur Sunde antechnet. Daher verfkanden die Schriftſteller,
son einem allgemeinen Abfchen gegen die Nachahmung erfüllt,
nicht wohl zu unterſcheiden, in welchen Städten dieſelbe loͤblich,
möglich und ſelbſt nothwendis ſey, und fonderten darin nice
T4
496 M. beber die italleniſche Komedie.
nur keinesweges das "SElauifdje‘ vom Freien, das Ungeſuchte
dom Gezwungenen ad, ſondern wollten andy-Jögt nicht einmal
bie Natur mehr als bag Hauptmufter aller Kuitift anſchen.
Da fie diefe aus den Augen verlohren, ſie in ihrer eine
fügen Schonheit als’ gefhmadlos und veraͤchtlich betrachte⸗
ten, ſo erteichten Re zulegt den allerhoͤchſten Gipfel der Thor⸗
heit ünd Ausſchweifung. Sogleich kamen alle jene abenthener⸗
tichen "Erfindungen in-'einer wunderfamen Alle zum Vor⸗
fhein ‚ jene falſchen oder ſchielenden Gedanken , und damit der
Abgeſchmacktheit der Zeichnung ja auch die des Kolorites beir
tame, ſo paßte man der auffallenden Sonderbadkeit der Geſin⸗
nungen und Empfindungen auch noch die des Sprache auf das
gerionefte an. Selbſt Die Leidenſchaften, twelche ſich ſonſt ger
wohnlich unter allen Umftaͤnden am aͤhnlichſten bleiben, ertis
ten’ Bier einen ividerlichen / unwahrſcheinlichen Ausdruck, und
bie Schriftſteller bemuͤhten fih nicht mehr wie ſonſt, vom
menſchlichen Sergen ein treues Bild zu entwerfen; " fonbern:fag: -
tem aus den Tränmen Ihrer gefpannten‘ Einbildungskraft Ak
neues Gemaͤhlde zufammen, das jenen, wie fe behaupteren,
Ahnlich ſeyn follte. Wie konnten daher” wohl in einem fol
chen Jahrhundert, wo die Sucht, alle Objekte bis ins Unger
heure zu vergrößern, auf das hoͤchſte ſteg, und man den: ekis
fahen Gang der Natur mit Ekel anfah, die ungeſchmuͤckten
Darſtellungen von haͤuslichen Sitten und. jedermann nahelle⸗
„genden Gegenftänden gefallen, fo wie die Komedie fie verlangt?
— Und wer kann ſich noch wundern, daß dieſe bald von em
andern theatraliſchen Vorſtellungen verdrängt wurde, Die des
Seltalters herrſchendern Geſchmacke ungleich) angemeſfener fehler
nen? — Dies war zuerſt das Schäferdrama; dann eine
widerſinnige Verbindung vom, Heroiſchen und: Niedrigen, Tre
U. Heßer- die italieniſche Lemedie 297
giſchen und Komiſchen; md 'enblih das mufifalifche
Drama, welches bamals und nachher auf der italienifchen
Baͤhne mit dem Trauer» und Buftfpiele unter alen am glich
Shen wetteiferte. j
- Das Schlferdiama Feng in Italien fon im eher
Dahrhunderte zu biähen an, obgleich nicht ſogleich in den erſten
gtiackuchen Jahren deſſelben, ſondern Aphterhih? gogen- fein
Ende, und gerade in demjenigen Zeitpunkte, der vom Mahmen
einiger der beräßmseften Ccriftkeiier einen ſo anfehnlichen
Glanz und.grebit erhielt. Indeß gereicht es-felhft biefen immer
9a einem verdienten Vorwurfe, daß fie die erfien Saamenkoͤrner
eines unreineren Geſchmackes ausftreueten, die von ihren ſpaͤ⸗
teren Nachahmern begierig:aufgefaßt, und unverſtaͤndig gepflegt,
fo: widerliche Fruͤchte hervorbrachten. Einige Spuven des Scha⸗
ferbdramas in noch fruͤheren Zeiten moͤgen dazu dienen, um einen
sorgfältigen Alterthumsferſcher die eigentliche Periode ſeines
Entſtehens errathen zu laſſen; ich ſpreche aber Hier nur/ von der⸗
jenigen, wo: es: aligemein anerkannt und gefchatgt wurde, und
ſaride dieſelbe in..dem Zeitpunkte, wo die Nachahmung zwar
noch nicht ganz Ihres Werth eingebäße Hatte, ‚allein doch ſcheu
ein wenig won dem vorigen Anſehen verlohr, weil die Liebe zur
EMumheit ſich ihr als eine ne gefährliche Desenbußtein.en die Sete
ſtreute,
Es iſt wahr, bie Alten hinterließen uns ken VoBkänngne
—* indeß trifft man in den griechiſchen und ladei⸗
niſchen Etlogen ohne Muͤhe hinreichende Boiſpiele an, auf
welche Art man ·faͤglich die Einfalt der Sitten darſtellen, den
Karalteren ihre Wahrheit und Schoͤnheit erhalten, eine uͤber⸗
mäßige Rauheit vermeiden, und doch nie Aber die Schram⸗
Sender laudlichen Natur Hinausgehen-könnte, - Hatte man ven
Ts
29 3. Ueber die italienifche Kesmebie.
— — — — —
den Alten nur erſt eine gute Manier erlernt, die Denkungsart
der Handelnden zu entwickeln und auszumaßien , fo wat · auch
leicht ein Faden:gefunden, um den Knoten der Handlung paſ⸗
fend zu ſchuͤrzen. Aber weder Theofrit, noch Wirgil war das
eublingemodel von ben’ Verfaſſern des Aminta,.Pafter
fido, ver Fillide, oder den andern berühmten Schaͤſer⸗
Dramen. Die: talienifgen Dichter bekleideten gleichſam ihre
Hirten nur mit einem zarten-Zlore von ländlicher Einfaltz un⸗
ter dem: ein zu. erkuͤnſtelter Scharffinn bes Verſtandes, eint zw
lautere und reigbare Delikateffe der ‚Empfindung, eine un⸗
natürliche Wendung der teibenfehaften ganz ad bervone
ſchimmerte.
So wurde das Saferdrama zu einer Art von idealiſchem
Gedichte, indem man darin Karaktere einführte, welche in der.
wirtlichen Welt nie Ihres Gleichen Hatten, und aus verſchiede⸗
nen · ſehr abweichenden Sitten angehoͤrigen Theilen zuſammen⸗
gefuͤgt waren. Der Muth eines Kriegers, bie Tugenden eines
Helden, die Vernunftfchläffe eines Philoſophen, und die Artige
seit, Galanterie und Gewandheit eines Hofmannes kemmen,
cine nad dem ‚andern, ‚bei diefen. Schaͤſern zum Vorſcheiue,
"welche Taſſo, Guarini.oder Bonoreili auf bie. Buͤhne fuͤhren.
Da dies anterdeſſen Schriftfteller von einem ſehr reichen Bente,
oder fehr zarten Geſchmack waren, fo ſchmuͤckten fie Ihre
Werte mit einer Menge anderer Schönheiten, und erwarben
denſelben einen:verbienten. und entfchiedenen Ruf. Dechabs
‚fanden fie Im barauf folgenden Jahrhundert einen unermeßlichen
Teoß von Nachtretern, nad die verſchrobene Erfinbungefraft
dieſer ergeugte eine um fo reichere Ausbeute, da das fränkeinte
Zeitalter, von der Nachahmung der Alten, fo tie der Matur,
inmer meht ſich entfernend, dieſe wunderbaren Gebarten eines
V. Ueber bie italiniefche Komedie. 299
— — — —
tegelloſen und gaͤhrenden Witzes bald allen andern Ecurfun
gen des Genies vorzog.
Die Anzahl der Schaͤferdramas war fo groß, daß dieſelbe
in den erften dreißig’ Jahren des fiebenzehnten Jahrhunderts,
bloß die öffentlich Herausgegebenen gerechnet, (denn der unge ⸗
druckten gab es fchmerlic viel weniger‘) bei weitem die Summe
der Komedien uͤberſtieg, welche im ganzen Jahrhundert erfchies
nen. Und fo wie dieſe Gattung erſt von den Schriftſtellern
mit Beifall aufgenommen war, ſo konnte es Ihr wohl ebenfalls
Bei den Zuhbrern nicht daran fehlen; nicht. allein Darum, - weil
Die Vorftelung den -herufhenden: abentheuerlichen / Seſchmach
teaf, fondern auch weil die darin auftretenden Bchäferfaraftere
gu ſehr vor der Natur und Wahrheit abweichen, um irgend. jer
mandem perſonlich burch eine Achnlichbeit anfkäßig: zu werben:
Den wer kaun es leugnen, daß die: eigentliche Romeble,zwar
dem Zuſchauer eine fehr angenehme Unterhaltung gewähre, daß
fe aber zumeilen ebenfalls mit etwas Ditterem vermiſcht fen?
+ Jeder von ven Anweſenden erwartet. darin die. Fehler lächers
Uch gemacht und das Laſter von der ſcharfen Geißel der Satyre
deſtraft zu erblicken; wenn aber egend ein KHieb.won dieſer uns
erwartet auf ihn nerbeifklit,, wird. fein Herz darüber gelaſſen
amd ganz ruhig bleiden? Wird er:denr Dichter Beifall erche⸗
ten, und der Beluſtigung ſelbſt vlel Grſchmack abgewinnen?
Auf bieſe Ant erzougt · der Komebie gerade:dasienige, was Ihre
allgemeinere Natzbarkeit und folgtich ihren Hauptwerth be
fNimint, zugleich tauſend erbitterte: Widerſacher, die fie Dane,
ſten/ beſten Odebenbuhlerin aufzudpſern imner bereit ind.
Wirklich Fährte: ſich zu der namlcchen Zeit, wo bie Scha⸗
‚ferbramen · eie Monge von Bewunberern auf Unkoſten ber
Warn Kottzedi⸗ aulotlen, noch eine andere · Art van: theatra⸗
200 IE. ueber die itafienifche Komedie
ah.
uſcher Vorftellungen ein. Dieſe befand in einer wunderlichess
Zufammenfegung von mannichfaltigen Theilen, die man bei⸗
den, ſowohl dem Trauer / als dem Luffpiele, abborgie, und
ohne Anordnung und’ Regel in ein Ganzes verſchmolz, das auf
Viefe Art weder dem einen noch dem andern aͤhnlich blieb, Die
Dichter bildeten- fih ein, in einem und demfelden Scheufpiele
Größe und Niedrigkeit, Ernſt und Lächerliches, die erhaben ⸗
fen: und kleinlichſten Leidenſchaften ſchicklich verelnbaren, und
daraus eine Schöpfung hervorbringen zu kdunen, welche die
Worzüge. aller andern enthielte. Dies Ungeheuer (mie mar
ts nennen muß) ließ beynahe immer . die beiden Quellen des
wahren Tragiſchen, das Schreche n und das. Mitleid, ven
nacjläßigt liegen, und ſchraͤntte ſich darauf ein, dem Trauer⸗
ſpiele dns Edle bes Gegenſtandes und ber Matere abzuborgen.
Se euntlehatte es gleichfalle aus der Komedie nicht etwa die
achahmung der Sitten und die Beſtraſung des · Laſters, for
dern · dloß bie Ueberladung der aubstſtelten Karaktere und
irsend einen oder den ondern Zug ‚des kaͤcherkehen. ¶ Die heroi⸗
ſchen Leidenſchaſton und keiegeriſchen Halfte werden von Zeit zn
Zeit auf der · naultchen VBauͤhre von den Zankerevon dor Vedien⸗
ben · nud den Intricuen der Holnerren unterbrochen, welche
moehrentheile die · Handiungen ihrer Herren Bloß. parodirten
Es feyten gleichſam, als )ob bie Ochauſpieler auf. zwey ganz wor
ſchledens Klaſſen von. Zuhörern, auf eine rohe und auf eins
gibitbete, Rechnung gemacht haͤtten, uub ee und dieſch⸗
Mandlang · daher für diel⸗ in einem edlen uud anſtandigen, Air
jene intemem ſchiecheen uud niedrigen Gewande darſalen wol;
sen. Clytemneſtra's Untreue, die Liebſchaften Dido's, bie Ve⸗
zauberungen Atmidens wurden auf eine Aroflige Art von den
ſqhlauen Hofdamen, ‚uberiden einfaltigen Luntmmäbchen nad
IL Weber bie italieniſche Komedie. 301
— — — —
geafft, die in einem furchtſamen Schildknappen, ober in einem
Mashaften Vedienten, ihren Aegiſt, ihren Aeneas, und Ri
aaldo autrafen. Was für ein ekelhaftes Gemiſch mußte nicht
die Verbindung fo verſchiedenartiger Dinge hervorbringen, und
wie Übel die ungeheure Menge ſolcher damals ans Licht kommen⸗
den Vorſtellungen dem gemeinften Menſchenverſtande behagen!
Wielleiche mindert ſelbſt der Gedanke, daß das italienifche
Theater diefe Gattung von Schaufpielen keinesweges erfand,
Sondern andern Nationen lediglich nachahmte, feine Schuld
und Schande nur ſehr wenig. Wäre die englifche Litteratur
u jener Zeit fo bekannt in Italien geweſen, als ſie es jet iſt,
fo könnte man muthmaßen, daB dem unvergleichlichen und uner⸗
zeichbaren Shafefpsare diefe Eigenheit abgefehen wurde, dem
erhabenften Tragiſchen niedrige und komiſche Epifoden anzus
fließen; und es wäre um fo ſchmerzhafter, daß man in der
Nachahmung alle außerordentlihen Vorzüge dieſes Scheifts
ſtellers übergangen habe, und gerade bey einem Fehler fichen
‚geblieben fen. Allein nicht die engliſche, fondern die fpanifche
‚diente hierin der italienifchen zum Vorbilde. Die Aehnlichkeit
der Sprachen, die Gemeinfhaft und Vertraulichkeit zwiſchen
beiden Nationen, die Unterwerfung mehrerer italienifchen Pros
Dingen unter dem fpanifchen. Szepter, machten’ hier ebenfalls
das ſpaniſche Schaufpiel ziemlich gemein, und von ihm, das
ſonſt einen Weberfluß an lebhaften, wigigen und fruchtbaren
Schriftſtellern beſaß, entlehute der üble Geſchmack, welcher
damals herrſchte, gerade feine abentheuerlichſte Mißgeburt.
Bey diefer Klaſſe von Geiſteswerken erkannte man die komi ⸗
ſche Kunſt lediglich in einzelnen Szenen, und gleichſam nur
funkenweiſe, während daß der Haupttheil der Vorſtellung von
der · heroiſchen Handlung ausgefüllt · wutd⸗, in der bach. für
ie VL. Etwas über die Griechen,
— r e — — — —eñ —
Inſtrumente, und in reizendem Tanz. Der zweite Gegen
ſtand ihrer Unterhaltung befand in der Veredlung und: Ver⸗
fhönerung ihres Putzes, ihrer Gebehrden und ihres Mienen⸗
ſpiels, der Stellungen und Diegungen Ihres Körpers. Aber
der griechiſchen Männer Wohlgefallen ruhte nicht nur auf der
Oberfläche der Schönheit, es verlangte gedachte Darftelung
des Reisenden, und ihr Ange zog eine unmerkbar feine Gräny
linie zwifchen Fülle und, Ueberfuͤllung des Schönen, zwiſchen
gefallen, und gefalen wollen; das Bild ihrer gefälligen Freude
war die Roſe. Ganft, wie die Farbe biefer Blume, mar ihe
Geſchmack, Aug’ und Ohr mußten nicht übereikt werden, die
E&inse: mir gereizt, niche betäubt, noch bis zum ueberdruß
befriedigt. So liebten es die Griechen.
"Der dritte Zwock ihrer Zuſammenkunft war, ſich im Witz
und Wohllaut zu üben. Wohllaut war der große Zauber nach
weichem ihr ganzes Erfindungsvermoͤgen ſtrebte, Wohllaut,
Harmonie, gefällger Einklang in ihrer Kleidung, in ihren
aanſten und Gebehrden, mehr noch In ihrer Sprache. Eine
Wspeinde, leichte, flberntönende Zunge, und em Mund der
einlodend zu. lächeln, und geifteeih zu reden mußte, waren
Die vorzäglichften und unwiederſtehlichſten Reize einer Griechin.
Die diefe Vorzüge nicht befaß, Fuchte fie andern Dusch Uebung
abzufernen, -und oft geſchah es, daß die Schuͤlerin bald bie
Meifterin übertraf, ohne daß fie auf einander neidiſch wurden
Denn Neld hindert den Fortgang zur Vollkommenheit, und voll
kommen wollten fie werden. Wie viel aber dazu gehörte, vor eis
nem griechiſchen Weiſen veigender zu erfcheinen, lieblich Elingender
zu reden, zauberiſcher ihn anihren Umgang zu feſſeln als andere,
da faſt jede Griechin ) ſchoͤn, ihre Mutterfprache die füßefte,
) Mach einem abgerifenen Vlat, weiche yon den Athenienſern Hatıs
datt, and mir neulich in Die Hände fiel, foR Die Scontzeit unter den Gris
VI. Etwas Aber die Griechen. 283
— — — —
und ihr Mund ſchon von Natur mic feurigem Verlangen beſeelt
war, — das mögen die griechiſchen Weiſen verantworten, bie
fo viel foderten. Doch fagt man ihnen nad), daß ihre Feder
sangen nur göttliche Genuͤgſamkeit gervefen wären, und daß fie
feine Kunſt, feine Vollkommenheit verlange Hätten, melde
der weiblichen Erfindungskraft unmöglich gewefen wäre.
Die Freimũͤthigkeit der Griechen erlaubte den Damen ger
miſchte Geſellſchaft beiderlei Geſchlechts, und diejenige melde
Bas größte Gefolge, den ausgebreitetſten Zirkel, verſteht ſich,
edler Männer, in ihrer Gefellfchaft Hatte, war die geehetefte
Daher war es gewöhnlich, Weiſe bei ihnen zn finden, oder
taglich und ſtundlich Damen in den Werfftätten der Känftler,
und am der Seite der Philofophen zu ſehn. Es gab fo gar
Männer, welche die Werke der Kunſt und des Gefhmadd
dern Urtheil der Damen unterwarfen, und fie von Ihnen prüfen
lleßen; welche nach ihnen ihre Göttinnen bildeten, und ihre
Anmuth duch Werke des Meißels oder Pinfels auf die
„Macwelt brachten. Dadurch verlohr die Ehre der. Damen
nichts: denn den Umgang achter Weiſen und Künftler fuchten
ja Männer, warum ſollt' er den Damen nachtheilig fein, de
diefe wohl von ihnen lernen, aber nichts durch fie verlerneu
Fonnten? Die Griechen wollten ihre Damen eben fo verfeinert
and veredelt wiſſen, als fie felbft waren; und wie konnten fi
das beffer werden, als unter Ihren Kuͤnſtlern und Weifen?
Durch die Freiheit mit einander umzugehn, verbreitete ſich dee
Erfindungsgeift überall, und die Verfhönerung war einhei⸗
«innen nichts weniger als allgemein geweſen fein. Auein, ihre Känfter
wusten doch unter ihnen Mufler der Schönheit Vervorzufinden, weiche fig
in Werken der Kunf ald Ideale für Die Nachwelt auffteiten. Ein Borzug,
der unſte Einbitdungsfraft berechtigt, alle damalige Damen in Griechen⸗
Ind smpiffermafen und ale kn vonuflelten,
224 VL "Etwas über die Griechen:
— — — — —
miſch. Die Frauen, deren Geiſt nicht bloß an ben Heerd ger
feſſelt blieh, erhellten ihre been durch Geſpraͤche mit weiſen
Männern; und in den Werkſtaͤtten der Künfler lernten fie
urtheilen. Ihre Einbildungskraft ward dadurch erhöht, und
verfeinert, Das Schoͤne war ihnen bald nicht mehr ſchoͤn⸗
wenn es nicht Geiſt belobte, wenn. nicht Seele daraus bers
vorprang. Dadurch wurden fie Mütter fehöner Kinder, zu
welchen ihre Einbildungskraft ihnen verhalf. Dadurch entſtand
dag unvergleichliche- Rational, Profil, welches einzig den Grit
chen eigen war, -und an ihnen gerähmt wird. Vermoͤge ihrer
blabenden feusigen. Einbilbungskraft, vermöge ihres erfinderis
ſchen· Geites, und der Verfelgerung in Sitten und Kultur,
welche ftets Höher Reigt, jemehr der Verſtand dazu angewendet
wird, gelang es. ihnen, das Vollkonnnenſte, feluſte und ber
wöhmtefte Volk der Erde zu werden. . Unfterblih bat manche
Nation ihren Namen gemacht; das griechiſche Volk allein er .
bielt ihn durch die unnachahmlichen Muſter, welche in jeder
menſchlichen Vollkommenheit von ihm hinterblieben find. Dae
deu griechiſchen Damen die Hälfte der Ehre dieſes unſterblichen
Mamens gebaͤhrt, IR unftreitig. Wenigfiens eiffen fie, wie
die Grauen anderer Nationen zu thun pflegen, mit Ihrer Un⸗
wiſſenheit und ihren Vorurtheilen nichts nieder, was bie Maͤn⸗
ger angebaut hatten. Sa, fie waren es, welche mit muͤtter⸗
licher Sorgfalt an ihren Kindern den Liebrelz ausbilpeten, im
deß die Väter den Geift mit Muth und Weißheit erfühten.
Doch, wie das Spruͤchwort fagt, landlich, ſittlich. Wenn
das freie Griechenland ſich durch ſeine Erfindungen unſterblich
machte, wenn feine ſanften Umriſſe, feine leichten Ebenmaße,
gefaͤlliger fur Die Sinne waren; wenn fein Geiſt, feine Kuͤnſte
den Verſtand bezauberten, und Die Einbildungskraft feffeltens
9 mangelte ihm doc jener feſte gusmächige Tor der Treu,
VL Etwas über die Griechen. 285
— — — —
die Unbefangenheit deutſcher Herzen, unſte kunſtloſe Schaam:
roͤthe, der frohe, Immer lachende Blick reiner Natur, der aus
einem deutſchen Antlige fo ruͤhrend hervorgeht. Wir, die wie
font nur das für fhön hielten, roas dem Herzen gefiel, was
die Seele rührte, möchten wir doch Immer den Griechen, wie
andere Nationen, die Ehre ihrer Modenerfindung gelaffen has
ben, und dafür Deutfche geblieben fein. Mit jedem neuen
Wechſel der Mode, mit jedem veränderten Zufchnitt, duͤnkt
mich, geht unbemerkt Ctwas von unferm elgenthümlichen Cha⸗
vater verloren, welcher ehedem fo gut, fo mufterhaft war,
daß er uns noch vor allen In den Rittergeſchichten gefaͤllt. Wir
hatten gute Hausmuͤtter, zuͤchtige Toͤchter, fleißige Maͤgde,
treue Maͤnner, und ruhigen Hausſtand, niemanden machte
die Sorge fuͤr Modeveraͤnderung, ſch Spiels und Pußgelder
jeder Woche, befümmert, und vor ber Zeit alt, und die Frauen
gefielen Ihren Männern darum nicht minder, weil fie mehr auf
Häusliche Tugenden, als auf ſchimmernden, Außern Wohl⸗
Rand hielten. Zwar hebt in Augen Haushaltungen bie häufige ,
Modenveränderung diefes alles nicht gänzlich auf, aber die Uns
ruhe abgerechuet, welche fie in jedem Falle mit fi führe, hat
fie doc) den Nachtheil, da wir num nicht mehr Nation, fons
dern Nachahmer find. C. von Bionf,
Anmerkung der Herausgeber.
Es kan der Hächzigften Pehannefchäft wir dem Aiterrünme mnmnögti "
entgeben, daß die Verfaferin diefes woblgemeineen Wuffages, die Geräten
Brieheniands mit den Kausftauen, Brauenjimmer, die allein -fich öffener
Ticb veigten, mit Denen veriwechfelt dat, welche ihte Cage in bergebtamtee
Eingesogenheit verkesten. Auch Yad ed vieueicht, ſeit Mblegung dei'Chiers
Häute, Feine Zeadt von urfprüngich deutſcher Erfindung, und vieleiche
war fogat der Sdhititt dDiefet Beklelduhg don jeher dem Huslande machger
adıne Indefien mögen die verneren Wünfibe der Gchreiberin and, ohne
‚A anf Geſchichte su Mügen, befehen, Und uns entfchufdigen, wean wir
das Dergnägen, weihes Die Lefung derfeiben dei und Hervorbrambte, mie
unfern nachfichtigen Geeunden zu theilen Wünfchen,” ur
286 Vu. Erfindung der Schrift.
VIE
Erfindung der Schrift.
An —
Hai ihm, der einf bes Raumes enger Schranke,
O Freund! den Schall der Sterblichen entiog;
Den Fittig ſchuf, anf welchem ihr Gedanke
Von Pol su Pole durch Aeonen flog;
Die Trauer der getrennten Lieben hörte,
Und der Gefühle Taufch die Fernen lehrte.
Wie härmte ſich, verbannt in Tauris Haine,
So wehmuthuoll Dianens Priefterin.
o trüge doch der Nereiden eine
Nach Hellas ihre Senfier freundlich hin !
umſonſ. Sie Karben in ber Wogen Schwalle
Gern von dem Heerd der heimathlichen Halle.
VIL. Erfindung der Schrift. 7
— — — — —
Zu frohen ZTängen lockte die Najaden
Des Hebrus Orpheus mit dem Saitenſpiel;
Der Tieger folgte ſchmeichelnd feinen Pfaden;
Ihm athmeten die Felſen Mitgefuͤhl.
Doch wer verlieh des Sängers Tönen Flügel? *
Sein Lied verlang im Wieberhal ber Hügel,
Da hub, geweiht von Mnemofpnens Lippe,
Den Griffel kuͤhn ein Götterfohn empas,
Und feiernd Tränste ſich an Aganippe
Der Pierinnen ſchweſterlicher Chor ;
Dei Plutons Schatten jauchite ber Pelide,
Unfterblich waltend, wie fein Maͤonide.
Die Zeit begrub im wilben Dieane,
Was .göttliches des Zeuxis Hand erfchufs;
Sie laͤchelt, ſchallt aus Trümmern Rolser Chane
. Dem Wanderer des upw’s ernſter Ruf.
Platone ſchwanden nicht in ihrem Grabe,
Kein Flakkus zitterte vor Hermes Stabe.
Einf ſahn auch wir, o Freund! noch ungeſchieden
Die Geifter in der Vorwelt Dämmerung.
Uns labte, wie die Kofe dort Solphiden,
Der Weisheit Garten, ewig ſchoͤn und inng,
Den unter fernem Himmel die Vertrauten
Braniens mit frommer Obhut bauten,
288 VIE Erfindung der Schrift.
R ; R . ee
Uns rauſchte der. Inſf am Arm ber Meilen
Aus fpäter Afche hob ſich Ilion
Wir Flagten in der Troerinnen Kreifen,
Sahn mit Anchifes Sohn den Acheton,
And duͤrften traulich, hingeſtreckt auf Roſen,
Mit Tiburs Sänger und dem Tejer koſen.
Gern folgten wir, gelockt von leichten Halmen,
Dem Sikuler in feine Hirtenwelt,
Uns pub der eher Schaar von Galems Palmen
Auf Adlersflügeln zu ber Gtertie Zelt.,
Uns fang’ der Greis aus Cona's Felſenhoͤhle
Der Wehmuth Wonne freundlich in die Seele.
Nun biſt du fern, mein Bruder. Doch verbannen
Die Himmlifhen mich an des Indus Strand!
Uns bleibt ein Talisman. Was bei den Tannen
Des guten Vaterlands dein Herz empfand,
Mag unter Palmen mir in fernen Thaler
Dein Kiel, der treuen Freundſchaft heilig, mahlen.
Freudentheil.
Derlirifdges
YAcdhivder Zete
und
ihres Seihmade.
Öftober 1797.
I
Ueberſicht der neueſten Staatsbegebenheiten. Km
Anfange des September 1797.
Ms immer ſchwankt das Schickſal Europens unentfdieden
in der Wage, welche eine höhere Hand hält. Es iſt jetzt noch
eben fo ungeroiß wie im Anfange des yorigen Monats, ob bie
Rube, deren unfer Welttheil feit dem glaͤclichen ısten April
genoß, der. ſichere Vorbote eines begluͤckenden Brisdens ſeyu
wird, oder ob fie nur eime Friſt war, in welcher die kriegfuͤh⸗
wenden Theile fih zu neuen und erbitterteen Angriffen ruͤſteten.
Denn es ſteht in der That zu beforgen, daß wenn von neuem
Feindſeligkeiten ausbrechen follten, diefe wicht blos darum, weil
fie mit erquickten und verjüngten Kräften begonnen werden,
fondern auch aus dem Grunde von auffallenderer Heftigkeit und
Erbitterung charakteriſirt ſeyn werden, weil Überall fruchtlofe
Verſuche der Ausſohnung Feinde Immer mehr zu erbittern pfles
gen; weil eine der Partheien, Die ſich uͤbervortheilt glaubt,
Diefe Täufchung raͤchen boird, und weil beide: fich überzeugt hal⸗
ten, dag nur Strenge, Swang, Nothwendigkeit, und ſelbſt
eine durch bie Ab ſicht entſchuldigte Grguſamkeit die erſebute und
iedem Theile gleich wunſchensmerthe Ruhe gewoͤhren toͤmnen.
Deister Jahız. ater Band, T
290 1. Ueberficht der neueſten Staatsbegebeuheiten.
—r — ç ræ — — nn
Der nur zu laut geworden · Zwiſt, weicher in Frankreich
sroifchen ben geſetzgebenden und’ vollziehenden Gewalten aus⸗
brach, der: hler und da Wartheigänger ſich erwarb, aber doch
nicht im Stande war die Maſſe des Volks, welches ſonſt ſo
raſch und gern aufſtand, aus ſeiner Ruhe zu bringen und in
Partheien zu theilen, hat die Hofnung des Friedens zugleich
mit dem Schluſſe deſſelben hingehalten und entfernt, — Wenn
Frankreichs Feinde in diefem Zwifte und der Trennung der
Nation eine Schwächung ber Macht fahen, die allein durch
ihre innige Vereinung ihnen bisher furchtbaren Widerftand ge
leiſtet Hatte, fo mußten fie allerdings von einem erneuerten
Kriege, dem die Energie vereinter Kräfte fehlte, Hofnungen
faffen, die nahe an Erfag des verfoßrnen gränzten, und einen
theuererkauften Friedensſchluß verzögern. Frankreich ſelbſt aber
mußte fih-fürchten, anmaßende Krieger, die jenfeit der Graͤn⸗
zen Her durch Adreffen und Deliberationen ſich Einfluß in die
Regierung ihres Waterlandes zu verſchaffen fuchten, in ein
Land zuruͤckzutufen, wo die Geſinnungen getheilt und der
Saame ber Zwietracht, der hler immer einen empfänglichen
Boden fand, ſchon ausgeſtreuet war.
Es fällt dem Freunde der Unpartheilichkeit fine, ſich
für eine von den Parthelen, die eine dunkle Gewitterwoltke
über Frankreich gezogen haben, welche die Stralen ber Sonne
deB Friedens entferne, zu entfcheiden.
So auffallend es feyn mag, daß das Direktorium ſich
Anmaßungen und conſtitutienswidrige Schritte erlaubt "hat,
welche durch Mißverſtaͤndniſſe zwiſchen den Armeen und Feld⸗
herren nur ſchlecht maskirt werden, fo gewiß iſt «6 doch, daß
eben dieſes Corps, deſſen Charakter feit ſeiner Exiſtenz fer,
treue und entſchloſſene Maßigung war, mur dutch wichtige
ar Unfange ded Sevtembers 1797. "age
— — — —
Seunde und entſchiedene Beſorgniſſe bewogen werden konnte,
ſolche Maaßregeln zu ergreifen. u
Es iſt einleuchtend, daß bie geſetzgebenden Berfanmtungen,
ſelbſt durch manchen ihrer Beſchluͤſſe folche Maaßregeln noth⸗
wendig machten.
Dem es läßt ſich nicht leugnen, daß bie. befouders im :
Rathe der; Bünfhundert herefchende Milde, welche gegen die
ehemalige terrotiſtiſche Strenge ſo ſehr contraſtiet, und eben ſo
ſcebr dazu gemacht iſt, die Glieder des Raths bei der Nation,
bie nichts mehr feheut als die Ruͤckkehr der immer zu ſpaͤt ver
floffenen Schreckens zeit, beliebt zu machen, . als die Nation .
ſelbſt in neue Gährungen und Tumulte zu flürzen, für die junge:
Republik, die noch lange nicht über alle Stürme Hinaus zu :
ſeyn ſcheint, bei weitem zu früh ausgeübt wird, — Man rufe
bie Emigranten zuruͤck, — denn made man imen nicht · die
Wiederkehr zu leicht? — fie betreten den weiten Boden der Re⸗
publik, wo es ihnen fo leicht Partheien zu bilden, und den :
eonſtituirten Gewalten fo ſchwer wird, auf ihre Dacmatienen
ein wachſames Auge zu haben, — Der Arikofratisın ‚giebt
Vorurtheile, wenn fie die Grundlage von Rechten waren, nie
auf. — Das hohe Alter, welches dieſe Rechte mehr zu; begrüns
den, fie ehrwuͤrdiger zu machen ſcheint, dehnt er wenigſtens
ben ſo weit in die-Zufunft hinaus, als er es aus der Vergan⸗
geuheit herholt. — Ueberdieß iſt es nicht möglich, daß In einem
Stoate wie Franfreich, der erft kürzlich aus gewaltſamen Er⸗
fhiktterungen hervarging, alle Gemuͤther mit. den jetzigen Ord⸗
nung ber Dinge, die ſie mit dem Verluſt mancher ihnen ſehr
theuren Koftbarkeit erkauften, zufrieden waͤren. —.Unger allen
Staatsmafchienen ift die demokratiſche Republik die zuſammen⸗
neſetzteſte; Hier und da muͤſſen Reibungen entftehen; biefe fink
Ta
a92 I. Uerficht der neneflen Stantöbegebenheiten,
— — — — —
aut Schmerz verbunden, der die Ruͤcktehr der alten Orbiung
nur zu leicht wuͤnſcht; ein Wunſch den-die Gewinuſacht, melde
ſich eine Parthei dilden will, nur zu ſchlau zu nahren weiß.
Eben dahin gehört die Zuruͤckberufung der anbeeidigten
Prieſter, die Beguͤnſtigung der katholiſchen Religlon, welche
gegen die Grundſatze der wahren Toleranz ſtreitet: denn was
MR gewiſſer, als daß bie anerkannte herrſchſaͤchtige Kirche,
die ihre Glocken durch ganz Frankreich Bald wird ertänen laffen,
ſich demuhen wird, auch die Herr fchende Kirche zu werden.
Die Republik Hat den Prieftern allen ihren Einfluß genommen,
und was bußt diefes Sefchlecht minder gern ein, als Einfluß
und Macht? — Die Synodalverſammlung der Geiſtlichen im
Paris, die am Ende bes achtzehnten Jahrhunderts Europe
das auffallende, faſt möchte ih fagen, das drollige Schan⸗
ſpiel eines Kirchenconciliums giebt, wird weit cher Unrußen "
und eine neue Vendee vorbereiten, :als Ruhe, Grieden, und
ſtille thaͤtige Neligiofität, welche die Tugenden hervorbringt,
auf welche ih Menfchen: und Staatswohl gründen.
So hat man zwei Partheien hereingerufen, die fih ſchnell
genug vereinigen werben, weil beide ſchon ehemals eng verbuns
den waren, Adel und Geiftlichkeit. Eine dritte geben die Ars
imeen, die vielleicht bald zurüdtehren; unb io mag es dem,
ber alles dies aus der Nähe noch deutlicher ficht, ſehr zweck⸗
mäßig fcheinen, einen Frieden zu verzögern, deſſen Hofnung
ſchon zu einem fo gefährlichen Wertauen verleitet. Denn bie
drohendſte Kitppe für den kaum entftandenen Sant Meine
forglofe Sicherheit zu feyn. ’
Der mit Portugal geſchloſſene Friede hat indeß die Hof⸗
mung des allgemeinen’ fehr befkätigt. "Frankreich hat dadurch
Kinem Feinde, Enyland, einen wichtigen Bundesgenoſſen ent:
Am Aufange des Seplambers zruz [3
— —— —ñ—h ——— ——
riſſen, und in England ſelbſt ſcheint dem Miniſter dieſe Er⸗
ſcheinung unerwartet und überrafchend gekommen zu ſeyn.
Ueber den Verhandlungen in Lille ſchwebt ein undurchdringli⸗
Ges Dunkel. Auch was die Geſchaͤfte in Udine betrift, fo
ſcheint die Veſtung Mantua noch immer den Abſchluß des Des
Anitiofriedens aufzuhalten, obgleich neuerdings ein falſches
" Gerät fagte, daß das Direktorium bie Abtretung berfelben-
zugeſtanden habe.
uebrigens herrſcht tberen Hufe, Sie Reiegeräftungen:
geſchehen nur, um anf Nothfaͤlle, die hoffentlich weit entfernt-
ſeyn werden, bereit zu ſeyn. — Die Unruhen an einigen Or⸗
ten/ belonders in Turin med. Rom, And. untenbrikckt: » Lehen
das · Ochickſal Venedigs if goch nichts gewiß, Im chewallgea
Griechenlande ſcheinen ſich gleichwohl Bewegungen zu
die den Sultan beſorgt machen.
. Gin. für die Weunſchhait ſebe widten Enns ven
bier noch Erwähnung, Wie Einwilligung bes Pabſtes iſt Dig
Inquiſition in Spanien ‚aufgehoben. — (En. iſt hier nicht den
Ort, die Bolgen davon zu zeigen; jeden, melden das Wort
Snquigtion in feiner —— wdeneueg verſteht, wird r
ahnen. koͤnnen.
An faanifchen Amerika hat ein anhaltendes Eetheben gm
tobt und mehrere Gegenden varſchuutet. Genaue Rudern .
bardber. fehlen mh: . " B
Berlin, ‘den Zten- September 1797. ”
Roıree
og itieber bie-iälienifche Komedie-
— — — — —
I:
Ueber die italieniſche Komebien
Fortſetzung.)
*
von
Sied enrehntes Zahrbandert.
Eu: geläffener, anpartheiſſcher Beobachter, ver bie Forts
fhritte, welche. die Wiſſenſchaften in dieſem Jahrhunderte thas
ten, mit der Anehme in Vergleich ſtellt, der die fehöne Litte⸗
ratur unterworfen war, wird ungeachtet des allgemeinen Auss
ſoruches der Gelehrten, die es-barbarifch- ſchelten, Teiche feine
ſparſamen · Fruchte / den deren Blättern umd vergämglichen Bia ⸗
then des ſochezehnten vorziehen. Aber · wer ·ſeinen Blick, gleich
mir, bloß auf /ein einzelnes "Feld: der ſchoͤnen Lunſt beſchrankt,
kann nicht umhin, feine Stimme mit der des Publikums zu
vereinigen; um ſo mehr, da dies Zeitalter die Komedie nicht
nur mit jeder · Art von: Thorheit, Abgeſchmacktheit unb Ver⸗
kehrtheut beflecte, ſondern dioſetde mie eines Geringſchatung
behandelte, wodurch fie vollends niedergedruͤckt wurde. Obgleich
der Hang zur Schauſpielkunſt damals mehr Stärke ims eine
allgemeinere Ausbreitung gewann, das Theater zu einer Haupt ⸗
beluftigung des baͤrgerlichen Lebens wurde, und der Neichehum,
der Luxus, und die ausgelaffenfte Verſchwendung ich der Bühne
bemeiſterten, welche die Vernunft und der gefunde Geſchmack
werlaffen hatte, fo findet man doch unter ber unzählbaren Menge
IL, Ueber Me italieniſche Kamedie. 2
theatraliſcher Vorſtellungen nun fehr wenlge eigentliche Kome ⸗
dien; zum Beweiſe/ daß dieſe Gatcuns derſelben Mas und
vernachlaͤßiget mat, - :. 2. 7m, >=
. Dies Raͤchſel, welches guf dan arſten Anpiid hoͤchſt wun ⸗
derbar ſcheint, findet ‚ine ſeht leichte Auflöfung im herrſchen⸗
den Geſchmocke jenes Jahrhunderte ‚und man ſtoͤßt In dieſem
‚sone. Mühe auf-die Gruͤnde, warum die Komedie für denſelben
weuig angenehme Vefriedigungen enthielt, and auf melde. Art
‚die andern Gattungen theatraliſcher Vorſtellungen, Die damals
dm Gebrauch waren; ale. Eigenfhaften vereinigten, wadurch
‚fie glänzend ,. anziehend und anblih.an sine, Hartluntates
des Zeitalters werden mußten.
ODer Abgott van ——.E taeunchaen Ya
— war die Neuheit. Ledislich dieſem opferten ſie, und
ſaben daber mit entſchiedener Verachtuug auf / diejenigen Werke
Kran „ welche vor hrer Zeit in einigem Anfeben ſtanden. Die
u egroße Nachahmungeſucht, worin die Autoren des ſechszchn⸗
ten Dahrhunderte aueſchweiſten, war Au den Augen der des
Febenzehnten unter: allen Mergehen-garada das unverseißlichite,
ſowehl weil darin diejenigen vorfielgn ; die fie verachteten, als
auch, weil fie ein.ganz anderes Ziel zum Augenmork Hatte, ale
datjenige, welches jene zu erreichen ſtrebten. Gewoͤhnlich ereig⸗
met es ſich uͤherdieß, in einem ſolchen Falle, daß wenn man
einen Gegenſtand haßt, man nicht nur einen Widerwillen gegen
Die fehlerhaften Theile empfindet, ſondern daß man auch feine
guten mit einem uͤhlen Worurtheile betrachtet, und fle ihm gar-
aft zur Sunde antechnet. Daher verſtanden die Schriftſteller,
von einem allgemeinen Abfchen gegen die Nachahmung erfüllt,
nicht wohl zu anterſcheiden, in weichen Stuͤcen dieſelbe loblich,
möglich und ſelbſt nothwendig ſey, und ſonderten darin nicht
T 4
196 1. Ueber die italieniſche Roniedie
nur keinesweges das Sklabiſche vom Frehen / das Ungeſuchte
vom Gezwungenen ab, ſondern wollten auch jetzt nicht einmal
die Natur mehr als das Hauptmuſter aller Kutiſt anſchen.
Da fie diefe aus den. Augen verfohren ;:fie in ihrer ein⸗
fachen Schönheit als’ geſchmacklos und werächtlih betrachter
ten, ſo ertelchten fe-zilegt den allerhoͤchſten Gipfel der Thor⸗
heit ind Ausſchweifung. Sogleich Fanien alfe-jene abentheners
Men "Erfindungen - in-“einer wunderfamen Fülle zum Vor⸗
ſchein/ jene falſchen oder ſchielenden edanfen , und-bamit der
Abgẽfchmacthelt der Zeichnung ja auch die des Kolorites beir
eine / ſo paßte man der auffallenden Sonderbarkeit der Geſin⸗
nungen und Empfindungen auch noch bie des Sprache auf das
tenaueſte an. Selbſt Die“Leidenfihaften, twelche ich fonft ger
wohnlich umter alten: Umftanden am aͤhnlichſten bleiben, erhual⸗
ten hier einen ividerlichen / univahrfcheinfihen Ausdruck, und
die Schriftſteler bemuͤhten fich nicht mehr wie ſonſt, vom
menſchlichen Herzen ein trenes Bild zu entwerfen, ſondern ſotz⸗
ten aus · den Traͤumen ihrer geſpannten · Einbildungskraft Un
neues Gemaͤhlde zuſammen, das jenem, wie ſle behaupteten,
rs ſeyn follte. Wie konnten daher wohl in einem ſol⸗
chen Jahrhundert, wo die Sucht, alle Objefte bis ins Unger
heure zu vergrößern, auf das höchſte ſtieg, und man ben: eis
Tahen Sang der Natur mit Ekel anfah, die ungeſchmuͤckten
Darfellungen von haͤuslichen Sitten und jedermann nahelie ⸗
genden Gegenftänden gefallen, fo wie die Komedie fie verlangt?
— Und wer kann ſich neh wundern, daß dieſe bald von dem
andern theatralifchen Vorſtellungen verdrängt wurde, die des
Seitalters herrfchendem Geſchmacke ungleich angemeffenee ſchie—
nen? — Dies war zuerſt das Schäferbrama; dann eine
widerſinnige Verbindung vom. Heroiſchen und. Niedrigen, Tra⸗
U. Ueber die italleniſche SAmedie 297
— — — — —
giſchen and Komiſchen; und "endlich das muſikallſche
Drama, welches damals und nachher auf: der italieniſchen
Baͤhne mit dem Traners und Suffpise m unter aden am gib
lich ſten wetteiferte.
Das Schaͤferdrama fieng in Italien füon pm PIERRE
Dahrhunderte zu blühen an, obgleich-nicht fogleich in den erſten
giackuchen Jahren’ deſſelben, ſondern Apkterhih gagen- ſein
Ende, und gerade in demjenigen Zeitpunkte, der vom Mahn
einiger der beräßimeeften Shriftſteller einen fo anſehnlichen
Glanz und. Kredit erhielt. Indeß geteicht es ſelbſi biefen immer
‚u einem verdichten Vorwurfe, daß fie die erſten SGaamieneöuner -
eines unteineren Geſchmackes ausftreueten, die von: ihren ſpaͤ⸗
teren Nachahmern begierigaufgefaßt, unt uuverfkändig.gepflegt,
fo: widerliche Früchte hervorbrachten. Einige Spunen des Schäs
ferdramas in noch. früheren Zeiten moͤgen dazu blenen, um einen
ſorgfaltigen Akterthumsferfher die eigentliche -Meriode feines
Entſtehens errathen. zu laſſen; ich fpreche aber Hier nur / von der⸗
fenigen, wo: es alligemein -anerfanımt. und gefhäägt wurde, und
ande biefetbe in dem Zeitpunkt, wo die Nachahmung zwar
noch nicht ganz ihren Werth eingeht hatte, ‚allein doch ſchen
ein wenig won dem vorigen Anſehen verlohr, weil bie Liebe zur
Ermhheit ſich ihr als eine gefährliche Neerhehienn⸗ on die ur
man:
Es iſt wahr, bie Alten hinterlleßen ung ein voßkinnioe
Schaͤfetdrama, indeß teiffe man in den griechiſchen und latei⸗
niſchen Eflogen:ohne Mühe hinreichende :Weifpiele an, anf"
awelche Art man fägfich die Einfalt der Sitten darſtellen, den
Katalteren ihre Wahrheit und Schoͤnheit erhalten, eine-Abess
mäßige Rauheit vermeiden, und doch nie über die Oct
Sider laudlichen Natur Hinausgehen-Einute, :- Hatte man-mımı
Ts
298 H.’ Ueber :die italieniſche Lomedie.
— — — — —
ven Alten nur erſt eine gute Manier erlernt, die Denfungsare
der Handelnden zu entwickeln und auszumahlen, fo mar- auch
leicht ein Zaden:gefunden, um ben Knoten der Handlung paſ⸗
fend zu ſchuͤrzen. Aber weder Theofrit, nach. Wirgil war das:
enblingsmodel von den’ Verfaſſern des Aminte, Paſtor
fido, der Fillide, oder den andern beruͤhmten Schaͤſer⸗
Dramen. Die ibdalieniſchen Dichter bekleideten gleichfam:ihre
Hirten nur mit einem zarten Flore von Ländlicher Einfalt, uns
air dem: eim zu erkaͤnſtelter Scharffinn bes Verſtandes, eine zw
lautere und reijbare Delikstefie der ‚Empfindung, eine un⸗
natuͤrliche Wendung bet Leidenfchaften ganz U hervor⸗
ſchimmerte.
So wurde das Shäferdrama zu einer Art von tealifchern
Gebichte, indem man darin Karaktere einführte, welche in der.
wirllichen · Wolt nie ihres Gleichen hatten, und aus verſchiede⸗
nen · ſeht adtweichenden Sitten angehhrigen Theilen zuſammen⸗
gefügt toaven.. Der Muth eines Kriegers, die Tugenden eines:
Helden, die Bernunftfchläffe eines Philoſophen, und bie Xrtige
sr, Galantebie und Gewandheit eines Hofmannes kommen,
eins nach dem andern, ‚bei biefen. Schäfern zum. Vorſcheiüe,
welche Taſſo, Suarini oder Bonoreili auf die: Bühne fuͤhren.
Da dies anterdeſſen Schriftſteller von einem ſehr reichen denke;
oder ſehr zarten Geſchmack waren, fo ſchmuͤcten fie ihre
Werte mit einer Menge anderer Schonheiten, und erwarben
“denfelßen einentwerbienten. und entfhiedenen Ruf. Despaib
fanden fie im darauf folgenden Jahrhundert einen unermeßlichen
Troß von Nachttetern, uud die verſchrobene Cefindungsfraft
dieſer erzeugte eine. um ſo reichere Ausbeute, da das kraͤnkelnde
Zeitalter, von der Nachahmung der Alten, fo wie der Matur,
inmer meht ſich entfernend, dieſe wunderbaren Gebarten vinas
U: Ueber die italinieſche Komedie, 2
— — — — —
tegelloſen und gaͤhhrenden Witzes bald alten andern Ba
‚gen des Genies vorzog.
« Die Anzahl der Schäferhramas war fo geoß, daß dieſelde
An den erſten dreißig’ Jahren des fiebenzehnten Jahrhunderts,
bloß bie öffentlich herausgegebenen gerechnet, (denn der unge
druckten gab es ſchwerlich viel weniger‘) bei weitem bie Summe
der Kömedien- überfiteg, melde im ganzen Jahrhundert erſchie⸗
sen. Und fo wie dieſe Gattung erſt von den Schriftftellern
mit Beifall aufgenommen war, fo Eonnte es Ihr wohl ebenfalls
Bei den Zuhbrern nicht daran fehlen; nicht. allein darum, - weil
die Vorftellung den · hervſchenden abentheuerlichen Geſchmack
traf, ſondern auch weil die darin auftretenden Schaͤferkaraktere
zu ſehr von der Natur und Wahrheit abwichen, um drgemd.jer
wandem perſbnlich burch eine Aehnlichteit auſtoͤßig zu: werben;
Denn wer kann es leugnen, daß die eigentliche Komedie zwar
dem Zuſchauer eine ſehr angenehme Unterhaltung gewaͤhre, daß
fe aber zuweilen ebenfalls mit etwas Diteerem vermiſcht int?
te: Jeder von ven Anweſenden erwartet darin die Fehler laͤcher⸗
Uch gemacht und das Laſter von der ſcharfen Geißel ber Satyre
beſtraft zu erblicken; wenn aber wegend ein Hies von dieſer ur
erwartet auf ihn vorbeifaut, wird ſein · Herz daruͤber gelaſſen
md gang ruhig bleaiden? Wird er: dem Dichter Beifall erche⸗
den, und der Beluftisung ſelbſt viel· Geſchmack abgewinnen?
Auf biefe Ant erjageider Komedie gerabe:dasjenige, was Ihre
“allgemeinere Natzbarkeit und folglich ihren. Hauptwerth ber
Nimint, zugleich tauſend erbitterte: Widerſacher, die fie des er /
ſten/ beſten Nebenbuhlerin aufzuopfern imiwer.bereit ſind.
Wirklich fahrte ſich zu der naͤmlichen Zeit, wo die Schdr
ferdramen eine Menge von Bewunberern auf Unkoſten der
en Korgedis atilockten, noch vine andere: Art vonaheatra⸗
200 IE. ueber die itafienifche Komedie
— — — — —————— —
uiſcher Votſtellungen ein. Dieſe beſtand in einer wunderlich en
Zuſammenſetzung von mannichfaltigen Theilen, die man: bei⸗
den, ſowohl dem Tramens als dem Luffpiele, abborgte, und
ohne Anordnung und · Regel in ein Ganzes verſchmolz, das auf
diefe Art weder dem einen noch dem andorn aͤhnlich blieb, “Die
Dichter bildeten: id) ein, in einem und dewfelben Schaufpiele
Größe und Niedrigkeit, Eruft und Lächerliches, die erhabens
ſten und kleinlichſten Leidenſchaften ſchicklich vereinbaren, weh
daraus eine Schöpfung hervorbringen zu koͤnuen, welche die
Vorzuͤge aller andern enthielte. „Dies Ungeheuer (mie man
is nennen muß) ließ beynahe immer die beiden Quellen dee
wahren Tragiſchen, das Sſch reche n und das Mitteid, ner
nachlaßigt liegen, und ſchraͤnkte ſich Darauf. ein, dem Trauer⸗
ſpiele das Edle des. Gegenſtandes und ber Untere abzuborgen
So unichete es gleichfale aus der · Komedie nicht eiwa die
Machahmung der. Sitten tind die Beſtrafung des Laſters, fops
dern "bloß die Uebertadung der aufgeſtellten Kargktere uud
irgend einen oder den ondern Zug ‚des Laͤcherlichen. Die heroi ⸗
ſchen Leidenſchafton und keiegeriſchen Zwiſte werten von Zeit in
Zeit auf der namlichen Buͤhne von, den Zanlereyen · der Vedien
ren · und den Intrignen · der Hofnarren unterbrochen, welche
moehrentheile du · Hondiungen ihrer Herren bloß. parodirten
Es ſchten gleichſam, als ob die Schaufpielen auf. zwey ganz vom |
ſchledene Klaſſen von. Zuhörern, auf eine rohe und auf einc
gebildete, Rechnung gemacht hätten, ;umb el ab biefelhe
Handlang · daher ſar dieſe in rinem edlen und anfändigen, WE
jene in:einem ſchlechten un niedrigen Gewande banfallen wol⸗
sen. Clytemneſira's Untreue, die Liebſchaſten Dino’, die Ber
zauberungen Armidens wurden anf eine Aenfligee. Art von den
ſchlanen Hoſdamen, ‚uderiben einfühtigen Ranbmähdhen nady
TL Weber bie italienifche Komedie. 301
— — — — —
geafft, die in einem furchtſamen Schildenappen, ober in einem
MPashaften · Bedienten, Ihren Aegiſt, ihren Aeneas, und Ru
aldo antrafen. Mas für ein ekelhaftes Gemiſch mußte nicht
die Verbindung fo verfchiebenartiger Dinge hervorbringen, und
wie Übel die ungeheure Menge folcher damals ans Licht kommen⸗
den Verfiellungen dem gemeinften Dienfchenverftande behagen!
. Vielleicht miudert ſelbſt der Gedanke, daß das italienifche
Theater diefe Gattuug von Schauſpielen keinesweges erfand,
Sondern andern Nationen lediglich nachahmte, feine Schuld
und Schande nur ſehr wenig. Ware die englifche Litteratur
"su jenen, Seit fo bekannt in Italien geweſen, als ſie es jetzt iſt,
ſo könnte man muthmaßen, daB dem unvergleichlichen und uner⸗
reichbaren Shakeſpeare dieſe Eigenheit abgefehen 'wurde, dem
erhabenſten Tragiſchen niedrige und komiſche Epiſoden anzus
ſchließen; und es waͤre um ſo ſchmerzhafter, daß man in der
Nachahmung alle außerordentlichen Vorzuͤge dieſes Schrift⸗
ſtellers uͤbergangen habe, und gerade bey einem Fehler ſtehen
geblieben ſey. Allein nicht die engliſche, ſondern die ſpaniſche
diente Hierin der italieniſchen zum Worbilde. Die Aehnlichkeit
der Sprachen, die Gemelnſchaft und Vertraulichkeit zwiſchen
beiden Nationen, bie Unterwerfung mehrerer italienifchen Pros
vinzen unter dem fpanifchen. Szepter, madjten’ hier ebenfalls
das ſpaniſche Schaufpiel ziemlich gemein, und’ von ihm, das
fonft einen Weberfluß an lebhaften, witzigen und fruchtbaren
Schriftſtellern beſaßz, entlehute der üble Geſchmack, welcher
damals herrfchte, gerade feine abentheuerlichſte Mißgeburt.
Bey biefer Klafe von Geiſteswerken erfannte man die komi ⸗
ſche Kunſt lediglich in einzelnen Szenen, und gleichfam nur
funkenweiſe, während daß der Haupttheil der Vorſtellung vor
Ver. heroiſchen Haudlung aurgefuͤllt · wurde, in der. doch. für
302 II. ueber bie italinieſche Komedie.
— — — — —
einen gereinigten · Geſchmatk · das eigentliche Lacherliche des gan⸗
gen Stuͤckes liegt, Um endlich dieſem Ungeheuer auf der Buͤhne
den Vorzug vor der wahren und guten Komedle zu verſchaffen,
trug noch ein Graßes die Bequemlichteit bey, weiche daſſelbe
am die Hand gab, den ganzen Pomp der Dekorationen auszu⸗
kramen, welche damals ungemein Mode waren, und von
jeher einen betruͤchtlichen Schwarm von Verehrern gehabt har
ben; denn was in bie Augen fällt, iſt am letchteſten · verſtan⸗
den, und beingt daher immer den größten Theil ber Zuſchauer
“auf feine Seite. Einem verwirrten Gemengfel von Tragifchen
und Komifhen fügte man noch Zweykaͤmpfe, Schlachten,
Stürme, Schifibräge, Fenersbränfte, Triumphe, Aufzdge,
und jeden andern nur denkbaren Gegenſtand einer prachtvollen
Verzierung hinzu. Auch die Mythologie und Allegorie gaben
fabelhafte oder idealiſche Sroifcheuredner zn. dem Auftritten ber,
welche alles: in ſich vereinigten; und mitten unter dem Spaß
der Bebienten, und den unbedentendften Wigeleyen ſtiegen auf
einmal die Gottheiten des Olymps majeftätifh herab, kamen
die Najaden aus ‚dem Silberfchaume der Gewaͤſſer hervor,
tiegen ſich die Dryaden Halbverftecht Hinter den Gebuͤſchen
erblicken. nz :
Doc) dies reichte noch nicht Hin. Und als eröfne die Gabel
einer zügellofen Einbildungskraft · ein noch zu enges Feld, fuchte
dieſe ſich ein weiteres und feuchtbareres im Reiche ‚ver, Magie
und der Vezauberungen. Hier fand fie neue Quellen ben Bun
derbaren, womit fie auch in der That den gemeinen. Haufes
Aberrafchte und hinriß. Ich behaupte: Eeinesweges, daß biefer
lebtere eines Gefühles. für das wahre Schäne und; Deikate gar
unfähig ſed, nur glaube ich, daß er einer Werbereitung, Ge
wohnung/ und vielleicht ſebbſt einer Aumeilung. bebärfe, miese
1. ueber die italienifche Komedie. 303
——— — —— —— —
es recht zu ſchmecken habe; indeß auf der andern Seite das Er⸗
ſtaunen keines hinzukommenden Huͤlfsmittels bedarf, um ſich
den Weg zu Aller Herzen zu bahnen. Mit einem Schlage
erſchattert es den ungewahrſamen Zuſchauer, und laͤßt ihm im
Rauſche ſeiner Lebensgeiſter weder Zeit noch Raum zu einem
kaͤhleren Nachdenken über die eigentliche Natur des Objekts.
* Während’ daß die theatralifche Dichttunſt mit den Schäs
ferdramen den feineen Geſchmack auf Ihre Seite 509, und zw
gleich durch die beſchriebenen tragis komiſchen Ungeheuer eben⸗
falls die Stimme des gemeinen Haufens gewann, entdeckte fie
noch eine andere Quelle von unterhaftender Neuheit, und rief
eine Gehuͤlfin herbey, die mit ipren füßen Melodien jedes fühl
bare Wefen bezauberte, und den Worten, welche fie bamit
begleitete, eine um fo ftärfere Deutung verfchaffte. So ents
ſtanden die Dramen für die Muſik. Diefe einzige Lieblings⸗
tochter des Gluͤcks unter den fchönen Künften machte ſich bald
zur undefchränften Gebieterin des Theaters, und dehnte hier
ſelbſt ihren Deſpotismus nad) und nach fo weit aus, daß fie
darauf nur noch felten der vernachläßigten Tragedie, fo wie
ber herabgewuͤrdigten Komedie einen Zutritt verftattete.
"Der Gefang war dem Schaufpiele in der That nie ganz
fremd gewefen ‚und felbft: in den erſten unvollkommenen Vers
ſuchen von diefem hatten zwiſchen den Aufzuͤgen und unter den
Schengen der Poſſenreißer immer erufhaftere Lieder und unters
haltende Taͤnze ihre Stelle gefunden, aber erſt nach dem Ende
des ſechs zehuten Jahrhunderts trug es ſich zu, daß die Muſik,
auſtatt wie ſonſt zu irgend einer Epiſode des Schauſpiels zu dies
nen, fi) zu. dem · vorzuͤglichſten Theile deſſelben machte, und
die Poefle, vom ber fie. doch eigentlich nur zu. Huͤlfe geru⸗
Ten-war, ſelbſt undankbar in. ihre Feſſeln ſchlug. Entweder
104 I. Weber die italieniſche Komedie.
— — — — — —
borgte Ottavio Rinuceint dem Horazio Veccht dieſe Idee ab,
oder beide fielen, ohne von einander zu willen, beynahe zu glei⸗
cher Zeit auf den nämlihen Gedanken, (ein Eeeigniß, welches
ſich fehr leicht zutragen kann, und womit man fi, wohl bes
Serzigt, fo manche unnäge Unterſuchung über Schriſtſteller⸗
plagiate.erfparen möchte) genug, nicht eher als Im Jahre 1597
erhielt Italien ein vollftändiges muſikaliſches Drama von ber
Hand des Bechi, und die andern drey, welche ohugefähr in
diefem Zeitpunkte, ober kurz nachher Ninnceini ſchrieb, traten
nicht eher als 1600 ans Licht. Alle vorhergehenden Spuren
bes Melodramas wurden gaͤnzlich von den Werken des zweyten
dieſer Schriftftelter verwiſcht, und der Euripides, das beſte
unter Rinuccim's Dramen, welches allen Bemühungen einer
großen Anzahl von Dramatikern zum Trotz, ein ganzes Jahr⸗
hundert lang undbertroffen blieb, verfhaffte der Muſik einen
vollſtaͤndigen Triumph auf der Bühne.
Dies Zeitalter, das _fo begierig nach dem Ruhme neuer
Erfindungen geizte, konnte mit Recht dies Schaufplel als fek
nen Zögling betrachten, und ſtolz darauf feyn. Auch der Sucht
nad) dem Großen, Wunderbaren und Präctigen, welche da
mals herrſchte, erdfnete es ein weites Feld, ihren ganzen. Pomp
auszuframen. Man möchte felbf noch. hinzufügen, daß bie
Bernadjläßigung des einfachen Natwrganges vielleicht bay
Septrug ,. einen ſolchen Fanatisınus fir die Muſik zu erwedden,
die (mit Erlaubniß ihrer Perehrer fen es gefagt) doch nme dine
ſeht frembartige und beynahe unfenntlihe Nachahmung ber
Natur iſt. Ich weiß es fehr wohl, daß die Muſtk eigentlich
mehr auf Erhabenheit und Wereblung, als anf Treue in diefer
Nachahmung Anfprähe macht, indem ſie dem Auabrude unfe
zer Leidenihaften Stärke und Lebhaftigkeit zu ertheilen ſucht,
und
IL. Weber die italienifche Komedie. 308
— — — —
and dieſelben gleichſam idealiſirt, ohngefaͤhr wie die Griechen
die Schoͤnheit ihrer Geſtalten. Aber wenn man auch der Muſik
den Vorzug dieſes Zweckes einraͤumte, wer kann num beweiſen,
daß fie, fm Ganjen genommen, ihn jemals erreichte? Wir
finden, es iſt wahr, außerordentliche Beyſpiele des Schönen
amd Erhäbenen, und überhaupt (wie Engel es nennt) dee
mufitalifhen Mahlerey Hin und wieder in unfern Dramen vers
ſtreut, aber nur höchft felten, ober vieleicht niemals vereinigt
zu einem mafellofen Und in Allen feinen Theilen vollkommenen
Ganzen. Vielleicht: zeigte die Kirchenmuſik unter philoſophl⸗
(chen Händen mehr als alle ihre übrigen Schweftern, mas bie
Tonkunſt vermöge, wenn fle erhabene Worte mit einer anger
meſſenen Würde begleitete. Aber diefe einzelnen Fälle machen
in Grunde nur noch den Mißbrauch fihtbarer, won fie ſich
auf der Schaybigne herabwuͤrdigen ließ,
Indeß zog die Muſik jede Klaffe von Zuhörern an, und ber
herrſchte in kurzer Zeit die berüßmeeften Theater. Die Sänger
wurden zu kieblingen der Höfe, und bie bepfpielofen Kontris
butionen, welche biefer unerfättliche Haufe dem Publikum
abzwang, dienten nur dazu, ihn noch im Auſehen Höher zu
beingen, weil won jeher die Größe der Belohnung in den
Augen der Thoren, woraus der gemeine Haufe faſt allein
deſtehet, zugleich auch die Größe des Verdienſtes beftitnmta
Die Satytiker, welche mit ihrer ſchatfen Gelßel Im Grunde
dem Zeitalter einen wahren Dienſt erweifen, deſſen Laſter ſie
zur Belehrung auf die Nachwelt zu bringen ſuchen, eiferten
‚Tepe laut wider die ſinnloſe Verſchwendung, womit man Lift
ſiebenzehnten Jahrhundert die Verſchnittenen und Phrynen
des Theaters verwoͤhnte. Doch allen beißenden Einfaͤllen eines
Abbati und Mofa zum Tkotze erhielt das Grgurgel einer klaren
Koeitter Japıs. äter Vand. u
306 11 Meber die italeiniſche Komedie.
— — — — —
Stimme nicht weniger Beyfall, und blieben die Theaterdichter
nicht minder armfellg. -
Im Grunde war dies freilich ein ſehr erflärhares Crelgniß.
Die Komebdie hatte nie einen andern Zweck als ben bes Nutzens
und Unterrichts, die Muſik hingegen lediglich den ber Untere
haltung, und die Menſchen waren von jeher geneigter, die
Befoͤrderer Ihres Vergnuͤgens als die ihrer wahren Vortheile
au belohnen. Auf dieſe Art fand die Poeſie, welche bie Muff
auerft auf die Schaubühne rief; bald Urſach genug, biefen
übereilten Schritt zu. bereuen, indem fie neben ihr zu einer vers
acpteten Sklavin herabſank; und was noch übler war; po
onnte ſich die Komebdie zu Ihrer Selbſtvertheidigung nicht es
mal mehe ihrer eigenen Waffen, des Laͤcherlichen, bebies
wen, weil die Muſik es nicht unter ihrer Würde glaubte, von
ernſthaften Gegenftänden zu Scherz und fogar zu Poflen nier
derzuſteigen.
Wenn indeß auch dieſe erwaͤhnten drey Arten theatraliſcher
Vorſtellungen einige Lauigkeit gegen die eigentliche Komedie her⸗
vorbrachten, ſo wurde dieſelbe doch darum nicht gänzlich vers
vachlaßigt, ob fie gleich wieder auf der andern Seite von der
utterariſchen Verderbniß des Zeitalters fehr vieles list. Außer
den Mitgliedern der Akademie der Intronati, welche in
Siena mit der der Rozzi zu wetteifern begann, kann man
boͤchſtens den Stellati, Altani, den Duca Gaetani,
Am Maggi, und einige wenige andere als Verfaſſer regzel⸗
mäßiger Komedien aufführen; und wollte man ebenfalls noch
‚ einigerzu dieſem Jahrhundert zählen, welche barin flarben, aber
ſchon im vorhergehenden geblähet Hatten, fo verdienen mehrehe
berühmte Namen, und unter dieſen befonders Guarini,
Berſaſſer der Waſſerſuͤchtigen, Her einen Plat. Doch
2. Ueber die ttalienifche Komedie. 37
— — — —
Über alle ragt alsdann Johann Baptiſta della Porta,
ein neapolitanifcher Edelmann, hervor, der ſich fchon im vors
Bergehenden fechszehnten Jahrhundert durch feine Bemühungen
in ernfthafteren wiſſenſchaftlichen Fächern auszeichnete, ſich aber
mit zunehmendem Alter der Schauſpielkunſt widmete, welche
er ſchon von früher Jugend an geliebt hatte, - Ob man glei
Aber die eigentliche Zeit der Bekanntmachung von feinen Kos .
mebien ungewiß iſt, ſo muß er doch Cda er im Sabre 1615
ſtarb) von den neunzehn gedruckten und mehreren andern
Schauſpielen, die, wie man weiß , von ihm herruͤhren, einige
tim fechszehnten Jahrhundert gefchrieben haben.
Diefe genannten Schriftfteller folgten ale getreulich dem
Gange der Komedie des vorhergehenden Jahrhunderts, und
ſelbſt Della Porta mid nicht davon ab. Doch kann
man ihm das Verdienſt nicht abfprechen, daß er der komiſchen
Handlung mehr Stärke und Nachdruck, dem Knoten derfelben
eine anmurhigere Verwickelung und ein algemeineres Intereſſe
zu geben verſuchte. Der Vorgang in feinen Stuͤcken beſitzt ger
woͤhnlich viel mannichfaltigen Reichthum, doch ohne Unwahr⸗
ſcheinlichkeit; iſt mit Feinheit verwebt und verſchlungen, doch
ohne Verwirrung; loͤſt ſich mit Schnelligkeit auf, doch ohne
unſchicklichkeit. Auch der Styl, worunter ich hier die Kunſt
des Dialogs verſtehe, hat feinen Theil von raſcher und feſter j
Entſchloſſenheit, und ahmt das vertraute Gefpräch- aufs voll⸗
tommenfte nad, frey von langmweiligem Geſchwaͤtz und uns
aögen Seitenfprängen; einem Lieblingsfehler der Schriftflellee
des funfzehnten Jahrhunderts, weiche darüber Fortgang und
Handlung ungefört einſchlummern ließen. "
Wenn er indeß auch biefe Gebrechen vermled, fo gelang
es ihm nicht fo’ gut in Müdtfühe der Einfbrmigkeis feier Ka⸗
u 2
38 IL Ueber die italienische Komedie.
— — — — —
raltere. Dieſelben affektirten Pedanden, die namlichen prahe
leriſchen und feigen Soldaten, zaͤnklſchen und knauſerigen Als
ten, und verſchlagenen, hiuterliſtigen Bedienten kommen ſaſt
in allen ſeinen Komedien vor, und es liegt etwas hoͤchſt ſon⸗
derbates in dem Umſtande, daß dieſer philoſophiſche Schrift ⸗
ſteller, der eine fo außerordentliche Mannichfaltigkeit in den
Nuancen der Geſichtszuͤge entdeckte und genau unterſchied,
nie auf den Gedanken fiel, daß der innere Karakter ber Men⸗
fgen’ vielleicht nicht geringeren Abartungen unterworfen fen.
Man könnte daher die-Perfonen feiner Schaufpiele füglich mit
den -Rartenbildern vergleichen, vermittelft deren zwar in vers
ſchiedenen Kombinationen ebenfalls ein verſchiedenes Spiel herr
austommt, die aber darum nicht weniger die nämlichen Sb
guren bleiben. —W ”
Auch in den Liebhaber, Karalteren verfiel er in dieſe Mos
notonie. Denn ba er fie, der im Schwange gehenden Mode
wach, weniger die Sprache des Herdens als die des Wiges
reden Heß, fo ſuchten fie in einem wichtigen und ruͤhrenden
Moment oft nach dem Golde im Haare der Geliebten, nach
den Nofen auf ihren Wangen, den Korallen auf ihrem Munde,
dern Schnee auf ihrem Buſen, und wenn fie nach fo wunder
lichen Ausſchweifungen ja ein wenig Athem ſchoͤpften, fp von
ſchwendeten fie ihn auf der andern Seite wieder dazu, mit
ſophiſtiſcher Spigfündigelt vom Feuer zu ſchwahen, worin fie
brannten one. vernichtet zu werden, von einer Leidenſchaft, die
fie verzehrte ohne fie zu toͤdten. Della Porta machte unter
deffen ein anfehnliches Gluͤck auf der Bühne, feine Komedien
wurden nicht Bloß in Meapel, fonbern auch durch ganz Itallen
mit dern naͤmlichen Veyfall gegeben, und wären vermuthlich
ſelbſt nach einer fo fangen Zeit. nicht gaͤnzlich vermanläfigt:
Bar r
1. Ueber bie italieniſche Kenfebie. "zog
wenn’ Be nicht einige Makel in der zu freyen Sprache gehabt
Hätten, die man nachher mit fo großem Rechte vom Theater
verbannte. Vorzuͤglich auf Rechnung dieſes Schriftſtellers,
außer der Verbreitung des fpanifchen Geſchmacks in Italien,
mug man es ſchreiben, daß man jetzt in ber Komebie eine feinere
Verſchlingung und ſchwlerigere Anflöfung des Knotens zu
folgen anfing, .
Dies waren (die beiden: berühmten und” vortreflichen
Stüde des Bonarroti ausgenommen, bie einem ganz andern
Zeitalter anzugehören ſcheinen, und wegen Behandlung laͤnd ⸗
Ucher Gegenftände vielmehr zu den Schäfergedichten gerechnet
werben Finnen, ) die wenigen guten Werfe, welche dies Jahr⸗
Bundert hervorbrachte. Die Übrigen find nun gänzlich vergefr
fen, fülten deshalb aber damals die Bühne nicht minder, noch
mit geringerem Benfalle aus. Das Aufgeblafene, welches im
ſechs zehnten Jahrhunderte alle wiffenfhaftlihen Zweige an
üsdte, ließ die Komedie eben fo wenig verſchont. Zu viel Vers
wickelung, zu viel Scherz und Laune, zu viel Geiſt und Scharf”
Bun rädten den Komikern alle Begriffe von Wahrſcheinlichkeit,
Schicklichteit und Natur aus den Augen, Der Gegenftand
ber Romebie ward nicht mehr von Irgenb einem Gebrechen in
ber bürgerlichen Geſellſchaft hergenommen, ſondern die bloße
Einbildungskraft, ohne ſich vom Beobachtungegeiſte rathen zu
iaſſen, wäßlte dazu eine Zuſammenreihung ungewoͤhnlicher Er
eigniſſe, die, nach einem langen Hader und Wettſtreite unter
einander, endlich zu einer eben fo wunderbaren und unerwar⸗
deten Entroidelung famen. Noch dazu war man in der Aus⸗
wahl der Mittel, womit man die Handlung hier und da in -
Ihrem raſchen Zortgange aufhielt, oder zulegt den Knoten loͤſte,
ngicht ſonderlich delikat, ſondern fegte meiſtens unser allen erdenk⸗
u;
310 U, Ueber bie italienifhe Komedie.
lichen gerade die abentheneritchften und asgefehmadteften ine
Wert, So wurden zu Zeiten die, verborgenften Geheimniſſe
von denen bie ganze Entwickelung des Stüdes abhing dadurch
enthuͤllt, daß zwey Derfonen von zwey verſchledenen Seiten
ſehr mäßig auf die Bühne herſchlenderten ſich in einem hoͤchſt
unnuͤtzen Selbſtgeſpraͤche mit demjenigen bekannt machten, was
ſie ſchon lange gewußt hatten, ſo einer von dem andern be⸗
horcht wurden und ihn wieder behorchten, aber doch nie auf
den Einfall geriethen, ſich umzudrehen und ſich zu erkennen.
Ser ein unbedeutendes Mißverftändniß, das mit einem eins
sisen Worte mehr, gufgeklärt oder vermieden wäre, erzeugte
eine wüthende Eiferfucht, die an wichtigen Begebenheiten
ſchwanger war; einen Unwillen, aus dem eine unverſohnliche
Zeindſchaft entſprang; eine Taͤuſchung, welche ſich muͤhſam
zwiſchen den andern Ereigniſſen hin / und herwand, den Kno⸗
ten ſchuͤrzte, und ſelbſt aufgeloſt Ihn am Ende unbehuͤlflich zerriß
Umſonſt wuͤrde man alle Ungereimtheiten herzaͤhlen wollen,
die von den Komikern aus bloßer Sucht nad) Neuheit erfonnen
murben; aber noch weit mehr befleißigten fie ſich des Unge⸗
woͤhnlichen im Titel ihrer Stuͤcke, als in der Wahl der Mater
rien ; fpannten, um es hervorzubringen, ihren ganzen Big
Auf die Bolter, bedienten fi) oft dazu eines Wortſpieles, oder
eines ſcheinbaren Wiverfpruches, wie: Der betrogene® [7
trug, die Freyheit in Ketten, die todte Lebens
dige, die. mitleidige Grauſamkeit, das tugends
bafte Laſter, u. ſ. w., erzeugten fo Ucherſchriften, worauf
fie ſich mit Recht etwas zu gute thaten, weil le dieſerwegen
des unbegraͤnzten Beyfalles eines jede Abentheuer lichkeit lie
benden Publikums im Voraus gewiß waren,
Diefe Schaufpiele enthielten auch nicht die geringſte Sen,
2: neber die italtenifche Komedi. 311
—rrr — — — —
ſchiedenheit in den Karakteren; etwas, das in der That Schrift⸗
fteller unmöglich erreichen konnten, welche die Natur, die aller⸗
einzige Quelle alles Schönen und Wahren, fo wenig ſtudirten.
Sie verfielen daher in den Fehler der manierirenden Maler,
welche ſich in der Form der Körper, im Ausdruck der Phyſio⸗
nomien ohne Unterlaß wiederholen. Auch verwendeten fle
wahrſcheinlich nicht viel Mühe auf diefe Dinge; denn die Eins
führung der Masten, von denen ich unten werde weitläuftig
eeden möffen, ſchien eine Mannichfaltigkeit in den Fächer li⸗
ch en Theilen des Stuͤcks beynahe überflüßig zu machen, und
um bie ernſthaften bekůmmerten fle ſich nur ſehr wenig. Der
Dialog machte den großen und faſt einzigen Gegenſtand Ihrer
Aufmerkſamkeit aus, und mit biefem erzwangen fie eigentlich
das Beyfallgeſchrey und Haͤndeklatſchen der Zuhörer, die ihrer
Meynung nad eines Künftlers wuͤrdigſte und angenehmfte
Belohnung. u j j
Den Dialog fonnten fle nämlich mit allen Blümchen vers
dieren, welche man in biefer herrfchenden Jahrszeit des Ger .
ſchmacks gern ſah, und jedem andern Schmucke vorzog. Die
ganze unermeßbare Reihe von Alegorien, Anfpielungen, Ans
tithefen und Wortfpielen, wovon alle poetifchen Echöpfungen
Abervofl waren, fand ihr Plägchen im komiſchen Sefpräge.
Zwar ließ man den Wortſchwall und die Weitſchweifigkeit des
funfzehnten Jahrhunderts einigermaßen bey Selte, und er⸗
theilte der Unterredung ein gewiſſes, mehr nervigtes und ge⸗
draͤngteres Weſen; doch nicht etwa aus Liebe zur Natur und
zur Wahrheit, ſondern lediglich um mit feinem Witze und
Scharffinne mehr Aufſehen zu machen. Auf dleſe Art webten
fie oftmals fange Szenen von wechſelnden Fragen und Exflär
dungen uber nichtswuͤrdige Einwendungen ; übelverftandene
‚u4
ga IL Weber die italieniſche Lomedie.
— — —
Worte, halb ausgedruůͤckte und halb begriffene Ideen ohne alle
Bedeutung zufammen, worüber die Zwiſchenredner vom interefs
fonten Gegenfiande, der eigentlich das Geſpraͤch hervorger
bracht hatte, nach und nad) gänzlich abwichen, aus einem Miß⸗
verftändniß ins andere, aus. dem Hundertſten ins Taufende
geriethen, und endlich mit einem Wettſtreite von wigigen Eins
faͤllen ſchloſſen, woräber die Hauptmaterie gänzlich in Vergefs
fenheit kam. So vertrödelt 3. B. ein alter Geizhals Aber folche
Kleinigkeiten die eble Zeit, in der er einen vortheilhaften Kauf
abſchließen konnte; bald zerfkreuten fih damit ein Paar eifer⸗
füchtige Nebenbuhler, welche mit gezogenem ‚Degen ſchon au
einem ãweykampfe bereit ſtanden; bald vergaß daruͤber ein
erzůrnter Vater die Strafpredigt, welche er einem liederlichen
Sohne zugedacht haste; bald mard dadurch das Gedächtnif
aweyen unglädlichen Liebenden untreu, die ſich eben auf ewig
das legte Lebewohl fagen wollten. Allegorien, ausfchweifende,
Übertriebene Gleichniſſe wurden in jeder Szene, unter allen
; Umſtaͤnden, im Munde einer jeden Perfon, ohne Geſchick,
Meaß und Unterſchied auf einander gehäuft; der Hausherr,
welcher den Bedienten ihre Arbeiten zutheilt, ward mit einem
Schiffe verglichen, das die erzuͤrnten Wogen ungeſtuͤm bins
und herſchleudern, und die Bedienten legten ihm hierauf Res
chenſchaft von ihrem Tagewetke unter der Allegorie eines Pils
geimms ab, der, von ber Dunkelheit der Macht im Gebũſch
und Suͤmpſen irregefuͤhrt, endlich den verlohrnen Pfad wies
derfindet. Da die Schtiftſteler ſich außerdem in den koml
ſchen Auftritten das unwandelbare Ziel vorſteckten, Laden bey
jedem Worte zu ertegen, fo mußten fie nothwendig ins Nies
drige, Unanſtaͤndige, Langweilige und Abgeſchmackte verfallen;
denn Indem der Dialog nicht Immer. vollfommen genau am
U. Weber die ttalienifhe Komedie. 313 °
— — — en 5
Faden der Handlung aufgereiht werden kann, fo ſuchten ſie
Bas Lacherliche weit öfter durch Ausdruͤcke als duch Begeben ⸗
heiten hervorzubringen.
Diefen Bemerkungen über die Ungeftalt der Komebie des
Kebyehnten Jahr hunderts muß ich noch einige andere Aber zwey
Gebraͤuche hinzufügen, welche ſich darin eingeführt hatten:
naͤmlich über die Vorftellungen aus dem Stegereife,
und das Auftreten der Masten. Beide entflanden zwar
nicht eigentlich in diefem Jahrhundert, aher beide gewannen
darin einen fo unbefchränften Einfluß auf die Bühne, daß man
ſie im Anfange unfers Zeitalters beynahe alg die einzigen Be⸗
herrſcher derſelben anfehen kann.
Wird fortgefegt, )
914 M. Ueber das Privatleben ber Deutſchen ıc,
III.
Weber das Privatleben der Deutſchen nach der Wis
Berwanderung und vor Karl dem Großen,
. Lili
Seren Gersog.
Bet
4, Ueber die Verhättniffe, in denen beide Gefchlechter
gegen einander ſtanden.
Du Achtung, welche man früh ſchon in Deutfchland dem
weiblichen Geſchlechte gezollt Hatte, dauerte fort, und wurde
in Europa allgemeine unterfheidende Sitte. Die Morgenläns
der und Völker anderes Stammes fahen in ben Weibern nur
Schwaͤche, und ließen fih von ihnen ehren, wie man fi von
Sklaven ehren läßt. Das Weib gehört nicht zum Volke, nimmt
an feinen männlichen Geſell ſchaften und Gaftmählern Theil, und
führt ein ödes einförmiges Leben. Nicht fo bei den Germanen.
Frauen und Jungfrauen waren die fhönfte Zierde ihrer Geſell⸗
fhaften. Man bezeigte ihnen feine Ehrfurcht durch einen
Handkuß, oder auch wohl dadurch, daß man ſich vor ihnen
auf ein Knie niederließ. Sie Hatten dabei noch immer die Aufs
ſicht über das Hausweſen, und der Mann ließ ſich ihre Anordr
nung gefallen.
HI. Ueber. Dad Pripasichen ber Deutfgen x. gı
— —— — — — — — —
Wie fein man in der Behandlung edler Grauen und Zunge
frauen war, erhellet unter andern. aus einer ‚Erzählung de
Paul Warnefried a). Als Autharis unerkannt, au
. dem Hofe des Herzogs von Walern, den Willkonnnen
aus den Händen feiner ihm beftimmten Braut Theubelinde
empfing — er hatte ſich unten die longobardiſche Geſandtſchaft
gemiſcht — wurde er von ihrer Schoͤnheit fo berauſcht, Daß
er ſich vergaß, ihre Hand mit ſeinem Finger berührte, und
endlich ſogar ihr Geſicht ſtreichelte. Das gute Mädchen er⸗
ſchrak, ließ ſich aber nichts merken, fondern erzählte nachher
mit Unmillen ihrer Hofmeiſterin, was ſich der junge Mann,
Im Gefolge des longobardiſchen Geſandten, gegen fie heraus⸗
genommen habe. Diefe tröftete fle aber mit der Werficherung,
das koͤune nur der König der Longobarden felhft geweſen ſeyn,
denn ein andrer waͤrde es nicht gewagt haben, fle zu beruͤheen.
Dieſe Vermuthung beſtaͤtigte ſich bald. Als die Geſandtſchaft
In Begleitung mehrerer vornehmen Balern auf der italiſchen
Graͤnze augekommen war, und Balern und Longobarden fh
trennen wollten, warf Aut haris ſeine Streitart ſo maͤchtig,
als ex konnte, in einen Baum mit den Worten: Solche Hiebe
pflegt Autharis zu hun! Theude linde erwarb fich in der
Bolge die Liebe der Longobarden in einem-fo hohen Grade, Daß
man fle, nach ihres Gemahls Tode, ber’ ſchon nach ſechs Jah⸗
ven erfolgte, fortzuregieren, und ſich aus ben Iongobarbifchen
deln einen neuen Gemahl zu erfiefen bat. . Die Wahl fiel auf
den Herzog Agilulf, einen nahen Verwandten des Authas
tis, einen ſchoͤnen und tapfern Mann. Er wurde nad Hofe
beſchleden, ohne dag man ihm die Abſicht Fund that. Er er⸗
—— — — — ——
a) Paul. Diac. L III. c. 9n
.
"216 III. neber bad Privatleben ber Deutſchen ic,
Dr ——
Wim. Die Königinn eilt im entgegen, umd als er mie ihr in
das Zimmer tritt, ergreift fie einen Pokal, trinkt zuerft, und
weicht ihn dann dem Agilulf. Kulend empfängt dieſer ben
Potal aus ihren Händen, die er dankbar Füße.“ Erröthend
hebt fie dem Herzog auf, und laͤchelnd fpricht fie die Worte:
Mer Erlaubnis Bat, mir den Mund zu Karten, darf mir den
Bean nicht geben =).
* Inden Alteften Gefegen finden wir die dentlichften Spuren
der Achtung gegen das. weibliche Geſchlecht. Das Wehrgeld
für den Todtſchlag einen ſchwangern Frau betrüg bel ben falls
ſchen Franken 700, für eine Grau, die bereits gebohren hatte
und noch gebäßren. konnte, 600 Schillinge; Inde das Wehr ⸗
geld für den Mord eines: fielen Mannes nur 309 betrug b).
Bei den Allemannen tonrde der Mord eines Frauenzimmers
immer doppelt fo hoch sebäßt, als der einer Mannsperſon c).
Ber ein freigebohrnes Frauenzimmer eine Hure oder eine Here
ſchalt, ohne den Vorwurf beweiſen zu Aönnen, ‚mußte ihr
187 Scillinge erlegen, faſt fo viel, als der Mord eines
freich Mannes koſtete A). Wer bei den Salietn einem freien
Beavenzimmer , wider ihren Willen, den Finger beräßrte,
mußte fie mit 15 Schlllingen entſchaͤdigen; gerade fo viel, ale
ew. bezahlen mußte, wenn er einem freien Manne den Mitte
ſinger abgehauen hätte, - Berüßtte er den Arm / fo wurde dag
MWehrgeld auf zo Schillinge erhoͤhet; Lam er mit feiner Hand
aber den Ellenbogen des Mädchens, fo mußte er 35 Schillinge
en) Deues Gier Bi, Mas, 1. BO, 1. Gt. Welträpe-jue Getolci dam
Gin, Bedt ucht und Einzichtungen.der ältefen Dentichen
b) L.Sal, rit. a6. 4
- 6) L. Alam. Vit. 6b 5. 4
a) Top Sl Ting
BI. eher das Privatleben ber Deutſchen x. sıy
— — — — — —
erlegen, und beruͤhrte er ſogar ihren Buſen, fo koſtete das
45 Scillinges gerade fo viel, als er hätte bezahlen muͤſſen,
wenn er einen freien Franken drei Finger oder die Naſe abger
ſchaitten Härte, Niedriger als bei ben Franken, ftand das
Wehrgeld auf dergleichen Verlegungen ber Anftänbigkeit, bei
den Balern und den Allemannen, theils vieleicht, weil das
Geld weniger Häufig bei Ihnen war, theils aber auch, weil fie,
weiter eutferut von ben verderbten Römern, dergleichen ftrenge
Geſetze nicht uörhig hätten. Wenn jemand einer Jungfrau
oͤffentlich das Haar losriß, oder fie fo entblößte, daß ihr Knie
ſichtdar wurde, fo mußte er feche, und entblößte..er fie bis an
die Schaam oder den Hintern, zwölf Schillinge bezahlen; wo⸗
mit man eine tiefe und. gefährliche Kopfwunde büßen konnte.
War es eine verheicarhete Perfon, fo mußte er doppelt fo viel
entrichten a). Nothzucht in dem vordern Frauenhauſe koſtete
ſechs, in dem hinteren nur drei Schillinge. Was ein öffentlis
her Anſtoß werden konnte, wurde alfo höher gebüßt und,
ſchaͤrfer geftraft,
Man ſieht aus diefen und ähnlichen Geſetzen, wie ſehr
man Mißhandlungen, die an Frauenzimmern geſchahen, ‚bes
Krafte, und wie fehr man für die Unverlegtheit der weiblichen.
Schamhaftigkeit und Keufchheit Sorge trug. War glei,
unter den in Gallien lebenden Franken, in diefer Hinſicht eine
gewiſſe roͤmiſche Libertinage eingeriffen, daB es fogar ein allge⸗
a) Si qua libera femina virgo vadit in itinere fuo iuter duas
villas, et obviavir eam aliquis, et per raprum denudat capur ejug,
oum [ex folidis componat. Et. ejtis velimenta levaverit, ut usqtie
ad genicula denudet, cum fex folidis componat. Et 6 eam denuda-
verit, nt genitalia ejus appareant vel pofteriora, cum duodecim Soli-
dis componat, — Si autem mulieri haec fecerig, ommia Aupliciter com-
ponat. Leg. Alam. Tit. 4.
ges ML Weber dag Yriarltben ber Dentfegen ic.
— — — — — — —
meines Gelachter erregte, als ein edler Franke feine mit einem
Andern durchgegangene Frau zurücdforderte a): fo war das
eigentliche Deutſchland doch von diefer Sittenlofigkeit frei ges
bfieben, und befonders hlelten die Altſachſen ungemein auf Hei⸗
lighaltung des Cheſtandes, und auf Unvetletztheit der jungs
fraͤullchen Keuſchheit. Bonifaz ſchreibt an einen ſachſiſchen
“König, Ethelbald in England b): „Diefe Heiden, welche
den wahren Gert nicht fennen, thun von Natur, was gätt;
- julichen Gefeges Ift. Sie leben in einer heilig gehaltenen Ehe,
und ſtrafen Hurer und Ehebrecher. Wenn in Altſachſen eine
frau das vaterliche Haus beſchimpft, ober ein verheis
rathetes Weib die Ehe bricht, fo zwingt man fie zumwellen,
„ſich ſelbſt zu erhenfen, und ihren Verfuͤhrer henkt man über
„den Scheiterhaufen, auf welchen ihr Körper verbrannt wird,
Zuweilen wird die Strafe noch empfindlicher. Es verfammelt
„ſich ein Haufen Weiber, welche ſich mit Geißeln und Ruchen
bewaffnen. Sie. reißen der Suͤnderin die Kleider bis auf den
Gurtel vom Leiße, und treiben fle fo von einem Hofe zum ans
dern. Der Haufen der Strafenden vermehrt ſich mit jedem
„Schritte. Oft haben fie fogar kleine Meſſer, mit denen fie
¶dieſen armen Schlachtopfern fo lange zufegen, bis fie entives
der ganz todt, ober. wenigftens ohnmaͤchtig zu Boden fürs
men: und das hun fie, fpgt Bonifaz Hinzu, um andern
mjungen Weibern und Mädchen einen Abfchen gegen Ehebruh
„und Hurerei einzuflößen.”
Auch unter den Longobarden herrſchte noch in der, Mitte
dieſer Periode eine ziemliche Sittenreinheit. Ein mertwürdiges
4) Aimoin. de geh. Franc. L. IL. 0. 6.
d) Erg
m. Ueber dad Sriontlehen der Deutfihen ze. zug
— — — —
Beiſpiel davon erzäple Paul Warnefried a). Ein Chan der
Avaren hatte bei der Eroberung einer longobardifchen Stadt
‚sier edle Longobardinnen zu Gefangenen bekommen. Ste fuͤrch⸗
teten für ihre jungfraͤuliche Ehre, und banden deshalb rohes
Hüßnerfleifch unter Iren Buſen, das durch die Wärme ihres:
Körpers ſeht bald In Faͤulniß Aberging. Hierdurch wurde ein
übler Gerud um fie her verbreitet, und ba bie Avaren ſich
ihnen näßern wollten, wurden fie durch denfelben zurilchges
ſchreckt. In ber Meinung, alle Longobardinnen rächen fo,
ließ man die edeln Mädchen unangefochten, und befreiete ſich
ſehr bald von ihnen. Sie wurden In der Folge alle an deutſche
ürften vermaͤhlt.
Die Ehen wurden, 'nachdem durch die Probenächte die:
Tuͤchtigkeit beider Theile bewaͤhrt warb ), durch: die Hand des
Priefters beſtaͤtigt. Wann dies zuerft geſchehen, weiß ich nicht.
Gekauft wurde die Braut von Ihren Aeltern Feinesweges, man
müßte denn bas einen Kauf nennen, daß bei der Verlobung:
den Verwandten ein Schiling und ein Denar bezahlt wurde-
Sogar König Ehlodmig zahlte bei Empfang der burgundi⸗
mn
a) L.IV.coH,
6) Mufer dem, was Fifher in dem bekannten Buche über Diefen Ges
senftand S. a5. angefüdet Hat, Habe ich ‚Keinen Berseis für Die Gitte dee
Drobenachte in biefet Periode gefunden. Wat dem safen Gelege dee Ale
mannier, wugte Jewand, der feine Mraut aufgegeben Harte, ſchwören,
daß er fie weder and Urgtoohn icgend eines Gedrechens anf DIE Probe ges
Matt, noch auch wirklich ettwah detgielden gefunden dabe. Des Gerg
felbſt lautet fo: Si quis Aliam alienam defponfatam dimiferit er aliam⸗
Auxerit, compönat cam quam defponfavit et dimifit cum quadraginte
Soläis, et cum duodecim facramentalibus juret, cum quingue no.
minatis et feptem adyocatis, ut pro mullo vitio neo tentatam eam has
buiffet, nec vitiwum in illa inveniffer, fed amor de alla em. ae
vis, us illam dimiäffer er aliem babuifet wkorem.
320 II: Ueber das Prloatleben der Deutſchen it;
u
ſchen Prinzeſſim Chlotildis nicht mehr @). Unter den
Bnurgundern erhielten die Verwandten, bei der Heirath eines
Mädchens aus ihrer Familie, von dem Braͤutigam etwas , das
den Namen Wittemon führte, woraus in der Folge Wit⸗
t hu mm entfland; aber auch dies kann nicht als Kauf angefeheis
werden. Es war vielmehr nur ein Geſchenk, welches nad;
dem Tode des Mannes, bei einer zweiten Heirath ber Frau,
son den Verwandten des erfien Mannes wieder in Empfang:
genommen, bei der dritten Heirath aber von der Frau ſelbſt
behalten wurde b). Den Frauen wurde, bei den votnehmern
Franken wenigftens, auf den Ball, daß der Mann fruͤher
ſturbe, ein Leibgedinge (dotalitium, auch wohl dos genannt)
ausgemacht ©), und Tags nach der Hochzeit erhlelt die junge
grau ein Geſchenk, welches noch, unter dem Namen der Mots
gengabe, in den deutſchen Mechten bekannt iſt d).
Das Mädchen, welches heirathen wollte, blieb frei, und
Bonnte, wie bei den Deutfchen zu Tacitus Zeiten, von ihren
Bewerbern wählen, wen fie wollte, einzelne Fälle ausgenom ⸗
wen, Zumeilen nahmen. fih wohl die fraͤnkiſchen Könige her⸗
“ aus,
@) Fredes ar, beider Etzählung von der Verlobung der Ehlotlls
dis, fagc: Legati oferentes Solidum et denarium, ut mos et
Francofum, cam partibus Chlodovaei Sponfantı
b) Lex Burg. Tit 66. 69. 86:
©) So fhidte König Ehitperic eine Geſandtſchaft nach Epahien,
mm dab Leibgebinge in Augenfchein zu nehmen, weiches feiner Kospter das
(u0R gemacht worden. Greg. Turı L. VI: c. 26
dA) De civitatibus vero... quas Gaile[vindam, germanam dommae
Brunechildis, tam in dote, quam in morganegiba h. e. matutinalä
Jono, in Frauciam venientem, Gestum of agquiälle, Greg. Tut.
L x.
I. Weber das Jrivatleben ver Deutſchen x. 321
aus, jo wie Über eigene und fremde Kirchen⸗ und Siskalgäter,
fo quch uͤher Weiber und Mädchen, nad) Belieben zu fchalten,
Bis zu Chlotar Il hin, der auf einer Nationalverfammlung
615.dies abftellen mußte, hatten ſich Römer und Franken nicht
ſelten von den Koͤnigen eine Gemahlinn erbeten, Einen fo wills
kommenen Zuwachs der Macht Eonnten diefe unmöglih unges
nutzt vorbeigehen laffen: fie gaben, was man verlangte, und
fie zu geben fein Hecht hatten. Es Fam damit fo weit, dag
jedes junge Mädchen von Vermögen, jede reiche Wittwe, alle-
Augenblicke gewwärtig feyn mußte, die Gattinn eines Mannes
zu werden, ben fie in ihrem Leben nicht gefehn hatte a). Aber
die Nation war noch nicht fo tief gefunfen, daß fie ſich diefe
Tyrannei hätte gefallen laffen follen: fie ſchuͤttelte ihr Joch in
dem genannten Jahre ab.
Haͤufiger vielleicht als ehedem, waren jetzt die Entfuͤhrun⸗
gen und der Frauenzimmerraub. Die Geſetze dagegen, und
gegen Nothzucht, ſind in großer Menge, und betreffen oft ſo
kleine Umſtaͤnde, daß man nicht anders als vermuthen kann,
es ſey nothwendig geweſen, ſolche. Geſetze zu machen. Sogar
die Todesftrafe wurde einmal auf den Frauenzimmerrauh ge⸗
ſetzt, und ſelbſt dann, wenn der Raub mit Bewilligung des
Maͤdchens geſchehen, ſollten beide ſterben, wenn fie ſich qußeg
der Kirche betreffen ließen. Wie fo ganz verfhieden von, den
Deutfhen zu Taeltus Zeiten, wo der höher geehrt war, der
Muth und Kraft Hatte, ſich fein Maͤdchen zu rauen! Die
Geiſtlichen waren indeffen, bei Beurtheilung einer vorgefalles
nen.Entfährung, fehr gelinde. Kam ein Gall vor, fo gaben
— — — —— —
⁊) Beiſpiele davon tiefert Gregor von Tours ſeht viele, 1. ©,
L. IV. c. 47. VI. c. 16.
Deloter Zadts. ater Band. x
322 III. Ueber das Privatleben ber Dentſchen ıc.
fie ſich ale Muͤhe, die Sache in Güte beizulegen. Die Keltern
des Mädchens traten Hinzu, und waren zufrieden, wenn ihrer
Tochter nur ein gutes Witthum ausgefegt wurde a). Schlug
der- Water eines Mädchens dem Freier feine Toter ab, fo
wurde er zuweilen von biefem zum Kampfe herausgefordert.
Siegte der Breier, fo mußte die Tochter Ihm ausgeliefert
werden.b)s
"Um die Weiber fo viel möglich vor getvaftfamen Umarmun⸗
gen zu ſchuͤtzen, lieg man fie in befondern Frauenhaͤu⸗
fern (Genitiis, gebildet nad) dem griechiſchen Gynaeceis)
wohnen. Hier arbeiteten und fchliefen fie abgefondert von
. den Männern. In dem Bezirke diefer Häufer waren zus
weilen für die Töchter des Herrn beſondere wohlverwahrte
Behaͤltniſſe, Schrannen, fcreonae, genannt, um den
Raubern den Zugang noch mehr zu erfchweren c). Das bloße
Erbrechen einer folhen Schtanne, ohne etwas daraus zu rau⸗
den, koſtete funfzehn Schillinge 4). Bei ben Allemannen,
wo es ein boppeltes Frauenhaus gab, ein vorderes, wahr⸗
ſcheinlich für die Toͤchter des Herrn, und ein hinteres für
das weibliche Geſinde, war die Buße geringer. Nothzucht in
dem erſten wurde mit ſechs, in dem letzten mit drei Schillingen ge⸗
buͤßt und verguͤtet ©). Daß die Sachfen, auch bei der Ahndung
dieſer Verbrechen, frenger waren als bie ſaͤdlichen Deuefchen,
iſt nach dem, was oben von ihnen gefagt ft, zu erwarten. Sie
“) Ehmides Geſch. dee Deutſchen. Th. IL. Kap. 8.
b) Fifhers Sitten und Gebräude der Europäsr im sten und ccen
Sahthundert, aus einem alten Venkmatit. ©. 239.
6) Lex Sal.ıd,ı.
A) om, 5
0) Lex Alam, Tit. 81. 5.0.5
TIL. Weber das Privatleben der Deutſchen ac. 323
En
ſtraften den ſchon mit dem Tode, der in einer Gchranne
etwas ſtahl a).
An eine zweckmaͤßige Entehung der Jugend dachte man
wit. Sie wuchs auf, ohne daß man fich um fie befümmerte,
Waffendbungen und Gemöhnung zur Jagd, bei dem ‚freiges
bohrnen Knaben und Ihnglinge,-und frühe Arbeit bei den Kins
dern ber, Beibelgenen, waren ihre Befchäftigungen. Fir Gei⸗
Resbildung hatte man noch feinen Sinn. Zwar entftand bie
und da eine Schule; aber nur Geiſtliche wurden darin
gebildet.
In den Familien wurde ein Tag verlebt, wie der andere,
Die freigebohrnen Mannsperſonen jagten, kriegten, ſchmau⸗
ſeten außer dem Hauſe, oder thaten nichts. Ihre Weiber und
Tochter waren in ihren Frauenhaͤuſern, fpannen und wehten,
und nahmen nur dann an den Mablen Theil, wenn in dem
eigenen Haufe ihres Gatten und Waters, eine Geſellſchaft zu
ſammenkam. Das Leben des Leibelgenen war ewige Arbeit.
An Abwechſelung war bei ihm nicht zu denken, Nur an kirch /
lchen Feiertagen, welche an die Stelle der früheren heidniſchen
deſttage getreten waren, genoß er feines Dafeyns; dann aber
auch gewöhnlich auf eine 'ausgelaffene Weiſe. An den Vergnds
gungen, welche der Freigebohrne fich verſchaffen konnte, durfte
er nicht Theil nehmen,
- &) Lex Sal. Tir.4. 5.6. Da fh die Mannöperfonen in der. Folge
doch den Zutriti veefdagten, und darin viel unerlaubte Romane foieten,
fo erbieit algemac das More Franınbaus einen imeibeutigen Sian,
und bekam endlich die Bedehtung eines äfentlichen Gemeinorts der ſinn⸗
pen Woluit; auf eben die Mer, wie e8 mit dem Ausdrude Borders a
sangen if, der unfprüngtih gan) Anfändig war, und dom Altſachaſchen
Bord, Hans, ein Händchen bidentete. Eis ars Geld. des deutſchen
dandels. TE. 5 -
324 II. Ueber das Pprivatleben der Deutſchen ıc.
— — — — —
Eine Lieblingsluſt des Freien, außer der Jagd, waren die
Kitterfpiele und Kampfübungen, welche unter den Franken
nicht minder, als unter Theodorihs Gothen, im Schwange
gingen. Es giebt wohl fein Wolf in Europa, das nicht: in feis
nen frůheſten Zeiten dergleichen Kampffpiele gehabt.hätte. Sie
wurden: die Veranlaffung der ritterlihen Turniere des eilften
und der- folgenden Jahrhunderte. Der gothifhen Kampf
ſpiele geſchieht häufig Erwähnung. ' Dieterich behauptete,
lange vorher, ehe es zu einem Kriege Fäme, milffe man bie
Waffen gebrauchen lernen. Wenn die Kriegskunft Feine mäßtge
Vorſpiele anſtellt, ſprach er, fo fehlt fie uns, wenn wir ihrer
bedurfen a). Totilas verſtand ſchon recht turniermäßig fein
- Pferd zu tummeln, und fo viele Künfte mit den Waffen zu
machen, daß maͤnniglich darüber in Stäurien gerleth b).
Ueber dieſe Kampfſpiele, welche eher mit dem Charakter
der Deutſchen ftimmten, als die circenfifhen Spiele der Rö⸗
— — — — —
a) Apud Rhenan, p. 3/8. Ars bellandi, & non praeluditur, cum
noceſſaria fuerit, non.hadetur. Discat miles in’ otio, quod proficere
+ poll in beilg. Man glaubt Friedrich den Groten, bei einer Muferung,
im doren. — Eine andere Stelle finder ſich im Ennod, Paneg. P. 514
Mitten im Frieden, heißt ed, fpielt die Jugend Krieg, und übt ihre Arme.
Bum Gcer; und zum Vergnügen betreibe man, was in der Folge Tapfer⸗
keit wird. 2
b) Procop. L. IV. c. 31. Ipfe equo eximio vectus, inter geminas
agies, armorum Iudum [cite Iudebat, Equum enim circumagens a0 re-
fectens, utroque verfum, orbes orbibus impediebar. Sic equitans
haftam in auras jaculabatur, eamque, cum tremula relaberetur, asri-
piebat mediam, et ex alteta manu in alteram trajiciens ao dextere
mutans, operam huic arti feliciter navatam oftendebat: refupinahar
fefe, et, Aexu inultiplici, munc huo nunc Alne ita-inclinabat, ut ap-
‚Parerer, diligenter ipfum a pneritia didici/fe (aktare. Im has hadiera
sxereitatiome wempus emae matutigum sontsivik. - en
11. Ueber das Privatleben der Deutſchen ic. a5.
— — — — —
mer, wurden dieſe letzten bald vergeſſen; obgleich Chilperich zu
Soiſſons und zu Paris ein Paar Cirkus anlegen ließ 2). Ob
Thierhetzen, Stiergefechte, Hahnenkampf und Harlefinaden, ,
wie Kraufe vermuthet, darin angeſtellt, oder ob auch dieſe
Gebäude zu kriegeriſchen Schaufpielen angewendet wurden,
vermag ich nicht zu entfcheiben. &ie wurden wenigftens bei
einer Gelegenheit errichtet, wo Chilperid) angegangen wurde, .
einen freien Plag zu Eriegerifhen Uebungen und Kampffpielen
au beſtimmen. ‚Sn der Folge werden dieſe Cirkus nicht wieder
"erwähnt,
Eine Hauptbeluftigung der vornehmern Franken waren
die, in dieſer Periode zuerſt vorkommenden, Gaukler b)..
und Poſſenreißer, welche zu Karls des Großen Zeiten
ſchon ſo gemein waren, daß er den Geiſtlichen unterſagte, der⸗
gleichen Leute in Ihren Sold zu nehmen ©), und daß er für, gut
Fand die Verordnung zu machen, bei öffentlichen Poffenfpielen fol .
ten feine geiftlichen Kleider auf die Bühne gebracht werden d). .,
Wahrſcheinlich führten dieſe Gaukler ſchon vor Karln cin her⸗
umgiehendes Leben, und ſuchten ſich dadurch, daß ſie andre
beluſtigten, ein Stuͤck Geld zu verdienen. Auch finden wir in
dieſer Periode, bereits eines färmlichen Hofnarren erwähnt, in .
einer Stelle, welhe Floͤgeln in feiner Gefhihte der .
KHofnarren entgangen iſt. Gregor von Tours in ſel⸗
nem Buche de miraculis S. Martini L. IV. c. 7. fagt von
m [5
«) Greg. Turn. L. v.;c. 28.
db) Won dem fateinifcen Worte joculatores gebifder.
©) Cap. III. ad. an. 789. Ap. Georg. P.576. Ur Episcopi et Abbates
er Abbatiffze cnplas canum non habeant, nec falcones, nes, accipi-
tea, nec.jocularores..
d) Capi.L. v,5.88-
&3
326 III. Ueber das Privatleben der Deutfchen ıc.
—[ —
einem ſbeviſchen Könige Miro, der zu den Zeiten Chlot ar s Ae
lebte, er habe einen Mimus gehabt, qui ei per verba or
cularis laetitium erat folitus excitare. "
Auch Mufit gehörte zu den Dingen, wodurch fi die
Deutſchen diefer Periode zuweilen ergögten. Man liebte Ger
fang und Spiel; aber alles war noch roh. Der Lebensbefchteis"
ber Gregors des Großen fpricht den Deutſchen allen Geſchmack
an Muſik ab, und König Chlod wig ſcheint auch die Vorzüge,
welche die Staliäner ſchon damalg in diefer Kunft befaßen, ans
erfanne zu haben, indem er fi von dem Hofe Dieteride
einen guten Tonkünftler ausbat, weil er von der Muſik, die
diefer König bei feiner Tafel zu haben pflegte, viel hatte ruͤh⸗
men hören a) Wie Sautler, fo zogen auch Harfner ü im
Lande umher, wahrſcheinlich in Begleitung jener,
Uebrigens hatte man wohl Feine andern Öffentlichen Belu⸗
figungen, wenn man nicht bie feierlichen kirchlichen ProgeMos
nen dahin rechnen will. "
In Hinſicht der Erbſchaften blich es größtentheile hei der
alten urfpränglichen Einrichtung, Der ältefte Sohn erbte den
größten Theil der llegenden Güter, und zahlte den jünger
Brüdern eine verhältnigmäßige Summe, Der ganze Stolz
des Deutfhen war die Erhaltung des Glanzes der Zamilie,
Die Töchter erhielten von fiegenden Gründen nichts. Von den
Lehnguͤtern verſtand ſich dieſes von ſelbſt; und Im Abſicht
der Alloden iſt das berühmte Geſetz vorhanden: De terra
vero falica in mulierem nulla portio hereditatis tranfit,
fed hoc virilis ſexus acquirit, Die Unterſuchungen über die
Frage, warum ein ſolches Geſetz gemacht worden, find unnds „
=) Maskow Geſchichte der Teutſchen. Eh. IL. B.6H -
III. ueber das Privatleben ber Deutſchen xc. '. 32%
— — — — —
thig: es war eine uralte Sitte, bie man nur heibehielt, und
mit einem ſchriftlichen Geſetze bekräftigte a). Wenn von Erbr
ſchaften der Töchter die Mebe iſt, fo find das entweder Aus⸗
nahmen von der Regel, und wurden durch Teftamente verans
laßt, oder fle erſtreckten ſich nur ayf Hausgeraͤth, Geld oder
Sklaven, nicht auf liegende Guͤter. Der dritte Theil der waͤh⸗
rend der Ehe erworbenen Schaͤtze fiel nach dem Tode des
Mannes der Frau anhelm, wenn fle noch Ichte,
@) Daß die terrao ſalicas Mioden getvefen, beweiſen einige andre
Grfege, 1. B. die eipuarifgen Tit. 56., 100 fig heroditas aviatica; die ſach⸗
Aigen Tit. 7., 100 le geradeiu heroditas Beißen; und’ die der Angeln und
Weriner Tir.6. Hier if da6 Gefeg vorzüglich deutiih, Hereditatem, Heißt
es, defunoti flins, non filia Sufcipiar. Si Alium non habuie, qui de«
fanctus el, ad Bliam pecunia et mancipia, terra vero ad proximum.
paternae generationie confanguineum pertineat. Aut srl, wenn Im
fünften Grade Feine männlichen Verwandten Abrig waren, Eonnte hier die
Hanıe Erbfhaft ad fuſum a lancea (von der Lanze an die Kunkel) fauen.
“a
328 IV. ‚Weberbie innere Einrichtung der Stiftshatte.
— — — — —
W.
Ueber die innere Einrichtung der Stiftshuͤtte.
Ein Beytrag sur Geſchichte der Elektricitaͤt.
An n Herrn Hofrath und Profeſſor Lichtenberg in
Göttingen. ,
— — Am Goͤtting. Magazin, 3. Jahrg. 5. Stuͤck, wie.aud
in J. D. Michaelis zerſtreueten kleinen Schriften, 3. Liefer.
P- 387 f. findet ſich ein Schreiben, worin der ſel. Ritter Dir
chaelis bey Ihnen anfrage: ob die Spigen an dem Tempel Sar
lomonis nicht das Gebäude vor dem Einfchlagen des Blitz ſtrahls
geſichert Haben könnten? Michaelis, der diefe Spigen beym
Sofephus befchrieben findet, wollte oder Eonnte nicht über die
Muthmagung feines Gewährsmannes hinausgehen, und nimmt
daher mit ihm an, daß die Spigen, urfpränglic zu Vogels
fcheuchen beſtimmt, den Dienft als Bligableiter nur zufaͤllig
verrichtet haben.
" In der Folge diefes meines Schreibens glaube ich aber
zeigen zu können, daß die Stiftshütte zu Mofes Zeiten einen
ziemlich vollftändigen Apparat elektriſcher Inftrumente enthals
ten, und überdies auch Wirkungen geäußert habe, die wir jegt
durch dje Lehre von der Cleftrieität fo ziemlich verſtaͤndlich
erflären. Wäre es, bey diefer Voransfegung, zu viel gewagt,
wenn ich glaubte, daß bie Spigen auf dem Ternpel Salomonis
IV: Weber die imirere Einrichtung ber Stiftöhätte, 325 .
——— — —ñ —ñe —
abſichtlich, nicht zu Blitz ab leitern, ſondern zu Bligleitern
dienten, um nämlich die Luft /Eleltricitaͤt in die Bundeslade
au leiten?
. Diefer Muthmaßung, weiß ich recht wohl, ſtehen zwey
Schwierigkeiten entgegen. Denn erſtlich wuͤrden die Wirkun⸗
gen der Stiftehutte, folder Geſtalt als natuͤrliche Erſcheinung
betrachtet, aufhoͤren wunderbar zu ſeyn. Zweytens aber wird
man ſich nicht gern bereden wollen, daß die damalige Zeit ſchon
ſo weit in der Kenntniß der Natur gekommen ſey, um mit
Hulfe von Maſchienen Wirkungen hervorzubringen, die uns
ſelbſt noch nicht Immer gluͤcken wollen.
Hätte ich Luſt mit Worten zu ſpielen, fo koͤnnte ich ſagen,
daß dig zweite, Schwierigkeit die exfte hebt. Eben weil die Mens .
ſchen der damaligen Zeit, der Vorausfegung zufolge, dle Kennt:
niſſe nicht auf einem natürlichen Wege gefammelt Haben koͤn⸗
nen, und die Thatfahe, wofern man nicht alle Glaubwuͤrdig⸗
keit der Gefchichte laugnen will, doch angegeben mwerdau muß;
iſt die Erfcheinung, wenigſtens für damals, ein Wunder
geweſen: gs war etwas Webernatüclihes, wenn auch nichte
Wider natuͤrliches.
Allein ic) glaube nicht zu.diefer Spigfindigfeit meine Zu /
flucht nehmen zu muͤſſen, die noch uͤberdies vorausſetzt, daß
Mofes feine Stiftohuͤtte, wie Herr Jourdan beym Moliere
feine Proſa, gemacht Habe, ohne eigentlich zu wiſſen, was er
wat. Nach den Begriffen, die der Rabbi Mofes Ben.
Maimon in feinem Werfe More Nebohim (Wegweiſer
für Irrende) von den Wundern giebt; nach den Begriffen, die
der Peutateuch, Chriſtus und de Apofigl von den Wundern
gehabt Haben müffen, heißt ein Wunder nichts anders, als:
Die ungewdhaliche Senugung.und Anwendung einer phyſiſchen
Vo Es
330 IV. Ueder bie innere Eiurichtung ber Stiftehatte.
— — — — —
Kraft auf phoſiſche Gegenſtaͤnde, als Beweis, daß derjenige,
der dieſe Nutzanwendung macht, ein Menſch von ungewähns
lichen Einſichten ſey, und daher groͤßeres Zutrauen bei ſeinen
Mitmenſchen verdiene, wenn er ſie uͤber die Lehre von Gott —
damals ebenfalls einen Theil der Naturlehte — unterrichtet.
Daß dieſer Begriff yon den Wundern, den der Rabbi auf⸗
ſtellt, nach rein mofaifcher Lehre, Act orthodox ſey,
zeigt folgende Stelle aus dem fünften Buche Moſis, wo es
K. 13. B. 2 f. heißt: „Wenn ein Prophet oder Träumer dir
wein Wunder oder Vorzeichen verfpeicht, und nun dich dadurch
dur Abgötterey verleiten will; fo ſollſt du ihm, ſelb ſt wenn
„das Wunder oder Vorzeichen eintrifft, dennoch
nicht folgen.” Veweis genug, daß dag Wunder keine Lehre
begründen, nur Zutrauen ertverben follte, und daß daher der
Mann, der es macht, das Zutrauen vefganı Tobald feine
Lehre es nicht verdient,
Deshalb ſagte auch Chriſtus (Matth. 5. 17.): I
„din nicht kommen aufulöfen, fonbern zu erfuͤllen; und
Paulus (Am. 3. 31.): „Wie? heben wir denn das Geſetz
„auf durch den Glauben? das fey ferne! Tondern wir richten
das Geſetz auf.” Beyde mußten es naͤmlich wohl, daß bie
allerauffallendſten Wunder feinen’ Beweis für Lehren und
Säge abgeben konnten, und daß fle ihre Wunder nur verrich ⸗
geten, um Zutrauen bey dem Bolke zu erhalten, wenn fie das,
als wahr.anerfannte Sefeg, anders ale die Phariſaer auslegten.
Mag daher ein Wunder Immer eine natuͤrliche Erſcheinung
feyn, und uns jegt ſogar möglich fallen es nachzuahmen; im⸗
mer wird e8 einen Beweis ablegen, daß der Dann, der es dar
mals machte, große Einfihten in bie Kenntniß der Matur ‚der
ſeſſen, und daßer mit Recht Zutrauen verdient abe,
IV. Weber die innere Einrichtung der Stiftäfftte, az
Nach dieſen Belegen, glaube ich; wuͤrde ſelbſt Herr Paſtor J
Goͤtze ſeligen Andenkens, nichts von ber theologiſchen Seite gegen
meine Muthmaßung einzumenden gehabt haben, Allenfalls wäre
ihm vielleicht der Wunſch aufgeftiegen, daß ich Hätte mögen Latein
ſchreiden, um das Aergerniß zu vermeiden; aber hierüber denke
ich mit Hteronymus (in Math. XIL): „Si ex veritate
nafeitur fcandalum, ntilius permittitur naſci ſcandalum,
quam yeritas amittatur;‘ und id kann daher zur Hebung .
der zweyten Schwierigkeit ſchreiten.
Da ich mir ſelbſt, und nicht Ste die Schwierigkeit in den
Weg geworfen; fo werden Sie mir erlauben, wenn ich fage,
daß fie eigentlich auf einer conclufione ignorantiae beruhe:
weil rote nicht wiffen, wie weit es die Vorwelt in der Natur⸗
lehre gebracht habe, Halten wir uns für berechtigt, ihr alle
Kenntniß derſelben abzuſprechen. Welche Logik dieſen Schluß
gut heiße, kann ich nicht ſagen. Vielmehr ſollte ich mit dem
Nitter Michaelis glauben, daB „die Zeit Moſis eine an Kennt ⸗
„niß reiche Vorwelt geweſen ſey,“ Cp- 404 der angefuͤhrten
Schrift,) =); daß wir von dem, was Chalbaa, Babylon
und die Egypter mußten, gar feinen Begriff mehr Haben; bag
diefe Schulen unferer Lehrer, der Grichen und Römer nänıs
lich, für ung ganz verfchloffen ſeyn, und ihre Weisheit fo tief .
unter der Afche der Alerandeinifchen Bibliothek vergraben liege,
daß es unferm Wiffen, wie dem des Phönig in der Babel
©) Worauf der geehrte Mister ichaelis diefe feine Behauptung ges
geänder Habe, IM von Ihm nicht angegeben worden: aber ohne Grund
ſatiet dieſer Mann wodi atchts. Ich win bier nur aufmerkfam machen,
des Dofeb fechb Thiere herrechnet, die wiederfäuen, und Fein gefpaltened
Huf Haben; und noch bis jeßt Eennen wir auch deren nicht mehr als ſecht/
das Zebra ausgenommen, das ihm mich bekanng feun Tann,
392 IV. Ueber die innere Einrichtung der Stiftäpätte.
— — — —
ergeht! er muß durch eignes Nachdenken ſich durch die Welt
helfen, weil der Vater an dem Tage verbrannte, wo der Sohn
gebohren ward, und er ihm daher von feinen Erfahrungen
nichts mittheilen konnte,
Nach dieſer, länger als ich base, gerathenen Einleitung,
komme ich zu meinem eigentlichen Gegenſtande; und da zeigt
es ſich, daß die in der Stiftshütte befindliche Buntdeslade,.
eine fehr gute Leldner Flaſche, mit einem allgemeinen Auslader
verſehen, geweſen ſey. Denn folgender Geſtalt wird fie be,
fhrieben. ,, @te folen eine Lade von Schittims (nad Luther,
Sören) Holz verfertigen, zwey und eine halbe Elle foll die,
Länge feyn, ein’ und eine halbe die Breite, und ein” und eine
halbe die Höhe, Du follft'fie mit reinen Golde belegen,
inwendig und auswendig belegen, und einen golden Kranz
herum machen.“ (3. Moſe 25.10, 21.) „Mac aud einen
Dedel von reinem Golde, zwey und eine Halbe Eile die Länge,
ein’ und eine-halde die Breite. Mache zwey goldne Cherubim:
von getriebener Arbeit ſollſt du fie machen, aus den beyden
Enden des Dedels: nämlich einen Cherub follft du aus dem
einen Ende heraus arbeiten, und einen Cherub aus dem andern
Ende; aus dem Deckel ſelbſt follft du die Cherubim verfersigen,
an bepden Enden, Die Cherubim folen ihre Flügel (Abda⸗
ungen) oben ausbreiten, mit den Abdachungen den Deckel
uͤberdecken, und einer dem andern das Angefiht (Spigen)
zuwenden: jedoch fo, daß die Spitzen der Eherubim gegen den
Dedel ſich neigen,” (ibid. 17— 20.)
Ehe ich weiter gehe, muß ich diefe unverkennbare Beſchrei⸗
bung der Leidner Flaſche und des allgemeinen Ausladers mit :
einigen Anmerkungen begleiten. Ob das Hol Schittim,
woraus der Kaſten verfertigt war, wirklich, wie Luther meint,
IV. Ueber die innere-Einrichtung der Stiftöpätte, 333
Görens oder Fichtenholz geweſen fey, läßt fich eben fo ſchwer
erweifen, als widerlegen, Wenn er Gründe für dieſe Webers
feßung gehabt hat; fo erhält meine Muthmaßung einiges Ge⸗
wicht mehr dadurch, da dieſe Holzart ſehr viele harzige Be⸗
ftandtheile enthält, und trocken einen guten negativen, idiy⸗
elektriſchen Körper abgiebt. Daß aber Gold eine wirffamere
Belegung als Staniol fey, erhellet nicht nur aus den Verſu⸗
chen des Herren von Mahon, fondern noch ans der Analogie
mit der thierifchen Elekteicität, bey der, nach den neueften
Verſuchen, Gold die ftärkfte Wirkung hervorbringt.
In Anfehung der Art, wie die Belegung gemacht wurde,
find die Kommentatoren unter ſich felöft nicht einig. Einige bes
Hanpten, bie Belegung fen mit dem hölzernen Kaſten nicht
luftdicht verbunden gemwefen: fo, daß die ganze Lade eigentlich
aus drey in einander gefchobenen Kaften befanden, von denen
jeder äußere Gold, und der mittlere Holz war. Hingegen trift -
man im Medraſch Schir Haſchirim rabba, oder Abs
handlung über das hohe Lied (Gefang ı, ı1.) die Bes
bauptung, daß die Goldbelegnng an den hölzernen Kaften lufts
dicht angefchloffen, und mit ihm nur einen ausgemacht ‚Habe,
ſehr gründlich durchgeführt.
Auch :daräber, wie weit‘ die Belogung hinaufging, findet
fich einige Verſchiedenheit unter den Kommentatoren, In der
Bereiche demelecheth Hamiſchkan oder Lehre von
dem Bau der Stiftshuͤtte (Abſchuitt 7.) wird behauptet,
die pofitive Seite fey mit der negativen dadurch verbunden
gewefen, daß bie äußere Belegung über den hölzernen Kaften
hinweg geragt, nach innen zu bineingebogen und eingefpreugt
war. Alsdann fände freplich gar Feine Ladung ſtatt. Allein
diefe Behauptung gründer ſich auf keine Trapitiotr, ſondern Auf
.
. 934 IV. Ueber die innere Einrichtung ber Stiftshutte.
— nn
eine den Thalmudiſten, nicht beym Ariſtoteles erlernte, eigene
Urtheilsform: auf die Wiederholung des Wortes thezapenu,
du ſollſt ihn belegen, das im eilften Verſe zweymal vor⸗
kommt a). Vielmehr ift es gewiß, daß die Äußere Belegung
mit der Innern gar nicht zufammenhing, fondern. mit dem Deckel
oder Kaporeth durch den Kranz verbunden war. "Denn ber
Kranz ging als eine Fortſetzung von der äußern Belegung über
den Dedel, und bedeckte deſſen Spigen und Eden.
Welche Geſtalt übrigens die Cherubim, die ich für dert
allgemeinen Auslader halte, gehabt haben mögen, und wor⸗
Über die Kommtentatores eben fo wenig einig find, als Herr
Ritter Michaelis die Sache (zweyte Bief, D- 147 f.) zut Gewiß⸗
heit Bringt; fo ift doch die Meinung derer verwerflih, die
ihnen eine Kinder; oder Loͤwengeſtalt geben, und ihre Hypo⸗
theſe mit einer Parallelſtelle aus Ezechiel belegen wollen. Denn
da fie das Wort Kenaphim (Flügel) im buchftäblichen Sinne
nehmen; fo müßte der Eherub mit dem barocken Sphiar ber
Griechen Aehnlichkeit gehabt Haben, welches um fo weniger zu
vermuthen ftehet, da bekanntermaaßen jede Abbildung körpers
a) Denen zu Befatlen, bie noch imimer hoffen, eitie neue Kategorie su
entbedten, tif ich Diefe Letbeitäfoem dier mie wenigem anfügren. SA fie
. titig, fo Haben Die Kautianee den Pesch verloren, benm ich gefche ed
Hern, Daß ich Re unter Seine Kategorie fubfummiren kann. Wenn nämlich
an zwed Gteiten der Bibel, oft ſehr ungleichen Indatts, ein und das häms
uiche Wort AberKäßig sm feyn ſcheint, fo wird eine Parauele zwiſchen bed⸗
den. Stellen geidgen, und eine Auwendung von dem einen @efege anf das
andere gemacht. So wenn 4.3. deu den Belegen von ben verbothenen
einjährigen Fruthten das Wert und überflüßig ände, und edenfaus Aber,
MäpIo ven dem Geſete von der Behandlung dee gefangenen Weiber; fo
würde der Taimndit urtheilen: an eroberte Weiber darf man eben’fo
Wenig ziehen, wie am verbordene Frächte. Gie.nennen das ein urthen
„Der @Gleichheis: ich möägte 66 tin Urthell der Schieſdeit nennen.
IV. lieber bie innere Einrichtung der Stiftshaete. 435
licher Geſtalten zu machen, aufs ſtrengſte verboten war. Mir
if daher waheſcheinlich, daß weder das Wort Panim (Ges
ficht), noch das Wort Kenaphim (Blägel) im eigentlichen,
ſondern bildlichen Verſtande zu nehmen ſey. Dann wuͤrde bas
Wort Panim, wie das oft geſchieht, die vordere Seite, oder
eine Spitze, und Kenaph im eine Abdachung bedeuten. Dem
fey wie ihm wolle, fo endigten fih die Cherubim, die aufs
wenigſte zum Geſchlecht der Voͤgel gehörten, in zwey Spitzen,
die gegen einander gekehrt, und etwas abwaͤrts gebogen waren.
Sch kehre wieder zum Texte zurück,
ALege den Deckel auf die Lade, und In bie Lade das Bes
Wußte, das ich bir geben werde.” (Lc. a1.) Nicht um eine
uebereinſtimmung mit dein Folgenden, zu Gunſten meiner Hy⸗
potheſe, hineinzuzwingen, weiche ich hier in der Ueberſetzung
des Wortes Haeduth (das Bewußte) von Luther und Mens
delsſohn ab, welche es mit dem Worte das Zeugniß geben;
ſondern der Geiſt der Sprache fcheine mich dazu zu berechtigen.
Eduth kann nämlich beydes bedeuten: ſowohl das Zeugniß,
Als das Bewußte. Aber wenn in der Schrift von einem Buͤnd ⸗
niß die Rebe iſt das zwiſchen zwey Partheien gefchloffen wor⸗
- den, und durch irgend etwas bezeugt werben foll; fo heißt das
Zeuguiß nicht Eduth, fondern Berich (Bund), Nur bey
dem Bunde zwiſchen Jacob und Laban (1. Moſ. 31, 47:48.)
lleſt man Ed, wo aber das Wott iſt fehle, und Aberfegt wer⸗
den muß: der Steinhagel ift Zeuge, Die Tafeln, die demnach
in die Lade gelegt, und Luch ath Haeduth genannt wurden,
waren daher bewußte Tafeln, und vielleicht von ben Ger
fegtafeln verfhieden: welches letzte auch Bäche ſchon irgendwe
In feinen Schriften geuuthmaßt har.
336 IV. Weber die innere Cinrichtung-der. Seiftähätte.
— — — — —
„Verfertige auch einen Tiſch von Schittimholz, zwey
Ellen die Laͤnge, eine Elle die Breite, ein und eine. halbe Elfe
die Höhe. Belege ihn mit reinem Golde. Mache einen golde⸗
“nen Kranz umher: nämlich du macheft einen Rand daran eine
Hand breit, rings herum, und an dieſem Rande führeft du
den goldenen Krauz umher.“ Cl. c. 23—24.) F
Die einzige Anmerkung, die ich hier zu machen habe, iſt,
daß bey afler fonftigen Genauigfeit in der Befchreibung, hier
fein Wors von der-Befchaffenheit der Füße diefes Tiſches er⸗
wähnt wird. Daher die Kommentatores darin von einander
abweichen, daß einige das angegebene Hoͤhenmaaß fuͤr hie Dice
der Platte allein halten, andeye aber, welches aud) wahrſchein⸗
licher ift, Platte ſammt Füße darunter verftehen, Waren vun
die Füße von Foͤrenholz, und nicht belegt, fo Eonnte der Tiſch
ein ſehr gutes Sfolatorium abgeben. B
m Derfertige aud) einen Leuchter von. reinem Golde; getries
bene Arbeit foll der Leuchter gemacht werden. Fuß umd Schaft, -
Kelche, Kudpfe und Blumen, follen aus ihm herausgearbeitet
feyn. Sechs Arme follen aus feinen Seiten herausgeben: näms
lich drey Arme des Leuchters aus der einen Seite, und drey Aume
des Leuchters ans der andern Seite. Drey mandeljdemig. vers
zierte Kelche an dem ginen Arm, ein Knopf und eine Blume, und
drey mandelförmig verzierte Kelche an dem andern Arme, ein
Knopf und eine Blume: fo.an allen fechs Armen, die aus dem
Leuchter herausgeben. An den Leuchter ſelbſt kommen vier
Kelche, mandelfsrmig verzierte Kudpfe und Blumen. Ferner
ein Knopf, in welchem ein Paar Arme figt, nad ein Knopf,
-in welcher das andere Paar Arme figt, und noch ein Knopf,
in welchem das dritte Paar Arme ſitzt fo an allen ſechs Ar⸗
men, die aus dem Leuchter herausgeben, - Ihre Knöpfe und
Arme
AV. Ueber die innere Einrichtung der Stiftshatte. 337
— — — — —
Arne mäffen ans ihm ſelbſt heraus gearbeitet werden, ganp
ans einem Stucke reinen Goldes getrieben. Verfertige auch
dazu fieben Lampen. (Wenn man die Lampen anzuͤndet, fol
es leuchten gegen die Worderfeite über.) (1. c. 31— 37.)
Dieſer Leuchter ſtand vor der Wundeslade, etwas nad)
Norden zu; und ob ich gleich nirgends eine Spur finde, die
mir darthäte, daß er Holiet-gewefen war, fo läßt doch. fein
Bau feine Beftimmung als Konductor leicht vermuthen. Denn
die Knöpfe, deren Anzahl fich auf fechs und dreißig belief, Hate
ten, nah Maimonides, eine eyförmige Geſtalt, waren alfo
weder dollkommen fpig, noch vollfommen rund, und daher
grade fo, um das Mittel zwiſchen den beyden Meynungen der
Menern über die Geſtalt der Bligableiter zu halten.
Ueberdies hatte der Leuchter , durch das Getriebene ber Ar⸗
beit weder Spigen, noch fharfe Eden, bie bey unfern beten.
Konductoren die Wirkung ſchwaͤchen, und nur burch bie äußerfte
Sorgfalt vermieden werden koͤnnen.
Daqu kommt noch, daß alle Knöpfe, Blumen und Lam⸗
ven nad) der Seite des Dedels der Bundeslade gerichtet wa
zen; und die Leitung mußte um fo mehr befärdert werben, ale.
die in den Lampen fiets brennend unterhaltene Lichtflamme ſelbſt
ein guter Leiter iſt. -
Key der Befchreibung bes Zeltes feldit, und der Stellung
der heiligen Geräthfehaften, werde ich, um Weitlaͤuftigkeit zu
vermeiden, die Worte der Schrift · bleß auchugsweiſe anfühe
wem. — Das innere Zelt beftand aus zeher gewirkten Teppichen.
von Sarn, blaners purpuesund hochroeher aus ländifiher:
Seide). Se fünf und fünf wurden ſie au einander gebeftet,
a) Gewoöͤhnlich Mberfege man bas- Wort Moſch ſat nicht fo; aber
Berti Heise ja Seide, und Gar fermd, auständifh.
Deister Jadra. ar Band, 9
338 IV; lieber bie innere Einrichtung der Geiftbfftte,
— — — — — —
und beyde Theile hingen dann, verwittelſt funfzig "Schleifen
von blauer auslaͤndiſcher Seide und eben fo vieler goldenen
Spangen, zuſammen. Weber dieſes innere Zelt war eine Decke
von Ziegenfell gezogen, die um zwey Eilen länger war, als
das Zelt ſelbſt: fo, daß dieſe zwey Ellen auf Die Erde herab Hinz
gen. Auch war die Decke um vier Ellen breiter als das Zelt, ;
von denen zwey Ellen über einander gefchlagen wurden, unb--
ebenfalls frey herunter hingen; 5
1 Vor dem Allerheiligften, d. h. vor dem Orte, wo Die J
Bundes lade ſtand, war ein Vorhang von blauer, purpur / und
hechrother Seide, an vier von Schittimholz mit Gold belegten -
Säulen -befeftigt. Die Säulen felbft ruheten auf: ſilberuen
Füßen. Außerhalb des Vorhanges ftand der Leuchter auf der: .
noͤrdlichen, der Tiſch auf der füblichen Seite, der innere Brand»
altar zwiſchen beyden, etwas mehr nach Weſten zu. rd
Nachdem ich. Ihnen nun den Apparat beſchrieben habe,
will ich fo frey feyn, Sie auf einige Wirkungen deſelben ‚uf
merkſam zu machen.
Erſtlich brauchte kein Küchenfener auf den Brandaltar ger .
beacht zu werden, um das Opferholz anzuzänden; fondern &6::,
zandete ſich ſtets ſelbſt an durch einen Funken, der aus dem
Deckel der Bundeslade zwiſchen den Cherubim hervorquoll,
und ſich auf dem Altar entladete. Ja, Kohlen oder fonft
Feuer — einen ftärken Leiter — in das Alerheiligfte zu bein,
get, war Außerft ſtreng verboten, und .die beyden Söhne
Arons, Nadab und. Abihu, wurden das Opfer dieſer
Ahwerfüßtigkeit: · Die brachten fremdes Feuer in das Aller⸗
halligſto, und fielen, vom: Vlitz ſtrahl getroffen, mit unverſeht⸗
tem Körper. todt zu Boden.’ (3. Moſ. 10, 1. f.)
’
IV. Weber die innere Einrichtung der Stiftshatte. 339
nn
= Um nun Ahnlichen Unfällen vorguseugen;. und aͤberhaupt
mehr Behutſamkeit zu empfehlen, wurde felbf dem Hohen»
priefter uutetſagt, täglich in das Allerheiligfte zu gehen... Nur
einmal des Jahres, am Verfühnungstage, war ihm der Zus
tritt verftättet, und auch da nur mit Ablegung alles auf feinem.
Ornate befindlihen Goldſchmucke s, bloß in einer einfachen
leinenen Kleidung, die, wie alle Kleider der Iſraeliten, durch
blane Fäden ifoliet war. (3. Mof. 17, 1— 14.)
So fehr aber alles diefes einem efefteifchen Apparat Ahne
lich ſieht, in weichem Reibezeug, Leidner Flaſche allgemeiner
Auslader und Konduetor kaum zu verkennen find; fo wenig fine
det ſich doch eine Spur von einem Ibioelektrifchen Körper, der
gerieben wurde. Und doch muß einer vorhanden gemefen feyn,
da in.dem zwepten, zu Cyrus Zeiten, erbauten Tempel das
Allerheiligſte volllommen nad der Vorſchrift Mofis verfercige
murde, und die Hauptivirfung der Bundeslade deunoch auss
blieb. Kein heiliges Feuer firdmte mehr von den Cherubim
aus, und auͤndete das Opferholz.auf dem Altar an. Mach den
Talmudiſten und der Tradition hatte der Prophet Jeremias
dies heilige Feuer anf dem Wege zur Wanderſchaft nach Bas
bylon verborgen: fo daß es, ob man gleich den Ort gewußt,
wo er es verborgen hatte, doch bey ber Erbauung des zweyten⸗
Tempels nicht mehr zu finden war. Dies gab die erſte Veran⸗
laſſung, daß ich Im einundziwanzigften Werfe das Wort Han
eduth durch das Bemußte Überfegte. Denn mögen auch
immer in der Bundeelade die Geſetztafeln gelegen haben, ges
wahnliche Bildhaueratbein waren ſie Richt, da alle Buch ſtaben
wie die Dhanaim behaupten, frey ſchwebten: ein Umſtand,
der mu durch Eleltrickat ober Magnetisnrus bewerkſtelligt wer ⸗
den Bar. Auch dieſe Tafeln fehlten. bey dem gwepten. Tempels
93
340 IV. Ueber die tumere Einrichtung der Srifeöhätte,
—— — — — — —
und es waren dahet de w aß te Tafeln, die man nicht fo leicht
nachmachen konnte.
Dog aber die Elektricitaͤt aus det Luſt abgeleitet wurde,
and dazu, in der Mofaifhen Stiftshtte, die zwey Elen her⸗
abhangender Ziegenfelle, als Clektrophor, and im Salomonb
ſchen Tempel, die vom Herrn Ritter Michaelis erwähnten
Gpigen, gute Dienfte leiften konnten, iſt mir erſtlich aus der
erftaunfichen Wirkung, die fle an dem Kindern Arons bewies,
als auch ans folgenden Werfen wahrfcheinlich.
„Als nun Mofes das Werk vollendet hatte, bedeckte die
Wolke das Stiftzelt, und die-SHerrlichkett des Eigen erfühte
die Wohnung. Mofe Konnte nicht hineingehen, denn die Wolke
ruhete daranf, und die Hertlichkeit des Ewigen erfüllte die "
Wohnung. — Des Tages war eine Wolfe des Ewigen auf der
Wohnung, und des Nachts feuchtete ein Feuer darin, vor
den Augen des ganzen Haufes Iſrael und Ihren. Zügen. ’’
(3, Moſ. 40, 3347-38.)
Wen das Erperiment mit dem icltſchen Drachen nicht
unbekannt iſt, wird die Erläuterung der vorigen Verſe eben’ fo
wenig von mie verlangen, ‚als den Grund zu folgenden Verſen.
nAlfo geſchah es, daß des Tages die Wolfe, und des
Nachts die Geſtalt des Feuers fie bedeckte; und nachdem die
Wolfe ſich aufhub · von der Hutte, fo zogen bie Kinder Iſrael
weiter, und an welchem Orte die Wolke blieb, da lagerten w
die Kinder Iſtael.“ (4 Moſ. 9, 16°)
Um Sie no anf eine oder die andere Wirkung aufmert⸗
ſam zu machen, bitte ich · Sie das fünfte and ſechſte Kapitel im
erſten Buche Samuel nachzuſchlagen, wo Son -ber Gefangene
ſchaft der Bundeslade die Rede iſt, md wo Im Grundterte
überall, nicht wie Lucher uͤberſetzt, dine Hetmliche Plage,
IV. Ueber die innere Einrichtung der Stiftshuütte. Ud.
— — — — —
fondern ein Brennen erwähnt wird, welches gerade die Em⸗
pfindung bezeichnet, die der Elektricität ungemwohnte Leute bey
einem Schlage ans der Leidner Flaſche zu verſpuͤren glauben.
Ehen fo bitte ich Sie folgende Verſe zu beherzigen. „Und
da fie kamen zur Tennen Nachon, griff Uſa zu, pub hielt die
Lade Gottes; denn die Rinder traten bey Seite aus. Da er⸗
grimmte des Hexen Born. Über. Uſa, und Zehova fchlug ihn
daſelbſt um feines Frevels Willen, daß er daſelbſt farb bey der
Lade Gottes.” (2. Sam. c. 5,6)
Dies find alle Data, die mir befannt find, und dazu dies
nen Einen, meine Muthmaßung zu unterftügen. Wie wahr
ſcqheialich es dadurch geworden iſt, daß die Eiektsleitat ſchon
u Meſes Keiten bekanut geweſen ſey, will ich nicht entſcheiden.
Wahrſch eialicher wenigſtens kommt mir dies vor, als bie Bes
- Baupfung eines gemiffen Erjefulten, daß der Pater Jeſuit
Boskowit ſch in feinem Lehrbuche ſchon langſt Kants,
Lamberts und Herſchels Theorien des Himmels vorge⸗
tragen habe, weil er den Satz, den niemand vor ihm wußte,
aufſtellt, daß — a höre es, Welt, und erſtaune! — daß bie
Eigene — feine Planeten find! Sch bin ıc.
‚Berlin, :
' ° ; & Bendadid.
93
342° vV. Meber Liedland.
u eber Lievland.
— 1
Vierter Brief, von &.
Die vorzäglihften Handelsartikel, ‚größtentheils zum aueꝛ
waͤrtigen Bertrieb beſtimmt, ſind Setreide, Leinſaamen,
Blade, Hanf, Maſten u. ſ. w. Den auſehnlichſten Theil
dieſer Produkte liefert das ehemalige Polen. Die Herbeiſchaf⸗
fung derfelben geſthieht zu Anfange des Fruͤhjahes auf Barken,
die bier Struſen heißen, oder auf Floͤßen, die die Düna her⸗
unter kommen; im Winter auf Schlitten. Die Fahkt auf der
Dana, oberhalb Niga, iſt einigen Schwierigkeiten untbewor⸗
fen, indem Zetstlippen, die im Waſſer verborgen liegen, den
Barken gefährlich find; man hat Verſuche gemacht, die Steine
wm fprengen, ob aber der Erfolg den Erwartungen entſyricht,
weiß Ich nicht, da ich nicht Gelegenheit gehabt, diefe Gegenden
au bereiſen; man hat mir zwar verfichert, daß durch das Sprens
gen Felsſtuͤcke in das Fahrwaſſer geworfen find, wodurch bie
Schwierigkeiten der Fahrt vermehrt worden, indeffen will ich
diefe Nachrichten nicht für gewiß ausgeben.
Es gab fonft mehrere wohlhabende Handlungshäufer in
Riga, aber feit mehreren Jahren haben anfehnliche Häufer
Bankerotte gemacht, wozu der entferntere Grund in der Eins
führung des neuen Zolltarifs liegen mag.
V. Ueber Liebland. 8 |
Die Kultur der Einwohner iſt zu einem ziemlich hohen
“Grade gediehen; fie erſtreckt ſich bis auf die niedere Klaſſe von
Menfchen. Wahre Auftlärung herrſcht freilich nicht fo allge⸗
mein; aber wo finder man diefe? man wird alfo auch nicht
erwarten Finnen, daß Riga ausſchließlich Im Beſitz derſelben
ſeyn follte. Sndeffen findet man verhaͤltnißmaͤßig in Riga
mehr aufgeflärte Menſchen, als in irgend einem andern Orte.
Inſonderheit zeichnet fih der Kaufmann in dieſer Hinſicht anf
eine ſehr vortheilhafte Art aus: einen Theil der Zeit, die von
ſeinen Gefchäften Abrig Bleißt, wendet er zur Lektuͤre und andern
"nügfichen Befchäftigätigen an. Er laßt es aber nicht blos am
Wiſſen bewenden; ſondern handelt auch. Menfchen, bie durch
Ungfiretsfälte in üble Lagen verſetzt worden, werden thätig uns
terſtuͤtt; dieſes geſthleht vhne Praßlerei, und ofe im Stillen,
Kurz, es herrſcht in Riga ein Ton, der felbft den Menſchen⸗
haſſer mit 'der Meenfehhele ausſohnen Eönnte: freilich giebt es
Ausnahmen, die leider einen haͤßlichen Schatten auf das Ganje
werfen, aber man kann zufrieden feyn, wenn mehr Licht als
Schatten da Ift."" Das Charakteriſtiſche der Einwohner Riga’s
überhaupt iſt, daß fie gaffrei, offen, dienſtfertig find)
und einen großen Hang zum Wohlleben und Wergnägungen
Haben. Man findet vielleicht felten an einem Orte von dieſet
Größe fo manniczfaltige Gelegenheiten, um diefen Hang zu
befriedigen, als hler; die Kaffeehäufer, Weinhaͤuſer werden
ſehr Meißig beſucht, inbeſſen geht man nicht hin, um blos den
Gaumen zu Eigeln, ſondern auch um die Zeit in einem Zirkel
von gebildeten Menſchen auf eine nügliche und zugleich ange:
nehme Art zuzubringen. Ein gut eingerichtetes Theater, Muse
von verfchiedenen Gattungen, Pidenids, Bälle, kurz ale
mögliche Arten von Veluſtigungen find hier anzutreffen. Untet
94
V. Ueber Liedland.
— — re — —
den Klubs zeichnete ich ſonſt die fogenannte Muße aus, deren
Mitglieder aus dem gebildeteſten Theil der Einwohner beſtan⸗
den. — Die Schulanſtalten ſind wicht übel: es giebt Schal⸗
lehrer, die würdig find dieſes richtige Amt zu verwalten. Aufe
fer den öffentlichen Schulen, giebt es noch Penfionsanfalteg,
Anfonderheit für junge Fräuenzimmen ‚Ueber den Werth. dere
felben läßt fich fein beſtimmtes Urtheil, fällen. So viel if ges
wiß, daß auch diefe Anſtalten, fo wie. alles in der Welt, einen
Verbeſſerung bedirfen ; indeſſen gewinnt die Erriehungsart vom
Zelt zu Zeit in Riga ein befferes Anfehen; man entferne ſich je
mehr und mehr von Steifheit, das Veſtreben aus allen Kin⸗
dern Gelehrte. bilden zw wollen, findet man bier, zum Theil
lUacherlich, und nach und nach wird dieſe Pedanterei gaͤnꝛlich
eufhoͤren. Es ik nur Schade, daß die ſo gluͤckliche Mittel⸗
ſtaße verfehlt wird; deun auf der andern. Seite wird zu wenig
gethan, das Xeußere wird polirt, darin fegt man einen fa
weſentlichen Vorzug, daß man's bel.wmeitem für.die Haupt ⸗
ſache hält,
Deffentlihe Bordelle werden in in der ESrau ng geduleg,
deſto mehr findet mas dieſes Lehel ‚In den Borftädten. Die Luſ⸗
mädchen werben verhaͤltnißmaͤßig beſſer bezahlt, als anderswg,
welches auch ſchon in Mietau, Liebau, Memel und Königsberg
bekannt ift, woher die mehrſten Geſchoͤpfe diefer Act nach Riga
kommen. Die Königsbergfchen Fuhrleute find die gewoͤhnlichen
Kommiffionäre diefer verderblichen Waare; felten komme .eie
. Bubrmannsiwagen nach Riga, der nicht ‚eine oder mehrere ſol⸗
Ger elenden Kreaturen. gıit fich führte, ‚Die- Mädchen, die au
benannten Orten eine Reihe von Jahren dieſes ſchaͤndliche
Handwerk getrieben, fpielen Gier die Betrogenen, die Vers
fahrten, und ziehen durch ka Kunſtgtiffe die unerfahrne Zur
V. Ueber Liesland. 34
— — — —
„gend. an ſich, die endlich mit Verluſt ihres Vermögens und
tihrer Geſundheit einfehen lernt, daß fle betrogen ſey.
Die Leichname der Verſtorbenen werden hier außerhalb ber
Stadt begraben, weldes ein nachahmungswuͤrdiger Gebrauch
iſt; man iſt indeſſen in diefer Hinficht noch nicht Über ale Vor⸗
urtheile hinweg, es finden noch Begräßniffe mit vielem Pruuf
Statt „;infonberheit. geſchieht diefes, menu jemand ſtirbt, ber
au. einer yon den dafigen-Garden.gehärte. Die Gardiſten bes
gleiten eine ſolche Leiche in vblliger Untform, mit alem Por,
„ber beim Militair gebräuchlich iſt. Sie können ſich s vorſtellen,
daß dies hier ſehr in's Laͤcherliche kaͤllt; iadeſſen thun ſich die
nrigiſchen Einwohner, freilich nicht alle, doch ein Theil derſelben,
darauf viel, zu gute. Es giebt nämlich zweierlei Garden, hie
blaue und die grüne. Die Benennung rührt von der darbe der
Adde her. Zu der erferen gehören unverheirathete Kaufleute
und Kaufdiener, zu der legteren verhelrathete Kaufleute, und
Profeffioniften. Diefe Garden ziehen einmal im Jahr durch
die Straßen zu Pferde. Die Wachen treten In’s Gewehr, und
‚geben, wie man's nennt, die Houneurs ab, welcht aber nicht
‚bie Gardiſten gelten, fonbern ihre Standarte. Einen koml⸗
ſcheren Aufzug kann man nicht leicht au ſehen bekommen: Leute,
bie das ganze Jahr hindurch bei der Elle und in der Werkſtatt
ſich Reif geſtanden und geſeſſen haben, fteigen num zu Pferde,
die fie eben fo wenig zu regieren verſtehen, als ſich feldft, und
der Gutwuͤthigkeit diefer Tpiere es zu verdanken Haben, daß
Me nicht Hals und Mein brechen. Bach heendigtem Ritt (aus
fen die jungen &tuges unter ihnen, wie unfinnig in den Straf
fen herum, um ſich Ihren Duleineen in der Montur zu zeigen.
Sonſt gab es hier eiftige Freimaurer, die aber fo wenig
frei, waren, deß die zwei Bogen, nämlich bie Apollo « und
\ 95
346 V. Ueber Lievland.
Schwerd⸗ Loge, mit einander nie ſtimmten. Die Brader, Be
zu der einen Loge gehörten, flicheften gelegentlich auf die, weiche
die andere befuchten, und fo umgekehrt. Nachdem bie Kaiferin
Katharina alle Logen aufgehoben hat, fo glaube ich wohl, dag
die rigifchen eben daffelbe Schickſal werden ‚gehabt haben, und’
daß daducch allem Streit werde ein Ende gemacht feyn. Die
"Brüder der Schwerbloge errichteten vor. mehreren Jahren eine
Säule, worin eine beſtimmte Anzahl armer Kinder uentgelbs
lich unterhalten und unterrichtet wurden, und dafür Finnen le
auf den wärmften Dank jedes Reblichgefinnten rechnen. In⸗
deſſen Haben fie dieſes nicht als Maurer gethan, fordern als
Menſchen, deren Pflicht es ift Menſchenwohl zu befördern,
ohne zu irgend einer Sekte oder Parthei zu gehören.
Der jegige Kalſer Hat die von Katharina eingefuhtte
Rechtsform in Riga abgefchafft, weiches mir leid thut, indem
“ih glaube; daß es kaum eine beſſere Form geben koͤnne, als die’
abgeſchaffte war; ‘daß er das Gewiſſensgericht aufgehö⸗
ben habe, laßt ſich bezweifeln, da diefes Gericht eins: der vor⸗
-treflichften iſt, das unter dem Monde eriftirt. Ich würde es
'ile’nie vergeben koͤnnen, baräber nichts zu-fagen. Es beſteht
aus einem immerwährenden Präfidenten, zwei Beifigern ans
"dern Abel,’ zwei aus dem Buͤrgerſtande, und zwei aus dem
Landvolk. Die Beifiger werden alle drei Jahr gewaͤhlt; folls
ten alfo unmwürdige geroäßft worden feyn, ſo iſt es doch nur auf
"eine kurze Zeit, nach deren Verlauf andre gewählt werden koͤn⸗
nen,‘ Indeſſen fäße es fid nicht erwarten, daß ganz unwüt ⸗
dige Menſchen dazu gewaͤhlt werden, da ein jeder der Wähler
den ſich den Fall'als möglich denken kann, vor dieſem Gericht
entweder als Kläger oder Beklagter zu erſcheinen; und wer
wuͤnſcht nicht gute Menſchen zu Nichtern zu haben? mithik
V. Ueber Lievland. 347
— — — — —
faut gewoͤhnlich die Wahl auf Menſchen, Me von einer guten
Seite bekannt ſind. DerNiäger oder der Beklagte, er, gehöre
(gu einen Stande, zu welchem er wolle, hat mit feines Glel⸗
hen zu thun, zu dem er in ber Megel mehr Zutrauen haben
kann, als zu Perfonen, die entweder mehr oder weniger find,
‘als er ſelbſt. Die Mitglieder dieſes Berichte werden. um ſo
umpartheyiſcher zu’ Weite gehen, da -e ſich die Möglichteit
denken konnen/ in der Zukimft als Pattheien vor deren / zuirr ⸗
ſcheinen,: deren Richter fie jetzt find. Alle Streitigkeiten gehd⸗
ven vor dieſes Forum, felbft · Verbrechen, die durch einen Zu⸗
fammenfluß "son Umſtanden veranlaßt werden. Ein jeder, er
ehe‘ auf der hoͤchſten oder der niedtigſten · Stufe im Staute,
muß ſich · vor bieles Goricht ſtellen, und zwat ·porſonlich // micht
etwa durch Bevollmaͤchtigte. Wenn man Forderungen an Je—
manden Sat, die nicht ſchriftlirh datgethan wetden kounen, ſd
tan man ihn vor dieſes Gericht ainladen. Sporteln add
andte Erpreffungen werden nicht geſtattet der “Prozeß 'rbird
unentgeldlich geflhet. Die Pflicht der Nichter iſt, die Din
thelen durch Vernunftgruͤnde jü Aberzeugen, und fie zum Vre⸗
‚gleich zu bewegen; find die Streitenden zu heftig, ſo werden
Mittelsperfanen, die eine jede Parthei aus Iren Freunden,
die nicht in dieſem Bericht fipen, ſich wählen darf, angenoin⸗
men, ehe denn: eher, da fie kaltblatiger die Sache behan⸗
deln, zn Vergleich zu bringen find, Gelingt es den Richtern
nicht die "Partheien ju vergleichen, "To Hört der Prozeß af,
“und die Streitenden werden ‘an andre: Gerichte gewieſen, die
"alsdann entiheiden, wie Net ift von Rechtswegen.
Dndeſſen erreichen die Nichter in bein mehrften Fällen ihren
Zweck, und: es wird dadurch vielen Uebeln, die as laugwie⸗
s“ V. Weber Lietzland.
— — — —
"eigen Prozeflen entſteben, vorgebeugt. Die Vexrtheidigung der
Unmuͤndigen, die ein Verbrechen begangen haben, muß dieſes
‚Gericht ebenfalls Abernebmen. Wenn Jemand arretitt worden,
und in drey Tagen nicht verhoͤrt wird, ſo hat: dag Gewiſſens⸗
Gericht das Recht, ibn, ſobald er demſelhen davon Nachricht
ertheilt, aus dem Arreſt zu befpeien, ſobald der. Eingezogene
nicht des Hochs oder andesverraths Mordes, Raͤuberel und
Dirbſtahls ſich ſchuldig gemacht... Ueberhaupt iſt diaſes Gericht
rine wahne Aegide vor dem Deſpotismus der. Großen, die mit
dieſer Einrichtung eben nicht ſehr zufrieden np. >.
Die Poltzeianſtalten find. nicht. ganz ſchlecht. Von Bett⸗
lern wich man nicht angefallen, wie, es wohl an Orten ge⸗
Fendt, die mit ihren Polizeianſtelten proßlen. Ein Reder,
der aularhalb Landes. teilen will, tan, es dreimal in. den In⸗
telligengblätzern . hefannt machen laſſen, ſonſt, wird ihm der
Das verweigert. Dieſe Cinrichtung iſt ſoͤbllch, und es kann ſich
nicht Teiche ein Ball creiguen, daß,ein Schaldner davon geht,
ebne feine, Glaudiger befriepige ag Haben. An der Gränge muß
. an Jeder, der: aus ruſſiſchen Staaten koͤmmt, einen ſolchen
Daß ‚vorzeigen, ſouſt wird er. unter Keiner Bedingung fortge
hoffen, - er muß ohne weitere Umſtaͤnde wieder zuruͤck. Kein
Befehl wird wohl.fo.:fireuge beobachtet, als dieſer: es iſt weit
leichter zu fontsehandigen, ale ohne Pafı fortzufonmmen.
u: Ahr wird im Herbſt, außerhalb der Veſtung, dreis
wel Markt gehalten, der unter dem Namen Hunger + Kumr
mer bekannt iſt. ‚Woher eigentlich, diefe Benennung rühren
moͤge, konnte ich nicht erfahren; mas ich danon weiß, iſt dies
:fes. Es ſolle nämlich zu irgend einer Seit. eine Hungersnoth in
Riga geherrſcht Habens. die Beger faßten den großmuͤthigen
V— ueber Lieblaud. 39
Entſchluß, den Armen an beftimmten Tagen unentgeldlich
Brod zu geben, und zum Andenfen biefer edlen Handlung
wurde die Erlaubniß zu diefen Markttagen bewilligt «).
Bor tehreren Jahren Hatte ich Gelegenheit, in. Riga
einige Samojeden zu fehen, die mit Rennthieren dahin gefoms
men waren; diefe Menfchen unterfcheiden fi von den Thieren
faft durch weiter nichts, als daß fie aufrecht gehen, und brav
Branntwein faufen können. Ihre Vaterlandsliebe geht fo weit,
daß · fie unter Feiner Bedingung von den. Ihrigen entfernt zu
leben ſich entfhließen Finnen. Man fragte einen von den Gas
wmojeden indem man ihm ein Bierglas voll Branntwein anbot,
ob er wohl in Riga bleiben möchte, er follte fo viel Branntwein
zu trinken befommen , als er nur wuͤnſche? Er verfiherte, daß
ihn nichts- dazu bewegen koͤnne. Diefe Menfchenfiguren ſad
klein, unanſehnlich, haben Eleine Augen, einen dünnen Bart,
aber ſchöne weiße Zaͤhne; fie tragen Kleidungen von Rennthier⸗
fellen, die fo verfertigt find, daß Rod, Muͤtze und Handſchuh
aus einem Stuͤck beſtehen. Die Kennthiere vertragen das waͤr⸗
mere Klima nicht; man hat Verfuche gemacht, fie den Som ⸗
mer hindurch in diefen Gegenden zw erhalten, indeffen iſt es
nicht gelungen.
2) ©. Hrn. Brandes Aber Miga Im are Jahesanse dieſer Zeitichit.
350 v1. ‚Elegie von P. Lotich.
VI.
Elegie von P. Lotich *).
Erſtes Buch, achte Elegie.
J Or, den Lüften ein Spiel, auch wieder mit den Gewoͤlken
Meine Klagen verwehn — o fie find dennoch gerecht!
Hört fie dann, Wälder, aufs neu’, und sinn’ in ber ſchaͤu⸗
. . menden Elbe
‘ Bluten,, o Chraͤnenſtrom, wieder aufs neue hinab!
..5 Denn die geänsflete Bruſt semeiffen herbere Schmerzen,
und Fein troͤſtender Freund, leihet der Klage fein Ohr.
Lauſchet, Buchen, ihr dann, und laufcht, Geſtaͤude des Haines!
Hallet, Küfte, fie mir von den Gebirgen zuriick!
Welches Verbrechen beging ich, daß mein fo bitter Die Gottheit
„o Zürnet, welches Geſtirn leuchtete meiner Beburt? —
2) Di Lori war 1528 im Hanauiſchen geboren, wo feine Eitern
vom Aderbau lebten. Gein Waterbeuder, dem er feine erſte Eriiehung
Dantt, war Abe des Venedietinertioſters in Schtachtern. Im Jade 1544
ging er mach Marpurg, bald danauf aber nach Wittenberg, wohin der Ruf
Welanhtfogd und Kamerarius, weiche dort lehrten, von allen Orten
Studirende zos. WIB 1546 der ſchmaitaldiſche Krieg ausbrach, 109 ſich Mes
iaachthon In Begieitung feiner Schuler, unter denen ih Lotich Sefand,
mac Magdeburg zurac. Aber auch Hier bileb eb nicht Lange tubig. Mer
lanchthon verlieh Magdeburg twieder; Lotich aber blieb mir wenigen Breuns
den zuruc, ergeif Die Wahlen, und vertdeidigte fein MWateriand gegen
Karl V. — 60 viel wird zue Erläuterung diefer Eiesie bintängtich ſevn,
die im tiefen Gchimerg Über Die Gräuel jened Krieges und feine Indivibuene
Bage gefchrieben IR.
VE Elegie ‚von P. gotic. 351
Ich, ein friedlicher Jünger Apollons, weicher noch zuͤngſtens
Bor der Drommete Klang bebt’ und dem Laͤrmen bes Kricas,
Creibe, nachdem ich kaum ſah zwanzig Lenze verblühen,
In des ſtuͤrmiſchen Mars drohenden Wogen herum.
15 Gehe, die fhwache Seit’ umgärtetmit ſchrecklichem Schwerdte,
Waffe oft mit dem Schwerbt meine gereiiete Hand,
Lüge rauhe Sitten, begehre gefürchtet‘ zu werden,
Und mit finfterem Blick fehreck” ich den Yeahenden weg.
Darum, o theure Eltern, gebeugt vom Alter, und Oheim
20 Mit ergrauendem Haupt, darum entwand ich mich euch,
Daß ich, meinem Verein mit den heiligen Rufen entfagend,
‚Mich in die große Schaar mifchete, die fie nicht kennt.
Haͤtte mir jemand dies beim Abfchied neulich geweiffagt:
Waffen zu ſchwingen eilt du in das frembe Gefildt
as Nun dann, hätt'-ich geſprochen, dann ſteigſt du auch in die
— verbotuen
Wellen des weſtlichen Meers, Arktos, vom Pole herab. —
Taucht parshafifche Stern’ euch mun in Die fehimmernde Welle,
Denn in der fremden Flur fhwing’ ich die Waffen anitzt.
D geliebten Freunde, die ihr mich beweinet, o möge
30 Mein unfreundlich Geſchick warnende Lehre euch ſeyn.
Seid iht weife, wohlan ſo gedeukt der Wandlung des Schickfals,
Lachelt die Sonn’ auch ist, Wolken verhüllen fie bald!
Süß, o Mufen, if mir der feligen Zeiten Erinneung,
Wo noch jegliche Flur Ruhe des Friedens umfing; “
35. 180 bei gärtlichens Reigen noch frohe Lieder ertöntens
«Keine gelämpfte Schlacht Stoff in Gefängen verlich.
Schmach bes Caſar, woher, o Hunnen? — Was tränfet der
braune
Sohn Zoeria’s fich aus dem arktoifchen Strom? —
. Mögen die Rächerinnen, die ſchwatzen Erinnpen; ewig
40 Pit, mad wer Du auch ſeyſt, folgen aum Lohn bes Verraths,
353 VL Elegie don P. Lotich.
Dir, der bie friebliche Ruhe des Volks dutch Furien ſtören
Ließ, und dieſe Schaar feinen Geſchwadern verband. "
Ha! mein Fluch wird erfüllt, es nickten Die Wipfel der Eichen,
und ber erhabene Wald rauſchet' Erfüllung mir zu.
45 Bar dir, ald du ur Schmach, ju des Daterlandes Ruine
Stürstek, das heimifche Schwerdt nicht sum Verbrechen
genug?
Schauer burchbebt mein innerftes Mark; et bintet dad Herz
mir, ©
Gührt die Erinnerung , was ich erblickte zurd.
Wehe wie lechtt iht nach auſerm Blut mit gesogenem Schwerdtet
so Welche Mordſucht tobt euch in der raſenden Gruß!
Haͤrterem, als bem Tod’, erbeben die züchtigen Jungftauu
Und entfichen; es fliehn Mütter den Säugling im Arm.
Ady, wenn durch pfablofe Wege fie lenken bie sitternden Zritte?
Schreckt fie das Lüftchen, das fich hinter den Mandeln
den regt.
55 Ach, wenn im Wipfel des Hains die Blätter rauſchen, fo fürchtet
Diefer, es folge ſchon hinter den Berfen der Feind.
Keifige Truppe ſchwaͤrmen umher ans fernen Gefllden,
Und-den Pfad, ben ſie gehn, zeichnet Erſchlagener Blut.
Flammen eutlodern dem Feld' und den Wipfeln ummaldeter
"Berges
“© Ehern it deffen Bruft, welcher darob nicht erbebt,
Aber wem von der Warte die Kriegsdrommete das Zeichen
Gab, und die Trommel dumpf wirbelt, bie Zinke beginnt;
Auf zu den waren ‚ ertönet dann lautes Gefchrei, zu ben
Waffen,
Und von den Manern ruft alles: bie Feinde find bat
„65 Wles: bie Geinde ſind dat — Von mächtigem Seſchoſſe ber
fluͤgelt
> Kreuzen aldbanı in der Luft eherne Klumpen une.
gen
VI Eiegie von P. Lotich. 353
nn nn
Fort nun Kürmen die Krieger; fo ſtuͤtzen von hohem Gebirge
Keulet, fliehend den Biß wuͤtender Doggen hinab,
Denn der gerechteſte Schmerz befeuert den Born, and den
: . Muth ſtaͤrkt
vo Junres Gefühl; bie Wuth Hählet die Nerven des Arms,
Aber ber feige Hunne; fobald er die Krieger gewahrte
Spornet die Roſſe, verhängt ihnen bie Zügel, und fleucht.
Zu dem Himmel erheben van Staub ſich ſchattende Wolken,
und die Erd’ erbebt unter den Schlägen des Hufs.
95 Kraftlos kehren die Mütter zuruͤck und die ſchuͤchternen Jung ⸗
’ fraun
Ob die mallende Saat ober der Hain fie verbarg,
Dann erblicten fie, ad! die rauchenden Dächer des Weilers
Und von ihnen firebt Feine zu Iäfchen den Brand;
Sondern, als möchte biefer die lodernde Flamme besähmen
80 Rinnet der Thränenftrom ihnen die Wangen hinab,
Den unmenſchlichen Feind mit Fluch zu verfolgen nur Dies bleibt,
Wenn fie alles gebüßt, ihnen die einzige Luft,
Ernſt verfharten fie bann die zerriff’nen Glieder, die Leiber,
Die auf den Aeckern zerfireut liegen in heimifcher Flur.
a Gluͤcliche Seelen! Euch ward nun Fried’, in bed Waserlande
Scharfe ‚
Schlummert ihr ruhig, für das ihr nicht zu ferben
J geſcheut.
Uns, in fliehender Hoffnung umthuͤrmen bie Graͤbet ber ohren,
Und in des Krieges Noth haͤtmt ſich noch unfere Gruſt.
Ach indeffen entfliehet die theute Zeit, fie entfliehet,
9” Und if fie einmal dahin, kehret fie nimmer zuruͤck! —
Alſo ümkrängt die Schläfen mir wie Der Joniſche Lorbeet,
Nimmer fing’ ich ein Lieb, werth ber Seweihten Apoils /
Miber auch Dies Cdenn Herberes trug ich fehon) will ich ertragen
Wenn im Kriege nur nicht größere Noch anf mich harrt.
eitter Zades. aier Vand. 3
354 VI. Elegie von P. Lotich.
— — — — —
95 Wehe mir, welcher Ruf erſchallt wurde von den Klüften?
Vorbedeutend ertönt’s mir von den Felſen: fie harrt!
Ale Freud’ if dahin! Nur Trauer verkündet und alles
Was auch das Schickſal droht, bitterer ift es gewiß.
Ja ein Schreckbild ſagte mir dies in der geſtrigen Nacht an,
100 Und es deutete mir Diefes der Eufe Geheul. —
Aber empfang’, o Baum, von unferm Kummer dies Denkmal,
Wenige Züge nur naͤhr' in dem machfenden Stamm,
Daß der Voräbergehend’ in deiner grilnenden Rinde .
Leſe welche Zeit ich in den Waffen verweint:
205 Und die Kräuter, belehrt vom fücht'gen Gluͤcke, mit feinen
Cbraͤnen beneg’ , auf die öfters die meinige rann.
Doch was Elag’ ich Armer! Der Elbe fhäumende Wogen
Fluten dem Orean, nichtige Klagen, auch zu.
Dennoch, o dennoch will ich Die Klagen immer erneuen,
are Dann wenn der Krieg verſtummt, dann hur verſtummet
auch ihr!
S..... u.
vin
Die Werannfa
Eine Satyrk
= FRE
Ö göttliche Vernunft, iso biR du bingefiohn?
Klingt unterm Monde noch beim leichtverhoͤrter Toil /
Beſuchſt dur irgend wo nach ſtille Hutten,
Bewohnt von ſchlichtem Sinn und umverborb nen Sittet,
Bo einen Karſt das Kind in kleiner Rechte wägt, *
Und nicht nach Trommiel aur, Soouton und Degen Trägt?
O Goͤttin; machſt verkleidet Du nach wo
Ein arm Kartoffelmahl durch driae Nebe floh;
So lifple mit den Ott, und Inf bei Dir mich wohnen;
Und deinen Lieblingen, ob auch in fernen Zouen.
Einf als der junge Menfch im Walde nackend lieh;
Vom Quell trank, Wurzeln af, und Wiederhallen rief, -
Da ſandt ein Gott ihm dich, und du erzegſt in. Haiken,
Am Waſſerfall, im Thal, den unſchuldevollen Kleinen,
m Kind, ſoracheſt du, die Eichel, die bie ice
ir Dich Unerfahrenen gewährt hat und-gelegt,
dr IR herbe Koſt. Sieh! Jener Halme Körner
Ernaͤhren ieicht im Lens id Sommer dich / und fernät;
m Wenn du fie (At und ſammleſt; uber bw
Willſt ruhen nur. Ach! Neue folgt der Ruh. —
mer flachen Gteine Paar fol ungenuͤtzt bis bleibend
32
Va Die Vernunft.
— — — — —
m Nein; jene Körner, Kind, muſt du damit jerreiben.
m Dit Staub vereint das Naß, das oft der. Quell bir bat,
n Wnd Feuer härtet Die den Zeig, au Brodt. —
m Die Wursel auch, die du der Erd’ entriffeh,
m Und von der Hand, nur halb gereinist, ch, .
nm Nährt beſſer, mundet beffer dir vielleicht,
„Wenn Feuer fie und Waffer dir erweicdht. — }
n An einem Ort mit Rindern, Böden, Schafen,
m Sab ich dich oft im Kalten Orafe fchlafen,
m Wo du ermübet bliebfl. Kaum ſchirmten, fchauertich
nm Und feucht und ſchlangenvoll, bisweilen Höhlen dich.
m Stredt jener Baum die Zweig’: umfonft gen Himmel?
m Bewohnt unlehrreich fie der Vögel laut. Gewimmel
m Nein; wenn du größer. bi, ſo .helf”. ich bir ihn hau'n,
und deinem Weib” und dir die erſte Huͤtte bau'n.
n Schau, jener Berg, edit son ſchwaͤrglichen Gehoͤlzen,
„VBirgt blank Geheins.ärh.tehre dich: es ſchmelzen;
Ich Hämm’re Säge Dir and Axt und Meiffel draus,
n Und aus der Hütte: wird ein Haus,
an Un das die Heerde han, bie bald dich Nackten kleidet,
m Und Groß und. Klein ernährt, mit vollen Enten weidet.“
So.Iehrtek du, und Feinen Laut verlor i
Des Kuaben unbefangnes Ohr. -
Bald Flaug der Wirkſtatt Schlag, bald muchfen Stäbe’ empor,
Wo Sumpf und Moor gedampft. Wo Lin’ und Panther. brüfiten,
Da fah man Heerden, die die Thäler fuͤllten.
Der Friede fhlif die Genf’, und Kunf frohtraͤlerud bes
Zur Sichel das Metall, das fie der Erd’ eutzog.
Ihr Meufchen konnte nicht Dies ſtille Glied: euch guügem? -
Ruf raſtlos euer Geift in graue Foren: fliegen 1
Warum den Berg hinan? Ein kühler: Ort
Winft hier am Quell — Umſonſt! fie eilen. fort.-
va: Die Vernunft. [71
— — — —
Aus weffen Hand iſt ein der ertte Pfeil geflogen?
Wer ſchwamm, der Erde fatt, zuerſt auf Meereswogen i
Schlug, Jaͤger erſt, bald Moͤrder und Tyrann,
Nimtod zuerſt den fremden Ackermann,
und maͤhte feine Saat, und trieb davon die Heerden
Des Jammernden, um weltberuhmt jn werben?
Wer Öfnete zuerſt der Erde tieffien Schooß,
Und hohlte Gold? Der Chor! Der-Hälle gangerTron
Brad) mit hervor; Neid, Geiz, and Lih, und ihr Geführte ”
Gewalt, mit doppelticharfen GSchwerbte, "
Brach an das Licht, und, fatt der holden Meiſterin
Vernunft, gab ſich der Menſch den Ungeheuern hin.
Bisher ſich gleich, begluͤkte Srüder, -
Horcht' oft der Väter Kreis auf feiner Kinder. Lieder,
Wenn unter Linden rings die große Freundſchaft fang,
und ſich des Abends freut’, auch ohne Becherklang.
Da war Fein Herr, Fein Knecht. Den Hertn Allein, Ber oben "
In Wollen thront, pflegt’ oft ein- Rundgefang zu Toben,
Bald wart die Menfchheit kultivirt;
Bald ward nur Krieg gedacht, nur Krieg geführt,
Bald fah man manches Volk mit tollen Aferandern,
Für dummer Enkel: „Ha! au fernen Landen wandern.
um Geld, und falfche Ehr' und Ruhm
Krat Kortes in den Staub Recht, Treu? und Eigenthum.
Das Thier fichtman ein ähnlich Thier verſchonen, j
Doch raucht ein Menfcheirfähwert:von Menfchen blut, fo lohnen
Den Mörder — zwar nicht Geelentuh; \
Die fendet Nemefis sum Lohn Sofraten zu —
Doch Schranzenlob, und Gold, und Band und Kronen.
AU überall verfchleife zu Thorheit fich
Vernunft, wo nur ber Wälder Dunkel wich.
Der Welten Lauf fol hier des — Menſchen Thun vertůnden
33
ft.) VE Die Vernunft.
Ein hingemordet Schaf hüßt dort des Märhers Günben,
In viyſtiſchem Geſchitt Mat ſelbſt ein Semlat Solb;
Ein — ſchwaͤrmet, eiteln Traͤumen hold.
Den Lehrer ſieht man hier / mit Ruhm, für grode Summen,
Dur Viel zusleich und halb das Enge Kind verdummen,
Ein Beaumarchais heißt fein, Kartuſche heiffen Hug,
Muh Held ein Mörder, weil er Biel’ erſchlus.
Sa, mehr:noch wähnt die Welt, ein Führer wilder Horden
Kun: Anfehg und Verſtand auf feinen Stamm nermarben;
Noch yreifet, gch! der Kirche biinher Sohn
Das todte Formular Religion, .
Des namenlofen Merefchers Name
Wird feinen Kindern noch des Bürgerfrieges Saamer
Der Li fröpne fchlichte Treu', die Weicheit überfchteit
Gewalt mit Stentorſtjmm', und fehleppet in deu Streit
Ein thoͤricht Volk, wenn wa ein Nachbar feiner Rechig
Erkichte Kraft an deu Erſtickern raͤchte.
SM überoR thut faſt die Einge Wels
Nur weierlei: fie tödtet oder Fällt,
- Wohin nur zwei venänftge Weſen zogen,
Beträgt man fchon und wird hetsngen,
Denn dafür ik man King. u
O gattliche Ratur /
Aud du, Vernunft, eutthront von deinen Kind Luktum,
An welchem Südfeekap, in welchen feruen Gruuden,
Sir Dich Die Menfcheit wirberhnben?
Bothe.
VII. Der redende Hut, 339
— — — — —
VIII.
Der redende Hut.
Naghdem Wilhelm Selbig unter den Mädchen feiner Bekannr⸗
ſchaft Hin und Her gewaͤhlt Hatte, blieb er zuletzt gerade bet
einem ftehen, wo man es am alleriwenigften dachte. Leonore
Burgdorf, obgleich von guter Geburt, ſchlen doch nichts an⸗
deres als diefe zu ihrer Empfehlung zu haben; ohne eine befons
dere Schönheit, ohne ein fehr geuͤbtes, ausgebilderes Talent,
endlich beinahe ohne alles Vermögen erreichte fle ihr achtzehntes
Jahr ebenfalls faft ohne Hofnung, mit dem Verdienfte, das
in ihe verborgen lag, jemanden anders afs ſich ſelbſt glüdlich
machen zu können, u
Beſcheidener noch, als die junge erröthende Roſe, bie ih⸗
ven duftenden Bufen Hinter ſchuͤtzenden Blättern verbirgt, ber
Eümmerte fie ſich auch auf ihrem ſtillen Throne um nichts we⸗
niger, als um die Huldigungen der Welt. Zufrieden mit ihrer
Lage, unbeforgt über die Zukunft, verwendete fie den Zeitraum
des Lebens, der ſich in ihrer Gewalt befand, zur Ausbildung
des edelften, gefuͤhlvollſten Herzens, und trachtete dahin, die
Sunftbegengungen des Gluͤcks vielmehr zu verdienen, als zu
erztoingen.
Diefe anſpruchsloſe Duldſamkeit, deren Aruferes ganz
mit dem einer Temperaments / Gleichguͤltigkeit uͤbereinkam, hätte
feicht zu der Muthmaßung verführt, Leonore fühle nichts. ale
was fie gan, unmittelbar beräßre, und auch dies Wenige
B 34
360 VI Der redende Hut.
— — — — — — —
nur leicht und oben hin. Aber bei der mindeſten näheren Be⸗
trachtung erfannte man darin eine gelaffene Schwermuth, die
eben von einer zu Äbertriebenen Empfindlichkeit herrährte, die
ohne einen befonderen Grund und Gegenftand zu haben, ip
auf alles mit ihren Bedürfniffen und Wuͤnſchen bezog, und die
aus einem Herzen firömte, das vielleicht „nur einem Einzigen
geweiht, doch die ganze Welt umfchloß.
Dies fo unglaublich empfindungsyolfe, allen Entzädungen
und Schmerzen der Liebe, der Ehre, und jeder feineren Leidens
ſchaft fo gänzlich aufgeſchloſſene Herz, übergab ſich endlich mit
Kreuden dem jungen Selig, der von demfelben feine kuͤnftige
Glüäctfeeligkeit forderte, Was konnte Leonore wohl anders ver⸗
muthen, als daß Ludwig, was er yon ihr erwarte, ſelbſt au
gewaͤhren entſchloſſen ſei? — Ihrem ganzen weiblichen Stolze
entfagte fie darum, kettete ſich mit unaufloͤslichen Banden an
ren Freund an, machte von feinen Empfindungen ihre Gluͤck⸗
ſeeligleit, ihre Ehre, ihr Lehen abhängig — und nach zwei
Jahren ihres Eheftandes fan fis in ein unverdientes fruͤhzeitiges
Grab, yon einem inneren Wurm zernagt, ein Opfer ihres
eigenen Gefühles. j
Zwei Sabre? füge ih. Mein, fle befand ſich noch in dem
awoͤlf erſten Honigmonden Ihrer neuen und fo fehnlich gewuͤnſch⸗
gen Verbindung, worin fonft die Liebe noch ale Objekte vergol⸗
det, und die trunkene Seele mit Hofnungen einer unvergaͤnglie
hen Dauer befrängt; — da, ereignete ſich etwas — vielleicht
ein nichtsbedeutender Zufall — allein ihr ploͤttzlich verſtimmter
Geiſt hätte fagar. Gift aus. der liehlichſten Blume gefogen —
ohne Klage zehrte fin fih ab, ward bleicher und hinfaͤlliger,
verſchmaͤhte pie Huͤlfsmittel iind Ausſichten der. Zeit und Wezs,
nunft, wieß ſogar ben Troſt ihrer Freunde zuruͤch, und er⸗
VIEL: Der redeude Hut. 361.
ee seen nn 3
loſch ſacht und gelaflen, dem Anſcheine nach jedermann .
sin Kaͤthſel.
Nicht fo ganz für ihren Gemahl. Denn fein Schmerz
fehlen Fury nach ihrem Tode nur gelinde ober vielmehr betäubt,
ward aber immer unmäßiger, and was noch mehr Berdacht
erweckte, fo bekam er zuletzt Anfälle von Wuth, und in den
xuhigeren Zwiſchenraͤumen derſelben ſchien ee ſehr viel zu bes
reuen. — Bas? — blieb ein Geheimniß, das ſeine Freunde
fich vergebens zu enthuͤllen bemüßten; denn niemand hatte vor:
Leonoren eine Klage gehört, und noch niemals ſtarb ein Weil
kun erſten Jahre einer. aus Liebe geſchloſſenen & an einer bloß
Abel n Behandlung ihres Gemahles.
Selbig verlieh endlich die kleine Stadt, in der er bis zu
diefer Zeit fo harmloß gelebt Hatte, und bezog ein Guͤtchen,
das er in einem nicht fehr weit davon entlegenen Dorfe befaßr
‚Hier fing er fehr ernftlich darauf zu finnen an, wie er den eim
gebäßten Frieden wohl am eheſten und ſicherſten wiedererhalten
möchte? Aber wie konnte ihm dies wohl gelingen? Cr map
lediglich mit Gegonſtaͤnden umeingt,, bie Ihn an vergangene Zei
ten und an Leonoren erinnerten, und hätten ſich ja darunteg
fremdartige einbrängen und ihn mit andern Gedanken zerſtreuen
wollen, fo wußte er fie ſchnell zu entfernen. So hätte er feineg
Schwermuth fogern entfagen mögen, und that doch alles, um
f zu nähren,
Berger, unter allen feinen Bekannten ber vertrauteſte und
am meiſten geliebte, hielt es endlich für feine Pflicht, ſich des
Verlaſſenen anzunehmen. Troſt giebt es für ſolche Leiden nup
ſehr wenig, wußte er wohl, aber ein Betruͤbter wird ſchyn
heiterer, wenn er ſich mar nicht allein in der Welt ſieht. Ber
ger umſchwebte feinen Wilhelm ohne Aufhoͤren gleich einem
85
z6⸗ VI. Der tedende Hut,
— — — ——
freundlichen Schutzgeiſt, entfernte ihn beſonders aus der Ge⸗
ſellſchaft feiner eigenen Gedanken, leitete alles ab, was ihn ars
" feiner ſchmerzhafteſten Seite zu Berühren drohte, fand uner⸗
muͤdlich taufenderlei auf, was feine Seele nach einer anderen
Nichtung hinlenkte, und brachte es durch eine kluge Vermi⸗
"fung von heiterem, paſſenden Scherze, und ernſter, theil⸗
nehmender Schwermuth endlich fo weit, daß Selbigs Stirne
won Tage zu Tage ſich mehr aufflärte, Nur gewiſſe Dinge gab
es noch, die ihn zumeilen in feinen erften Unmuth zuruͤckſinken
Heßen. Gewiſſe Erinnerungen mochten damit wahrſcheinlich zus
ſammenhangen. Berger getraute fih nicht, darnach zu fragen.
Mit der Zeit Eonnte jener wohl felöft ein Bedärfniß nach einer
anverfchloffenen, gaͤnzlichen Mittheilung fühlen.
Unter diefen war befonders ein Hut, den Selbig in der
Mitte feines Wohnzimmers aufgehängt hatte, Er war mit einem
tederbuſche geſchmuͤckt, und ſchien, nad) dem goldenen Lage
und den Quäften zu urtheilen, einem Offieiere anzugehören,
Soviel aber Berger wußte, diente fein Freund niemals, und
es ſchwebte Ihm daher zehnmal des Tages eine Frage danach
auf den Rippen; doch hielt ihn die Klugheit und eine gerechte
Beſorgniß zuruck, ev möchte damit vielleicht ſelbſt etwas hoͤchſt
unangenehmes erfahren.
Einige Wochen vergingen auf dieſe Art, ohne daß einer
dem andern damit um fehr vieles näher gekommen wäre, bis
endlich eines Abends, als Selbig den Blick feines Freundes
ohne Unterlaß auf dieſen fo merkwuͤrdigen, ihnen gerade gegens
Aber befindlichen Hut geheftet fand, basBedürfniß eines offenen
Erguſſes immer unmiberftehlicher wurde. Vertraulich faßen’fie
beibe neben einander. Die Heimliche Stille, welche ihre Gt⸗
danken ordnete und berubigte, ladete fie au jener Vereinigung,
VI. Dee redende Hut. 38
— — — — —
der Herzen ein, worin man die Bekummerniſfe des Lebens ent;
weder gänzlich vergißt, oder ie ſelbſt zu Beweggruͤnden von
wiederkehrender Hofnung und Freude macht.
„Du ſiehſt fo ſtarr auf jenen Fleck Hin, Berger, — fing
gelegt Selig an, — was findeft du fo wunderdares daran? *
Hierum gerade möchte ich dich befragen, Wilhelm,“
ser antwortete jener, — „beim febr oft habe ich deine verirr⸗
sen Blicke bis dahin verfolge, Hier feſthangen und unbeweglich
werden, ſich verfidten und bewoͤlken gefehen, und nicht felten
ſchuch an Deiner Wange eine zitternde Thraͤne nieder, — Bas
haß du, theurer, geliebter Freund? und was bedeutet biefte Ger
genſtand, der deine Wunde immer von neuem wieder aufreißt 7
Selbig Hatte es vielleicht erwartet und gehoft, endlich zu
einer. At non Erklärung gezwungen zu werden. Doc) als er
ſich ihr auf einmal ſo nahe erblickte, ſchauderte er vor derſelben,
wie vor einem Abgeunde, zuräh, Doc) ermannte er ih, ließ
gef den hervorbrechenden Thränen einen ungehinderten Lauf,
end ymarmse enblig) feinen verwunderten Freund. — , Diefer
angfädiihe Hut — fagte er, — ift allein Schuld an meinem
Kummer, — denn er Eoftete Leonoren Das Leben.“
Dieſer Hut? — wiederhohlte jenge Außer erſtaunt. —
Sonderbarl“ J J
und doch iſt es fol — In den unſchuldigſten Dingen
liegt ein verborgenes und ſelbſt todtliches Gift, wenn nur das
Sqhiclſaal heimtackiſch genug iſt, es daraus bereiten zu wollen.
Hoͤre meine Geſchichte, und erſtaune noch mehe!‘’
Du wieft dich noch ber erſten Seeligkeiten erinnern, dev
ich im Befige meiner Leonore genoß? — Beſonders mar es bie
undeſchrelbliche Fuͤthlbarkeit ihrer ſchoͤren Seele, welche mein
Arunkeunheit auf das hoͤchſte brachte, Denn fa wie fie, mit bier
364 ‚ VI Der redende Hut.
. .
fer gänzlichen Hingebung,, mit dieſer, möchte ich fagen, Ver⸗
nichtung ihrer eigenen Gedanken, Begierden und Wuͤnſche hae
noch fein anderes Weib geliebt. Da gab es keinen Gegenſtand,
worin fie nicht irgend eine Beziehung auf mich fand, nichts,
dasſ ihr nicht mein Bild in das Gedaͤchtniß zuruckrief, und wae
fie darum nicht llebgewann. Der Abgott ihres Herzens vers
klarte ale Dinge, und machte fie zur ſtillen, huͤlfreichen Freun⸗
Bin der ganzen übrigen Welt.“
„Du begreifft leicht, Breund, daß dieſe ungewoͤhnliche
Erw findlichkeit in dieſer zaͤrtlichen Seele ihre allgemeine Wur⸗
kung hetvorbrachte, und mit der Leichtigkeit ſich zu verfimmen,
alle die angenehmen Momente, weiche fie ſelbſt ergengte, mei⸗
ſtens auch fehr ſchnell wieder verbarb oder verfämmerte. Leo⸗
nore genoß felten ununterbrochen einer ganz heiteren Stunde,
and um dies Uebel noch größer zu machen, fo Eehete ble Freude
nicht Halb fo geſchwind zu ihrem Herzen zuruͤck, als fir daraus
entniichen war. Meine wärmften Liebkoſungen reichten daher
nicht immer hin, ihr die gute Laune wieder zu verfhaffen, weh
her fle das kleinſte Auffahren, ein augenblicklicher Anmut,
ſelbſt eine bloße Zerftcenung und Geiſtesabweſenbeit von meiner
Seite beraubte. Nicht daß fie deshalb jemals mit mir unzufrien
den ſeyn onmite, ihre firenge Tugend ſuchte die Quelle ſelbſt
des unbebeutchdften Mißverſtaͤndniſſes mit einet unbeſtechbaren,
Ängftlichen Sorgfalt in ihrer eigenen Bruſt auf, und in der
beißen Begierde, mir zu gefallen, und darum-immer an ſich
ſelbſt zu verbeffern, vernachläßigte fie die Mittel, mich buch
eine zaͤrtliche, ſchmeichleriſche, zuvorkommende Sauftmuth,
für den Hohen Grad Ihrer moraliſchen Voltemmerhet fuͤhlbar
au machen.“
„Ach bemerkte im Anfange bloß mit: einr atmen
VIEL Der redende Hut. 265
|
theilnehmenden Beträbniß diefen ungluͤclichen Zug in Leono⸗
rens Charakter, und glaubte, daß ich meiner Pflicht dollſtaͤndig
nachkaͤme, und zugleich ihre eigenen Erwartungen erfüllen
müßte, ſobald ich nur jede Gelegenheit ihn zu wecken behutſam
vermiede. Als aber in efner fehr kurzen Zeit biefer. mißgeftimmte
Eruſt ſehr tiefe Wurzeln ſchlug, ohne daß meine Aufmerkſam⸗
Leiten und Anſtrengungen das geringſte mehr darüber vermoch⸗
ten, ſo leitete mich eben dieſe Unerklarbarkeit deſſelben auf die
Myuthmaßung, daß fein Grund vieleicht ein ganz anderer fel,
eis meine Unwiſſenheit Aber Leonerens Geſchichte mich vorher:
standen machte.”
Gab ſie in der That meinen Waͤnſchen ans Neigung zu
mie nach, und befriedigte ihr eigenes Herz, indem fie meine
Gattinn wurde? — Oder hatte daſſelbe ſchon lange vorher ger
wäßlt, und fid) igt nur in den Willen und die Ermahnungen
ihrer Mutter gefügt, deren Güte meine Fuͤrſprecherinn wurde?
— Diefer bedenkliche Zweifel, wozu ich ein Recht erhalten zu
Haben glaubte, ſchwaͤchte bald die Stimme meiner Vernunft,
und machte die erfien warmen, ungeheuchelten Liebkoſungen
Leonorens, die ihm widerſprachen, durch den Schein von Vers
ſtellung, womit er fie befleckte, zu eben fo viel neuen Verbre⸗
hen. Tauſend Kleinigkeiten wuchſen unter der Hand der ger
reijten Eitelkeit und der beleidigten Liebe zu Ungeheuern an;
nicht nur die Beſorgniſſe vor einer gefährlichen Zukunft, fons
dern auch die Erinnerungen aus einer zweifelhaften Wergangens
heit hielten die Eiferſucht beftändig in Achem, und es war nas
tuͤrlich, daß der Argwohn, der. alles verſtellt, fich ebenfalls an
jeder auch noch fo nichtswuͤrdigen Vorfallenheit naͤhrte.“
Ein ungläckticher Zufall vollendete den Ruin unferes
bänslidhen Einverffänbnigfes, verleitete mid) zu einen unverzeih⸗
366 VII Der tedende Hut,
— — — —— —
baren Fehler, und bereitete meinem ſchuldloſen Weibe ein uns
verdient fruůͤhzeitiges Grab: Da ich .mir wenig: als ſonſt bed
ihr gefiel, fo ließ ich Me oft des Abends allein, und im Dangek
aller anderen Zerſtreuungen, vertrieb fir ſich gewoͤhnlich, außer
den Beſuchen, die fie zuweilen meiner Schhideſter abſtattete⸗
Sie Langeweile einer fo gänzlihen Cinſamkrit mit ihten weiblichen
Arbeiten, oder mit ein wenig Muſik und Lekture. Zum wenige
fen glaubte ich fo, und Ihrer ſelbſt nut zu oft vergeſſend, ſchmei ⸗
qhelte ic) mir doch immer noch mit der Einbildung, daß fie fi}
in ihrem Kummer mit niemandent anders als mit mir zu unters
halten wiffe: Es iſt bied ein gewoͤhnlicher und graufamer Zug
im Herzen eines unteeten Liebhabets, daß er. fih noch Ins
Stillen für angebetet Hält, wenn er ſich doch ſchon lange vors
ber der gemeinſten Achtung unwerth gemacht Hat”
Als ich daͤher eines Abends etwas früher als ſonſt and
meiner Geſellſchaft nach Hauſe Fam, und geradezu in Leons /
rens Zimtner elite, wunderte ich mich fehr, fie weder an iftent
glagel, noch bei ihren Büchern zu Anden: Ich erkundigte mich
bei dem Geſinde nad) ihr: Dan hatte fie vor einer Viertei⸗
ſtunde in den Garten gehen gehöet: — Vor einer Viertelftunde?
In den Garien?, wiederhohlte ich mie ſelbſt. Das Wetter
deauffen war regnigt und windigt. Es ab kein unbequemeres
zu einem Spatziergange. Eine Hinterthuͤr aus dem Garten
fahrte auf die Straße, Der Schläffel dazu hiug fonft:an diefent.
Schreibpulte; jegt war er an keinem Orte meht anzutreffen.”
„Zahlloſe Vorftellungen, elne ſchwaͤrzer, aͤngſtigendet,
verzweiflungsvoller als die andere, betaͤubten meine Beklommene
Seele, derwirrten die Sinne, und machten mich aller Weberies-
gung unfähig... Faft ohne Gedanken rannte ih in ben Gars
ten, um- meines Unsluͤckes zum wenigſten gewiß zu werden
VIN. . Der vedende Hut, 367
— — — — —
Denn, was ic am mehrſten befürchtete, war Leonorens Ent ⸗
weichung. Im plöglih erwachenden Gefühle meiner eigenen
Schuld am mir keine andere Idee in den Sinn. Dit Vor
gelſchnelle eilte ich die Gänge hindurch. Ich ſah und hörte
nicht mehr. Wäre mir ſelbſt Leonore begegnet, wer weiß, ob
ich fie in meiner Betäubung erfannte? So ganz war mein Geiſt
auf die erwähnte Pforte gerichtet, fo allein bezog er alle Wahr⸗
niehmungen auf diefen einzigen Segenftand ‚und gar nichts wa⸗
sen die andern finnlichen Cindruͤcke für ihn.“
„Aber trotz meiner Übergrößen Eilfertigkeit kam Ich doch
am nichts weniger zu fpät, Noch mar ich ohngefähr dreißig
Schritte von der Ihre entfernt, und befand mich gerade in
einer Krümmung bes Ganges, als ich fie auch vor mir zuſchla⸗
‚gen und den Schläffel davon abziehen hoͤrte.“
„Mein Elend ſchien nnn völlig entfchieden. Wie vom
Donner gerührt ſtand ich ſtill, meine Glieder waren gelaͤhmt/
und in der erfien Ungewißhelt fand ich nicht einmahl Kraft ges-
nug, um auf die Thaͤre zuzugehen. Mach einer geraumen
Weile exft ſchlich ich welter, unterfuchte die Pforte, fand fie
dicht und feſt zugeſchloſſen, legte das Ohr daran, und laufchte,
ob ich nicht aus der Ferne noch irgend einen Ton erhafchen
möchte; als ich aber gar nichts, als ein vegnigtes Fluͤſtern und
Ziſcheln in den umſtehenden Buͤſchen vernahm, gerieth ich in
eine Art von Wahnſinn, fampfte mit den Füßen, fchlug ſtark
an bie Thuͤr an, verſuchte fie aufzubrechen, rief laut Leonoren
beim Nahmen, und gleihfam im Sammer untergehend und
meine ganze Mannheit verliehrend ‚ endete ich damit, daß ich
in Thränen und in ein witendes Schluchzen ausbrach.“
„Dies erleichterte mich etwas, und ich ging Ins Haus rn
rud. Gleichſam infinftmäßig ſuchte Ih Bier Seonorens Zimmer *p
268 VIIL "Der redende Hut,
auf, fetzte mich gedankenvoll in ihrem Lehnſtuhle nieder, ſtarrte
bie Gegenſtande neben mit an, und fehlen in meiner verzweif⸗
bungsvollen Unentſchloſſenheit einen jeden von ihnen um Kat
I befragen, Es waren meine alten Bekannte, fo oft waren
fie von meiner Gluͤckſeeligkeit Zeugen gervefen, mit meinem gasts
sen Innern mußten fie darum vertraut ſeyn.“
„Da hielt meinen irrenden Blick auf einmal ein mir ganz
fremdes Objekt feft. Ich fprang vom Sitz auf. Ich flog dar⸗
auf zu. Es war jener Hut dort. Er gehörte einem Fremden;
er gehörte einem Öffieiee an. Inter allen meinen Bekannten
gab: es keinen ſolchen. Leonorens Schwermuth und Unzufrier
denheit mit mir, Ihre Abweſenheit heute Abend, eine Viertel⸗
Munde im Garten bei diefem Winde und: Wetter, meine zu
‚ feüge, unerwartete Ruͤckkunft nad) Haufe, das Abſchnappen
der Hinterthuͤre — Himmel und Hoͤlle! darunter lag eine Ge⸗
fihichte verborgen, die fhon mit ihren leiſen Ahndungen mid
hatte rafend machen Finnen.”
„Verratheriſche Schlange —- rief ich mit einem Unmuthe
aus, der mir das Herz hätte abdräden mögen — du verbargft
dich ſchmeichleriſch In meinem Buſen, um in der Stile und deſts
ſicherer meine Gluͤckſeeligkeit zu vergiften: Doch zu rechter Zeie
noch entdeckte ich dich, und koͤnnte dich itzt erdrůͤcken, wenn ich
dich nicht noch mehr verachtete als haßte. Sollſt du aber im
Wahn bleiben, mich ungeſtraft betrogen zu haben? — Nein,
mit dem nehmlichen Werkzeuge will “ mic) rächen, womit du
mich befeidiget haft.“
„Damit fegte ich mir: mechaniſch den Hut auf, und zog
mich lauernd auf mein Stubierzimmer zuruͤck. Es fiel mir num
gzar nicht mehr bei, daß Leonore vielleicht entflohen ſeyn möchte,
sie mir das Abſchnappen ‘der Hinterthuͤre vorhet glaublich
gemacht
Vin. Der rebende but, 369
gemacht hatte, ſondern ich war überzeugt, Me habe in dein Aus
genblick gerade ihren Liebhaber herausgeben laffen, und waͤh⸗
rend meiner Erſtarrung felöft Zeit gefunden, ſich im Gebuſch
unſichtbar zu machen. Sie mußte mir daher, wenn ich nicht
in meiner Muthmaßung ierte, ſehr bald ins Haus nachkom-⸗
men, und es war alsdann der guͤnſtigſte Zeitpunkt, meinen
Keinen Entwurf von Rache fogleich in Ausübung zu bringen.‘ ü
Ach betrog mic, keineswtges hierin; denn bald nachher
hörte ic) Seonorens Zimmerthikr Ieffe aufs and wieder zugehen.
So fehr ich aber dies auch erwartet, und mid) felbft darauf
vorbereitet hatte, fo fing es mir doc) in der Bruſt etwas heftig
au pochen an. Es bedurfte einer gerotffen inneren Anftrengung;
um mir neuen Muth zu verſchaffen. Doc kam „er augenblick⸗
lich zurück; ſobald ich nur recht lebhaft an das Ungehenre der
Beleidigung dachte. Damit. 505 ich eine ſtaͤhlerne Mauer um
mein weichliches Herz, entſagte kuͤhn jeder zufünftigen Glaͤck⸗
ſeeligkeit, und beſchraͤnkte alle meine Wänfche auf den einzigen
Benüß, ben Verluſt der übrigen an der Urheberinn meines
Elendes beſtrafen zu konnen.“
„Eine hoͤchſt triumphirende ¶Wilene nahm ih daher an;
und als fäme ich halbtrunken aus einer luſtigen Geſellſchaft,
erkanſtelte ich nad) Vermögen das Rauhe und Polternde dei
ausgelaſſenen Freude. Leonore ſah im Anfange etwas beſtuͤrzt
aus, als ſie mich wider alle Gewohnheit ſo ausſchweifend mun ⸗
ter erblickte; doch verfiel fie bald darauf twieder in den chemmeli⸗
gen geläffenen Emf. ‚Ahr Auge fant alsdann beſcheiden und
außerſt beſchaͤftigt auf bie kleine Arbeit vor ihr nieder, Und was
ih auch thun, fagen und fafein möge; A 6 "fhien es doch
unmoglich, ihm noch einen einzigen feinen Bil abge
winuen · le Ruh sa
Dürer Sahra, atır Pers k Te n
370 VI, Der tedende Hut.
—— EEE EEE EEE"
„Da wagte ich endlich das Legte, um in meiner Abſicht
weiter zu kommen. Mit einer Ueberwindung, bie mir Hätte
bas Leben Eoften mögen, trat ich wohlgemuth zu ihr Bin, uns
armte fie, und drückte ihr einen verrätherifhen Kuß auf die
Lippen. Dabei fuchte ich aber vor allen Dingen, fie recht ſtark
und auffallend mit meinem großen Hut zu berühren.
„ Sienahm meinen Ruß weder an, noch lehnte fie ihn ab,
gleich einem befcheidenen Mädchen, das über Ihre Einwilligung,
fih zur Braut machen zu laſſen, noch hoͤchſt ungewiß ift.
Aber wie hätte fie hierbel nicht auf dasjenige aufmerkſam wers
den follen, das fie fo wunderbar und ungewöhnlich in Ihrem
angenommenen Gleichgewicht flörte? Ein Blick darauf — ein
zweiter — und noch einer. Alles mußte ihr undeutlich wer⸗
den, denn fie flarrte den Hut gewiß eine halbe Minute lang
an. Wie fie ihn zulegt erkannt haben mochte, verfteinerte
und verglafte das Auge, eine Todtenbläffe drängte mit einem
Pulsſchlage den bochauflodernden Purpur ihrer Wangen- Hinz
weg, und man fah es ihr an, fie erwwehre fih nur duch eine
außerordentliche Anftrengung einer gefährlichen und verrätherk
Then Ohnmacht.“
Wie gefällt die diefer Hut, Leonore? — vief ich mit
einem granfamen und nur zu verftändlihen Hohngelaͤchter
ans — fteht er mie nicht fo gut, wie jedem andern? Mit
diefer ſoldatiſchen Miene macht man bei euch Weibern Erobes
rungen. Glaubſt du wohl, daß du mir jetzt widerſtehen konn⸗
teſt, wenn du nicht ſchon in mich ſo ſterblich verliebt, oder
vielmehr, wenn du nicht eine fo treue Gattin wäreft. — AU
mein Gift, mit der ent-üfteten Eitelkeit Bitterem Tone, legte
ich in dies Wort, ünd es drang damit tief In Ihr verwundetee
Herz. Sie zitterte, fie kruͤmmte ſich gleichſam vor dem heran⸗
VIE. Der redende Hut. z7ı
— — — — —
nahenden Verderben; aber — ich wage es ige kuhn zu ber
Baupten — ber: Stolz ihrer noch unverlegten Tugend flößte
ihr Kräfte zum Widerſtand ein.”
„Im Anfange fehlen es mir, daß ihr Blick ein geiles
Bedenken ausdrüde, ja daß er, fo wie er auf mich gerichtet
wurde; um Schonung bitte; aber bald begriff Ih, daß. ich
mid) ausnehmend geirrt habe, und daß ſich darin nichts als
die tieffie Werahtung befinde. Es. war gewiß, daß, ‚hätte
Leonore fich mir zu Füßen geworfen, und alles geſtanden, ih
ebenfalls den Vorgang vergeffen haben würde; aber diefe Ge⸗
tingfhägung, die fte, meiner Meinung nad}, weit eher. als
ich verdiente, beſtaͤrkte mich nur immer noch mehr in meinens
genommenen Entſchluſſe.“
„Ich bediente mich daher von diefem Tage an beſtaͤndig
dieſes Hutes, und wenn ich Ihn abnahm, haͤngte ich ihn ge
rade an jenen Ort, ber ſich ihrem gewöhnlichen Sitze gegen⸗
über befand. Leonore, deren Seelenkummer ihre Geſundheit
nur noch wenig angegriffen hatte, verfiel ige in ein Kraͤnkeln,
das nach. und nad zu einer Auszehrung wurde.“
„Tauſendmal befand ich mich während diefer Zeit in Vers
fuhung, ‚den gehäfligen Gegenſtand, der diefe bervorbrachte
oder wenigfiens unterhielt, endlich ihren Augen zu entziehen,
und es bei diefer Strafe beenden zu laffen; aber eine unglaubs
liche Werblendung, bie in Leonorens Betragen immer noch
einige Verftelung wahrnehmen wollte, eine abſcheuliche Neu⸗
gierde, Hiervon das Ende abzuwarten, ließen mich den rechten
Punkt verfehlen, wa ich fie vielleicht noch hätte erhalten
bgen.“
„Nur erſt als fie bettlaͤgerig wurde, begann ich einen
Zerthum, oder doc) eine zu weit getriebene Mache jun ahnen,
Aa 2
372 VIIL Der redende Hut.
— FRE
Die bloße, einfache Natur führte mich zum richtigen Wege zu⸗
ruͤck, den eine unreife Ueberlegung mich hatte verlaſſen machen,
meine Aufmerkſamkeiten und Llebkoſungen, wenn fie auch nicht
ihre erſte Wärme ſogleich wiedererhielten, wurden doch ange⸗
legentlich und befliſſen, und wenn Leonorens gebrochenes Herz
noch eines Troſtes fähig geweſen wäre, fo hätte es denſelben
Am Aeuferen von einer Neue finden Eönnen, die ich nicht ims
“mer unſichtbar zu machen verfland: So aber. blähete fie vol⸗
lends ab, und ale Hofnung verſchwand zu einer Grnefung:
„Ich hielt es daher für meine Pfliht, ihrer Mutter, die
fogleich nach unferer Verheirathung in eine andere Stabt 109,
etwas von dem Zuftande ihrer Tochter wiſſen zu laſſen. Es
vergingen Faum zwei Tage, als dieſelbe auch gleichfem in hal
6er Verzweiflung zu uns Fam. Sie befand fih in Gefellſchaft
eines mir unbefannten jungen Menfchen, und näherte ſich mit
demſelben dem Bette Ihres erbenden Kindes.” .
mMeine thenee, theure Leonore — fagte Ne — wer hätte
dies jemals geglaubt, als ih dich im Veſitz eines geliebten -
Garten fo unausſprechlich gluͤcklich verließ. — Und nun noch
gerade zu einer Zeit, als ich dich mit einer neuen “Freude zu
überrafchen gedachte. Crinmmerft-du dich wohl noch, mich oft
von einem Sohne ſprechen gehört zu Haben, der ıms in feiner
frägeften Jugend abhanden kam? Er iſt wiedergefunden, wies
dererfannt, und ich flelle div denfelben Hier als einen Srudet
vor, der deine Liebe verdiene.
„Alsdann nahm fie den, jungen Menſchen bei de Hand/
und führte ihn näher ans Bett. Leonore hatte ſich von ihrem
Kopfkiſſen in die Höhe gerichtet, um ihre Mutter zu umnarmen,
und den wiedergefundenen Bruder zu beteilfommen, Ein
fanfter Roſenſchmelz überflog auf einen Augenblick die kranten
vm. Der redende Hut " 373
langen, und im Funkeln bes Auges druͤckten wiedergebohrne
Empfindungen ſich aus. Als fie aber den Ankömmling näher
beaetrachtete, erblaßte ſie von neuem, ‚und fanf uf ihr Bett .
ohnmaͤchtig nieder.”
„Die Mittel, welche man auf der ESiehe anwandte,
brachten ſie bald zu ſich felbft. Nachdem fie ſich etwas erholt
hatte, winkte fie mich an ihr Bett heran, nahm meine Hand,
kaußte ſie, und druͤckte ſie an die Bruſt. — Mein geliebter
Semahl — ſagte fie.mit. matter Stimme — ich kann nicht
aus dieſem Leben hinwegſcheiden, ohne dich eineg unwillkuͤhrl·
chen Fehlers halber um Verzeihung zu bitten. Du weißt, ich
ging zuweilen zu deiner Schweſter. Eines Abends fand ich dier
fen jungen Menfchen bei ihr, und ohne zu wiſſen und mir ers
Elären zu können, warum? faßte ich eine hoͤchſt unfchuldige,
doch ſtarke Zuneigung zu ihm: Da ich nichts darin bemerkte,
was die Schranken einer bloßen Neigung überſchritten, oder
was deine Rechte auf mic) beeinträchtigt hätte, fo ließ ich ihr
vielleicht einen etwas zu freien Lauf, und dies iſt das einzige
Verfehen, defien ich mich ſchuldig gemacht habe. — Endlich
drang er fih mir einmal zum Begleiter nach Haufe auf; nach⸗
dem er hier einige Zimmer unferer Wohnung im Augenfchein
genommen hatte, war er neugierig ebenfalls den Garten zu
\ fehen. In diefer Zeit kamſt du zurück, und, in der erſten Vers
wirrung begierig, alle Anläffe au vermeiden, die deine üble
Laune häften vermehren können, bat ich meinen Gaſt, daß er
fih durch die Hinterthuͤr entfernen möchte, in der du ſelbſt,
wie du dich itzt kaum erinnern wirft, den Schläffel am Nach ⸗
mittag ſtecken ließe. Niemand dachte in der Eile an ben uns "
glücklichen Hut, den mein Bruder im Zimmer. vergaß, den
Aa 3
574 VAN. Der redende Sat.
du fandeft, und zu meiner Beſtrafung und deiner nie ges
brauchteſt.“ —
„teonore wollte noch meiter fortfahren, allein ih ers
ſtickte ihre Worte mit meinen Küffen. Was that ih nie
Alles, um ihre Verzeihung zu erhülten, und fie mit mir,
mit dem Leben, und.der Zukunft nieder auszufäbnen? Aber
es’ war Tine Zeit mehr. Ihr Inneres war von einem lan⸗
gen Kummer angegriffen und zerruͤttet. Kaum drei Tage
noch genoß ſie des Gluͤcks, ihre Mutter und einen geliehten
Bruder um ſich zu ſehen.
€. Sroße.
IX. Das achte Stüd. 75
IX.
Das achte Stäl
Eine Epifel, 2
Folge der Natur, und entfage dem Mahn, Kein Grand IR zu nie
Brig die Gädfeilgkele ju erreichen; Fein Kopf ın hast fie zu begreifen;
ihre Geſchente legen vor Mugen; ſucht fie nicht in Erteemen. Maw.
braucht nur gut zu denken, und es aufsichrig zu meinen.
"Rife, alird CA das Menfden Anden, alıs mad ung @otz und
Natur zubenkt, alles Wergnugen der Serie, alle Breude der Sunen,
Hegen in dem Drei Morten, Geſandheit, Feleden und Mndlonamen. -
Aber Orfundkeit beſleht nur mir Träfigkeiti uud Frieden — o Ku
End! — wohne nur an deiner Hand. “
vop Ea Berſuch Aber den Menfchen, nach dee⸗
Sqlo ſſe riſchen Uebetſetung.
Pinot mar, was Menſchengluͤc fen, das Problem der Meifen:
Ein jeder fchuf fich feine Theorie.
Wer glüdlich ift, dem darfs Fein Zeno erſt beweiſen;
Die Mittel, es zu ſeyn, ſchenkt uns ein Lehrfag nie.
Wen Kranfpeitd« Schmerien im Gebrauch der Kräfte Röhren,
O der ſtudiert umfonf, ſelbſt Epikurus Lehren,
Des Weiſen, den fo mancher nicht verftand,
De Schickſal war, au ſeyn, was mander ik — verkanut.
Erwarte nicht von mir, dir dieß Problem ın löfen:
Das Glück berechnet fich micht wie der Meffunf Größen,
Ang
376 "TE Das achte Gluck
XX
Und dieſer Zeilen Zweck iſt Feine Theorie,
Man Tann fehr gluͤclich fen durch die Philofophie,
Doc; Taufend find’s nicht. minder — shne fie,
“ud Dany, wann fie zu feon nicht ſchienen.
Bewuſtſeyn, Gluͤcegenuß Durch Tugend zu verdienen.
Gefühl von eignem innern Werth, .
So lebhaft Phanias das Gegentheil auch lehrt — a)
Doch warb der Weile non Mufarion hetehtt -⸗
Kann nicht dem Kampfe widerſtreben,
Den Lager Widerwaͤrtigkeit,
Schmerz, Menſchen, Alter, Schwachhelt, Zeit,
Oft gegen unfer Blüc erheben, | u
Was wint, menu ein Verluft. bie Hand dem andern uk
Bern Bolten fih auf Welten thutmen,
Auf unfer Gluͤck Orkane ſturmen,
Dann das Gefühl von Werth und son Erhabenpeitt
*) Es if bier vorzüglich auf die bekannte Stelle in Wielonds -Mufas
eion angefpieit: . . .
. Iu unfeer eignen Brua .
Da, ober nirgends, Aießr Die Muee wahrer Buß,
Der Frepden, woche gie nerfegen, . -
Des Zufand's dauernder Bunde,
Den nichte von außen Adıt, —
aa glaube, bemertt zu Haben, Daß Diefe Stelle Häufg missertanden, un
für eine Maptme aus der Hoitofophie der Grayien, weiche Wieland in Dies
fem Meiferfüde ladrt, angefegen zu werden pflegt; Da doch einestheiu
eine ſoiche tranſeendentale Weisheit In das Golem der Vhulo lopdie der
Grailen durchaus nicht paßt, anderuthelis aus dem gapien Bnlammendapge
deutlich erdelt, das Wieland diefe Marime, fa wie mebrege andere ven
abniichem Schiase, dem Phanias, der fe don (einen Inconfsauenten eeh
rern gefeent yatte, nur deswegen in den Mund legt, um Ar von der an
Bein und Körper ilebenewardigen Mufarion. widerlegen au lafen. "
IK: Das achte Grid. 377
Den armen Gterblichen ift doch hienieden " |
Vollkommenheit ia nicht sum Loos befchieben. '
Zwar ſicht in Mngläch auch der Weile heht und feſt, '
Und kaͤmpft mit Muth, wenn ihn der Schrunche:finfen laßt;
Doch fühle er drum des Ungluͤss Schlag nicht minder:
Er if ein Menfch, wie andte Adamstinder, . \
Hat Leidenfchaft und Nerven fo, mie fie. " "" £ ’
Die Frage, wie mich duͤnkt, if dien - En
Kann Reichthum, hoher Stand, und Fännen Würden, m:
Dem Weiſen oft die ſchwerſten Buͤrden, MEc EEE zur
Die eingebildten Werth nur -teln Thoren leihn — J
Und kann des Muhmd verführerifchen Schein: - 1”
Dem Menſchen fihres Glücd gewähren? ' "+
Grag’ die Erfahrung, fie fagt: Nein!
Wie manche fehn- mir gluͤclich feyn,
Die diefe Güter all’ entbehren!
Und Hunderten ift ihr Berg
Nur Zufag zu den taufend Plagen,
Die an dem Sitck der Menſthen nagen,
Und zur Zufriedenheit unnüg a),
"Wen an dem Pfad des Furgen Lebens
Der Freude Blumen weiſe pfluͤckt;
Ben ſelbſtverſchuldter Gram nicht das Gewiſſen druͤckt;
Wer nach Vollkommenheit des Glück vergebens
Nicht mit verlohrnen Kräften ringt;
Wer feinen feltnen Gram vertanit, verlacht, verfingtz
Wer, ohne reich zu ſeyn, doch nicht mit Mangel ringt,
Is. Schmeichler nicht vor Königen ſich beuget,
=) Wegen dieles fehlerhaften Gebrauchs eines Gponbäen für einen
Samdus Biete ich Hagedorns und Geüerts Manen, fo wie, wegen der vers
naplägigten Berfification Überhaupt, die Kenner um Berzeihung.
Ars
318 IX.. Das achte Bläd.
— — — —— —
Den Sinn des Bidermanns auf ofner Etirme zeiget,
Geſetze gern verehrt, doch nicht sum Sklaven finkt,
Mit Weisheit Luſt aus dem befränzten Becher trinkt;
Ben, mäfig im Genuß, der Mefkulape Lehren
Nicht im Gebrauch der Lebensfreuden führen;
Wer, wo er kann, beduͤrftgen Brüdern nuͤtzt;
Wer, von ber Lieb’ und: Freuudſchaft Hand geleitet,
Sanft durch die Krümmungen des Erdeulebens gleitet,
Der nur iſt. gluclich, der befigt u
Das Gut, nach dem die Weiſen fireben,
Das Ächte Glück im Menſchenleben.
Der Tod fogar, was. ik er ihm — Ein Freund,
Der mit Geliebten ihn vereint.
Sriedrich von Zind,
x. Der Friede.
Grenqher, den auf der Heimath Flur,
Sicher vor den Flammen der Yanduren,
Seines Weijens golduer Halm umwallt!
Weilſt du ferne von dem Hochaltaͤren,
Vo frohlockend in des Volkes Ehören
Die erflehte Friedenshymue (halle?
Dihnt du nicht der Feinde Zorn befieger;
Weil bein Geift ſich noch in Feſſeln ſchmieget t
Ach, wohl nichtig if des Lorbeers Ruhm,
Nauben prangend in" Triumphaktorden
Dir der Leidenfchaften wilde Horden
Deines Heriens ſeldes Heiligehum.
Sieh' die goldnen Tage fich verklären,
Libyen ein Friedensthal gebähren,
Heilfaft dir die Brillenfchlange fprühn,
Eine Wohnung Aar und Taube bauen, \
Und der Hirtin folgend zu den Auen
Mit dem Lamme die Hyaͤne ziehn.
380 x. Der Friede.
— — — — — —
In des Oehlbaums Schatten winkt der Friede
Dir vergebens; bei dem Aundesliede
Alter Weſen trau'rſt du Armer ſtumm,
oben in der Bruſt die Ungehener,
Beindlicher, als Agamemnons Feuer
Sn der jammerpollen Ilium.
‚
Kämpfe muthig in dem Geifterreichet
eEol Bir Dort der Ochleweis Din? Verſcheuche
Kühn die Feinde deiner Seelenruhl
D dann finge Friedenshymnen, Krieger!
Zog aus Zama's Feldern einſt der Sieger
Hannibals erhabener, als du?
” Freudentheil.
XI. Raphael, von ſich ſelbſt gemalt ꝛc. 381
XL
Raphael, von fich felbt gemalt, im vatika⸗
mifchen Pallaſt.
Nach dem Ztaliänifchen des Zappi
Son
I-n— ſch.
m —— —
Dies it Rayparlı Dies — das volle Deukbild *) det hohen,
edlen Genius, md jener holdfel’gen Befalt,
welcher die Schöpferin, Natur, fo viel Gaben gefpendet,
als der Kuͤnſtler ihr felbft mit dem Pinfel geraubt.
Zürnend, immer bis jest nur andre auf farbiger Leinwand
au verewigen, malt’ einſtens der Kuͤnſtler ſich ſelbſt.
Hoͤheres konut · er nichts malen! "Da Fam der Tod, und erblickte
bier eine Doppelgeſtalt, beide — ein Gtols der Natur;
ploͤtzlich erkarrt ihm die Hand am fchwarsen verberblichen Bogeu.
n Welche, rufet er aus, iſt hier die wahre Geftale 7
in Welcher von beyden gult der Schluß im Mathe des Schiefals 1”
Spricht's, und zweifelt, und ſchwankt, er, ber Entſchei⸗
.. dende! ſchwankt.
m Diefe nichtige, brechliche Hutl',“ Cerwiederte die Seele,
die in dem Sterblichen wohnt) „dieſe erziele dein Pfeil.“
„Nicht das Sarbengebilde. liuſterblich leben wit behde.“
„Mir verlich es ein Gott: diefem des Raphaels Hand!
*) Dentoid. Denn fo Abetſeten ja untere Duriſten, nieht ungtddtia,
das iateiniſche Ideal. Im Iraltänifcpen Heißts: Ecco } Idea del nobil genio.
382 XII. Auf den berühniten Marmorkoloſ Moſes ıc.
nn
XII.
Auf den beruͤhmten Marmor⸗Koloß, Möfes, in
der Peterskirche, von Michel: Angelo.
Aus dem Staliänifchen des Zappi.
\ I-n—fh
War wer iſt es, ber hier, in hartem Marmor yehanen,
alſo gigantiſch daſitzt, das lebendige Wort
auf ber athmenden Lippe... Ich hoͤr's!... Cr Moſes iſ's;
Mofes:
Denn dies Tündet mir bier diefe Ehre des Kinns;
Dies der Doppelſtrahl an der Stirne. So ſtieg er vom Berge,
als er Jehevens Glan *) halb in dem Autlitz noch trug, "
Alſo trat er einher vor ber Rolgen Schaar in der Wuͤſten:
alfo dfuer’ und ſchloß er in dem Meere den Pfad.
Wie er majeſtaͤtiſch hier ſitzt, fo herrfchte der Führer.
Aber, wie diefer Stein, wareſt du Pharan’s Her.
*) E gran parte del Nume’avea in volto. Ich Hätte Dies fehr Teiche
mer trug noch daid den Gott in Onrtig“ Aberseagen Fännen.. ‚Aber bier
in die Dede vom der wahren Gottheit; und das italläniſche Nume beden ⸗
ter, wie dad lateiniſche Mumen, weniger au Wett.
KIT. Kongflreit des Degens und der Feber: 383
— — — — —
XIII.
Rangſtreit des Degens und ber Feder,
Degen.
Joa fhüge Recht und Eigenthum,
Erhalt’ und ſtuͤrze Thronen um,
Und fehirme gamer Voͤlker Recht,
Und Stadt und Flur und Herrn und Kucht,
Seder.
Du wüßte weder Recht noch Pflicht,
Lehrt' ich vorher dir beides nicht,
Auch zeig! ich erſt dem Helden an,
Wie er dich Flug gebrauchen kann.
Degen.
unſterblich wird durch mich der Held
Und hochgefeirt von feiner Welt,
Und von der Nachwelt eingeweiht
Sm Tempel der Unſterblichkeit.
394 XII. Mängfreit bed Degens uud ber Geber:
Seber.
€ wären deine Thaten al
Ein Furger leichter Wiederhall,
Wär ich nicht; bie der fpäten Melt
Die Thaten rünmend aufbehält:
Degen.
Nichts widerfieher meiner Pracht
Und meiner fieggemohnten Macht; "
uud jedes Wolf, von mir bedroht;
Erwartet Leben, oder Tod.
Feder.
Es ſteh Auch alles unter dir)
Du abet ſteheſt unter mir!
Ich ſchicke dir die Ordre zu,
Vefehlend Thaten, oder Ruhr
Sangerhauſen.
Berlinifhes
Yrdivder Zeit
und
ihres Geſchmacks.
November 1797
L
Weberficht der merkwardigſten Staatsbegebenheiten.
Am Anfange des Octobers 1797.
Dre am Aufange des verflofienen Monats ein von Enge
land aus verbreitetes Gerücht die Unterzeichnung der Fries
denspräliminarien zwifhen Frankreich und England verfüns
digte, und einen nahen -Definitivfrieden, der zu Ubine vers
Handelt wird, als eine ſichere Folge der zu Lille abgefchloffer
nen Unterhandlungen hoffen ließ, fo fehen wir dagegen am
Anfange des jetzigen Mondes nicht allein die Unterhandlungen
in Lille gänzlich abgebrochen, und den engliſchen Gefhäftes
träger auf der Rückkehr nach feiner Heimath, fondern es iſt
auch zu beforgen, daß die Geſchaͤfte der Friedensvermittlen
in Udine ein gleiches Schickſal haben werden. Die Blätter
des Tages theilen auch fchon eine weitläuftige Erklärung des
franzöfiichen Direktoriums mit, vermöge deren daſſelbe ſich
durch feine Feinde, bie den ihnen angebotenen Frieden aus⸗
geſchlagen, die Unterhandlungen verzögert, und die dadurch
gervonnene Zeit zu Machinationen gegen die Republik , welche
fie anzuerkennen im Begriff waren, gemißbraucht hätten, gar:
gwungen ſieht von neuem die Waflen zu esreien, und
Baase Zahn, ar Bao, o
986 1. Ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staatobegebenheiten.
vermittelſt deren es zuglelch alle Verantwortlichteit für die
Greuel eines Kriegs auf dieſenigen, bie daſſelbe in die Noth⸗
wendigkeit ſetzten, ihn wieder anzufangen, vor den Augen
einer theilnehmenden und richtenden Mitwelt wirft.
Der erſchuͤtternde Schlag, welcher dieſe große Veraͤnde⸗
rung in der Lage Europens hervorbrachte, geſchah zu Paris
in der Nacht von dem zten auf dem sten September, und
verdient um fo mehr unſre ganze Aufmerkfamkeit, da durch
ihn das Syſtem der neueften Welthegebenheiten ganz und
gar verändert iſt. Die Lefer diefer Blätter. werden ſich ers
innern, daß) wir ſchon vor. einiger Zeit nicht ungegründete
Beſorgniſſe wegen der gelinden und gemäßigten Maaßregeln
hegten, welche feit einiger Zeit die: Beſchluͤſſe der beiden Raͤthe
Ah Paris charakteriſirten; das Raͤthſel iſt jetzt geloſt, und
die ſonderbare Erſcheinung aufgeklaͤrt; beyde Raͤthe wurden
von einer Parthei beherrſcht, welche jetzt entdeckt und. isrer
Strafe überliefert iſt. Der Zufammenhang der Begebenheit
iſt ungefähr folgender.
In ber Naht vom sten auf den 4ten September
Ersten Fructidor) warden um.3 Uhr die Laͤrmkanonen ge⸗
böft; General. Angereau, am der. Spige der ı7ten Divifilon,
Heß den Generalmarſch ſchlagen, umringte die Sitze der beis
den gefeßgebenden Raͤthe, die Garde des gefeßgebenden Corps
verhaftete ihren Anführer Ramel; Angerean drang is den
Saal der VWerfammlung, wo gerade ‚die Saalinfpeftoren
eine nachtliche Sttzung hielten, und verhaftete fi. Mehrere:
Depuirte warden auf Befehl des Direftoriums in fhren
Hauſern arretiet, and) die Direktoren Carnot ind Barthe⸗
lany follten verhaftet werden, indeffen war erſterer ſchon
entkommen. Die Invaliden befhiägten den Pallaſt Luten⸗
XR
vw.
Am Lnfange des Oetsbers 1797." 387
ng,
Surg, wo bie Direktoren vefidiren. Mit Kanonen waren bie
Bruͤcken und der Eingang zu den Tuillerien einige Tage be⸗
fest, die Säle der beiden Mäche geſchloſſen, welche ſich nun,
der Rath; ber Alten in dem Amphitheater der Chirurgieſchule,
‚der Rath der Fünfhundere im Saal des Odeums verſam⸗
melten. Der erfte Beſchluß, welchen der Rath der Fuͤnfhun⸗
«dert faßte, und der fogleich vom Math der Alten angenoms
men wurde, war, daß es dem Direktorio erlaubt ſey, Trup⸗
pen über die konſtitationelle Graͤnze von ı2 Lieues nach Paris
dotruͤcken zu laſſen; man wählte neue Saalinfpeftoren, und
beide. Raͤthe erklärten ihre Sigungen für permanent. Das
‚gefengebende Corps Bat fi in einer Erklärung an die Ar⸗
meen gerechtfertigt, ‚hat eine Menge der vorigen Beſchluͤſſe
widerrufen und vernichtet, und die Belchläffe von 42 Wahl
-verfammlungen annullirt, indem es folgende Perfonen
‚zur Deportation verurtheilt hat: Aubey, Job Alme, Andre
von der Lozere, Boiffy d'Anglas, Bornes, Bourbon von
der Oiſe, Eabroi, Couchery, Elermontean, Delahaye von
der Niederfeine,; Delarue, Doumere, Dumolard, Duplan⸗
. tier, Duprat, Gilbert: Desmolieres, Henris Lariviere, Im⸗
bert/ Colomes, Camille Jordan, Jourdan von Marfeilte,
Gau, Lararriere, Lemarchand / Gomicvurt, Lemerer, Mer⸗
far, Madier, Maillard, Noailles, Mares Eurein, Pavie,
Paſtoret, Picheged; Poliffart, Quatremere de Quinch, Sa—⸗
ladin, Simeon, Vaublanc, Vauvillers, Villaret ⸗ Joyeuſe,
Willot, (zuſammen 40); vom Rathe der Alten Barbes
Marbois, Detorey, Dumas, Ferrand / Vaillant, Lafond⸗ Bas
debat, Lhomont, Muraire, Murinais, Paradis, Portalis,
Revere, Trongon du Coudrai (zuſammen 14)3 ferner bie
Direktoren Barthelemy und Carnot, den geweſenen Pollzei⸗
Bb 2
ya
088 1. ueberſicht der merkwuͤrdigſten Staats begebenhe iten.
— — — — — — —
miniſter Cochon, und den geweſenen Polizeibeamten Deſſon⸗
ville, die Generale Miranda und Morgan, den Kommandan⸗
ten der Wache der Legislatur Ramel, den geweſenen Deputirten
Mailhe, den Journaliſt Suard, und die in die letzte Ver⸗
ſchworung verwickelten drei Perſonen: Brottier, Laville Heur⸗
nois, und Duverue de Presle.
Eine betraͤchtliche Anzahl der genannten — denn viele
derſelben haben ſich verborgen — iſt ſchon in vergitterten
Wagen, von einem ſtarken Militaͤrkvmmando begleitet, uns
ter dem Befehl des Generals Dutertre nach Rochelle abs
geführt. worden, um theils nad Guiana, theils nach Mas
dagascar gebracht zu werden. Eben fo if die Deportation
aller Sournaliften befchloffen, deren Blaͤtter im Sinn der
Verſchwoͤrer gefchrieben waren, und deren’ Zahl ſich auf
‚5 beläuft. Alle Gefege, welche zum Beſten der Emigranten
und ber deportirten unbeeidigten Priefter gegeben waren, find
widerrufen; jeder Emigrant, der noch nicht von der Liſte
ansgeftrichen ift, muß feinen Wohnort in 14 Tagen verlafs
fen, ober befürchten, daß er 24 Stunden nachher erfhoffen
wird. Alle die zur Familie der Bourbous gehören, und zu
‚deren Gunften man manches Geſetz gegeben hatte, werden
deportirt, und erhalten eine Penſion von ihren Gütern, die
das Direktorium beftimmt. Alle Journale und Druckereien
ſtehen unter der Aufficht der. Polizei; das Gefeg gegen die
politiſchen Geſellſchaften ift aufgehoben, und nar diejenige wird
geſchloſſen, in welcher Fonftitutionswidrige Grundſaͤtze vorges
‚tragen werden; das Gefeg wegen der neuen Einrichtung ber
Nationalgarde iſt aufgehoben, und die Schatzkammer / Koms
wiſſton ſteht wieder unser der Aufſicht des Direktoriums.
Am Anfange des Octobers ay97.: .' 380
Diefes. Direktorium ſelbſt iſt nun wieder vollzäßlig. Der
ehemalige Zufkizminiftee Merlin von Douai iſt an die
Stelle Barthelemy's, und der bisherige Minifter im Innern,
Erangois de Neufhateau, an bie Stelle von Carnot
zum Direktor erwäßlt worden. Merlin tritt fo ganz in die
Rechte Barthelemy's, daB er erfi nach Verlauf von 4 Jahr
ven über den Austritt aus dem Direktorio loſen darf. Seide
Baben- die ihnen. übertragenen Stellen angenommen, und
- feinen eben fo fehr dan Beifall und das Zutrauen ber Nas
tion zu befigen, als Ihr Beitritt der fiegreichen Pluralität
des Direktoriums willkemmen If. Cine Verwechſelung in
der Friedensgeſandtſchaft zu Lille iſt eine eben fo natuͤrliche
Volge der. Bewegungen in Paris. Letoueneur, Maret und
Colchen find zuruͤckberufen, und die Bürger Treilhard, Bons
nieres und Derchẽs find an ihre Stelle getreten; erfterer hat
dem. Lord, Malmesbury ein Ultimatum ‚vargelegt, und eine
beſtimmte Antwort darauf von bem englifhen Friedensge⸗
ſendten gefordert, der aber bald nachher, da er biefelbe nicht
sehen Eonnse, Eile verlaffen hat, und nach England zuruͤck⸗
getehrt iſt.
Seit dem Anfange der franzoͤſiſchen Revolution find
fon manche Erſchuͤtterungen im Innern. biefes Staats und
wächtige Erplofienen der Nationalkraft gefchehen, aber von
allen trägt feine fo fehr den Charakter der Würde, Sichers
Zeit und ſelbſt der Gerechtigkeit, als die des ı8ten Seuctis
bors. Es iſt nicht die Unternehmung einer Parthei gegen
bie andre, fondern die Strafe, welde das Gefeg und die
Jreiheit an ihren Feinden vollzogen ; es iſt nicht das Wags
Rück der Habſucht oder Herrſchbegierde, fondern ein noth⸗
wendiger Schritt, den die Konftitution gegen den Royaliss
853
© 390 I, Ueberficht der merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
— — — —
mus machen mußte. Wenn Frankreich noch zweifeln konnte,
ob feine Revolution geendet, bie Republik und Treiheit ger
gründet, und die Zeit der ungewiſſen Schickſale vorüber ſey?
fo würde Die Sicherheit, mit welcher Das Geſet bei dieſer
Unruhe auftrat, und bie männliche Sefigkeit und Unpartheis
lichkelt, mit welcher die Verwalter der Nationalmacht wirkten,
jeden Zweifel an der Sicherheit und. Fortdauer der RNepublik
heben. In der That ſcheint es die legte Unternehmung zu
ſeyn, welche der Royafismus, der feine Anfpräce freilich
alemals aufglebt,. gewagt hat, um: fein Stück gegen bie
Junge Republit zu verſuchen. Das Gewebe tar fein un
ficher gefporinen, die Faden Hefen von Blankenburg aus⸗
und es iſt mehr als hoͤchſt wahrſcheinlich, daß. fie auch in
das Gewebe der Friedeꝛsunterhandlungen zu Lille und Udine
diejenigen Vetwirtungen brachten, durch welche der Welt das
ſonderbare Schauſplel gegeben ward, daß nachdem die Frie⸗
denspraͤliminarien unterzeichnet waren, dennoch die · Abſchlie⸗
Bung eines Definitivfriedens nicht allein beinah fünf Monatée
verzögert, ſondern auch beinah mit jedem Tage ungewiſſet
wurde, Der Plan der Royaliſten war auf Menſchen be⸗
gruͤndet, und man muß gefichen, fie kennen bie Menſchen.
Manner, die um die Gruͤndung der Freiheit die anerkannke⸗
ſten Verdienfte hatten, welche durch das Zutrauen der Ma⸗
tlon mit den glaͤnzendſten Wuͤrden beſchenkt waren, die mit
Eaherheit darauf rechnen konnten, daß bie Geſchichte ihren
Meinen Upoſterblichkeit zuerkennen wuͤrde, ließen ſich durch
die « eleien und Verfprechungen einer Parthei, vor
ungewiß war, ob ſie wuͤrde Wort halten können,
2." Vergeffenheit des Gluͤckes, das fie wirklich ge⸗
> Far, seidveny zogen den Tand und Prunk einer Verfaßſ
Um Unfange bed Oetobers 179. . 99%
fung, melde auch buch ihre Huͤlfe umgeworſen war, dem,
wahren. Verdienſte umd ber wahren Ehre nor, ſtrebten hab⸗
ſachtigund Meinlich nach Schägen und Borrechten, welche,
fie ats Verfechter der mweruͤuberlichen Menſchenrechte hätten,
verachten follen. Aber es fcheint beinah, als wenn die
Sleichheit, Für die ſie ſelbſt geredet-mmd:gehlutet hatsen, ih⸗
vom Stolze zur Saf.gefallen waͤre/ als weun fie neidiſch ger
worden waͤren, daß da, wo das Verdieuſt jeden auffordert,
Mh foſt täglich ein neues glanzenbes Vexbienft erhebt, und,
das ältere verduukelt. Sle wollten allein ‚bafichen, allein
Gefigen und. herrſchen, and auch in ihe Privatleben. noch den
MWBlan; ihrer Würden Übeutragen. Die Namen dieſer Mine
ner ind Pichegraä, Carnot und vielleicht auch Barthelemy ·
Wenn es ſchon ſchwer iſt, ſich zu erflären, wie dem
Eharakter biefer- Männer eine Gegemevolntien möglich war, fo
WM es beinah noch ſchwerer, ein ſolches Unternehmen mit ihe
rem ehemaligen Betragen, mit ihren Einfichten und der
Kenntniß ihres: Waterlandes zu vereinigen. Wie oft hat
nicht ſchon der Moyalismus vergeblich gefucht feine Rechte
‘auf Frankreich, die er für eben fo unveräußerlich haͤlt ale
die Bürger ihre Menſchenrechte, geltend zu machen, nnd iſt
es ihm nicht‘ jedesmal mißlungen, weil die Abſichten und
Wanſche einzelner gegen das allgemeine. Werlangen. ſich er⸗
hoben? Wenn man nur mit fluͤcheigem Auge die gegenwaͤr⸗
tige Enge Frankreichs betrachtet, fo iſt kein Zweifel, daß fo
mandje auch mit der gegenwärtigen Form und Verwaltung
der Nepublit mißvergnuͤgt feyn mögen, doch bie allgemeine
Stimmung für diefe Gefkalt der Regierung iſt. Hätte auch
die neue Partei: in den größeren -Srädten Frankreichs fi
Hie und da von kaͤufllchem Geſindel eine noch fo ſtarke Par
54
393 1. ueberſicht der merkwurdigſten Staattbegebenheiten.
— — — — — —
thei erworben, haͤtte dieſe ſelbſt da wo fie auftrat, den Sieg
davon getragen, jo waͤre fie doch noch weit davon eutferne
geweſen, ihre Unternehmung für gelungen erklaͤren zu Eännee,;
denn anftatt die jetzige Werfaflung zu ſruͤrzen, haͤtte ſie nur die
Gadel des Würgertrieges erhoben, -und an den Landeigentha⸗
wern, Die es ſich nie-würben gefallen laſſen, unter das: alte
Joch der Lehne und der Geiſtlichteit zuruͤczukehren, ſelbſt an
den auswartigen Armeen; die mit unerſchutterlichem Vetrauen
an ihren republikaniſchen Bährern hängen, Feinde gefunden, die
alles aufbieten mußten, um einer Sache, die jene fo ſehr be⸗
Hlücte und diefen durch, namenlofe Aufopferuugen theuer ge⸗
worden war, ben gebührenden Triumph zu verſchaffen. Es HE
undegreiflich, wie man noch jet der Cage, daß bie feangdfifche
Wation audy nach: fünfiährigen Triumphen noch die Republik
nicht wolle, Glauben beimefien kann; wie. man in- kleinen Uns
ruhen, in den von ber repablikaniſchen Verfaſſung unzertrerms
lichen Widerſpruche der einzelnen, in der zur Erhaltung · dee
Breipeit nothwendigen Spannung, Beftätigung dieſes Wahnes
finden kann. Die ſtille Ruhe, welche der. monarchiſchen Ver⸗
faſſung eigen ift, bleiht. einem republikaniſchen Staate, fobalb
er groß und, demokratiſch organifiet ift, wenn er fie anders jes
mals erreichen kanm, wenigſtens in ber Zeit feiner erſten Euts
ſtehung unerreichbar. Und es mag freilich bei einer noch ziem⸗
lich allgemeinen Spannung der Gemäther, befonders unter
einer lebhaften und wetterwendifhen Matien, dem leichtgläubir
gen Ehrgeize manches möglich farm, deſſen Unmoͤglichteit
er zu fpät erfährt.
So weit der Zuſammenhang der verwidelten Verfchruss
rung bie jegt befannt geworden ift, wollen mir unfern Leſern
daruber Auskunft geben. - Das wichtigfte Actenſtuͤck, welches
> mn Anfange des Drtsherd 1797: 09:
— — — — —
in dieſer Sache bekannt geworden iſt, beſteht im einer Schrift,
dio in der Briftaſche des Baron b’Entraigues, den Buo⸗
naparte im verfloffenen Mai in Itallen verhaften ließ, gefun⸗
den wurde Man wird ſich erinneen, daß man damals. der
Verhaftung dieſes Emigranten mit einer. befondern Auszeichs
ang erwähnte, und daß Buonaparte ihn unter einer umger
woͤbnlich ſtarlen Begleitung nach dem Innern Branfreich fchichte:
Wie Brieftalche dEntralgues war in Gegenwart von Buona⸗
Ponte und Clarke eröffnet und. die Aechtheit der Schrift durch
ihre Unterfchrift beſtaͤtigt. Sie fuͤhrte die Ueberſchrift: Meine
Anterredung zwiſchen d'Entraigues und dem Herrn Grafen von
Montgelllard. Folgendes iſt, fo weit er bekannt geworden,
thr. weſentlicher Inhalt: Pichegtũ hatte, als Heerfuͤhrer der
Rheinarmee, oͤftere Unterrebungen mit einem intriganten Schwei⸗
zer, Namens Courent, ken der Graf von Montgaillard, auf
Befehl des Prinzen, an ihn abgefchickt Hatte, um ihn anszu⸗
forschen. Die Anträge, welche Coutent ihn im Namen des
Deinen machte, nahm Pichegru ar; nnd er erbot fidh, feine
Yeınee ſich für. die Monarchie erklären zu laſſen, Ale in das In⸗
‚are von Frankreich zaruͤckzufuͤhren, und mit Hulfe der Oeſter⸗
reicher und Con deer die Republik zu fhärgen. - Wenn man den
‚Charakter des Eroberers der vereinigten Niderlande, der ſo
oft mit Acht. roͤmiſchem Republikanism ſich feinen Soldaten '
gleich ſtellte, auf welchem nie der Verdacht einer Habfuchr und
eines Mißbrauchs feiner Gewalt Haftete, mit den Berfpreihitis
gen zufammenkätt, ‚die Pichegruͤ von Condẽ gemacht ſeyn ſol⸗
ten, fo moͤchte man an der Aechtheit der menſchlichen Tugend
verzweiſeln; ‘denn wenn das an grümem Holz aefchicht, was
fol nicht an duͤrrem werden. Es: fey mır vergdunt, bloß in
dieſer Raͤckſicht dasjenge amzuführen, was daraber bekannt Ik,
Bbr
994 1. ueberſicht ber merkwuͤrdigſten Staatsbegebenheiten.
— — — — — —
ohne für die Wahrheit dieſer Anführungen zu ſtehn. Man hatte
Piceguh, Heißt es, anderthalb Mullonen zum Geſchenk vers
ſprochen, worunter 100,000 Thaler bean, die der Prinz gerade
vorräthig harte, ferner. die Stelle eines Marechal von Frans
reich, das rothe Band, 200,080 Livtes Penſion waͤhrend fels
nes Lebens, bie Hälfte derſelben für feine Battin, wenn er ſich
verheirathete, und ber wierte Theil derſelben für alle feine
Moachkommen auf immer, außerdem ein Hotel zu Paris, die
Ländereien von Arbois, die feinen Namen führen follten, und
12 Kanonen, die ex den Oeſtreichern abgenommen. —
Wie oft hängen bie Schickfale ganzer Matiomen von ſchein⸗
bar unbebentenden Kleinigkeiten ab. Conde verwarf diefen
ganzen Plan, weil er. nicht wie Pichese im Einverftändniffe
mit den Defiveishern und Wurmſer Handeln, fondern diefe
Chre. allein genieken wollte. — Die Atmee der Emigranten,
welehe wenn biefer Eleine Umſtand nicht eingetreten wäre, viels
leicht jegt im Innern von: Fraukreich ſtande, bereitet ſich jetzt
um · die Donau hinuater nach denjenigen ·Landern abgeführt zu
werben, welche Kaiſer Paul ihr als Beſitungen im ſadlichen
Theile Rußlands angemwiefen hat, und reiche fle ehemals, als
Catharina I. ihnen ein gleiches Anerbieten that, Im thoͤrich⸗
sen Vertrauen auf Hoffnungen; an deren Grabe fie jest ſtehn,
veraͤchtlich ausſchiug. — Auch Pichegru, der eingebildete
Marſchall von Frankreich ‚mit dern rothen Bande iſt bereits in
einem vergitterten Kaſten Über Orleans nach Rochelle abge⸗
führt, um da bedeckt mit der Verachtang eines ganzen Welt
theils die vereitelten Plane feines Ehrgeizes zu bereuen. Wenn
den einzelnen Zügen; bie von feinem Wetragen ſeit feiner Ver⸗
baftung erzählt werden, zu tranen if, ſo iſt der Charakter
deſſelben ein ſtoͤrriſchet Unwille, und Slaube an die Auerken⸗
Am Aufange bed Deicherd rer. - ET
— — — —
mung feiner ehemaligen Verdienſte, deren Einnerung aber ſelbſt
nicht einmahl im Stande war ben. gemeinſten Soldaten zw
tänfcen: Bedeutend iſt fein Wort. „Die ſind uus nur uw
ehe Stunde zuvorgekommen, ſonſt haͤtten wir u sw.
thau was fie jegt an uns thun.”’
. Ein zweies Akteuſtuͤck in dieſer Sache ift ein PR Con⸗
des, an das Mitglied des Raths der Fanſhundert Imbert-
Colemes aus: Lion, dor Agent des Praͤtenbenten zu Lion az.
und welchem Eomd# die Zufriedenheit des Prinzen zuſicherte:
Wichtiger als diefes If} ein drittes: eine meitfänfige Axtide ⸗
tung des. Duverne de Presle, der unter dem Damen Dunant
wit Laville » Heurnois und Brottier an der Spitze der letzten
Berſchwoͤrung ſtand. Man wird ſich erinnern, daß: dieſe Ver⸗
ſchwbrer von einer Über fie niedergefegten Eommiflien frey ge⸗
forochen wurden; daß aber das Directorium, unter bene
Zitel einer andern Anklage , über deren Eutſcheidung jene Com⸗
miffion nicht niedergefegst, und alſo zu richten nicht befugt war,
mich immer in. Werhaft behielt. Bedenke wan nun.drä-her
seite im Mai-jene Schrift ans ber Brieftaſche dEntraignec
in:den Handen des Divectoriums war, ſo ſieht man ein, war⸗
am es ſich einen Schritt erlaubte, welchen mancher damals ger
neigt geweſen ſein mag fuͤr despotiſch zu erklaren. Duverue
de Presle giebt den ganzen Faden ber. Verſchwaͤrurg unmtfge ⸗
fordert an, er ſagt daß man bie neuen Wahlen geleitet Habe,
daß man auf 184 Mitglieder der Legislätun ſicher hade rechuen
Finnen, daß man das Directorium habe Mützen, und jedoch
mit Beibehaltung der beider Raͤthe einen König an bie Stelle
deſſelben habe ſetzen wouen. Auch dem gleichgultigſten Beob⸗
achter mußte ‚die Nachſicht und Gelindigkeit, welche ſeit dem
Zutritt · des neuen Drittels die Beſchluͤſſe ber. meuen Räthe
196 1. ueberſicht der merkenfrbigfien Staatsbegebenheiten.
— — — —
qarakteriſirte, auffallen. Die Republit war noch nicht geſichert
genug um Beſchtuͤſſe zu ertragen, welche unverfäßnliche Feinde,
ansgewanderte Edelleute und unbeeidigte Prieſter in das Land
riehen, allein bei der jetzigen Enthuͤlung der Geheimniſſe bleibt
tein Zweifel mehr an der Abſicht jener Beſchluͤſſe übrig. Selbſt
der Zwieſpalt der Legislatur mit dem Directorium zeigte nur
m deutlicht die Criſtenz zweier Partheien an, die beide alle ihte
Kräfte. gegen emander aufboten. Daß ſelsſt die Majarität des
SDireotsriums ihre deinde nicht gering geihägt Habe, zeigt die
Anjahl von Truppen, die man in die Nähe von Paris zog,
und Aber deren Anruͤcken in den beiden Mäthen fo lebhafte Streis.
eigkeiten entſtanden. Es fen mir erlaubt, bier. anzufuͤhren,
daß ſchon vor einigen Mönaten ein genauer Beobachter der
Zeit mir verſicherte, Carnet und Barthelemy wären Royal⸗
fen. Von einem. Manne, wie Carnot, der in den frägeren-
Ketten der Republik ſelbſt unter terroriſtiſchen Stantsverwaltern.
faß, dies zu hören, wie einen jeden. in Erſtaunen feßen; im
Barthelemy’s Betragen indeſſen/ ſelbſt in feiner gezierten Ber
meidimg bes Ihm sals-Direstor in Paris gebährenben efllihen
Enmfanges ſcheint etwas zu liegen, was bie jetzige Entpällung
"feet Orundſatze minder unerklarlich macht. Ueberhaupt ſcheint
06 von der Legialatur ‚gewagt: geweſen zu fen, einen Mann,
der wůthtend aller Seile, die die Republik auagafichen hatte,
Bd An einem ſichern Hafen des Auslandes befand, der ach
dahu in Baſel, dem Wereinigungspunfte aller Mochinationen
der Emigranten, dem Wohnſibe Wickbaws, lete, des Ge
ſchaftstraͤgers eines Kabinets, welches gewiß auch bei dieſer
uuternehmung nicht unthaͤtig war, und nar um ſie au befoͤr⸗
dern die Friebensunterhandlungen theils durch Befehl, thelle
durch ſeinen Einfluß hinhielt, — diefen Mann / dem alle Oper
Am Anfange des Oetobers 1797. PR
— — — —
genheit fehlte, republlkaniſchen Muth zu zeigen, dem durch
feine Entfernung fein Vaterland entfremdet zu ſeyn ſchien, am
die Spitze eines Staats zu ſtellen, der von Gefahren umgeben
iſt, und der zu feinem Gluͤcke nicht allein einſichtsvoller, ſon⸗
dern auch reblicher und patriotifcher Männer bedarf, Gleich⸗
wohl fcheint Barthelemy minder fehuldig als Carnot zu ſeyn.
Uebrigens leuchtet es nun ein, warum man vor einiger Zeit,
als General Hoche, weil er noch nicht das gefegmäßige Alter
von 30 Jahren befaß, von ber Stelle eines Kriegsminifters ents
fernt wurde, wiederum die Frage aufmarf, ob Barras, da
er zum Director ermählt worden, das gefegmäßige Alter ſchon
erreicht Hätte. Man wollte ihn aus dem Directorio entfernen,
-weil die Minoricht deſſelben gewiß ſeyn konnte, daß die vom
Koyalismus angeſteckten Räthe ein für ihre Plane Aimnunbes
Mitglied erwaͤhlt haben würden.
So ehrenvoll übrigens ſich das Directortum bei dieſem
Schritte genommen hat, Indem nicht ein Tropfen Bluts ver⸗
goſſen ift, eine feit der Revolution ganz neue Erfcheinung — —
ſo bleibt allerdings noch manches zu wuͤnſchen uͤbrig. Man iſt
nicht ganz ohne Gewaltſamkeit zu Werke gegangen, man hat
die Deportirten ohne gerichtliche Unterſuchung zu dieſer Strafe
verurtheilt; allein man fordert auch gewiß zu viel, wenn man
in ber Zeit der Gefahr von den Gefegen kaltbluͤtiges Verfahren
hetſcht, und das Directorium war zu diefem Schritte um fo
mehr berechtigt, da die immer wachſame Gegenparthei ſchon
hle und da Anftalten traf, die Gefangenen aus dem Tempel zu
befreien. Wem übrigens bei den dargelegten Aktenſtuͤcken noch
Zweifel an ber obwaltenden royaliſtiſchen Verſchwoͤrung übrig
bleißen, den werden die Actenſtuͤcke, welche Moreau überfandt
hat, gewiß Überzeugen. Diefer General Hatte auf einem Ba⸗
z .
398 I. ueberſicht der merkwärdigften Staatsbegebenbeiten.
———— — —
gagewagen, ben er dem Gnigrantengeneral Klinglin abnahm,
eine betraͤchtliche Correſpondenz gefunden, wovon ein Theil im
Chiffern geſchrieben war und Plane von einer Verſchwoͤrung ent⸗
hielt. Die Verſchwornen fuͤhrten verkappte Namen: Pichegrů
bleß unter andern Baptiſte, und wurde auch. bier als das Haupr
der Unternehmung angegeben. Achtung für feinen Vorgänger,
dem er noch immer nicht eine Treuloſigkelt dieſer Art zutrauen
konnte, hielt Moreau zuruͤck, früßer won diefen Entdeckungen
Gebrauch zu machen; ein Brief an Barthelemy, ber erſt nach
dem Sturze diefes Directors ankam, theilte feine Entdeckungen
alt. Das Directorlum vief ihn nach Paris, glaubte aber in
feiner Berheimlichung diefes Plans, und in feinem Eifer, mit
welchem er feine Armee von Adreffen an die Nation, dergleichen
die Italieniſche und Maaßarmee eingefandten, abhielt, Gründe
genug zu finden, um ihn von feinem wichtigen Poften zu ents
fernen, um fo mehr, da felt dem 4ten September die Legisla⸗
tur durch ein eignes Dekret die kurz vorher als conſtitutionswi⸗
drig verbammten Adreſſen gebilligt hatte. Da noch uͤberdieß
die Maaß⸗ und Sambrearmee am ıgten September ihren Ges
neral Hoche, 29 Jahr 8 Monat alt, zu Weglar verloren hat,
fo Hat das Directorium das Commando beider Armeen dem
General Angerean übertragen, welcher bisher Commandant
der ızten Militaiedivifion zu Paris war, und am 4ten Sep⸗
tember erfprjeßliche und patriotifche Dienfte geleiſtet hatte.
Der Tod des Generals Hohe und die Unpaͤßlichteit Buona⸗
parte's, vereinigt mit des Erinnerung an bie Verſchwoͤrung
und an die lebhaften Adreffen ihrer Armeen, haben Vermn ⸗
thungen veranlaßt, denen jedoch niemand Glauben beimift.
Wenigſtens iſt es gewiß, daß Hoche nicht an Sift geftorben if,
denn bei der Eröffnung feiner Leiche fand fi ein alkhıma com’
"Yin Anfange des Oetobers 1797. 399
nn
vulſiyum und ein polppenarfiges entzaͤndetes Gewaͤchs an
der Luftroͤhre als Urſach feines Todes, Beine Leiche wird nach
Seankreich abgeführt, und ihm zu Ehren auf dem Marsfelde
ein Trauerfeſt gegeben. — Ludwig Lazarus Hoche war anfänge
lich Soldat in der franzoͤſiſchen Garde im Jahr 1784, ging
alle Grade durch, ward Divifionsgemeral den 23ſten October
1793 , Chef der Mofelarmee vom ısten September 1793 bis
März 17945 entfegte mit Pichegruͤ die Feftung Laudau, trich
bie Kaiferlihen aus dem Elſaß und zwang fie, nebſt den Preufs
fen, im Dezember 1793 über. den Rhein zuruͤckzugehen; ward
1794 abgefegt und verhaftet; gegen Ende des Sahres: 1794
Chef der Armee von Breſt und Cherbourg, beſiegte die Eml⸗
granten auf Quiheron, endigte den Wendeefrieg, commandirtg
die verungluͤckte Erpedition gegen Irrland, und warb zu Ans
fang diefes Jahres Oberbefehlshaber ber Sambre: und Maas⸗
arme, mit welcher er ſchnell und ſiegreich bis Frankfurt vor⸗
drang, wo nur bie Nachricht der zu Leoben abgefchloffenen Frie⸗
denspräliminarien feine ferneren Fortſchritte aufhielt.
Es ift übrigens auffallend, Daß gerade am 4ten September
auch zu Genua eine Verſchwoͤrung der’ ehemaligen Mobili,
welche ‚unter mancherlei. Borfpiegelungen die Landleute aufge⸗
boten hatten, gegen die neue Verfaſſung ausbrach. &ie if
nicht ohne Blutvergießen abgesangen; die Ariſtokraten trugen
anfangs den Sieg davon, wurden aber hernach von deu Des
mofraten wieder uͤberwaͤltigt und bei diefer Gelegenheit haben,
über 1000 Menfchen ihe Lehen verloren, Eine nahbrädlihe
Erklärung des franzoͤſiſchen Geſandten Faypoults zu Genua,
die er in dem Namen Buonaparte's:erlaffen, verſpricht der
neuen Verfaſſang den räftigften Schuß gegen alfe Machina⸗
tionen ber. ehemaligen Machthabr. 2:
469 1. Heberficht ber merlwuͤrdig ſten Staatdbegchenheiteg.
— ——— — — — —
Wegen der Sriedensunterhandlungen zu Udine iſt man
am nichts gewifler als am Ende des vorigen Monats, Das
Parifer Direstorium hat nach dem 4ten September ein Mltts
matum dahin gefandt, und alle- Nachrichten, die aus Frauk⸗
weich Aber biefen Gegenftand zu uns kommen, laflen einen bal⸗
digen Anfang der Beindfeligteiten beforgen. Buonaparte ſoll
feine Armee auf das furchtbarſte ausgeräftet haben, fie mis
dem Kellermannſchen Corps und mit anfehnlihen Schaaren
von Eisalpinern und Piemontefern vermehren, aud fie zw
neuen Angriffen and zum Muth fchon’aufgefordert haben. Was
man indefien von Wien aus Über diefen Gegeuſtand hört, läge
einen nunmehrigen endlichen Abfchluß des Briedens Hoffen. Der
General Meerfeldt fol, wie die Blaͤtter des Tages verfihern,,
einig und allein zur Unterzeichnung des Friedens, und nie
zu ferneren Unterhandlungen nad) Udine abgereift feyn. Aller⸗
dings ift es auch zu wuͤnſchen, daß diefe Nachricht fich beftätis
gen möge, und vielleicht ift auch diefer Entfchluß des Wiener:
Hofs eine gluͤckliche Folge der Revolution vom ten September
au Paris. So waͤre denn endlich Europa von bem verderblis
chen Einfluffe eines Kabinets, deffen Plane fo lange feine Ruhe
und fein Gluͤck geftört Haben, befreit, und dieſer Suifset
ganz von dem feften Lande iſolirt.
Geſetzt aber auch, daß die Franzoſen jegt nicht bloß Cup
land allein zu befäimpfen hätten, fo iſt es auch fo gewiß, dag
fie diefen neuen Feldzug wieder unter den gänftigften Ansfichten
anfangen; Ihre Armeen ftehen an zwei Punkten dieffeits des
Rheins, Stalin fihert ihnen den Rüden, und kann ihnen
alle nöthige Zufuhr gewähren; ihr Heer iſt mit Bundesgenoffen
verſtaͤrkt, die ſie vormals als Feinde au beſiegen hatten, und
der Patriotismus beſeelt die Regierung und die Heere. In⸗
deſſen
Am nfange des Octobers 1797. —
—— — —— —— —
deſſen möge der Ftiede endlich dem ſeufzenden Europa werden,
möge es nicht mit feiner füßeften Hoffnung genedtt ſeyn, mds
gen die Heere ſich nicht mit neuer Kraft und mit neuer Erbitter
nung geräftet Haben!
Der verfloffene Monat hat noch eine neue Erfcheinung ers
zeugt, über welche indeſſen noch nichts bereähtiget abzufprechen.
Es ift hier von der Eischenanifhen Republik die Rede.
Die Staaten nemlich, die auf dem linken Ufer des Rheins lie⸗
gen, haben ſich für frei erklärt, und ſtehen in Begriff, fich in
eine Nepublik zu organtfiren. Zu Kolln, Aachen und Bonn-
iſt der Freiheitsbaum gepflanzt. Der Ehurfürft von Köln bat
eine Adreſſe an die Wölfer jenfeits des Rheins erlaffen, deren
@rfolg um fo ungewiſſer feyn muß, wenn der wiederum aus⸗
brechende Krieg die Franzoſen bewegen follte, die Eischenanifche
Republik, welche im Stande iſt, ihnen 6o,ooo Mann zu ges
währen, anzuerkennen.
Wie dem nun auch fel, der Wunſch des Menſchenfreundee
kann kein anderer als der ſeyn, daß der Geiſt der Unruhe, der
Empörung und des Krieges immer mehr unterdruͤckt werde,
und daß jeber Staat glücklich genug fel, ihr von feinen Sm
zen, fo wie die Peſt, die auf der afrikanifhen Küfte and in Cor
fta (menigftens als gefaͤhrliche Epidemie) hertſchen fol, im ⸗
mes entfernt iu sat . ..
R....
Diniu Sahıa. atır Band. &
42 IE Ueber Humanitaͤt etc.
n.
ueber Humanitaͤt,
als den Quell uud Das Ziel ales Schouen in der Runp, -
D folgende Abhandlung wurde von dem Verfaſſer bei der
zur eler des Geburtstages Sr. Majeftät des Königs veran⸗
Kalteten oͤffentlichen Sitzung ber Koͤnigl. Akademie der bilden»
den Künfte und mechaniſchen Wiffenfchaften am asften Sep⸗
tember 1797 vorgelefen. Sie wird den Lefern Gier gegeben, wie
fie die Zuhörer empfingen. Veranfaflung und Ort rechtfertigte
indeß damals die Kürze, und hießen dasjenige gut, was biefer
Abhandlung an der Ausfüprlichkeit fehle,. bie ein Gegenftand,
wie diefer, nicht allein verdient, ſondern fordern darf, und
welche man jetzt, wo jene Hinderniſſe wegfallen, mit Recht
erwarten zu koͤnnen glauben mag. — Allein-es.kag dem Wers
faſſer daran, ehe er dieſe Ideen, die, nach feiner Meinung,
über alle Fächer der Kunft, alle Gegenftände und Behand⸗
lungsarten derfelben ein Licht verbreiten, weiter ausfühnte, fie
dem Urtheil derer vorzulegen, denen Gegenſtaͤnde diefer Are
werth find, umd die ein Recht Haben, entſcheidend daruber zu
fprechen. — Ohne übrigens auf irgend etwas, das man Erfins
derſtolz nennen koͤnnte, auch nur‘ von ferne Anfprüche machen
zu wollen, — denn ber aufmerffame Lefer wird nur zu bald
ſehen, was ihn auf diefe Vorſtellungen leitete, — slaubt er
doch erwaͤhnen zu muͤſſen, daß ihm erſt nach vollendeter Arbeit
er Anke, . B
I. Ueber Humanitaͤt x. 408
u
ein. Std der allgemeinen deutichen Bibliothek zu Geſicht kam,
in welchem die Schrift eines Herrn Poͤrſchke beuetheilt ward,
welche, dem Auszuge zufolge, den der Recenſent davon gab,
in Rüdficht des Ideenganges mit diefer Abhandlung einige
Aehnlichkeis zu haben fcheint. Da Eritifche Blätter ifm üben .
Haupt felten begegnen, und das Genannte ihm nur durch die
Sand flog, fo if er jet nicht einmal im Stande, ben Titef
‚sener Schrift, von welchem fein Gedächtniß nur den Namen
des Verfafiers behielt, gam mitzutheilen.
An einem Orte, wie der’ gegenmärtige, ben ber fleißige
Wetteifer der Künftler mit Werken ſchmuͤckte, bie ihn zum Hels
Ugthum der Muſen und der ſchoͤnen Kunft machen; an einem
Tage, wie ber ‚heutige, wo die danfharen Kuͤnſte das Feſt
ihres Beſchutzers huldigend feiern, vor, einer Verſammlung,
die aus Beſchuͤtzern, Freunden und Lieblingen ber Muſen bes
ehr, vemt es ſich von einem Gegenftande zu reden, der des
Veſtes würdig, dem feierlichen Orte angemeffen, und einer ſo
cehrwuͤrdigen Verfammlung wichtig zu feyn fcheinen darf.
Werfen Sie mit mir von biefem Orte aus einen Blick über -
die Nation, zu welcher wir uns ſtolz als Mitglieder zählen,
Syn welcher edlen, ſchoͤnen und humanen Vollendung erſcheint
fe, bie fo viele, und unter ihnen fo vollendete Kuͤnſtler zaͤhlt,
die eine ſolche Sammlung von Kunſtwerken zu ſchaͤtzen und zw
wardigen toeiß. — Laſſen Sie jetzt ihr Auge ein Jahthundert
werädfallen, wiederholen Site in Gedanken die Zeit, wo ein
serbienfivoller Landes vater dem Namen, der noch heut unfen
ganzes Gluͤck ausſoricht, dem Namen Friedrich Wilhelm zu⸗
Eſt Verchrung und Unſterblichkeit erwarb ; wo deinde vor feinem
€: 3
— U. ueber Humanitaͤt ıc.
— — —— — — —
Arme zitterten, und Freunde den Beiſtand feiner Waffen und
feiner Treue, wuͤnſchten; wo ber Ruhm feiner Taten vom
Rhein bis zur Weichſel, von den Alpen bis zum Welt erſcholl;
wo er Die Macht gruͤndete, mit welcher fein großer Sohn ſich
ſelbſt die Konigskrone auffegte, bie feine Nachfolger zu einer
der glängendften unfers Welttheils machten — rufen Sie dieſe
Seiten zuruͤck, und entwerfen Ste ſich em Bild unferer Bor,
“fahren. So lange Treue und Biederkeit, Muth, Ausdauer
in Gefahr, Tapferkeit und alle die Tugenden. zufammen, bie
das große Wort Patriotismus und deutſche Redlichkeit umfaßt,
gegründete Anfprüche auf Verehrunggeben, wird man fie den
Ahnen unfers Volkes nicht verfagen können. Aber es hieße die
Verdienſte der Negenten und der unter ihrem Schuge thätigen
"Genies undankbar verkennen, wenn wir nicht eingeftehen woll⸗
ten, daß der gluͤckliche Erfolg ihrer verdienſtvollen Bemäguns
gen uns auch in Ruͤchſicht der Eultur-und Humanitat eine
Stuffe erreichen fieß, bie uns neben die gebildetſten Völter ver
’Zeit ftells, welche nicht erreicht zu Haben einer der druͤcheudſten
Vorwuͤrfe ſeyn würde,
Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, und mich zwingen, die
"meinem Vortrage durch. mein Talent fo eng gezeichnete Graͤnze
‚zu uͤberſchreiten, wenn ich alles} das, mas feit jener Zeit,
in Ruͤckſicht der ſchͤnen Kunſt, von Regenten “und ihren
würdigen Dienern für die Bildung: der Nation geſchehen iſt,
auch nur erwaͤhnen wollte. — Diefes reihe Feld wird mir
Stoff zu einer Darftellung geben, wenn nach kurzer Zeit
‘die Akademie das hundertjährige Foſt Ihrer Stiftung, und
mit ihm die Werdienfte alter derer feiert, weiche ſeidemn ihre
Veſhůber menge und Freunde waren,
I. neber Humanicät ıc.' P" 7
— — — — —
Segt ſey es mir vergoͤnnt, Sie durch einige Betrachtun⸗
sen zu unterhalten, die ſich mit dem Einfluß ber.fhönen Kunſte
und eines verbreiteten Kunſtſinns auf aͤchte und humane Eultur,
ſowohl der einzelnen Menſchen als, ganzer Wölker befchäftigen.
Den Trieb zu bilden und zu ſchaffen, es fey in welcher Maſſo
oder Darftellung es will, hat die Natur tief in bie Seele; des
Menſchen gelegt... Sobald er fih über die Schranken feiner
Huͤlfloſigkeit und aus der Defpptie.ber Bebürfniffe-erhebt, for,
bald die ihn umgebende Welt ihn als ihren Heryn ‚anerkennt,
ar nicht mehr der Nothwendigkeit jeden Augenblick dienſtbar
solle, ſondern zuweilen fehpn der Muße genießt: fo erwacht,
von den. Bildern, die rund um ihm her find, gewedt, bie
innere. Welt feiner Phantaſie, und firebt aus feinem Ins
nern zůr Exiſtenz hervor. — Sein Lieb ducchtönt den Hain,
feine Floͤte weckt die Echo, die in Felſengrotten Ichläft. Es
find rohe Funftlofe Laute, aber fie tönen aus der Bruſt eines
Menſchen hervor, und, tragen den Charakter Heiner Empfins
dungen. Nur von einer. Sprache, die er gleichwohl ſchneller
ſchafft als erlernt, eingeſchraͤnkt und gehindert, erreichen Ger
fang und Muſik eine frühere. Vollendung, als die bildenden
Künfte, wo widerſtrebende Stoffe und unvolllommene Werks
zeuge ſich ihm in den Weg ftellen. Gleichwohl entfernt ſich
feine Hätte immer mehr von der Geſtalt feiner urfpränglichen
Hoͤhlenwohnung, und zeigt in Anlage und Ausführung feine -
Abfichten und Wuͤnſche; der weihe Thon nimmt die Geftalt
feiner Phantafien an, und indem er den Schatten umzieht,
vertraut er treulofem Sande ein Bild, dem feine Einbildungss
kraft Farbe, Leben und Gleichheit geben muß. Er verläßt den
unſichern Führer, den Schatten, eine farbige. Erde. bietet; ſich
feiner Hand dar, und die glatte Felſenwand ‚nimmt zuerſt eine
€ 3
106 I. Über Humanitäe 1
—rrt — — — — — —
Nachahmung der Natur als freie Schöpfung ſeiner Phautaſie
auf. + Cttelteio miſcht ſich in den regen Trieb zu bilden, feine
Bedarfniſſe, als Kleidung, Waffen und Hausrath, werden
geſchmuͤckt, um entweder feine eigene Geſtalt hervorſtechend zu
machen, ober au ihn felbft durch eine angenehme Form
au ergoͤtzen. “
So unvollendet aber als diefe Darftellungen wegen Mars
gel der zweckmaͤßigen Stoffe und ber Fertigkeit fie fo zu bes
Handeln, daß eine nachbildende Darftelung der Natur, die
fi) gleichwohl als das Werk eines Menfchen ankuͤndigt, here
vorgehe, in Kuͤckſicht der mechanifchen Ausführung find, eben
p unvolltommen find fle als Schoͤpfungen feiner Phamaſie in
Nuckſicht des Gedankens, der Erfindung, Zuſammenſtellung
und Anordnung. — Seine von Vorurtheilen irre geleitete Ein⸗
bildungskraft giebt wie ein falſcher Spiegel die Bilder zuruͤck,
er wird in feinen Umriſſen das Gigantiſche und Coloſſale, in
feinen Farben das auffallende Bunte und Grelle ſuchen, und
fih um fo mehr von feinem Urbilde entfernen, ſe mehr er feinen
Saunen froͤhnt, und feinen Charakter, feine Art zu empfinden
in das Werk überträgt. Verwunderung und Staunen find die
Zwecke, die er zu erreichen ftrebt,-und über welche er Bewun⸗
derung und Wohlgefallen zu bezwecken verfäumt. \
Das man hieraus ihm aber nicht einen Vorwurf mache,
und Über die Mängel der That Achtung gegen den Willen vers
zeſſe. Der Bildner diefer Art, — mit welchem der fich ſelbſt
überlaffene Anfänger auf gleicher Stuffe ſteht, — Handels nicht
als freier Dann, indem er an Händen und am Geifte Beffefn
trägt. Erfindungen werden jene, fortfchreitende Kultur wird
Klefe fen, und dee Meifter eines geblldeteren Zeitalters wird
oft in den erſten mißlungenen Verfuchen Spuren eines Genies.
m. Ueber Humanität "07
— —
Anden, welches arihfam aber nicht glucklich gegen Hinderniſſe
und Vorurtheile rang. — Matıgelpaftigkeit ber Darfiellung,
und Uebertragung ber Fehler, welche in der Individualitat des
Zanſtlers Hegen, in das Kunſtwerk ſelbſt, diefe find es alſe,
welche uns abhalten, das Werk mit Wohlgefallen zu betrach⸗
und es ſchoͤn zu nennen. "
Denn gerade die beiden ‚entgegenftehenden Eigenfhaften
Gesunden wir als Kunſt, Schoͤnheit und Wollendung im
‚Kunftwerfe, nn B
Jeden Gegenftand, der durch die Form, ben Sinnen dee
MPhantaſie oder bem ‚Innern Gefühl. bemerkbar, Humanität
oder eine vollendete. Ausblldung ber edlen Triebe und Empfidr
dungen ber menfhllchen: Natur darſtellt, nennen. wie ſchoͤn.
In diefer Bedeutung leidet der Ausdruck diejenige ausgedehnte
Anwendung auf eine Menge verſchledenartiger Gegenſtaͤnde,
welche ihm die Sprache giebt. Wir nennen die Natur ſchoͤn,
wenn ſie uus Gegenſtaͤnde und Scenen darſtellt, in welchen
“wir bie Thatigken eines ordnenden Geiſtes unſrer Art oder
ausbildender Menſchenhande gewahr werden duͤrften, wenn
gott nicht wuͤßten, daß ein höherer Geiſt fie hervorgebracht hat.
Erſcheinungen und Begebenheiten der Natur, die, indem ſie
Die Hoheit des Schoͤpfers verkuͤnden, die menſchliche Kraft
in ihrer Unterwuͤrſigkeit und Reinheit zeigen, wie Alpenge⸗
vbiege, Vulkane, Meere, Sturm und Ungewitter, nennen wir
— in ſofern wie ſie blos als Erſcheinungen betrachten — groß,
erhaben; fleerregen Staunen und Anbetung, indeß die Schöhs_
heit in der Natur, welche den Urheber — wenn ich fo fagen
darf — in einer gewiſſen Herablaffung zu menſchlichen Wins
ſchen und Empfindngen darſtellt, ihn bem Herzen um fo näher
bringt, je mehr fie das Bild feiner unerreichbaren Größe dem
Cec 4
F N. ueber Humaultaͤt ie,
— — — — — —————
Verſtande entruͤckt. Dieſe Götzlichfeit. der ſchaffenden Kraft
verſchwindet gleichfalls dem Auge des Geiſtes, wenn die klet⸗
nere Form des Gegenftandes, feiner Unnachahmlichteit unge⸗
achtet, ihn in ein näheres Vethaͤltruß mit der menschlichen Kraft
ſetzt, und fo nennen wir Blumen und Bad ſchoͤn, Eiche uns
Strom majeſtaͤtiſch, weil wir in jenen bie Natur gleich jam
menſchlich empfinbend und menichäsh ſchaffend erbadicken. —
Das Anſchaun ſolcher Shönen Naturgegenſtaͤnde gewaͤhrt daher
eine Bewunderung, die mit Freude und Wohlgefallen gemifche
iſt, weil wir in ihnen, wie in einem Bilde, was ſelbſt veredels
wiederfinden, und durch ſie zu einer Ahnung der Vollkommen⸗
heit und Größe ber menfchlichen Kraft erupprgehohen werhen.
. Baft der gleiche Fall ift es mit der. Ochdnheit in moraliſcher
Raͤckſicht. Sie iſt nur bei Handlungen denkbar, und liege
einzig in der Form darſelben. Sie iſt auch mehr den ſanfteren
und geſelligen Tugenden der Wobhlthaͤtigkeit, Freundſchaft,
n. d. gl. eigen; da hingegen andere den Namen der heroiſchen
verdienen, für deren Darſtellung und Verewigung die Kunſt
‚mit Recht die coloſſale Bildung gewaͤhlt hat; — Entdeckungen
im Reiche der Wahrheit haben Werth, aber keine Schoͤnheit;
daß der menſchliche Geiſt die Geſetze des Weltalls entdeckte,
erregt Bewunderung, nicht reine Freude und Wohlgeſallen;
denn die Bewunderung iſt eine Empfindung, die, je verdienter
fie von Seiten des berounderten Gegenſtandes ift, um fo mehr
diefen von den Äbrigen ifolirt, und Annäherung und Vertrau⸗
lichkeit, die mit dem Wohlgefallen unzertrennlich verbunden
find, aufhebt. Der Heros, welcher, wie ein Regulus, ih
freiwillig aufopfert, und ein Newton, für deſſen Geift das
Endlofe zu begraͤnzt war, ragen zu. hoc) uͤber die Menſchen⸗
größe hin, um nicht den Namen erhabener Geiſter zu ver⸗
M. eher Gumanitde 16 ?”3
— — — — —
dienen. — Aber auch Bei audern Tugenden, die der Schönheit
fabig And, liegt daeſe allein in der Form der Handlung. Wer
wagt ‚die ſchoͤne Wohlthoeigkeit wach dem Werthe der Gaba
und. nicht vielmehr · nach der Aet, wie fie ertheils ward?
Auch dies ift methwendig: denu hie Schoͤnheit, und vor allem
die woraliſche, darf.nicht von, zufälligen-Eigenfchaften „-fonderr
muß von dem abhängen, was zur allgemein gleichen Ansfteuer
des menfchlichen Herzens gehoͤrt. Nur unter dieſer Bedingung
Bann fie bei gleichgefchafienen Weſen Ereube wıb Bohlgefallen
regen, da fonfl;ein.disfer angenehmen Empfinbung ganz mb
Derfprechendes Gefuͤhl, der. Neid, ihre Wirkung fegn. wuͤrde.
» IR das Geſagte bei Gegenſtaͤnden, deren Ichter Zwe—
nicht blos die Schoͤnheit iſt, (hon- erwieſen, wie viel mehr
muß es bei Werken der Kunſt der Ball ſeyn, deren einziges
Ziel Wohlgefallen duch Schonheit bleibt. — Wenn wir ba
‚den Schöyfungen der Natur, oder bei dem geiftig Schöner
moraliſcher Handlungen, das was jene der. menſchlichen Kraft
and Natur näfert, und diefe ihr zueignet, nur auffachen, fo
muß dagegen das Kunftwerf überall feinen Urſprung durch
menſchliche Kraft und Beichidlichkeit.felbft verfändigen. Det
aller Wahrheit und Treue der Darftellung, bei.der. nollfommens
Ken Aehnlichteit derſelben mit dem dargeſtellten Gegenſtande,
muͤſſen wir doch jederzeit gewahr werden, daß es nur Darſtel ⸗
kung und Probufs menſchlicher Kraft ſey; denn .ein großer
Thell des Woplgefallens an Kunſtwerken beruht, auf dem Wer
aoußtſeyn, daß fie durch eine Fähigkeit Herpargebracht find, die
auch in uns wohnt, fo daß, die Freude am Kunſtwerk ſich in
das Gefühl einer. Vollkommenheit verliert, die. andy dem Be⸗
ſchauer des Kunſtwerks mögfich und erreichbar ift, und daß die
Bewunderung des Kunſtlere in eine Bewunderung der In ihm
Es
a. IL Weber Humauitat ꝛc.
— — — — —— —
vollendeten und ausgeblldeten Fähigkeiten und Kräfte ber
menſchlichen Matur-übergeht, vom denen auch der Bewunberer
einen Theil ſich zueignen darf. Darum bat man auch von jeher,
wo der Sinn der Künftler und Mationen in das Weien der
Kunſt eindrang, die Darftellung durch Farben und durch runde
Bormen von einnader getrennt; denn fobald beide vereinigte
And, wie z. B. in einer colorirten Bildſaule, fallt das Bes
wußtfeyn einer in der Nachahmung der ſchaffenden Natur
slädlihen Kraft weg; der Menſch wagt ſich zu kahn in ein
Veld, wo er nicht wetteifern darf, and anftatt die Größe und
Würde menfchlicher Fähigkeiten zu verfändigen, wird das
Kunſtwerk ein Herold dee Ohnmacht und Schwaͤche derſelben
feyn. Denn der Verfertiger hat nicht bios eine Nachahmung
eines Naturprodukts, fondern das Produkt ſelbſt Hefern wol⸗
len, und wir glauben uns nun’ nicht mehr allein auf die Forde⸗
sungen an ein Kunſtwerk eingeſchraͤnkt, fordern zu allen den
An ſpruchen berechtigt, welche die Werke der Natur befriedigen,
Auf diefe Art ſucht alſo der beobachtende Verftänd und das
theilnehmende Gefühl ſchon in dem Mechanifchen ſchoͤner Kutift
werke die Spur einer Volltommenheit feiner Gattung auf, die
Kon zur Freude und zum Wohlgefallen hinreißt. Es find nicht
106 die bunten Farben, nicht der glatt polirte Stein, bie feine
Sinne angenehnt rühren, fonderm es ift das Bewußtſeyn, daß
Menſchen diefe Farben miſchten und auftrugen, daß Weſen feiner
Art auch die widerſtrebende Maffe-des Steins fo beherrſchen.
So nothwendig indeß die mechaniſche Ausführung bei
"einem Kunſtwerke iſt, indem es durch fie erſt Exiſtenz erhält,
ſo iſt fie doch nir der Körper, der den weſentlicheren Theil, dk
Seele, den belebenden Geiſt in ſich fchlieht. — In dem ports
ſqhen Theile des Kunſtwerks, An dem Gedanken, dem bie ganze
1L: Ueber Humanitat ꝛc. ar
— — — — — —
Ausführung ſich anſchmiegen muß, liegt vorzuͤglich der Werth
deſſelben. Dies iſt fo anerkannt, daß es ſelbſt bei der Beſtim ⸗
rung. bes Ranges unter ben verfchledenen Arten von Künftlern
zum Grunde zu liegen ſcheint. Wer ſchaͤtzt einen Bildnißmah /
ler nicht Höher als dem, der Frwchtftüde oder auch Blumen
eopirt? und. wer fegt ben Mahler der handelnden Denihen;
ven Erfinder großer, wichtiger Scenen nicht über den, welcher
ben Körper im einem Moment ber Geiſtesruhe und Leidenſchaft ⸗
loſigkeit darſtellt / wo ihm überdies die Forderung der Aehn⸗
lichkeit immer Feſſeln anlegt.
Das poetiſche eines Sunfwates- aber Hest nur in dem,
was der Kanſtler zu dem durch bie Natur ihm dargebotenen
Gegenftande aus feinem Innern und feiner Judtvidualitaͤt in
der Darftellung Hinzufägt. Dies iſt es, was das Werk ithm
weignet, und, indem es daſſelbe zu einem. freien Geſchoͤpf feis
mer Phantafie macht, über Nachahmung erhebt. — So wie
nach dem Ausfpruche eines Weiſen, in der Natur, und vorzäge
fich in dem vollendetſten, was fie hervorbrachte, in der menfche
lichen Geſtalt, der Abdruc und das Weib ihres Urhebers liegt,
fo muß in jedem Achten Kunſtwerke auch das Bild des Geiſtes
liegen, ber ds hervorbrachte. Durch die Kunſt tritt der Menſch
dem Schöpfer nah, er läßt das, was nur als Gedauke im ihm
fag, als Exiſtenz hervorgehen, und wer es thm gleich unter⸗
ſagt iſt, dieſem Dafein Leben zu gewähren, fo legt er doch
durch eine angenehme Taͤuſchung ihm den Schein des: Lebens
bei, der den Beobachter ber Kunſtwerke, deſſen Phantaſie
ebenfalls belebt und in Thaͤtigkeit gefetzt wird, nichts vermiſſen
laßt. Aber der Menſch muß hier auch tn der Art, wie er fein
Vorrecht, Schöpfer zu fern, -aushbt, "dem Vorbilde folgen,
weiches ihm ward ;: und überall ben Stempel feines Geiſtes ben
gu I Heber Humanitat ꝛtc.
— — — — — —
Werken feiner Hand aufdräden, fo wie er ben eines allumfaſe
fenden Naturgeiſtes in den Werken der Natur gewahr wird.
Jeder Gegenſtand, der zu einer kunſtvollen Darfiellung
fich eignet, iſt fün den Abdruck feines Geiſtes empfänglid , und
er wird ſich ehen fo. in der Wahl beſſelben, mie in der Anord⸗
ang und dem Vergältniffe ver einzelnen Theile und des Gan⸗
ven, fo wahl in dem Ausdrucke und bee Charakteriſtik, als auch
vorzüglich in der Form Auffeen, welche der Kuͤnſtler biefem als
len ertheilt. — Die Blamen, welche der bildende Künftler zum
Strauß oder Kranz vereint, die Stellung, in welcher er ein
Bildniß auffaßt und darſtellt, das Licht, in welchem et. eine
Landſchaft wor unfere. Augen zaubert, der Moment, in wel⸗
chem er eine Wegebeuheit erſcheinen läßt, alles bies, auch dann
ſchen, wenn er diefe: Gegenſtaͤnde nach der Natur Süden follte,
iſt mehr oder minder im Stande, den Geiſt des Kuͤnſtlers dart
auftelen. — Je vollendeter aber dieſer Geiſt iſt, je näher er
bein Ziele einer ausgebildeten und veredelten Humanität ſteht,
und je mehr das Kunſtwerk nicht allein im Stande war, diefen
Geift aufzunehmen, ſeudern ihn and wirklich empfing, und
iin deutlichen Zügen datlegt, je mehr die mechaniſche Ausfuͤh ⸗
rung biefes. alles unterſtutzt, die Sinne taͤuſcht und durch dieſe
Danſchung die Phantafie fur den Gedanken empfänglid mat,
um befto ſchoͤner iſt das Kumfiwwerk. — Das Talent, eine ver
&beite Humanitat in Kunſtwerken darzuſtellen, #ft es, was wir
Benie nennen; denn nur dem Genie gelingt ein folches Unter
nehmen. Das mühfame Streben wird uͤberall durch Kälte,
Steifheit, Gezwungenheit und Dieharmouie verraten, daß
es etwas wagte, was weit über feine Kräfte.hinausging. Bei
dem aͤchten Kuͤnſtler iſt bies alies.das Reſultat einer beftimmten
Empfindung, deren Erunde er ſelten darzulegen vermag, nidt
IL Ueber Hamantiike at. a.
— — — — — —
des Nachdenkens; und ausj eben dieſem Grunde bleiben in der
fchönen Kunf die Werke des Genies die einzige Quelle fuͤt die
Geſetze derſelben. Nicht, daß das Studium ſich bemuͤhe, die
Regel aufzuſinden und in Werken darzulegen, die als Empfins
dung in ber Seele bes Künftlers lag, fonbern daß der Anblick
eines Meiſterwerkes in gleich gefchaffenen Seelen ähnliche Ser
fuͤhle und ‚durch fie ähnliche Werke hervorrufe. In ber That
ind auch die hoͤhern Kegeln der Kunſt oft fo-allgemein-und u
beſtimmt, daß zu der Aumenbung derſelben auf einzelne Falle
nicht felten eben fo viel Genie, als zur Erfindung berfelben eu
fordert wird. b „
Es märde mich zu weit führen, wenn ich bie Bier auge⸗
regten Ideen noch weiter verfolgen wollte; nur dies eine fe
mir noch erlaubt zu erwaͤhnen, daß wir in der bildenden Kuuſt
airgends den treuen Abdruck der Natur lieben, da ausgenom⸗
men, wo er einziger Zwech iſt. Bald finden wir ihn niedrig,
unwuͤrdig, brollige, bald: ſchreckhaft und unfähig angenehme
Empfindungen hervorzubringen. Da fol etwas der Darkieb
Aung beigemifcht fein, welches ihr die Zauberkraft extheift,
Wohlgefallen zu erregen, und woher kaͤme dies anders, als
aus dem Genie des Känftlers, was wäre es anders, als der
Ab druck feiner veredelten Humanitat, die in uns eine theilneh /
mende Freude an der Vervolllommung eines Geſchlechts erregt,
dem wir angehören.
Mid dünft, das Alterthum dachte aͤhnlich Über diefen Ger
genſtand. Die.Rbmer nannten die fchönen -Kıinfte Humaniera,
aber Künfte der Humanität, und kündigen durch diefen Namen
350. Weſen an. Sie hielten nur den freien Mann wuͤrdig, ſich
mit ihnen zu befchäftigen, weil nue der freie, uͤber alle Sorgen
und Laſen des Lebens erhabene, Getſt, wicht eine unterxruͤckte
as U, Ueber Humanide ı;
— — — —
Oelavenſeele in einem Kunſtwerke athmen darf, — Die Gries
hen fanden den Unterricht in den fhönen Kuͤnſten für den jun⸗
gen freien Mann unentbehrlich, und begriffen ihn unter dem
Namen der Duft. Mehr als alles biefes aber beftätigen die
Werte des Alterthums felbft dieſe Vermuthung. Denn nur ab
kein darum find fie zu Muſtern in der Kunſt geworden, nus
Barum ſtudirt der nenere Kuͤnſtler fie emſiger und genauer als
die Natur ſelbſt, weil er in denfelben mit der treuen Darftellung
der Natur ſchon jene verebelte Humanitaͤt vereinigt findet,
die er feinen Werken mittheilen ſoll, und die in. feinem Geiſte
erweckt wird, indem fie feinem Auge ſich darſtellt, weil er zu⸗
gleich lernt, wie eine edle Humanität ſich an die treufte Dars
ſtellung der Natur ſchmiegt — Bei Einem Wolke ift die Kunſt
Höher geftiegen, bei keinem Volke war ber Geſchmack oder die
Gertigkeit, die in Kunftwerken waltende edle Humanicät zu bes
merken und zuenspfinden, allgemeiner als bei den Griechen.
Denn es iſt natarlich, daß bei ber Betrachtung eines ſcha⸗
wen Kunflwerkes, das durch die Bemerkung der edlen Huma⸗
nitaͤt erregte Wohlgefallen, in der Seele des Beſchauers einen
Nachahmungstrieb erzeuge. Diefes Schönen aber, welches auf
dem Adel der menfchlihen Vollkommenheit beruht, iſt nicht
bloß die bildende oder redende Kunſt empfaͤnglich, ſondern jeder
Gedanke, jede That, jedes Wort wird den Stempel deſſelben
empfangen, und indem es in der Seele des Menſchen herrſchend
wird, und fie gam erfäßt, wird es feine wohlthaͤtige Kraft
Überall aͤuſſern, und das Beben des Menſchen zu eiem harmo⸗
niſch ſchoͤnen Ganzen, gleichfam zu einem Drama machen,
ans welchem er, wenn der Borhang fällt, mit feiner Rolle und
ihrem Spiel zufrieden hinweg gehen kann.
Wenn man mit einen, dem Deutſchen vielleicht aigentham·
IR. Meber Humanke 16 a5
— — — — — —
liegen Genuͤgſamkeit hie und da gewohnt iſt, mehr auf den
Werth der Handlungen, als auf die Form und die in derſelben
dargelegte edle Humanität zu ſehen; wenn man glaubt, vas
durch die Beobachtung des Sittengefeges zu erleichtern, fo
iret man; denn das Gefühl für dns Schöne iſt ein ficherer Füße
ver zue moralifchen Vollkommenheit, und welt aud) die Mota⸗
litat des Schönen fähig iſt, zu derfelben unentbehrlih. Wo
das Geſetz, und ſelbſt die Religion mit ihren Befehlen niche
"ausreichen, da erfcheint fich ſelbſt verherrlichend die edle Humanl⸗
tät, welche ben Menſchen befeelt. Jede wilde und rohe Leidens
ſchaft wird durch ſie verbannt oder gezaͤhmt, jeder heftige Trieb,
ohne welchen dee Menſch in phlegmatifcher Kälte hinvegetiren
würde, erhält durch fie eine fhöne Form und edle Richtung;
jeder Kraftäußerung bes Menfchen wird durch fie die Würde
der Humanität mitgetheilt, jeder feiner Entfepläffe und feiner
Hoffunngen wird von ihr geleitet, und die Tugenden alle, bes
ſonders die der Geſelligkeit, werden durch fie einen vorzüglichen
Werth erhalten.
Nicht genug, daß der Menſch durch fie zur Moralicät und
derjenigen Ruhe geleitet wird, welche das legte feierliche Ziel
aller Wunſche bleibt; nicht genug, daß fie die vergeltende Ne—
mefis von ihm entfernt, fie flicht auch die Grazien in den Tanz
feines Lebens, die Grazien, die jede Freude und ihren Genuß
erhöhen, die ſelbſt um die fehmerzhaften Ereigniffe des Lebens
angenehm täufchende Reize werfen, und Gram und Kummer
in freundliche Wehmuth verwandeln, oder den Unglädlichen
durch Hoffnungen erheitern.
Betrachtungen diefer Art find die wuͤrdigſte Feier des Tas
ges, ber uns einen Beherrſcher gab, welcher mit begluͤckender
Huld auf das Streben der Kuͤnſte ſieht, deſſen angenehmfte
ft) DE: eber Humanlıdt x.
— —ñ—— ———⏑—⏑—
Eerge es if, fie aͤberall zu unterſtuͤten, zur hoͤchſten Vollkom⸗
menheit zu bringen, und in den ausgebreitetſten Birfungsfreis
iu ſetzen. Schöne Wuͤnſche, edle Gelubde und treue Huldi«
gungen werden die Bluͤthen der Ueberzeugung fein, bag eines
sihdlichen Wolle Ausbildung und Vollkommenheit ihn am
worforgenden Waterherzen liegt, und das Schickſal wird der
Gerechtigkeit dieſer Waͤnſche bie verdiente Gewaͤhrung nicht
werfagen,
gr. Raumb ach.
ut. : Gebächtnißrebe auf Bernhard Mode. 417
— — — —
I.
Bedächtnißrede auf den verftorbenen Director der
Akademie, Herrn Bernhard Rode’).
Den Verluſt, den diefe Akademie der bildenden Kuͤnſte und
mechanifchen Wiſſenſchaften vor kurzem erlitten hat, bedauert
mit uns die Stadt, ja man kann hinzufegen ganz Deutfchland:
id) meine den Verluft des großen Hiſtorienmahlers und würdigen
Directors der Akademie, des Heren Beruhard Node, der
nad) dem Abfterben des Directors Le Sueur im Jahre 1783
von den damahligen Mitgliedern zu der erledisten Stelle dem
Hoͤchſtſeligen Rönige einftimmig vorgefchlagen ward.
Unfer Rode war zu Berlin im Jahr 1725 geboren. In
feiner früheften Jugend zeigte er eine große Neigung zu den
wiſſenſchaftlichen Stadien; doch ein uͤberwiegender Hang zur
Mahlerkunſt machte, daß er ſich endlich dieſer gänzlich wide
mete, worin ihn fein Water Chriſtian Bernhard Rode, ein
ſehr gefchichter Goldarbeiter, willig unterflügte.
Den erften Unterricht in ber Kunſt ertheilte ihm Müller,
ein Mahler aus Siebenbürgen, der fi damahls in Berlin
aufbielt. Aber bald fühlte er, daB ihm ein größeres Mufter
nothwendig wäre, um in dem beliebteften Theile der Kunft
ſichere Grundfäge zu erhalten. Er arbeitete daher unter der
Führung des Hofmahlers Anton Pesne beynahe vier Jahre lang.
”) Begen Unpästicpkeir des abweſenden Werfafers ward diefe Rede
am Gehurtöfefte des Könige In der Öffentlichen Situng der Mfademie vom,
Herrn Oberconfiioriat: Kath Dr. Gedike vorgeisfen,
Dritter Jadıg. arer Wand. Do
7418 Al. Gebächthißrede auf Bernhard Mode,
—— — —
Ungefähr um das Jahr 1750 ging er nach Paris, wo er
fich anderthalb Jahr aufhielt, um den Unterricht des beruͤhm⸗
tm Earl Vanlo zu genießen, und fehrte alsdaun nad feiger
Baterſtadt zuruck. Zwey Jahre nad) diefer Zurückkunft glaubte
ex, daß ihm eine Reife nach Itallen großen Zuwachs in der Kunſt
verſchaffen müßte. Er begab ſich alſo auf die Reife nach Ita⸗
lien in Geſellſchaft feines Freundes, des Herrn Harper, jegir
gen Directors und Hofmahlers in Otutgard. Won Rom, wo
er ſich wegen ſchwaͤchticher Geſundheit kürzere Zeit aufhielt,
+ ging er nad) Venedig, wo ihm die Euft zuträglicher war. Hier
verweilte er am längften, welches die Kenner an dem Styl
feiner Compofltionen fpüren wollen.
Mach einem nicht völlig zweyjaͤhrigen Aufenthalt in Ita⸗
„Sen kehrte er nach Berlin zutuͤck, brachte auch ein großes Ges
maͤhlde mit, welches er dort verfertigt hatte, nehmlid den
- Werander, wie er den ermordeten Darius weinend mit feinem
Purpurmantel bedeckt, welthes Städ in feinem Haufe noch
au fehen if, Eine Sammlung von zivanzig Zeichnungen in
Oehlfatbe, welche er als Stubium in Venedig nad) den ber
rähmtefieh öffentlichen Gemählden diefer Stadt gemacht Hatte,
verehrte er vor einigen Jahren unfrer Akademie, der er auch
zwey andere vortrefflih ausgeführte Gemaͤhlde geſchenkt hatte,
+ ‚nehmlich das große ſatiriſche Gemaͤhlde vom Apelles und dem
Schuſter, und das Gemäßlde von der Geliebten, die Ihren
Freund nach dem Schatten an der Wand abzeichnet, welches
ber. Anfang ber Porträtmahlereg genannt werden kann: eine
mechanifche Arbeit, zu der man aber in unfern Zeiten wie⸗
der zurück zu kehren ſchien, indem alles mit Siluetten uͤber⸗
ſchwemmt ward.
Sm Jahr 1756 ſtarb fen Vater, Dieſes gab ihm Stoff
Ü.
IE. Gedachtnißrede auf Bernhard Rode. 419
— — — —
u den zwey großen allegoriſchen Gemaͤhlden, welche er ala
Grabinaͤhler feinen beiden Aeltern widmete; und als ſolche ges
wiſſer Umftände wegen in der Kirche, zu welcher feine Aeltern
gehörten, nicht aufgeftellt werden, konnten, fo ſchenkte er fie
der Marienkiche und zugleich ein großes Altarblatt nebſt zwey
Seitenſtuͤcken.
Im Jahr 1757 heyrathete er die Demoiſelle Voigt, feine
Berwandte, deren Vater der vertrauteſte Freund des ſeinigen
war. Nun ſchenkte er noch mehrere große Stuͤcke einigen
unſrer Kirchen. Bald mußte er auch fuͤr auswärtige und uns
ter andern vier Stuͤcke für eine Griechifche Kirche in der utran⸗
verfertigen. Man verlangte dort nur vier einzelne heilige Fi⸗
guren; er aber that: aus der Geſchichte dieſer bibliſchen Per⸗
ſonen noch etwas hinzu, und gab alſo mehr als man verlangt
hatte. Die hieſige Garniſonkirche erhielt von ihm unentgelds
lich vier aflegorifhe Gemählde von vier im ſiebenjaͤhrigen
Kriege gebliebenen Helden. Auch andern. öffentlihen Auſtal⸗
tem verehrte er große hiſtoriſche Vorſtellungen: denn die Stu⸗
ben in den Privathaͤuſern waren für dergleihen große Ges
mäblde felten Hoch genug. Doc mahlte er auch Geſchichten
mit Figuren nach dem allgemein beliebten kleinern Verhaͤlt⸗
niß, und zwar ſo haͤufig, daß er im Scherze zu fagen pflegte:
meine Wände find befegt, und die Nachbaren wollen mir ihre
Wände nicht hergeben. Weberhaupt iſt die. Anzahl feiner Go
mählde, die theils in Berlin zerſtreuet, theils in ausmärtige
Städte "gekommen find, fo groß, daß man nicht begreifen
kann, wo er bie Zeit dazu bergenommen hat. Zum Gläd
Hat er die meiften davon in Kupfer radiet, wovon ein Vers
zeichniß nebft drey Anhängen im Druck erſchienen ift, wo von
jedem Städt eine ausführliche Beſchreibung gegeben wild, Die
da
‚40 MI. Geduͤchtnißrede auf Bernhard Rode,
— — — —
"Anzahl dieſer Blaͤtter belaͤuft ich faſt auf drittehalbhundert · in
allerley Format. Auch aus dieſen ſieht man feine große Manter
and alles Ausdrudsuolle, was in diefer feeyen Art zu mahlen
der mahlerifhen Behandlung mit der Nadel möglich if. Unter
biefen radirten Sachen finden ſich auch einige Studien von Laud⸗
ſchaften, deren fein Portefeuile eine Menge enthielt. Diefe
entwarf er, wenn er feiner Geſundheit wegen oder zu feiner Auf⸗
Beiterung einige Reifen unternahm, als nach Freyenwalde, nach
dem Karlsbade, nach dem Harze, nah dem Kiefengebirge.
Da er fo gern nach der Natur zeichnete, fo kam er von feiner
‚großen ober Eleinen Ausflucht ohne dergleichen Abſchilderungen
zuruͤck, ſollte es auch nur ein guter Baumſchlag ſeyn. Die
meiften von diefen Zeichnungen mußte er In feinen hiſtoriſchen
Gemaͤhlden als Nebenſachen vortrefflid anzubringen,
Zu den menſchlichen Figuren faßen Ihm einige Freunde freys
willig. Andere Leute bezahlte er, und von Maschen entlehnte
er nur einen guten Ara oder Schenkel. Auch mußten ihm zu⸗
wellen für Geld und gute Worte Juden figen, die einen fchds
nen Bart und eine orient„lifche Phyfionomie befaßen, woraus
er, mit einiger Veredelung der Geſtalt, Patriarchen und Pros
pheten erſchaffen konnte. Wenn aber Simeon, der Verkäufer
feines Bruders Joſeph, oder ein anderer beruͤchtigter Boͤſe⸗
wicht, zu fehlldern war, fo konnte er. die meiften nicht eher zum
Sitzen bringen, ats bis er ihnen fagte, ihr, Säit ſollte zu
einem Abraham oder Mofes dienen.
Ehe unfer erfindungsreiche Künftler ein hiſtoriſches Ge⸗
maͤhlde bis auf die kleinſten Nagelfpigen hätte vollenden ſollen,
wozu mehr Seit und Geduld als feuriger Geiſt gehört, ſchuf er
Ueber eln meues. Daher. mancher Halbkenner zu ſagen pflegte:
Das Bild iſt ja noch nicht fertig, Wahre Keuner achteten
mr
IH. Gedaͤchtnißrede auf Bernhard Node. 4er
hierauf nisht ; fondern fchägten bie Stuͤcke, worin die Kieinigs
keiten vernachlaͤßigt waren, mehrentheils hoͤher, weil hier die
Hauptſachen deſto mehr hervorſtachen und eine ausnehmenbe
Wirkung thaten...
Doch hat er-auich einige mit‘ der größten Austhruchteit
gernahlt: dergleichen iſt beſonders ein Familienſtuͤck mit Figus
zen von zehn Zoll, das er ſehr fruͤh derfertigt hatte, und wel⸗
es Bey feiner Wittwe noch zu fehen iſt. Es ftellt feine beiden
„eltern, ‚feine. Sroßmutter und beiden Bruͤder vor, und ihn
ſelbſt als Mahlenden vor ber Staffeey ſitzend: ein Gemaͤhlde,
das bey einigen Liebhabern alle kuͤhnern Ausarbeitungen verdun⸗
kelte Als man ihn fragte, warum er nicht in dem uͤbrigen
Gewaͤhlden eben biefen niederländifchen Styl beobachtet habe,
fagte er: Andre Leute figen mir nicht fo oft als
Reine Auver handte. In der That aber wollte er feine
großen Sauͤcke nicht wie Miniaturgemaͤhlde ausführen, weil.
er voll von Adeen war, die er noch mahlen oder radiren wollte,
Der Ausdrud in feinen hiſtoriſchen Gemaͤhlden ift fo dent⸗
lich, und einer jeden Perfon nad) ihrer Theilnahine an der- Ber:
sebenheit fo angemefien, daß, als fein Freund die Dresdner
“ Gallerie beſuchte und ihn der Aufieher zu einem Gemaͤhlde
führte, wovon er fagter Bewundern Sie nicht den Ausdruck
in dem Stiche Hier? antwortete dieſer: Allerdings! aber ſie
haben auch Fein Gemählde in der ganzen Gallerie, was biefen
Ansdrud beſitzt. Der Auffeher war betreten und -verfegte end⸗
lich: das ift freilich wahr, Hierauf erwiederte ihm Jener: Und
ich kenne einen Mahler, bey dem alle Gemaͤhlde dieſen Grad
des Ausdruds haben. — Ey, wer wäre das? — Bernhard
Node in Berlin; haben fie feine Stüce von ihm? — In eine -
Königliche Gallerie nimmt man nicht gern etwas von noch
Dd3 5
43 I: Gedächmißrebe auf Bernhard Rode.
— — | —
Tebenden Künfttern. — Ganz recht! Sie warten fo lange, bie
das Stüd achtzigtauſend Dukaten koſtet. — Hiermit zielte er
auf die Nacht des Corregglo, die er ihm kurz vorher gezeigs
und dieſen ausſchweifenden Preis genannt hatte.
Aus der Deutſchen Geſchichte Haben wir vom ihm elle Ge⸗
mählde, theils vadiste Blaͤtter. Mit beſonderm Fleiße mahlte
er als ein wahrer Patrivt die merkwuͤrdigſten Epoken aus der
Brandenburgiſchen Geſchichte, welche noch in dem Haufe den
Wittwe vorhanden find. Es find vierzehn Gtäde, die der
hoͤchſtſelige Prinz von: Preußen, ber Water des jcht regierens
den-Königs, kaufen wollte, welcher aber vor Vollendung der:
ebeit Kar. Nach dem Tode Friedrichs des Zweiten that-ew
noch fieben Stuͤce hiũzu, welche Meine Begebenheiten von die⸗
fen Helden aus dem ſiebenjaͤhrigen Kriege enthalten.
Das Porträtmahlen gab er vor vielen Jahren auf, weil
Mich: der friedfertige Mara ‚mit Memanden ſtreiten kounte.
Detin wenn eine Frau Ihren fechzigjährigen Gemahl abgeſchil⸗
dert ſah, fo warf le dem Künftier vor, ex. habe ihn zu alt ger
mahlt: welches fein Wunder war; fie hatte fein.glattes Ges
füht, das er vor dreyßig Jahren gehabt Hatte, noch in friſchent
Andenem Er mußte:alfo auf Unkoften der Wahrheit manche
Numel wegftreichen, ob er.gleich das Geſicht, fo viel die Kunſt
erlaubt/ bereits verfäjäneet hatte. Mit den eigenen Geſichern
der Schönen ging es ihm noch ſchlimmer. Doch dieß iſt eine
alte Klage, worüber ein. beliebter Dichter *) folgendes Epir
gramm gemächt hat:
*) Hert von Nicolap, Gtaatbrach in Petersburg, ans dem Eifaß ger
dartis. eine Gedichte And Bier in Mertin In ficken Wänden Heranigis
tommen.
1 enächepifrebe anf Vernbard Mode;T 4a3*
— — — —
Elmire und der Mahler.
Eimire. Um Gottes Willen; Herr! find Sie wohl Mus’
# Wie? dieß mein Mund? ein folder Kaden?
de Mahler. Mich bünke er gleichet, doch man kann ine’
J va mn Meiner machen. 32
Was Denken Bier: iſt er ſo Mein-genug? ae
etmire. Noch etwas Heiner. Der Mahl. Bu? Elmutre. Noch
etwas, ſollt ich meinen.
De Bastıen, Madam „befehlen nur, ‚fo. mach‘ ich Ihnen —.
‚feinen. W
am. unſers ohen nie anfererventiigen:
Samtniß der Geſchichte zeiat ‚folgende Auckdote. Der ſelige
Miniſter Zedlitz, als der oberſte Voyſtehen ver Schulen und:
Aeademien des. Landes; fagte zu einem Freunde des Mahlers:
Ich mörhte meines Amts wegen gern einige:herähtnte Geſchich·
ten⸗ von der. Erziehung der - Jugend geichhen;- und hernach auf:
Porzellan. mahlen laſſen. Beſitmen Sie ſich / doch auf derglei⸗
chen,und fragen unſern Node, ob er dieſe Arbeit uͤbernehmen
wolle. Als der Kunſtler geſragt ward, beſann er ſich ſogleich
anf fünf.oder ſechs Cruſehungsgeſchichten: über welche augen ⸗
bliduche Beſinnung m Breund ſich nicht genug 3 Beewandten;
konnte: - “ na
Da ,er bie Seſiher wveß im Denefcher. Enten las, ‚fe:
haite er ſich für feine Kunſt ſchon ſehr fruͤt die alterciteberfegum:
gen der Griechen und Roͤmer angeſchafft, wenn keine neuere
vorhanden waren, Er las aber von einen. Geſchichte, die er’
wahlen· wollte, mehrere Autoren, um jeden Umſtand zu ern
fahren, der ihm zum Bereicherung ſeines Gemaͤhldes dieuen
konnte. Auch fo gar zur Bibliſchen Geſchlchte beſaß er die:
biblia pentapla, worin eine ‚vierfache- Dentſche Ueberſeung
Od 4
424 IL Gebächtmißrede auf: Bernhard Rode.
— çe— — — ———
und eine Hollaͤndiſche enthalten iſt. Er las auch die alten und
neuern Poeten, als den Homer, Anakreon, Theokrit, Vir⸗
gil, Horaz, Gemaͤhlde daraus zu verfertigen. Aus ſeines
Freundes Geßners Idyllen hat er einige vortreffliche Stücke
gemahlt, und Gellerts Fabeln insgeſammt radirt. Unter den
Kanſtlern unſrer Stadt ſchaͤtzte er vorzuͤglich den großen Baus
meiſter und Bildhauer Schlüter, der die vortrefflihe Statite
des Churfuͤrſten Friedrich Wilhelms modelirt und die Helme
am Zeughaufe.nebf den im innern Hofe fo genannten Larven
der Krieger — (welche vermuthlich nur wenige gefehen haben)
meifberhaft auagehauen hatte. Diefe und--mehrere Werke des
Kanſtlers von halberhobener Arbeit befinden fih unter den
radirten Blaͤttern unferes Rode.
Bibliſche Städte mahlte er am liebſten, nicht alkein.als
ein. Verehrer: der Religion, fondern auch weil dergleichen Ges
mählde von den Meiſten leichter zu verſtehen find. Werden
Hervdotũs , Zensphon und Plutarch nicht gelefen hat, der
bat doch wenigſtens — follte es auch nur in feiner Jugend ges
weſen feyn — die Bibel gelefen. Als die Herzoginn von Cur⸗
land ein Gemaͤhlde bey ihm fah, welches Chriftum nach der
Auferftehung ‚vorstellt, wie er in Geſellſchaft der beiden. Juͤn⸗
ger von Emahus das Brot bricht, rief fie aus: Ad! fo muß-
er ausgeſehen haben! und follte das Stuck kaufen; der-Künfts
ler’ aber fagte, er mollte es lieber copleen: deun dieſer Chriſtus⸗
kvpf follte fein Muſterkopf bleiben, had) welchem er alle Abrige
Ehriftustöpfe mahlen wollte... Diefes-Städ iſt noch in feinem
Haufe: zu fehen, ‘Die Copie, die er davon machte, war in
allen übrigen Stuͤcken noch vollfommener; aber der Chriſtus ⸗
kopf blieb dem Meifter- ſelbſt unnachahmlich. — Unter den
übrigen geiſtlichen Gemaͤhlden iſt beſonders die Auſerweckung
IH. Genächtnifrede auf Bernard Rode. 425
der Todtendurch den Meflias merkwuͤrdig. Schon diefes.Ge
maͤhlde würde zureichend ſeyn, ihm einen ausgezeichneten Rang
unter den Geſchichtsmahlern zu ertheilen. Auch dieſes ſehr
seiche Gemaͤhlde hängt noch in feinem Haufe, Der Herzog
son Curland hätte es gern von ihm erffanden; weil aber der
Künfler unter den anferftchenden Frommen eine Gruppe von.
feinen eigenen Verwandten angebracht hatte, fo zwelfelte er,
es von ihm zu erhalten, und kaufte vier andere.
Von Alegorien, welche eines der vornehmften und ſchwer⸗
Ken Stuͤcke, fo wohl in der Mahlerkunſt als Dichtkunſt ud;
war er ein großer Liebhaber, und er drückte fich darin weit deuts
licher aus; als-viele feiner berühmten Vorgänger, deren Alles
gorien wahre Raͤthſel find. Als der Verfaſſer der allegoris
fen Perfonen zum Gebrauche der Künfler ihm
feinen Aufſatz zuftellte und ihm fagte, wenn ihm noch beſſere
Vorſtellungen einfielen, möchte er-fie am Rande bemerken, gab
er ihm ſtatt einer ſchriftlichen Antwort die Beihnungen davon.
Er radirte fie nachher, und fchenfte fie dem Verfaſſer der
Sammlung welche den Titel führe: Monatsfchrift der
Akademie der Känfte und mehanifhen Wiſſen—
fhaften zu Berlin 1788. .
-Gür. den, Höhftfeligen König mahlte er in dem Grottens
faale ein Deckſtuͤck in drey Abtheilungen, worin der Morgen,
der Mittag und die Nacht vorgeftellt wird, worunter dem Koͤ⸗
nige die Nacht vorzüglich gefiel, die der Künftler auch hernach
radirte. So bald diefes Stuͤck fertig war, gab ihm der König
mehr auf. Doc; mahlte er dergleihen Plafonds nicht gern,
weil er vor vielen Jahren zweymahl das Blutfpeyen davon bes
kommen hatte. Doch hat er ſich nicht geweigert, für die Höchfts
felige verwittwete Käniginn einen geoßen Plafond in dem
Ddr
426 IM. Gebächtnißrebe auf Bernhard Mode.
en,
Hauptfaale ihrer Zimmer zu verfertigen und auch für die vesier
rende Königinn dergleihen auszuarbeiten. B
Er arbeitete, ungeachtet feines gichtifchen Zitterns, noch kurz
vor feinem: Tode an einem großen Altarblatte für eine auswär-
tige Kirche. Seine Seele beherrſchte feinen Körper: der Getſt
wollte arbeiten, und die zitternde Hand, auf einen Mahl⸗
ſtock gelehnt, mußte gehorchen. -
Alle diefe großen Eigenſchaften feines Geiftes übertraf
noch die Güte feines Herzens. Seine Gerechtigkeitsllebe war
fo groß, daß wenn man von den Fehlern anderer Kuͤnſtler
ſprach, er von ben Fehlern gänzlich ſchwieg, und die Kuͤnſtler
allemahl von ihrer guten Seite zeigte. Sein eigenes Lob aber
konnte er gar nicht anhören. Wenn feine Gemählde von einem:
vertrauten Freunde einigen Reifenden ohne ausdrückliche Lobes ⸗
erhebungen bloß etwas umſtaͤndlicher erklärt wurden, fo war
diefe Erklärung freylich ſchon eine Art von Bob, welchen er
auswich und ſich unvermerft in ein anderes Zimmer begab.
Hatte er nur Einen Gran von der zuverfichtfichen Dreiſtigkeit
vieler ausländifchen Künftler gehabt, fo hätte er fich fehr gel⸗
tend machen Finnen. Doc; er wird, nachdem er der lebenden
Welt entzogen ift, bey der Nachwelt defto mehr gelten.
8. W. Ramler.
WW. An· Herrn Bernhard: Rode
m.
Den du dem blutenden Eifer beym Doiche di dreundet
das Autti/ J
Das wach den Mbrher Mebreich ſtraft, in Purpur huͤllſt;
Philipps Sohn in des fpnöde gefeſſelten Königes Leichnam
Wok Wehmuth Yinführk; ons laut ächzenden
s prienter mie” rue umwindeſt, o Rode, Melpomenehs
Vahlerrr
Verlaß die keuſche Großmuth deines Seipio,
Deines'Cotiolan gefahrenvollen Gehorfan;
Verlaß die holte Reihe deiner Brennen jetzt, "3
Bon dem Fahneneroberer Albert Achill, bis ın Wilhelms
nennen nennen en
=>) Diefe ode erſcheint Hier nach der neuen Veorbeitung, Die der Dee
daten mir feinen (Aumnetihen Gedichten fAr Die Drachtausgabe derfeiben
aargenommen Hat, "mr
[73 wu Herr Bernhard Rode.
— — — — —
10 Beſgſeeltem Schatten, Wilhelms, der durch Schuee, durch
€is,
Wie der Sturmwind fein Heer auf die fluͤchtige Ferſe des
Seindes
Und feinen feigen Nacken fürit, und fage mir,
Welche Gottheit dir Feuer zu deinen Schoͤpfungen einfläßt,
und diefe kalte Sanftmuth, eiteln Aberwitz
15 Still gu dulden; den Neid mit feinem Gemälde gu frafen,
Den Hohn mit keinem Blick? „Entfagek du dem Geiſt
Der Apelle, der Bonarotte nur hierin? Verkennſt du <
Den übermundnen ſteilen Fußpfad hinter Dir,
Gau auf den ſtrahlenden Tempel der Kunſt das Auge geheftet?
so Und ſchweisſt vol Demuth, wenn dir Reichthum, Eb⸗
" renamt,
Und ber allwiſſende Juͤnglins, gereift. in geflügelter Eile
Durch fieben thenre Bilderſale, Lehren giebt?
Geometer und Krieger und Wiberfprecher und Anwalt
Nice deines Bildes Dede, Weisheit, Abel ehrt?
ss Kodtes Gemaͤuer voraieht und grafende Rinder und Körbe
: Boll Trauben und bie ganze lange Bettlerunft?
Biſt du der Eine Gerechte, der feinen Witze gebietet:
Verachte Männer nicht, in deiner Wiſſenſchaft
‚mlageübter Sinne, gerüftet mit wäglihen Gaben,
so Die die verfagt find, und mie Buͤrgertugenden 7
Du der beſondere Mann, der in den mitbuhlenden Werken
Der jeitverwandten Meifter feine Schoͤnheit ſieht,
Zehen tauſenden überläßt bie Fehler au fpäben?
Der Menfenfreund aur du, der dem Deriagten göant
35 Tapferes Muthes zu fcheinen, dem mißgerathenen Kuͤußler,
. Den Richterſtab au führen, bey dem blöden Volk
Sonder Gefahr und nachtliche Wachen ſich Ruhm au erwerben,
Ob deine Seele gleich die gottuch hoͤne Sub -
—
\ IV. An Herrn Derwpasd: Rode. 9
— — — —
Nicht aus Ryhe nuche liebt, nein, fo wie der Weiſe die Tu⸗
gend? —
40 Dir gleicht der edle Graun, der Saitenbaͤndiger,
Der den eignen Gefang der hohen Dlympier hörte,
Und ihn an Sprea's Ufer nachſang; aber nie
Marfyas bäurifchen Tou verhöhnte, noch Urtheil und Ohren
Der ungefimmten Midasenkel. Die und ihm
45 Setze die Wahrheit dieß goldene Denkmahl: Die groͤßeſten
Meifer
In großen Künften, größer an Beſcheidenheit. —
Wen von dem heiligen Chor der vaterländifhen Dichter
Geſellt euch beiden mein gerechtes Loblied iu?
Meinen lange geprüfeten Kleift, den ländlichen Barden,
50 Beſcheiden als ein Muſenprieſter, als ein Held,
Hört es, Pierifche Jünger! Mavortifche, hört es!) befcheiden
In jedem Lorberbiadem empfang’ er hier —
dalls ich im Theuts und Mannus oft wieder verwelkender
Sprache
Noch Kränge flechten kann — ben ſeltnern Ehrenkram.
0 TV. Mn Heren Vernhard Rode.
— — — — —
Aumerfungenm
V. 1. 2. Der du dem blutenden Eifar beym Dolde des
Sreundes das Antlig, dad noch den Mörder liebreich Araft, im
vuryurt huͤlſt.) Dieſes und Die folgenden Gemädid · werden hier vor
vielen andern angeführt, weiche dieſer gedankenreiche und ausdtucksvollo⸗
Künfier gemadit, und auch mehrentheils fetbft In Kupfer geäger Kar. Eäfar
’Üf in der Marhsverfammiung nabe ben der Bänke des Pompeins bergekcit,
und ıtoar In dem Nugenbiide, worin et, von einigen Gtichen bereits biutis-
den Brutus mit geiücftem Dolce herben Fommen Reht, und Indem er fich,
De Zudungen eines fhmerihaft Gterbenden zu verbergen, das Geſicht mie
feinem Purpurmantel vergällen wi, auf den Meucelmörder noch einen
Biick wirft, der ganz feine legten Worte audjudrücken feine: Und dur
SIR anm unter innen, mein Son?
V. 3. 4. Philipps Sohn zu bes ſchnoͤde gefeffelten Röniges
Leichnam voll Wehmuth hinführk.) aAlexander der Grose verforgte
den Sarrapen Beſſus, welcher den Darius,’ mit einer goldenen Kerte ges
fefeie, anf einem Wagen mit fh gefüer harte, Er fahb den Herfficen
Monarchen auf dem Wege iurüd gelofen und mit Wurfpfeilen ermordet,
Der ueberwinder wergoß Zhränen ben dieſem Anbud, und bedeckte den
geichnam mit feinem eigenen Mantel.
8.4.5. -Ylions laut aͤchtenden Prieker mit Drachen ums
windeſt. ) Baotoon, der Erojanifche Opferpriefter, ward, mebft feinen bei,
den Söhnen, von zwer ungebeugen Schlangen. gerähter, die eine feindliche
Gottheit auf ihn losgelaſſen Hatte. Üneide, II. s01 an.
8.6. Verlaß die keuſche Großmuth deines Seipio.) Dem
Geipio Afeicanus, dem eriten dieſes Bepnahmens, ward, nad feiner Er ⸗
oberung von Neu» Earthago in Spanlen, eine gefangene Jungfrau zuge
fübet, die von ‘einer foihen Ghönheit war, daß fie, wo fie ging, lee
Mugen auf Ach 109. Seidio, der ih nach Ihrer Vaterſtadt und nach ihten
fitern erfundigte, vernahm sugleih, fie wäre mir dem Aducius, einem
* fungen Eeitiberiſchen Prinsen, verlobt. Er ließ Diefen und Die kittern der
Monen Gpanierinn zu Ad rufen. Züngting, vedete er den Aüucius an,
empfange Bier von der Hand eines SUngtings deine unberührte Braut, und
fep ein Freund dev Römer. iefer ergriff die Hand ded Geipio, und rief
W. An Heren Bernhard Node, :498
— — — —
«alle Götter an, ihm Worte zu verleihen ſeinen Daut aysrudsäden. Die
viitern, die sum Köfegeide für ihre Tochter einen anſehnlichen Schat mitge⸗
btacdt Hatten, baten den edetmuthiden Feldhetrn, ihnen die zwedte Wohle
that zu etweiſen, und ihre Geſchenke anzunehmen, Seipio ließ ſich enduich
erbitten,/ und wandte ſich mit dieſen Worten zum Aluclus: Außer der Wit⸗
" dabe deiner Schwiegerältern nimm noch von mie ein Hochjeitgefcheht an,
und fieß ihm alle6 Gold und Sitber ins Haus bringen.
V. 7. Deines Coriolan gefahrenvollen Gehorfant.) aus
Gedotſam gegen feine Mutter Gob Corielanus die Mrlagerung Roms end ⸗
dh anf; fein Gehorfam koſtete ihm, nach einiger Geſchichtſchreiber Bes
zihte, dad Leben. Dionpfius von Hallfarnap Röm. Alters
thamer. VUL
Der Iraliänifhe Mahler Ciro Ferro Hat in feinem a Genättse von Bere
Beſchichte den Zeityunkt gewählt, wo Coriotanus in einer, fehr ausdrucks⸗
vollen unentſchloſſenheit auf feinem Vefehlshaberſtuhle fipt. Der Deutſche
ie den Augendlick gewählt, wo dee Heid feinen Sit verläßt, und vou
nartiicher Eprfurche feine geliebte Mutter amarmen wi, Die aber mit einem
Antlig, worin Mömifhe Hobeie aus den Zügen ded Grams herdordticht,
deine Umarmung. mit diefen Worten abzulehnen ſcheint: Halt ein! Ich mug
eek wien, 06 ich einen Feind ober einen Sohn umarme. BinLus, IL. 40.
V. 9. Don bem Fahneneroberer Albert + Mill.) atertus,
it dem Beynahmen Achtues, Vurgstaf zu Nücnderg, und Hierauf Marks
otat von Anſpach und Bayreuth, eroderte mie’elgner Hand eine Fahne,
indem ec in einer Schlacht mit den Mücndergeen allem wider‘ fechichn
ann fo.
89-12. Bis zu Wilhelms beſeeltem Schatten, Wil
helms, der durd Schnee, durch Eis, u. f. W.). Vis zu dem Schat⸗
sen des Kuhrfürken Friedrich Wilhelm, der in dem Gemählde des Küns
Ierd wieder zu leben ſcheint. — Diefer ſchnell entſchloſſene Heid führte fein
dusvoit auf Schlitten Aber das friſche Haf nah Preußen din Schweden
entgegen, die des Land befehe Hatten. _
V. 16. 17. Entfagefk du dem Geiſt ber Apelle, ber Bora,
rotte nur hierin?) Apelles fo moht als Michel’ Angelo de Wonarotti
daben fich an der Tadelſucht und Unwiſſenheit einiger Richter ihrer Kunf
duch Spott und ſatitiſche Gemaͤhlde gerächet. Lueian eriäßlt, wie ein
Apeuch aus Ephrfus Mh an einem neidifgen Mahler, dei ihn bed dem
4— IV. Un Herrn Bernbard Node,
— — — 6 — —
Dioiemãus ardiich veriemmder Hatte, durch ein allegotiſches Gemätide
geräcer dabe. S. Wielands Überfehung der Werke eactans,
x. VI. vas. tor.
8. 23. Geometer und Krieger und Widerſprecher und An⸗
malt.) Anfate mander Geometer, u. fi. oder dielmeht ſtatt mancher
Geiehrte und Gefhäftdmann aberhaudt, der ſeht erfahten In den alernüfe
uchſten Wiſſenſchaften ſeyn kann, der aber nicht den feinften Geſchmack Im
den sildenden Künften vefipet,' und ‚Die Nachahmunten des Beten, das
Beißr, die Werke der Hödern hiſtoriſchen Gattung, nicht genug Audiet Hat,
und atfe nicht nach ihrem Werche (hägen Fann; eder der in diefer höͤt ern
Gattuug nichts weiter, als die Zeichnung und Farbengebuns, dad If, die
Ducch Arbeit und Geduid ertangte Genauigkeit de Auges und der Hand zu
Berwundern geierne Hat; aber nicht genug die Erfindung bewundert, niche
die feine Wabt der Gefchichte und die Flnge Wereicherung derfeiben; nicht
die Wahl des rudrendaen, des deutilchnen, des noch nicht auf gleiche Weife
bearbeiteten Zeitpunktes der Vegebenfeits nicht den mannichfaltigen, den
wahren und zugleich veredeiten Ausdruc Der Leidenfchaften, welche, nach
Waßgebung dis Antheils, den Die Perfonen an der Handlung nehmen,
waid aatter, Hard ſcwaͤcher zu ſqildern And; nicht die innigſte Verbindung
and die beſte Anordnung fo vieler Theite zu einem HEN angenedmen Gans
sem, woben Jedes Wedürfniß der Kunfl verfede und zu einem nothwendigen
Grüde der Handiung gemacht wird: wiihes doch eigentlch Die Dinge And,
Die den bildenden Känitier als einen Denker barflelen, und ihn über dem
allerfeisigfen, aber blos mechanifhen Arbeiter erheben.
Das eingefhaltese Wort Widerfprecher bedeutet an Diefem Ort einen
jeden, der von der Veſchaffenheit feines Amtes oder feiner geleheten Arbeir
en die Entſcheidaugkſucht und den Wiberfpredungägeit angenommen hat.
Das übrigens wirkiich einmahl ein vornehmer Kriogeöbedientee und Rechte
geieherer unſeru beſcheidenen Rünfiter undeſcheiden getadelt hat, erinnert
MO der Freund deffeiben jegt nur noch Dunkel. Einen fonderbaen Tatel
auein hat er behalten. Ein Metkanſtier und großer'Egoif, Der nicht ben feitt«
Men Geſchmack befaß, aber alle feine Uerheite über die (hönen Künite füt
fo uawiderieglich dieit, daß er fügte, beyiämtäme es niemabi6 sur
Duptik: dieler tadeite in einem Gemähfde, weiches er befielt hatte, einen
der größten Vorzuge unfers Künftiers, nepmiih die Deustichteit ded Aus.
Deudl6, Indem er fagte: Das iR ja eben fo, ald wenn ich unter einen ges
mabiten Römwen ſchteiben wollte: dab IN ein Lärc. Der Künfier, der
dee
W. An Herrn Bernhard Rode. 23
— — — —
Des Mannes Egenſinn kannte, änderte das Gemählde, :und ſchwächte den
vortretfhen Ausdrud.
V. 34-36. Der dem Verjagten gönnt tapferes Muthes im
feheinen; dem mißgerathenen Kuͤnſtler den Richterſtab zu führen.)
Der eben fo, tie er dem Feigen die Prahlere mit Heldenthaten verglebt,
eine Probieren, die der wahrhaftig Tapfere nicht nöchig hat, eben fo auch
dem unvonfommeneen Künftter dad Nichteramt vergönnt. — Man til bes
merkt Haben, daß mitteimägige Künfter Die Aeengfien in ihren Foderuns
sen, Hingegen wahre Wirtuofen Cin jedem Verſtande dieſes Wortes) gegen
Andere weniger ſtrenge find, alb gegen fich felbft. Die Urfache iſt Teiche ur
errathen. Sene And noch Flug genug, durch die Arengfien Foderungen dem
Heften Känfier etwas von feiner verdienten Ehre zu entilehen, und ihn zu
Mich) feißf Heras su ſeten; dieſe Hingegen, Die alle ihre Zeit uud Kräfte ans
sewendet Haben Immer vollkommener zu werden, und denen ihre Bemüßung
gelungen it, Haben nicht nörbig fi aus Dem Tadel Anderer ein Biebtingke
gefhäft zu machen.
8. 40. Der eble Graun, der Gaitenbändiger.) Kacı Heing
eich Graun Hat Mb durch deroiſche Gingefpiele, die ihm der König Friede
rich IL. aufgab, und durch einige Kiedenfäce beruhmt gemacht. Sein
Geſang It ungemein lieblich und zährend, und feine Harmonie geräte den
Kenneen ehen fo ſeht wegen ihrer Kunfl, als der gamien Weit wegen
ihter Anmuth.
B. 3. 4. Nie Marfpas bäurifchen Ton verhöhnte, noch
uUrtheil und Ohren der ungeſtimmten Midasenkel.) Marſvas, der
auf einigen Dentmähleen mis Ohren eined Fauns abgebildet wird, war
ein Phrooiſcher Hiet. Er übte fih auf der Flöte, welche Minerva ehemahu
weggeworfen und verflucht Hatte, weil fie wegen ihrer dabey fehr aufgeblas
ſenen Baden verfpottet worden war. Masfvas ſchädte dieſez Inttrument
ſo 90%, daß er Die Leper des polo Dagegen verachtete, und diefen Gore
ſo gar sum Wettſtreit Herausfoderte. Apollo gewann nach dem lircheile deu
sewwäßiten Schiedorichterinnen. — Midas, ein reicher König In Beoß«
Dbrpsien, that den Ausfpruc‘, daß Dan auf der Dfeife ein größerer Weis
fer ſey, als Apollo auf der Leyer. Des beleidigte Gott ſtrafte ihn für dieſes
urtheil mit Eſelsohren.
Deitier Zadts. auut Band, “
24 W. An Heten‘ Bernhard Node.
— — — — —
V. 49. Meinen lange geptüfeten Kleiſt, den laͤndlichen Bar⸗
den.) Ewald Chriſtian von Kleift, der Verfkaſſer deßs Frühlings, einiger
riedet mund anderer Poeſten, ein eifriger Liebhaber der fhönen Natur, ein
ODichter von Weisheit und Empfindung, ein fange geprüfter und immer
gewwäher gefundener Freund, farb an feinen Wunden-im Jahr 1759, nach
der Schlacht mit den Rufen bey Kunecsdorf in dee Mitteimark, und ward
in Frankfurt an der Oder begraben. Weber feiner Gruft fieß im Jahr 1779
eine Srepmanrergefetfcjaft, die Loge zum guten Hetjen genannt, eine deeps
edige zwamis Fuß bobe Pyramide auftichten. Mit Genehmtattung des
Königs Friedrich IT. ward Kieihd Bildnis, 06 er gleich nur noch Major
gewefen war, neben den Bildnifen der im fiebenjäßrigen Schleſiſchen Kriege
gebtiebenen Generale Schwerin, Winterfeld und Keith, alle vor unſerm
Mode allengeifch gemahlt, in der Berlinifchen Garnifonfirde aufüehänge,
welcher Kirche fie der datriotiſche Künfter zum Geſchenk gemacht hatte,
Diefe vier Gemäpide find auch von ihm mehr als einmahl in Aupfee
geägt worden. B
2.53. Falls ich in Theuts und Mannus oft wieder vers
. weltenden Sprache.) Die ättee Sprache der Einwohner Deutſchlands
@ennen wie nur aus einjeinen Wörtern und Namen, aus meiden fich
ſchließen täßt, daß fie uns jetzt noch weit underſtändlichet ſeyn wärde, ars
die Gottziſche Sorache des vierten Jahrhunderts, die wir In den Evanges
lien des Utphilas beſiten. Diefe unterſcheidet fich ſehr merklich von der
Sprache Defrieds im neunten Jahrhundert, und diefe entferne fick aber,
madhis von der Sprache der Minnefinger des dreyzehnten Jahrhunderts ;
weiche id eben fo weit von der Bücherfprache unfers achtzehnten Jahr,
Hunderte unterſcheidet. Einer foihen Berändetung {it jede Sprache fo lange
mterworfen, bid fie von keinem MWoife mehr geredet wird: alsdann aber
MR ſte in Gefahr völlig uncerimgehen, wofeen nicht fo diele Meiferfüice,
‘sefonders Meiferfhilke dee Dichtkunſt, darin vorhanden ind, daß die Nach ⸗
“tommen es der Mühe werth achten, Me zu erlernen. — Theut Thuiston,
Thuiston) wird für einen Sohn’ der Hertha oder der Erde und für den
Grammvaser der Deutfchen gehalten, deren Heerfühter oder Geſetseber er
geweſen iſt. Sie ſouen von ihm den Nahmen der Deutſchen (Theuts⸗
“ten, Thuitsten) Haben. Sein Sohn Heß Mannus, oder Mana,
der Dann.
IV. An Herrn Bernhard Mode, 436
V. 54. Den ſeltnern Ehrenkranz.) Dieſes iR der Krı
Beicheidenheit. Die Veſcheldendeit eines Mannes, der nach der Bolfoms
menbeit Arebt, und der, je mehr feine Einfihten zunchmen, deſto mehe
einfieht, wie viel ihm jur Woilfommenbeit fehlt; der auch geredet und un, '
eigennüig genug If, Die guten Eigenfhaften Anderer nicht zu verfennen,
and der foigtich, wenn er ſich mit Ihnen vergteiht, Ach nicht zu viel und
denen zu wenig bepiegt, ii eine Befcpeidenheit, die eben fo liebenswäcdig
au fetten if, "
Won dem Krame der Beſcheidenheit, weihen Apolonius dem Zieuß
auertennt, well er als Feldhere alie Kronen abgelehnt Haste, Die ihm wegen
der Einnahme vbn Jeruſalem yugefande worden, fehe man Im Philoſtratus
dag Reben des Apouonius, VI. 28. ’
8 W. Ramler.
Ee a
5 V. Die Literaten.
Die Literaten
‚Semper ego auditor tantum?
Juve.
J Vhonneur, meine Herrn, ben Herrn zu präfentirem. —
„Ahal“ — „Sieh da!” — „Mein Herr, fie fertigen Satirem,
Sie werden fie doch nicht mit unfern Bildern zieren?“
Mein Herr, ich fehreibe nicht, bin gar ein guter Schlag
Bon Menfchen; nur, wohin ich treten mag, "
Tritt mir mit ſpitzem Ohr’ und höhnender Grimaſſe
Mein Satyr nah. — „Noc) von ber alten Race
„Ein Weberreh?” — Ja wohl; und wen ind Aug ich fafle,
Den merke er fih, und eh’ ich mich's werfeh’,
Schwirrt feine Geißel ihm. — „Geh weiter, Spitzohr, geh! —
Er kam auf mich ſchon 0.” — „Auf mic auch.“ — „Traun!
Sie muͤſſen
Ihn drauffen laſſen; fonf in Feiner Aſſemblẽe
Sitzt ja ein Ehrenmann mis ruhigem Gewmiffen.”
— „Mich hieb er wahrlich fhon.“ — „O dafür weiß ich Rath:
„Mein Herr, Sie fperren Mh und fpat
„Den Burſchen ein; font, wahrlich! thuts ber Staat,
»Denn nicht umfonf befchimpft man feine Diener.
„Mich kennen Sie am Predigerornat;
„Reſpekt vor ihm!“ — Sehr gern, wenn ihm mein Gatyr hat.
— Zurifien find die Herrn, und dieſe Meditiner;
Kurs, er wird eingeſteckt, au mom du Roi, erſchien' er
V. Die Literaten. 47
„Mit ihnen einmalnadh.“ — Werfperret? Eingefedt?
Dh! Keine Wache Hält ihn. Erſt geneckt,
Dann fortgegeißelt, flieht, mer ihm entgegen
Zu ſchreiten wagt. Und ins Gefaͤnguiß legen J
Den guten Tropf, das frommet’ auch nicht viel.
Wie Trenk die Ketten brechen, wär’ ihm Gpiel,
And ärger dann durchtaſt' er Wald und Fluren,
And färbte feinen Pfad.mit feiner Geißel Spuren...
Auch ſagte fierlich! was man an ihm verbrach,
Die Enkelwelt mit lautem Tadel nach.
Das thäte nichts. Wir achten nicht den Tadel
Der Nachwelt: wir Red reich. — Gelehrt wir: —.MBir vn Abel.”
— Suräd, mein Satyr. — „Gott! wie wild, mit fpitem ohr,
Hob über uns die Geißel er empor! ««— "
2 „Er ift erſchrecklich wild. Kann man ihn gar nicht zaͤhmen ?
ESol ich, Kerr Juvenal, in Zucht und Koſt ihn nehmen?
«Ich hab’ auch wilde Art in meiner Pepfioh.” ..
— Ach wein, Herr Rath, der rauhe Waldes ſohu
‚Bar Ihnen gleich den erſten Tag entflohn.
Den Starken säpmt man nicht. — »» Was follen wir beginnen?
„Kann man durchaus ihm nicht gewinnen7“ —
Durch Tugend nur. — „Mein Herr, Sie find von Sinnen.
¶Brennt er nicht, Satyrn gleich, wo Mädchen er gewahtt? —
Nein, gnäd’ger Herr, bier ſchlug er aus der Art.
— „Liebter nit Wein? Gebadnest Säntstader"
— Dei Men nichts. — „Hm! Das ik Schade!
«Do Geld gewinnt ihn.” — Schwerlih! — „Lab doch fen
«Wo Das erblinft, pflegt Alles ja su gehn.
«Da, Gasyrchen, ir Gold. — Er wiukt. — Weh! — Mach
ein Ende,
¶Woſcheulicher, fon bluten mir die Hände. —
AGottlob, daß ich entrann. — Hier iſt ein Poſtament
Ee 3
ss V. Die kiteraten.
— — — — —
„Bon einer Saͤul; ch’ regellos er reunt
und geißelt; Fönnten wir ben’ trogigen Geſellen
Auf diefes Poſtament nicht frellen?
«Da ſchwing' er feine Wa’, und droh' und gring' und am,
Wenn er den Spleen an uns nicht rächen kanu,
Mag immerhin das Ohr von feiner Lach” uns gellen.”
Wohl, Satyr, eh du hier mit Schrecken Alles fülk,
Steig’ auf den' Marmor, mern du willſt,
Des Tempels Gottheit! — Traun! Ah deines Altars Füßen
Wird mandes Opfers Blut dir heute fließen.
„Gottlob! Er ſteht. Nun ſchwatzt doch hier in Rutß
„Der Eine, und in Ruh hört ihm der Andre gu,”
„Ja, munderlich it doch auf biefer Erde *),
„Verſchieden ift an Sitt' und Antlig und Geberde
Der Eine von dem Anden. — Der lieht Pferde,
»Der Hunde, Mädchen Der, Der Lefterbiff” und Wein;
»Den lullet ein Gedicht in füße Träume ein.“ —
— In Schlummer wenigfteng. — „Bas mich betrift, ich Dichte. “m
„Und das vortreflich.““ — „Bitt', Her Rath — „NUN,
allgemein
Sagt man ia Das.“ — He, bei — „Was faͤllt dem Satyr ein,
„Daß er fo lacht? Wer Kopf und Herz hat, richte,
„Ob's irgend Schön’re giebt, als diefes Herrn Gedichte.“
— He he be hei — So lach' er denn, ber Thor!
„Des MWeifen Rede fhläft in eines Narren Ohr.”
Sie dichten alfo? — „Ya, Here Juvenal, das Eher
„Der Mufen 109 mich aus dem Pöbel laͤngſt hervor
„In ihre Tanz’, Apollo nahm den Flor
„Von meinen Augen, und ich finge Bluthen, Keime,
„Gras, Heckenwerk, auch Frucht; und andre Bäume,
*) Dis Tangfam und feierlich zeſprochen.
V. ‚Die Literaten, 44
— — — — ——
» Nachdem die Jahrögeit iſt, auch naſſe Räume,
„Zum Beifpiel, Sümpf und Seen, bisweilen gar das Meer
„Und Regenbogen drauf. — Iſts Kries, ſo ing’ ich Heer’
„Und Schlachten, thu’ dem Sieger eine Ehr
„In glatten Oden an, — Manch großer Herr Jiebt Reime,
„Auch Ungereimted wohl.‘ — Wird Ihnen Das nicht wer? —
„Nein, lieber Herr.“ — Da gratulier' ich ſeht. —
„Ich wüßte nicht, was wir je ſchwer gemorben wir.
Auch dicht' ich gar nicht fo, wie mancher andre Dichter
„In filler Einfamkeit, gefammelt; jünde Lichter
„Bei Tage mir, wie Young, noch minder an. -
„Zum Liede ſtets bereit, fo wie der Ceerſchwan,
CDer gleichbegeifert fang, wenn er nur Geld sea
„Den großen und ben Eleinen Manny
„Bin ich, und wenn ich erſt ein Lied begann,
»Dagn halte: mich,- wer Fann.“ —
He be he hei — „Mein Gott, mas fchneidet für Geſichter
„Iht Sator!“ — Laſſen Sie den argen Splitterrichter;
Er thut's aus langet Weil. —„Auch lohnt noch Dichterfang
„Wenn lieblih er ber Großen Ohre Klang.
„Sehn Sie deu Preis, den meine Muf errang!“ —
Ein fhönes Kran! — „Durch hohe Huldigungen
„An einem Namenstag’, hab' ich es mir erfüngen.
„Und rathen Sie, wie lang’ ich drüber zugebracht.
— Nur einen Nachmittag, und eine Nacht.
„Ein Bud) nur Pofipapier ward vollgeoh't und ach't;
¶Zehn Gedern ſchrieb ich Rumpf, drei Dintenfäfer leert ich,
„und vier Buteillen Wein weraehrt” ich,
„Und fertig war dad Ding. — Tot Wieland, Voß und Stein,
„Find' ic) im Handumkehten meinen Keim.
„Hab' ich dan Erſten nur, sum Beilpiel, liebe Sonne,
„Gehts unaufhaltſam fort. Da fhmel’ ih ſtrals in Wonne
&4 ö
Pr” V. Die Literaten. .
m — — —
„Und Seligkeit, da fleußt von Honigſeim
„Wie Platons einſt, mein Mund; und fol Gemaͤld' und Keim
„Recht reich und voll mir fein, fo paar’ ich eine Tonne,
„Ob fie ſich Aräubt, dem Weiſen in der Tonne.
»Jüngf las ich einer Dam’ ein suderfüß Gedicht
+ In ihrem Zimmer vor, bunt von verliebten Sienen,
Bon Seufiern aufgeſchwellt, und naß von Thraͤuen.
„Ich werde warm, der Dame gluͤht Geficht
„Und Buſen. — Ob des Thorenwahns! Ich ahne nicht,
„Was fie bewegt. Sch falle nieder,
IH lall': „„O Heldin meiner Lieder,
»»£aß heute bir geſtehn, was nie mein Mund gefund: ‘
Ih — liebe Dich.“ = Bon ſeligem Entzüden
»Entiädt, will ich an meine Bruf fie drüden,
Da hebt fi, ſchwirrt, und trift mich ihre Hand,
mit ungewohnten Schlag. Erf bleich, dann hocenebramt
»Schwillt mir Die Wang’, umd fie — Fehrt mir den Rilden.
Was denken Gier? Verdient bie Thraterin uun wol, .
Daß fie mein-braufend Lied der Nachwelt nennen fol?« —
Ums Himmels willen, nein! — „Doch will ich, gleich dem Raben,
ehr immer kraͤchten: „„Stitb, Verräth’rint« « Nmmer laben
„Soll Kuh ihr Herr. Wer weiß? Was einſt eykambes that,
„Chut fie vielleicht.“ — O nein! dafür iR Math,
Sie müßten denn auch Rabenleben haben.
Dein! in den Wind, weil fad' und matt,
Verſchallet Ihr Gefrädh. Eh des Jahrhunderts Rab
Sich einmal umgeſchwungen hat,
SR ficherlich Ihr Lied, wie Sie begraben.
» Sie fiehen auf, Herr Juvenal?
„Mein, fo entkommen Sie nicht diefe Mal.
»Gie {deinen ſich aus Dicht ern nichts zu machen. —
— He hen — „Out! ſorechen wir von andern Sachen;
v Die Literaten. ag
— — — —
„Denn fprechen heut mit Ihnen muß ich noch.
Nicht umgeſehn! Hier if Fein Loch!
„Sie fhlüpfen nirgend fort. — Herr, ſpukt's in Ihrem Kopfer
Was halten Sie mid an dem Knopfe? —
— „Was eilen. Sie? Dem, traun! von dieſem Ort
„Kommt keine Seele vor Glock Achte fort.
»» Dafür heißt's Aſſemblee.“ — Nun gut! Was foll ich hoͤren
„Ich weiß gewiß, daß Sie Herrn Kant verehren.
— Nun gut! Was dann? — „Ich leſ ihn and.“
— Sie können leſen? — „Oh! ich bin Fein Gau.“ —
— Der Mann hat um die Weltweisheit Verdienſte. —
„Von allen Weifen iſt der Kärkk’ er und dur Fühnfte« —
— Er denkt fehr tief, — „Schr tief.“ — Da brangt ſich Schluß
an Schluß,
Daß man, wie winderfaßt, ihm ſchwindeind folgen muß.
50, ſchwindelnd folgen muß.” — Doc) hat er feine Sthwaͤ⸗
sen. — \
.Ja ia, Das hört’ ich fehon. Der Mann hat auch Gebrechen. —
— Hein, doch iſt er groß. — „IA, groß. iſt er gewiß.” —
Er firalt. — „Ia, wie ein Licht in dicker Finfterniß.”
Dan Tann ihm nur nicht trau'n, tappt, wie anf duͤnnem Eife,
Auf feinen Schlüffen hin, und mancher Tapper fällt,
Doch tappt auf biefem Eif ist ale Welt. —
Ja ia, Das ift der großen Männer Weile,
«Sie Affen gern.” — Und dann in der Moral
Sagt man, daß Zeno’n er und Chriſtum ſelbſt befahl. —
Ja ja, Sie haben Recht. Das hört’ Ich auch einmal.
Ja ia, er fiehle, Herr Juvenal.“ — B
Adieu, Herr Olbenholm *). — Denn nur an Papageien -
Kann ſolche Plapperei. ein Menfchenohr erfreuen.
>) Man fehe Hamlet IV, 8. nach Eehröderd Bearbeitung.
€es
4 V. Die Literaten,
— — — G — — —
Voſtillen lies, Elender, und das Blatt,
Das dreimal in der Woch' einfdhläfert: Hof und Stadt!
„Pft! Hert! poll gedankt, der fie dem jungen Tat
„Entriffen, und ju mir geborgen hat.
„Hier werden fie erquickt. Ich habe viel gelefen,
„Yin in Italien und in der Schweij geweſen, F
„In Frankreich auch. Gott weiß, was ich ſchon fah,
„Und hört’ und las. Ich bin die Ehrpwika .
„Der jet’gen. Beit.: — Go hilf mir Gott der Götter! — -.
Wenn Jemand zu mir kommt, fo fang’ ich an vom Wetter,
„E's iſt eiumal ſo Gebrauch). Dann wisd auf unfer Land,
„Auf König, Frieden, Krieg, die Rede ſchnell gewandt.“ —
— Mein Herr „Dann ſchweif ich aus nach England, Holand,
Polen,
„Und Rußland, dann gs Tuͤrken und ‚Mpgnlen,
„iiud Indiern. Was iwiſchen beiben Velen
„Sich ſtreckt, durhfchwänme mein Geiſt im Augenblick,
„und huſten fie, bin ich zuruͤk. —
„Ah / Das behast nicht. Gut, ich bin ande Litterater,“
— Mein Herr — „Bin mandes Alten Soſpitatot.
„Antiquitäten lernt' im Nieuport ich,
„Mythologie vom guten Hederich. .
„Doch ift Der faſt au. dick und su gelehrt Für Pr
„Nach Tiſche mag ich drum den D . » . m lieber nehmen,
„Zum Traum, im großen Stuhl (gut tränmt's nach Tiſche fich),
„Von Mythen und Philo ſephemen —
— Mein Here, ein Wort nur, —,Auch von Logik, Therapie,
„Botanik, und Afronomie“ —
Mein Herr! Mein Herr Gie.find wohl taub? — „Ingleihen
„Von was geht, kriecht, und fliege, und ſich im Fluͤſſen, Teichen,
Und Meeren regt, mit leichter Muͤh,
»@on früh His Abends unterhalt' ich fie,“
V. Die Eiteräten. 48
— — — —
— um Gottes willen, Herr. — „Sie habens doch vernommen,
Daß jüngf in Petersdorf iſt Feuer ausgekommen ?“
— Sie ſammeln wohl für dieſes Dorf? — „Ach, nein!“
— Da! Rimm das Geld für dich, und laß mich! — Gott ber
fohlen!
— „Halt! ueber Haferſtaͤdt brach gleiches Unglück ein,
Die Zeitung iſt davon gam voll. Soll ich fie hohlen?“
— O, ſchonen Sie, ich bitte, Ihre Sohlen. —
„Ich hab' auch, à propos, gar mandje Rarität
„In meiner Bücherei, die Ihnen ofen ſteht.
„Manch Buͤchlein, halbverfengt dem Henker noch entriffen,
„Mandy Werk, von dem Fabriz und Graͤvlus nichts wiſſen,
ESieht dort mit goldnem Schnitt in gtünem Saffian.
Da ſteh' ich dam und laͤcht' oft dieſe Gchäpe an.“ — “
— Pin er ich muß num fort. Komm, Gatyr! —„Nein,
mit Nichtenl
Nun noch vom ot ein Wort, und dann van Mordgefcichten
„und dann wech von den neueren Gebirhtenn .
„Und dann vom Handel, und vom Gleichgewicht.
„ Euronend.“ m. — Gafpri -Satyr! „Hört du nicht? —
Aba, er ſchlat. Und figh! des Schwatzens trunken,
Sf ringe der ganze Saal mit ihm in Schlaf verſunken. — "
Aufı, Satyr! Flint Spring von dem Voſtanient/
Da wir von ‚binnen find, eb feine Pfeife brennt! "
Borhe.
44 VL Uns einem Briefe von Rom.
— — — —
vr
Aus einem Briefe von Kon.
Den aten Mai 1797.
Tiſchbein in Neapel hat qunmehr, außer dem dritten Theil
ber Erklarung und dem vierten dev Kupferſtiche Hamiltonſcher
Bafen, auch noch vier Heſte dergleichen Bafen berausgegeben.
Eine von folhen die er felbft beſitzt, eine nach den Vaſen des
Herrn Keiner, Secretat der Königin von Neapel, und
eine nach Vaſen verſchledener Beſiber. Seen v von biefen Hef⸗
ten befteht aus achtzehn Blättern. J
Außerdem hat er auch einen erſten Heft von verſchledenen
Worftellungen herausgegeben, die auf die Homeriſchen Gedichte
Beziehung haben, und nad) alten Monumenten, theils Vaſen,
‚theils geſchnittenen Steinen u. f. w. geflochen find , welden
auch die Bildniffe des Homer felbft, des Menelaus, des Ulyfs
fes, und Diomedes nach alten Büften beigefügt find. Man
würde bei dieſer Sammlung eine Beſchreibung, oder wenigftens
eine Anzeige zu haben wänfhen, welche darthäte, was der
jedesmalige Kupferſtich vorftellt, und wonach es geftochen iſt;
da aber diefe fehle, behalte ich mir vor Ihnen von dieſem ins
tereffanten Werke eine ausführlichere Nachricht zu geben, for
bald ich es befigen werde. Es befteht ſolches aus 36 Blättern,
VL Aus eisem Briefe von Mont. 45
— G — — — —
Noch hat derſelbe einen Heft von in Kupfer geägten Thie⸗
ren herausgegeben, welche eine Beziehung auf den Homer has
Sen follen, indem einige nach Gleichniſſen, die in deſſen Ge⸗
dichten befindlich, genommen find, theils auch weil Here Tifchs
bein die Charaktere der Homeriſchen Helden mit Tieren zu ers
klaren fuche *). Die Preife diefer Werke Ind mir nicht ganz
genau befannt, da fie hier noch nicht verfauft werden, ohnge⸗
faͤhr aber wird der Heft Homeriſcher Vorſtellungen, wie ich
glaube, 4 Neapolitaniſche Unzen, und bie andern Hefte von
Vaſen jede x Unze koſten. .
=) Diefer Gedanke iR um ſo giädticher und infiruktiver, da Homer
felßR feine Heiden fehr oft mit Thieren vergleicht, und, wie bekannt, bei
mancher Budung des Alterthums, der charakterinifche Ausdruck diefer al6,
jener Thierart zum Grunde liegt. — Es wäre der Mühe werth bei Diefer
Gelegendeit die Frage zu unterſuchen: „inwiefern Fann Die ausdeudtönofe -
Thiergeſtait in der menflihen Form nachgeahmt werden, und wie muß
dies gefhehen 7" A. d.
us VII. Der Weihnachtabend.
— — — e,re—
VII.
Der Weibnachtabend.
Ein kleines Gemaͤlde aus dem häuslichen Leben, \
Unter aller Feſten, die entweder die Natur, ober die Reli⸗
gion, oder eine lobenswürdige Gewohnheit eingefegt und gas
weiht hat, giebt es Feine welches in jeder Rüdficht fo Heilig
and fiebensmärdig wäre, als das Weihnachtsfeſt. Es ift ein
Feſt der Unſchuld, denn es iſt das Feſt der Kindheit, es wird
von fern fhon mit Hoffnungen und Wuͤnſchen begrüßt, es
bringt bei feiner Erfcheinung die Erfüllung derfelben mit, und
wenn fie verſchwunden iſt, fo labt fich der Glädliche fo lange
an der Erinnerung/, bis die Hoffnung mit neuen erwachſenern
Wünfchen an ihre Stelle tritt.
Eben durch die mannichfachen Erfcheinungen bei demſelben,
und durch den Einfluß, welchen wichtige Vorfälle des Lebens,
die der Verftand des Kindes nicht umfaffen, fein Herz in Ihrem
ganzen Gewicht nicht fühlen ann, die feinem Auge eben ihrer
Größe wegen entgehn, auf die Ereigniffe deffelben haben, wird
ihm manches fühlbar und verkändlih, was fonft neben ihm
Bingfeiten würde. Ueberdieß ift es eine Art von Vorberel⸗
tung auf das Leben, in welchen bie Kunft zu wünfchen, vers
fehlte Wuͤnſche zu ertragen, und durch die erfüllten nicht uͤber⸗
muͤthig zu werden, eine der ſchwierigſten iſt. Darum ſcheint
mje auch der Schleier, welchen bie Sreigebigkeit der Eltern
VIL Der Weihnachtabeund. 447
über ihre Spenden wirft, fo zweckmaͤßig, ohne darauf zu fehn,
daß der Werth) der Gabe, und die Freude bei dem Empfange,
dadurch fehr erhöht wird. — Das Kind bilder feine Wuͤnſche
aus der Welt die in feinem Köpfchen ſterkt, die Mutter theils
nach feinen Bebürfniffen, theils nach Erinnerungen ihrer Kinds
heit, thells nach Winken der lieben Kleinen, die ſie um ſo we⸗
niger zu achten ſcheint, jemehr ſie geneigt iſt, dieſelben zu er⸗
fuͤllen. — Und welche Freude fuͤr beide, wenn ſich Wunſch
und Erfuͤllung begegnen! Die Eltern treten in ihre Kindheit
zuruͤck, und werden auf einen Augenblick ſo forgenlos und gluͤck⸗
lich als die, welche fie gluͤcklich machten.
Wir ſollten der Fefte mehrere haben, die uns In die Kind:
heit verfegen; denn die Erinnerung an fie iſt eine fo freundliche
llebe Begleiterin durch das Leben, daß auch ber kalte Greis,
‚den das Leben allmählig gleichgültig wird, fich nicht davon
trennt. Das Zurädrufen jener harmloſen Tage unfrer Kind
heit iſt oft das einzige, was bei Leiden ſpaͤterer Jahre tröftet;
es erhöht die Freuden, die wir in reiferm Alter-genießen, und
ſelbſt der, den felbftverfchuldeter Kummer zu Boden drädt,
‚der die- Folgen feines Leichtfiuns oder die Strafen feiner Boss
heit trägt, fieht gern in die verfloffene Zeit Eindlicher Freuden
zuruͤck, und das Andenken derfelben breitet ſich, wie ein Seegen,
über feine Zukunft. Sobald man ſich in jene Zeit verfegt, wo
nur die natürlichen und edlen Triebe der menſchlichen Natur
Handeln und wirken, ſieht man oft, daß die Marimen, nad)
welchen wir in fpätern Jahren handeln, und die eine falfche
Weitklugheit uns als moraliſch gut darftelt, auf dem Prüffteln
des Guten und Edlen ſich als unaͤcht zu erkennen geben. Man
kann es als die Probe von guten Handlungen anfehn, wenn
"man nad“ einer lebhaften Worftellung der Freuden und der
48 VI Der Weihnachtabenb.
— — — — —
kummerloſen Tage der Kindheit, fie zu vollfuͤhren Fein Be⸗
denken trägt.
Die Gewalt diefer Erinnerungen über das menſchliche
Herz, zeigt ſich nie größer, als bei ſolchen Menſchen, die bei
Einem font unverdorbnen Kerzen, entweder durch die Uebers
macht einer Leidenfchaft hingeriſſen, oder von Unvorſichtigkeit
verleitet, ein Verbrechen begingen, defien Strafe, in jeder
Rackſicht fuͤhlbar, ploͤtzlich auf fie faͤlt. Nichts kann fie fe ,
ſehr erſchuͤttern, als das Andenken an eine Zeit, wo ſie ohne
Reue ohne Furcht und Sorge waren. — Dies iſt es was und
fo fehr rührt, wenn der unglädlihe Räuber Moor, außer
Stande fih zum Gebet zu erheben fagt: „es war eine Zeit,
wo ich nicht ohne Gebet einfchlafen konnte.“ — Diefes Gebet,
dieſe Vertraulichkeit mit dem Allwaltenden, den man als Bas
ter betrachtet, welcher gern hilft und troͤſtet, — dies iſt es,
was man alsdann vorzüglich vermißt, wenn man aus Selbft-
vertrauen oder aus Zuverfiht auf Grundfäge ſich feiner eignen
Führung überließ, und auf Irrwege an den Rand des Verder⸗
bens gerieth. Nichts anders als dieſe Empfindungen, bie
ſelbſt in der Erinnerung noch das Eigenthum der Kindeit find,
kann das Himmelreich fein, welches nach einem Ausſpruche
eines großen Lehrers der Menfchheit das Worzugsrecht des Kin
des ausmacht.
Es foll, wie ih höre, Kinderfeinde geben. Sch leugne
es. nicht, aber ich glaube, daß es nicht bie beſten Menfchen
find, und ich möchte fo einen Mann nicht zum Freunde haben,
Es mag auch Kinder geben, die nur wenig Breunde haben,
(denn Zeinde Bann ein Kind ſich doch nicht machen) aber ich
geftehe, daß ich gleichwohl diefe Kinder lieben und nicht ver
laffen koͤnnte, and) dann, wenn fie diefe unfreundliche Geſin⸗
aung
vu Der Weihnachtabend, »
mn,
nung verdienten. — Wer nicht gern unter Kindern iſt, iſt
wahrſcheinlich auch ein Feind der Einfamkeit und der Unten
Haltung mir fi) ſelbſt; denn die Geſellſchaft der Kinder iſt
nichts anders als eine Erinnerung an unfte eigne Vergangen ⸗
beit, — Wehe dem Menichen der diefe flieht.
Gottlob! fie find felten, und wenn die Zahl derer auch
wicht klein ift, die in der Gegenwart von Kindern oft eine mehr
müthige Empfindung ergreift, die ſich unangenehmer vielleicht
fogar von Rene vergifteter. Gefühle nicht erwehren können,
wenn fie die unbefangene harmloſe Unſchuld dleſer Kleinen fehn,
fo werden diefe böfen Dämonen doc nicht leicht fo mächtig,
daß fie diefe guten Engel won ſich entfernen follten. — - Eine
Ahnung von der Gegenwart und ber freundlichen Wirkſamkeit
guter Geifter ergreift uns, wenn wir bie Kleinen ſehn, wenn
wir ihre Huͤlfloſigkeit und Unberathenheit uuterſtuͤtzen.
Mag doch immer der Hageſtolz Ihmählen, went bie Kin ⸗
der feines Freundes durch muthwillige Munterkelt die wichtigen
politifhen Verhandlungen ftören, ‚für welche er nur allein zw
leben fcheint, — er wird gern wieberfommen, denn fie find es,
die ihn Hinziehn, die ihn vergefien laſſen was er entbehrt. Sie
werden nicht an leere Tafchen klopfen wenn er wiederkehrt; er
wird gern zuhören, wenn fie ihm ihre Eleinen Verdienſte mit
drolliger Ruhmredigkeit vorerzählen; wird wie fonft feine ernſte
Nichtermine annehmen, und bei der Preisvertheilung des Ueber⸗
fluſſes der reichbefegten Tafel, von welcher er, die kalte Leere
ſcheuend, die Ihn daheim empfängt, in den traulichen Eirkel
dieſer Familie eilte, — wird er höchftens die Bedingung mas
hen, daß man ein wenig ruhiger fei als nenlich. - Und Hielte
man fie auch nicht, ſobald Bonbons und Eonfitären herum
sehn, erinnert er fich doch ber Heinen freundlichen Flachs⸗
Dritter Jahrg. atır Band. Lj
Fr Vu. Der Weihnachtabend.
— — — — — —
tapfe wieder; et geht nach aufgehobner Tafel wieder dahin,
wo man feiner Freundlichteit fo ſehr, feinem Zerne fo wenig
traut, wo das leichte Blut Im Vertrauen auf feine Güte feine
Drohungen fobald vergißt. Hätte er auch das ganze Jahr
hiadurch gedroht: „Laßt nur Weihnacht kommen, id; werde
Euch nichts Schenken; ſie hüpfen lachend umher, und — am:
Weihnachtsabend reitet, wie man vermuthet hatte, ihr alter
Freund auf einem Stedenpferde, die Trommel um den Hals,
in der Hand die hochgeſchwungene Peitfche zur Thaͤr herein,
und der nachgehende Bebdiente trägt einen ſchwerbeladenen Korb
nach, dem er unter. tauſend Schergen, die Meugierde der Klei⸗
nen durch geheimnißvolle Winke nedend, öfnet und auskramt.
Grade fo ift es aud der Fall.mit den bedauernswerthen
Mitgliedern der menfchlichen Geſellſchaft, die nicht aus freier
Wahl, wie der Hageſtolz, fondern oft Erziehungsfehler der
Eltern, oder eigne Anfprüche, oft auch Leichtfinn früherer Jahre
buͤſſend, die ſtillen Freuden der Häuslickeit entbehren, und
bei diefem Entbehren nicht felten von Nahrungsforgen gedrückt
werden, die der Hageſtolz gewöhnlich nicht Eennt. — Ihr,
die ihr fo-gern die alten Jungfern zum Ziel eures Wiges
macht, würdet fanfter von ihnen urtheilen, wuͤrdet die bes
dauern, die ihr befpdttelt, wenn ihr fle in einfamen Augens
blicken geſehn hättet, wo fig mit den Bedauͤrfniſſen der Gegens
wart tingend, reuevoll auf die Vergangenheit, und hofnunge⸗
los auf die Zukunft fehn. — Das Gefühl der Mutter, ift dem
Herzen näher, als das des Vaters. Senes Vermiſſen fchmerit
das Herz tiefer als das Vermiſſen diefes. Der Hageſtolz lacht,
wo die, welche nie Mutter ward, nie werden foll, verzweifeln
möchte. — Ich fehe das Alternde Mädchen, wie es ſchuͤchtern
den kleiuen Nähkorb, welchen es mit einem Tuche verhuͤllu,
VI. Der Weihnachtabend. 45⸗2
m — —— — — — — —
affnet, und ärmlihe Geſchenke für die Kinder hervorlangt.
Eine Thräne fteht in ihrem Auge, indem fie dem ältefteu Mäds
chen eine Strickrolle mit feiner. Baumwolle bewidelt und
Carlsbader / Nadeln ſcheukt, eine Thraͤne die der Hageſtolz nicht
ſieht, der indeß mit dem juͤngern Bruder die laͤrmende Trom⸗
mel ſchlagend auf dem Steckenpferde umhergallopirt. Er
würde fie auch nicht verſtehn, denn er weiß. nicht, daß fie vor
acht Jahren, .als fie dies Mädchen lallend auf dem Schooße
siegte, noch die Hoffnung hegte, Weib und Mutter zu wer⸗
den, und die Sorgen wie das Gluͤck der Haͤuslichkeit zu
‚genießen. ,
Diefe Haͤuslichkeit vermißt man Überall, wo Kinder fehr
sen. Cine Einderfofe Ehe if ein eheliches Hageſtolziat, Ein⸗
foͤrmigkeit, Kälte, und zulegt Ekel find da zu Haufe. — Nie
füpfen Eheleute ſelbſt dies lebhafter als am Weihnachtsabeud,
wo alle Fenſter erleuchtet, und nur dieſe dde find. Denn fie
befchenken nur ihre Magd, die eigennuͤtzig ſich im Dienftcons
tract die Summe beftimmte. — Misvergnügt gehn fie zum
benachbarten Freunde, ſtreifen Aber den Chriſtmarkt um micht
mit leeren Händen -zu kommen, freuen ſich, gehn ſtumm nach
Haufe, und bleiben Falt und ſtumm ˖ daheim.
Hauslichkeit ift es, der das Weihnachtsfeſt geweiht ieh,
ihr und ‚der Erinnerung, an eine frohe forgenfpeie Vergangen⸗
heit die im Bilde der Kinder auflebt. — She ſei auch dies, Sleine
Semalde geweiht, welches ich an ‚der Wand ihres Tempels
ehrfurchtsvoll aufhänge. .
. ...
*
Der Geheimerath LudoLp6 war der zweite Sohn eines
„ Hbrlichen Landplatrets, - der wie bei Landylarrern gewoͤhnlich
LE
452 vH. Der Beihnachtabend.
— — — — —
iſt, eine zahlreiche Familte hatte, woräber ſich niemand luſtig iu
machen braucht, denn nur er hatte für Erziehung und Unter⸗
Hate derfelden zu forgen, und er erzog und verforgte fie auch.
Der ättfte, Gottfried Ludolph, war feinem gottfeligen und
friedlichen Namen zum Troy aus der: Art gefchlagen, hatte
menig gelernt, luſtig gelebt, mehr verſchwendet als er ein⸗
nahm, und fah fih am Ende gendthigt, bei einem Freiforps,
welches im ſlebenaͤhtigen Kriege errichtet ward, als Leutenant
Dienſte zu nehmen. Als der Krieg und ſeine Wuͤrde zu Ende
war, helrathete er bie Wittwe eines Kriegskomiſſarius, der
auf Koſten feines Königs reich geworden war, etablirte an
der Oftfee einen Handel, und führte ihn mit vieler Genauig⸗
tkeit und Thätigkeit; denn er hatte einfehn fernen, wie unent ⸗
dehrlich beide Eigenſchaften find, wenn man ohne Sorgen für
vie Zukunft durch die Welt kommen, und mit Ruhe die Ges
genmwart genießen will, Daß man aber nicht glaube, er fei ein
Yaugenichts gersefen, den das Gläd unter feine Bormunds
Schaft nahm: es war gerecht, es vergalt ihm den Bram, den
er feinem ‚ehrlichen Vater gemacht hatte; denn feine Frau ger
hoͤrte nicht zu den verträglichen Gefchöpfen: fie wußte fehr gut,
daß fie Ihn aus dem Schiffbruche des Lebens gerettet hatte,
und maaßte ſich manches an, was ein. Mann- von Ehre und
fretem Gewiſſen nicht ertraͤgt. Er aber Hatte aus den Demi;
thiguͤngen feines Lebens und feines Gewiſſens fo viel Nie
drigkeit des Geiſtes behaften, daß er dies alles nicht fühlte. —
Wer ein befferes Schickſal verdient, wird ihn bedauern. '
Der alte Prediger Lubolph hatte einen Kleinen Aberglau⸗
ben für bie bedeutenden Vornamen, und ließ es ſich nie neh⸗
men, feine Rinder felbf: zu taufen. Ex nannte feinen zweiten
Sohn Ent, und fagte zu feiner Beau: glaube mir, daß wird
vu. Der Weihnachtabend. 43
— — — — —— ñ— —
ein braver Kerl, an dem wir Freude erleben, — Er hatte
Hecht, wie der Verfolg dieſer Geſchichte zeigen wird.
Unter feinen uͤbrigen Kindern waren noch zwel Söhne und
drei Töchter. Diefe wurden meiſtentheils an Landpfarrer oder
Pächter verheirathet, und ſetzten ihren alten Lebenslauf unter:
einem neuen Strohdache fort, Sle waren gute Hausfrauen,
treue gewiſſenhafte Mütter, ihre Männer hatten Freunde, ihre
Kinder ein Vorbild, und die Gemeinde ihre Erbauung an
ihnen. Unter den Söhnen ward. ber dritte Arzt, und flach
früh als ein Opfer feiner Berufstrene an einer epidemifhen
Keankheit. Der jüngfte, Suftav, ſtudierte Theologie, ward ber
Subſtitut feines Vaters, und fein Nachfolger, als dieſer im
wvel und ſiebzigſten Jahre gefforben war,
Schon der Titel, den ich. vielleicht au voreilig ihm ertheilt
babe, wird beweifen, daß Earl Budalph, ein bedeutend g⸗
Gluͤck als feine Bruͤder machte. Sein Vater brachte ihn auf
eine berlinifhe Schule, die Freunde. deffelben-in der Hauptſtadt
unterflügten gern ben Sohn, dev jeber Wohlthat durch Fleiß
und gutes Wohlverhalten fo wuͤrdig war, und fkatteten ihn
reichlich aus, als-er auf-die Univerfität ging ; denn fie wußten
fee wohl, daß aus ihm ein brauchbarer Sachwalter der Uns
ſchuld für die Zufunfe werden würde r— ‚Der ehrlihe Carl
Hatte die Rechte fleißig. ſtudirt, Fam mit Kenntniſſen ausger
ruͤſtet zurůck, und fand bald Geſchaͤfte, nachdem ihn die Vor⸗
gefegten als einen Mann erprüft hatten, dem fie der leidenden
Unſthuld empfehlen konnten. Gutgefuͤhrte Proceſſe empfablen
ihn weiter, mehr als fie, feine Unbeſtechlichteit und treue Wahr ⸗
heitsliebe; Eigenſchaften die bei gewinnſuͤchtigen Sachwaltern
ſo ſelten anzutreffen find. Darum ward er auch nicht reich,
und waͤre vieleicht nie in die Lage. gefommen, Ehemann und
53
454 VI, Der Weihnachtabend. B
Hausvater werden zu koͤnnen, wenn niht der König von feiner
Redlichkeit und Treue unterrichtet, ihm hervorgezogen und vom
Sachwalter zum Richter erhoben hätte. Es ging ihm wie es
vielen menfchenfreundlichen Aerzten geht: ihre Kranken gene⸗
fen, fie ſelbſt aber bleiben arm wie fie waren. \
Raum hatte er ein gewiſſes Brod erhalten, als er daran
dachte es zu genießen, und ſich zugleich eines Verſprechens ers
innerte, welches erift feäherer Jugendider Tochter eines benach⸗
barten Pächters gegeben hatte. — Wilhelmine hatte diefes
Verſprechen nicht vergeffen, und als Ludolph einft nach langer
Abweſenheit unerwartet in ben Amtshof zu Lichtwalde, von
feinem Freunde dem Stabsrittmeifter von &indel begleitet,
hereintrabte, da Eonmte nur der alte gute Water Rhunk über
feine unvermuthete Ankunft erflaunen; Wilhelminen ſchlug das
Herz, und fie erſtaunte nicht: — Der Rittmeifter, — ein
Sohn des‘ Butsheren im’ Kirchſprengel feines Vaters, und
Earis Jugendgonoſſe, — ſpielte die Rolle des Freiwerbers für
feinen Freund bei dem Vater fo gluͤcklich, als Ludolph die des
Liebhabers bei Wilhelminen. An einem’ fröhlichen Abend, wel
Ger durch die Gegemmart des muntern Pfarrers, — der fer
nem Alter zum Troy noch-Heitrer war als mancher Jüngling,
welchen im Frühling feines Lebens mehr Reue druͤckt, als dies
fen Greis im Winter des: feinigen — nichts weniger als ges
ſtoͤrt ward, gab Ludolph Wilhelminen einen ing, den er, von
einem guten Ausgange · ſeines Unternehmens überzeugt, ans ber
Stadt mitgebracht hatte, und fegte das Mädchen, welches
‚auf nichts weniger als ein. Gegengefchenf gefaßt war, in nicht
geringe Verlegenheit. ‚Und doc Härte ſie das ſeinige fo gern
erwiedert, doch ſchien es iht fo nöthig, Ludolph Eönnte es uͤbel
deirten, wohl gar für eine Verneinung feiner Wuͤnſche halten.
vn Dee Weihnachtabend. 48
—r —— —rr— —r — —
Wilhelmine ſah den Vater mit einem Blick an, in welchem
fich Freude und Unruhe, Ueberraſchung und Verlegenheit in
einer angenehmen Miſchung malten, und der ihn nur zu. deut⸗
lid) fragte: was fie thun ſolle? — „Ja, ſieh mid nur an,”
rief ex ihe zu, — „ich weiß keinen Rath; Ihr feid ja immer
‚ läger wie wir; Hilf dir felber. — Wilhelmine ward nody vers
legner. Sie wußte wohl, daß der treuhergige Vater ſcherze;
aber ſie haͤtte viel darum gegeben, wem er jest nicht fo ge⸗
ſcherzt Hätte,
„Herr Sohn!. fing der alte Rhunk ig an, radte
dabei halbaufſtehend bie grüne Muͤtze an der goldnen Troddel,
und Indem er gewahr warb, was er geſagt hatte, und fühlte
daß die Verlobung zu dieſem Titel traulicher Verwandſchaft,
noch nicht berechtige — verbeflerte er mit einem Lächeln fein.
Wort; und wollte einen andern Titel ſuchen, als ihn der Mitte
meifter unterbrach: „Nun, folls nicht dabei bleiben?’ .
Ich daͤchte es; fiel Ludolph ein, ehe der neue Schiwiegers
vater eine Antwort bereit hatte, - .
Nun, in Gottes Namen, Herr-Sehn! — fahr er fort,
indem er, von neuem die Muͤtze ruͤckend ſich fegte, — „ich
„weiß nicht wie ich es fagen fol, — kurz und gut; Sie find
nf einem Dovfe, wo es Feine Goldſchmiede und Juwelierer
„giebt; — Sie, verein mich wohl.
Ludolph. Lieber Batr — —
"Vater Rhunk. Sie fehn das Die iR ganz roth
geworben, fie ſieht mich an, ich foll ihr Vormund fein, und —
ich hin wohl manches. Wildfangs Vormund gewefen, aber fie
Haben mir mit aller ihren Wildheit nicht die Noth Bu in
die mich die da, mit ihrer Unſchuld fett.
4
46 VIL Der Welhnachtabend.
Ludolph. Wo tft Noch? Ih naher jeein Unzrpfand
meines Worts zurüdlafen.
Vater Rhunk. Wohl wahr, die Herren aus ver
Stadt geben nicht viel auf Wort und Handſchlag, und es ges
ſchieht ihnen Recht, wenn man auf ihr Wort und Haudſchlag
wenig giebt. — Sie find damit nicht gemeint, lieber Sohn,
Sie merten’s wohl, andere; nun, — vor Gericht werden
Sie's wohl oft genug erleben.
Eudolph. Ich weiß Ste fegen fein Defteaun in mid,
lieber Vater, auch Wilhelmine nicht, er wie Männer muͤſſen
uns die Mädchen fihern. °
Wilhelmine Sichern? Bin “ acht —
Sie erröthete und fuhr leifer fort: „auch ohne Ring Ih⸗
nen fiher geweſen?“
Der Vater glaubte als Vormund das Wort nehmen zu
mäffen, und rief Wilhelminen zu ſich.
Sie hand auf und näherte Ach.ihm. Weit einem liebllchen
Erröchen and fie meben dem Veter. Er ſah ſie an, 209 einen
einfachen goldenen Bing vom Finger, drückte ihm feiner lieben
Tochter raſch in die Hand, und fagte, indem eine: Theaͤne in
fein Auge trat: Gieb ihm den, gieb ihm. den.
Wilhelmine eilte zu ihrem Geliebten und ſteckte ihm ben
Ring auf den Finger; er umarmte und kuͤßte fie, und das ges.
ruhrte Mädchen ſtraͤubte ſich nicht.
Indeß war der Vater wieder aufgeſtanden, und ſagte,
Inden ein Lächeln ſich mit Freudenthränen auf feinem Gefichte
miſchte; „Herr Sohn! das beding' ih mir aus,'es iſt nur ſo
„pro Forma, um der Formalickt willen; — ich meine den
Ring, die Verlobung wicht, die ift, Cote weiß es. nicht pre
NL Der Beihnachtabend. 47
nm Serma, aber den. Ming Idfe Ich ‚wieder ein. Es iſt mein,
„Trauring, er ift von meiner feeligen Louiſe.“ \
Eine ehrfurchtsvolle Stille feierte das Andenken der guten
Zrau, Aus manchem Auge’ flofien Thränen. Oo muß das:
Andenken derer, die im Stillen ‚edel und: gut waren, gefeiert
werden, 5
Nach einem Weichen hob der’ ehrliche Pfarrer fein Glas
auf, fagte langſam und mit einem feften Tone: „Sie war eine
ſehr gute Fran, fie fol lebenz“ — und mie Aue)
‚Fangen bie Glaͤſer zufammen.
„Ja wohl follte ſie leben!“ — fagte der Vater, und Thraͤ⸗
nen fielen in feinen Bein. — Wilhelmine oedacs ſchluchzend
ihr Geſicht im Tach.
„AIch mag wohl Geſandheit trinken,“ — hub bald nach
ber der Pfarrer an, — „es iſt eine loͤbliche Sitte unſerer Vor⸗
„fahren, bie fo recht augenſcheinlich die Maͤßigkeit lehrt, ob
„wohl ehmals mancher an Geſundheiten ſich mag krank ge⸗
trunten haben, Wie geſagt, es iſt eine loͤlliche Gewohnheit,
„aber man ſollte die Todten nicht vergeſſen. Das Andenken
guter Menſchen för keine reine Freude; fie wird dadurch
erhöht, und wir-werden aufgefordert, gut zu fein, damit
gute Menſchen Ach; wenn fe froh find, unfeis. Andenkens
nicht Then, Men Boͤſewicht willen wir in feinem Grabe
und unter dem Steine, der feinen Namen trägt, ruhen
„laſſen, aber die Guten wollen wir auf Diefe-Art in unfee Ger
„ſellſchaft zurädteufen, — Verſorrcht mir, dab Bu auch
„meine Gefanbheit fo:trinten wollt.
Sie ftießen an, tranken fein Wohlſein, und der alte Rhunk
fügte: „Herr Pfarrer, bie. Trauung werden Ste doch noch
ser
ast vo. Dee Weihnachtabend.
— — — —
verrichten? — Wir ſprechen uns weiter, wir wollen noch
mit trinten.“
„Verſteht ſich,“ laͤchelte der wuͤrdige Geiſtliche, und
leerte ſein Glas bis auf den Boden.
Der Rittmeiſter ſaß dabei, ftägte den Kopf auf Die Linke,
ſtrich ſich mit der Rechten den Bart, und fah ſtarr in das halds
leere Glas. — Was ift bie? Sindel, fragte Lubelph.
Wie aus einem tiefen Traum erwachend, fagte er: Nichte,
Das heißt: fehr viel, — erwiederte Ludolph — „ich
kenne den Ton der Antwort, und den Senfjer, der fie bes
sleitete“
Rittmeiſter. Nun Du weißt es ia.
Ludolph. Was denn?
Nittmeiſter. Aus purer Freundſchaft bebandelſt du
wich tote einen Inquiſiten. — Das alles iſt vor meinen Augen
verborgen, denn ohne Ehe ift das nicht.
. Vater Abunk. Herr Aittmeiſter !
Nittmeiſter. Sol ich frein? — Soldat ohne Herz,
ader Chmann und Vater ohne Herz. — Beides taugt nichts.
— Der verheirathete Soldat muß aus Pflicht feig ſein. — —
Ia, ja, wir find wohl geputzt und es ſieht gar lieblich aus,
wenn wir in Parade Aufmarfchiren, aber, ker. Bug iſt Su
— So etwas, — (er fate feinen Verdlennorden a) —
zahlt es nicht.
Vater Rhunk. Wo nihnen wir denn Soldaten her?
Rittmeiſter. Vom Lande, wo es noch kindliche Liebe
giebt; denn In dem väterlichen Hauſe lernen wir das Vater⸗
land lieben:-vom Lande, wo es noch ferngefunde Menſchen
giebt, die jeder, Otrapatze und Gefahr in das. Geht lahen:
vn. Der Veihnachtabend, as
— — —— — — — —
vom Lande, wo es noch Ehrlichkeit, Menſchenliebe und Barm⸗
herzigkeit giebt, die lieber verzeiht, als fie raͤcht.
Vater Rhunk. Gott gebe unferm Könige fo ein Heer.
Pfarrer. Dann werden, wenn er ſiegt, auch die
"Feinde ein Te Deum fingen können.
Rittmeiſter. Aber heirathen dürfen Neue nicht;
das macht feig und habſuͤchtig.
Pfarrer. Wer das weiß, kanns drauf tagen,
-Kittmeifter. Wer Fann’'für fein Herz ſtehn? Hält
man ſich doch fo kaum, mie vielmehr wenn fo bies-und das ſich
mit feften Klammern an unfer Herz hängt. — Und wenn auch,
das Erempel, Herr Pfarrer, das Exempel.
Pfarrer. Darum habe ich geheirathet. Wir follen und -
tonnen In mancher Rackſicht Muſter ſeyn; ein umverheicatheter
Prediger kann nach meinem Sinne auf das Zutrauen nie recht
gültige Anſpruͤche machen. Der Hagefiolz iſt nach meinem
Sinne in keinem Lande zu Haufe und will es auch nicht ſeyn,
er iſt unfätt und flüchtig, und er hat Fein Recht auf irgend
Jemand, weil er Miemand'ein Recht auf ich gab. Wie kann
man - ich einem’ Menſchen · anvertrauen, ber immer efeferig
ausficht. .
Aitometſter. Marſchfertig, Herr Pfarrer. e«n or
wohl, daß ich Recht Habe, -
Pfarrer. Immerhin, obgleich nicht fo ganz, wie Sie
weinen, wenigſtens was meinen’ Stand betrifft.
Nittmeiſter. Von dem verſtehe ich nichts.
Pfarrer. Ueberbieß giebt es, nach meiner Meinung,
wine Menge von Tugenden; die, gleich’ edlern ‘Pflanzen, nur
unter der lieblichen DMde:des Cheſtandes und der forgfamen
Pflege der Haͤuslichkeit gedeihen; ja alle übrigen erhalten. durch
2 vn. Der Weihnagtabend.
dieſe erſt die Weihe und Achte ſeegenreiche Herilichkeit. — Es
giebt keinen ſchoͤnern Anblick ‚als den gluͤcklichen Hausftand ges
ſunder, tugendhafter und froher Menfchen. — Möge die Ehe,
die heut hier geſchloſſen wurde, ihn uns lange gewaͤhren. Dies
iſt der herzliche Gluͤkwunſch eines alden Mannes, der wohl
nicht mehr lange Zeuge dieſes Gluͤckes ſeyn wird, der aber nicht
beforgen darf, daß fein Andenken jemals irgend einen frohen
Augenblick ſtoͤren wird,
Dei. dieſen Worten ſtand der ehrliche Pfarrer auf, ent⸗
bloͤßte fein weißes Haupt, nahm ein volles Glas in die Hand,
und warf einen aubächtigen Blick gen Himmel; alle verflanden
die Rumme Geberbe, fließen an, und der Nittmeifter rief laut:
auf das Gluͤck des neuen Chepaares und das Wohlſeyn des lies
bengrodzdigen Greiſes. Das Abendeffen ward bis in die Nacht
verlängert, Vater Rhunk fchonte feinen Keller nicht, der Wein
ſchloß die Herzen anf und die Freude verbreitete überall eine ins
nige Vertraulichkeit; man ſprach vieles und mancherlei noch
über die, Che, machte Plane für die Zukunft, und die Greife
ſelbſt, won ſompathetiſcher Freude angeftedt, vergaßen, daß
bie Ausführung: wanches Planes ‚eine längere Zeit. erfürdere,
als ihnen der Wahrſcheinllchkeit nach beſtimmt war. Ludolph
"ergäßlte den Urſprung feiner Liebe zu Wilhelminen, wie bie
erſte Eindliche Vertraufichkeit den Keim ber Zuneigung in ſein
Hera gelegt, wie dieſe Zuneigung zur Freunoſchaft und’ Liebe
erhöht wurde, wie er foäterhin ſich aͤberzeugt gehalten, daß
alle die Hoffnungen und Freuden, welche er ſich von der Ehe
verforach, durch Wilpelminens Tugenden ihm würden erfült _
werden, und wie fehr er überzeugt ſey, daß es ihm nie venen
one, fein Glaͤckdurch die ernmuans {ra Bone gegründet
a8 haben. °
VIL Der Weihnachtabend. #1
x: An folgenden Tage verließ er, von feinem Freunde, dem:
Nittmeifter,, begleitet, das Dorf Lichtwald, nud eilte froh der
Konigsſtadt zu. Da Wilhelmine keine Mutter harte, bie mit
angſtlicher, vorforglicher Häuslichkeit wegen ber Ausſteuer ges
wöhnlich eine Menge von Anftalten und Bedenklichkeiten Iu
machen haben; da Vater Rhunk der Meinung war, daß er
auch nad) der Trauung geben könne und wolle, und daß man
überhaupt alles vermeiden müffe, was einen fröhlichen Augen⸗
blick verzögern Eönne, fo folgte die Hochzeit ungewoͤhnlich bald
nachher.
Zuvor eitt indeſſen Water Rhunf einmal in die Stadt, und
at unerwartet auf Ludolphs Stmmer, der eben damit befchäfs
tige war, bie neue Wohnung, welche er gentiethet hatte, eins
werichten. Mit herzlicher Vertraulichkeit näherte er fich feinen
Schwiegerſohn, fah dann mit Bewunderang die ſchoͤnen Ta⸗
peten und das nicht geſchmackloſe Mobiliar, und ſagte laͤchelnd z
das koſtet wohl viel Geld, Herr Sohn; muß denn das ſeyn?
es ift doch immer nur ein Mädchen vom Dorfe, all die Um
Rinde — — .
Es iſt ja doch nicht uͤberflaͤßig, erwiederte der Sohn.
Wenn auch nicht in der Anzahl fuhr der Vater fort, doch
in der Art, wie es da if. Nehmen Sie es nicht Übel, wenn ich
das. nicht verfbehe, und Sie, lieber Sohn, nach mir taxire;
es kann wohl feyn, daß in der Stadt manches nöthig ift, war
man auf dem Lande nicht vermißt, aber es thut mir immer
herzlich weh, wenn ich fehe, daß der Beduͤrfniſſe meht werden,
und daß man die Befriedigung der unentbehrlichſten fich immer
mehr erfhwert. Der Stuhl fol nicht: bloß.bequem zum Sitzen,
fondern auch huͤbſch anzufehm, und von einem koſtbaren Holze
feyn, welches die Wohlhabenheit des Söefigers verfändigt, und
W⸗ VIL Der Weihnachtabend.
— — — — —
da koſtet denn gewoͤhnlich das haͤbſche Anſehn, und das em
wolle Holz weit mehr als der bequeme Sig.
Sie Haben. nicht Unrecht, erwiederte Ludolph, aber Cie
sehen weiter, .als Sie follten; die angenehme Form eines Hauss
rathes, die Webereinfiimmung eines jeden einzelnen Stücs mie
allen übrigen, gewährt der Seele einen gewiſſen edlen Geuuß,
der um fo weniger ſtraͤſlich Ift, da er den Sinn für Ordnung
und Schönheit weckt, der mit mancher Tugend -fo nahe vers
wandt iſt, und oft einer edlen That ihren hoͤchſten Werth giebt.
Ich glaube, daß ein Schurke, der noch nicht fo weit gekom⸗
men iſt, daß er feine ſchlechten Streiche wach den Geſetzen eines
Kunſtwerks behandelt und ordnet, fich in einem fAybn vergierten
Zimmer nicht recht wohl befinden kann, und gefeht, ich ginge
hlerin zu weit, ober hätte bei mir das nicht näthig,, fo.müffen
Sie doch geſtehn, daß die Freude über dieſes fchöne Sofa eine
weit anftändigere Freude ift, als wem ich mich in einem Lehn⸗
ſtuhl wuͤrfe, und mit dem hoͤchſten Entzäden ausrieſe: er. if
unausfpredhlih bequem.
Das mag wahr ſeyn, erwiederte Vater Rhunk, die Stabes
leute haben manches anders als unſer einer; man benft denn,
fe thun das nur, um wunderlich zu ſeyn, wie fie denn wirklich
wunderlich ſind; aber Hört man fie Darüber reden, fo wiſſen fie
fo mandjes haͤbſche Wort zu fagen, dag man beinah glauben
ſollte, nicht fie, fondern unfer eins wäre wunderlich. Sie ſol⸗
len Recht Haben, lieber Sohn, aber nehmen Sie es nur nicht
übel, wenns bei mir nicht ſo tft, wie es ſeyn follte, und balı
ten Sie mir eine Frage zu Gute,
Ludolph. Ich Habe Ihnen nichts zu Gute zu Salt. .
Rhunk. Sie Haben kein. Vermögen, lieber Sohn, non
Ihren Litern, gute Leute haben Sie bei Ihrem Otubjeren un
"VI Der Weihnachtabend. B 77}
terſtuͤzt, und Sie Haben dankbar was Rechtes gelernt; To viel
man Ihnen auch auf der Akademie gab, fo war das doch der
Ort nicht zum Erfparen, und Sie hatten auch nicht das Taleut,
welches alle Welt und felbft fein Vater, unfer guter Freund der
Leibarzt W. am feinem Sohne verachtet, der lieber armſe⸗
lige hundert Thaler erſparen, als durdy eine paffende Verwen⸗
„dung derſelben Menfchenkenntniß, Kunft des Umganges und
Menſchenfreundlichkeit erlernen wollte. — Als Referendar, du
Ueber Gott — man weiß wohl, wie es da geht, Schäge wers
den nicht gefammelt, im Gegentheil vielmehr Schulden gemacht.
Als Advokat freilich. iſt mancher ſchon reich geworden, aber die
Ehrlichen felten, zu denen haben Sie immer gehört. Kurz und
gut alſo, Here Sohn, Sie find ein Sraver Mann, Sie haben
ein Geſicht, auf welches der liebe Bott ſelbſt feine Baͤrgſchaft
geſchrieben Hat, Ihnen leihet jeder, und ich mag lieber zufehn,
wie meine Kinder das, was ic) ihnen geben kann, genießen,
als ihnen große Schäge nachlaſſen. Viel Hab’ ich nicht, und
da will ich lieber zur rechten Zeit geben, bamit meiner Gabe
das, was ihr an Werth abgeht, durch die gelegene Zeit erfegt
. werde, — Dan muß nie eine Wirthſchaft mie Schulden ans
fangen, aud) der fleißigſte Mann arbeitet fich nicht heraus, er
erliegt unter der Laft und wird unthätig, weil er nie einen ers
feeulichen Genuß von dem Gewinn feines Fleißes bat. Gott
dat mich immer. gefegnet, ich hab’ erüßrigen Eönnen, und de
bring’ ih Ihnen, was ich ſo grade bei der Hand Habe, bezah⸗
fen Sie davon, was bezahlt werden muß, und nehmen Sie's
do gern an, als ichs gebe; bleibt was übrig, fo legen Sie's
als einen Noth/ und als einen Ehrenpfennig nieder; es kom⸗
men mancherlei Vorfälle, wo man ihn gebraucht, und es mag
464 Vo. Der Weihnachtabend.
— — Gö —ñ—— —
bingehn, daß man als Iehiger Menſch an dieſe Fälle nicht denkt,
aber wenn man heirathet und das Schichſal einen guten Fran
an das feinige bindet, fo muß man auf ſolche Jaͤlle ſich fehe
ernſthaft gefaßt machen. Nehmen Sie, lieber Sohn, es iſt
nicht viel, aber ich hab’ nie Geld lieber ausgegeben als dieſes.
Mit halb abgewandtem Gefiht reichte Ahunf ſeinem
Sohne eine Rolle mit hundert Louisd’oren, beſchaͤmt nahm die ⸗
fer.fie an und fagte; ich Habe nicht nach Gelde gefragt.
Das weiß ich am beften erwiederte Rhunk; dann hätten
Sie mein Minden nie genommen; aber mein Mädchen. ſol
auch nicht fo in das Haus hineintreten, wie eine die man aus.
Gnaden aufnimmt, ern die Frau auch nicht reich if, fo mag
ichs doch wohl, daß fie etwas mit ins Haus bringt, ‚damit. fie
etwas Ihr Eigenthum nennen kann, und bie Gleichheit ber Gr
ter mit der Gleichheit der Gemither ftatt findet. So dent’ ich
und fo muͤſſen Sie auch denken, wenn Sie ihre Gran ei
lieb Haben.
O! daß hab’ ich, erwiederte Ladolph, und Ich nehms an,
als obs von ihren heben Händen käme. Wenn fie wir nur
auch bald nachtommen Wollte,
Das fol fie, fagte Rhunk, Indem er feinem Sohne di die
Hand druͤckte, es freut mich, daß Sie mich verſtanden, und
das wenige fo aufgenommen haben, wie ichs gegeben habe,
Warlich heut zum Erftenmale verdrůßt michs daß ich nicht reich
bin, Aber wenns Noth chun ſollte, kommen Ste zuerſt zu mie,
wir fpielen künftig aus einer Kaffe.
Mit diefen Worten umarınte er den Sohn und verließ ihn
ſchnell. Kurze Zeit nachher war die Hochzeit: ein ländlich
frohes Feſt, an welchem eine große Anzahl won Breunden aus
der
VII. Der Weihnachtabend. 465
der Stadt ſowohl, als aus der Nachbarſchaft von Lichtwald
Antheil nahm. Nach der Sitte des Dorfes, wo das Gefaͤhl
für die Freude länger ausdauert, ſich nicht fo ſchnell abftumpft;
and immer frifcherund unerſchoͤpflicher hervorquillt, banerte
das Feſt einige Tage, nach deren Verlauf man in die Stade
zuruͤckkehrte, wohin Ludolph einen Eoftbaren Schatz gleich einer
ſchoͤnen Beute in ſein Haus zuruͤckfuͤhrte.
Das ſtille Leben 'guter Menſchen gleicht, in feinem Gange
und in feinen Erſcheinungen einem gluͤcklichen fruchtbaren
Jahre, welches weder durch ſchreckhafte Ungewitter noch durch
Fluthen und andre Erſcheinungen denkwuͤrdig iſt, deſſen eins
zelne Tage und Zeitpunkte in der Erinnerung ſich ſo wenig une
terſcheiden, daß fie einer ununterbrochnen Reihe froher und
willkommener Begebenheiten gleichen. Die Feſte des Jahres
find beftimmt, auch bie Feyertage des häuslichen Gluͤckes einer
ſolchen Familie Haben ihre beſtimmte Zeit, man freut ſich ehe
fie erſcheinen, und wiederholt ihren Genuß In der Erinnerung,
So, von feinem auffalenden Gluͤcke, von feinem unerwar⸗
teten Ungluͤcke unterbrochen, verfloffen Ludolph acht Jahre in
einer- gluͤclichen Ehe, Sekt aber follte die Familie der erſte
tief erfchätternde Schlag treffen. . Ludolph erkrankte, anger
ſtrengte Thaͤtigkeit und manderlei Verdruß warfen ihn aufs
Krankenbette, welches ſein Sterbebett werden ſollte. Er hatte
mit ungewoͤhnlicher Theilnahme die Vertheidigung eines Ver⸗
hafteten geführt, der das Opfer von Ruͤckſichten werden ſollte,
die man auf einen benachbarten Staat nehmen zu muͤſſen
ylaubte.: Ohne Dienfchenfchen hatte er der Unſchuld das More
‚geredet ; - fein Scharffinn hatte jedem: Vorwande die Thuͤr vers
ſchloſſen; ein Machtſoruch dgalt ſtatt eines techtlichen Erkennt⸗
Driter Jahrg. atet Vand. &s
466 vo. Der Weihnachtabend.
niffes, und feine Obern ließen ihn entgelten, was er aus
Pflicht verſchuldet Hatte. Gram, mit dem fih Verdruß über
eine unterbrochene Laufbahn und Sorge für das künftige Stück
feiner Familie vereinten, untergeub Mein Leben; ofienbare
Kränfungen und eine unverhohlne Zuräckfegung für weiche ſein
Derußtfein ihn nicht ganz entſchaͤdigen konnte, vollendeten
das Werk; er ſtarb im drei und vierzigften Jahre, und bins
terließ eime troſtloſe Wittwe, die mit ihren Kindern, einer Toch⸗
ger und einem Sohne, nur auf eine kurze Zeit eine Zuflucht bet
ihrem Vater fand; denn auch dieſer farb tin Jahr nachher.
Segt erinnerte ſich der brave Rittmeiſter von Sindel des Vers
fprehens, welches er feinem Freunde auf dem Sterbebette ges
geben hatte, feine Familie nie zu verlaffen. Er Hatte gefehn
mit welcher Suverfiht det Sterbende es aufnahm, wie die
Ueberzeugung, daß fein Freund Wort halten würde, den Kampf
feiner legten Augenblicke etleichterte, und war überzeugt, daß
das Gefahl dieſe freywillige Pflicht erfuͤlt zu Haben auch feine
fegte Stunde verſchoͤnern witde, Die Wittwe Ludolph ging in
die Stadt zuruͤck und der Rittmeiſter nahm ſio In fein Hals,
Ws er einige Jahre nachher zu einer andern Eskadron verfegt
wurde, welche in der Nähe der Hauptſtadt lag, mollte bie
dankbare Frau ihn begleiten, er aber verbat’s, weil er voraus
ſah, daß es den Kindern, die der Erziehung noch ſehr bedurften,
in einem Meinen Landſtaͤdtchen an Gelegenheit zur Bildung fehr
len würde: Sie blieben in der Stadt. Hanchen wurde mit jedem
Tage fchöner, und Earl erregte nicht unbedeutende Hoffnuns
gen. Der Rittmeiſter, den feine Geſchaͤfte oft nach der Stadt
tiefen, der aber öfter noch von dem innern Drange der Pflicht
dahlugetrieben wurde, genoß in ber Beobachtung detfelben, alles
VII : Der Weihnachtabend. 47
was aͤchte Baterfreuden gewähren Eönnen. Ein Eurger Feldzug
trennte ihn auf einige Zeit von der Familie, aber nur um ihn
ihr defto länger wiederzugeben; denn eine Schußwunde am
Knie machte ihn zum Invaliden. Er zog num in die Stade
und nahm feinen Neffen, deſſen Eltern kurz zuvor geftorben was
ven, und der hier feine juriſtiſche Laufbahn als Neferendar bes
ginnen ‚forte, zu fih In das Haus, in welches zugleich mit
Der Raͤthin Ludolph und ihrer Familie, eine gute Hausmutter
und Felede und Froͤhlichkeit einzog.
(Die Zortfenung Kinftig)
©:
468 - AL Die befle Welt.
van.
Die befe weile
An eine Freundin.
Liebe, Hoffnung, Freude, das lachende Befoige der Eu, Gag,
Eusat, Ochmers, dab Bolt der Leiden, dermiſcht mit Weisheit, un®
gebunden in Ihre Gränien, ſehen mnd ethalten Dad Gleichgewicht der
Grete, wifhen Licht und Garten, und geben Dem Leben INrafe
und Serie.
vope's Verſuch über den Menſchen nad der
S qlo ſſer iſchen Ueberfehung.
— — ——
Pr unentfchieden, Greundin, if der Streit,
Der ſchon im Alterthum, fo wie in unſrer Zeit,
Der Philofophen Schaar entimeit,
Ob diefe Welt ein Aufenthalt voll Qualen,
Ein Jammerthal, die Hoͤlle felber fens
Ob wir gu thener nur das Glück, au ſeyn, bezahlen;
Ob fie nicht werth, daß man ihr eine Chraͤne weih';
Ob nicht im Gegentheil das Leben,
Vom Schoͤpfer liebevol uns nur zum Gluͤc gegeben,
Die Welt, ſo wie ſie iſt, der Welten beſte ſey.
VIE. ‚Die befte Welt. -
469
geicht if} der. Streit nicht au entfcheiben:
Es fehlt, die Wahrheit zu geſtehen, beiden .. -
An Gründen und-Beweifen, nicht > .
Auch hängt gar viel vom Schatten und vom Licht,
In welchen: wir bie Phänomene fehen, ;
And von dem Standpunkt «ab, quf dem mit aradt ea:
Denn was wir find. urfpränglich, bleiben wir,
Zur Hälfte Seraph, halb-ein Thier,
Bei aller Weisheit Egoiken,
Bei Falten Blute vol von Selhfverläugnung, Ku,
Schwach im Moment-der Leidenfchaft,
Und durch Ersiehung — Juden ober Ehrißen,
Verſuch' es, frage den Hppochondriften,
Dem durch die Adern fehwark das Blut und mühfam flieht, .
Der von der Welt ſonſt nichts als feinen Gram genießt,
‚Der alles, was er ſieht, durch truͤbe Glaͤſer ſiehet,
Den Floͤt' und Laute ſchreckt, der jede Freude fliehet,
Siag’ um fein Urtheil ihn vem Werthe dieſer. Melt:
Er wird fie die mit ſchwarzen Farben maplen; :
Mit feinem Spleen, der alles ihm vergällt,
Wie wir mit hoher Weisheit pralen..
Bad wünfchenswerth nichts finden, als Den Ted.
Ganz anders wird. bes Zünglings.Urcheil Klingen :
Ihm mahlt ſich alles. roſenroth;
Will Kummer fich ihm nahn, er wird ihn bald verfingen,
gebt für die Gegenwart, und kennt die Sorge. nichts . j
Maid fließt fein leichtes Blut, ihn feflelt Leine LL Tee
©
“ VIo. Die beſte Weit.
Som Incht die bunte Far, ihm fingen Machtigallen
Ihm feiert die Natur ein minermährend Seh
Er läßt von Amors Lob die Felfen wiederhallen:
Ihn lachet alles am, weil Anerfahrenheit
And geichtfinn von deu beiden Geiten,
Die jede Sache hat, der Unbefangenpeit,
Des frohen Juͤnglings nur die fchöne fehen laͤt.
Ihm, deffen Ustheil nur befiochhe Sinne Leiten,
SIR dieſe Welt Fein büfires Burg Berließ,
Wie jenen, nein! fie if ihm Mahmude Paradies,
Der reife Dann, den bie Erfahrung lehret,
Nicht alles das ſey Bold, mas glänst,
Den Sinnlicheit, die nah an Lafter gränst,
Sn feiner Unpartheilichkeit nicht ſtoͤhret,
Genießt mit frohem Much des Lebens reine Freuden,
Die ihm der Vorficht Huld gewaͤhrt;
€ wuͤrdiget gerecht des Daſeyns wahren Werth,
Bleibe auch im he uoch beſcheiden,
Und ſammelt ſich, mit weifer Sparſamkeit,
Der Mücerinn’rung ſuße Freuden. "
Er ſtaͤrket feinen Much in Leiden
Mit dem Gedanken: Es war doch nicht immer fe,
Sroh werd’ ich wieder ſeyn, denn ich war vormals froh, }
Und duldet fein Geſchick mit Killer Heiterkeit.
Er frewet ſchon voraus, bei karperlichen Schmerzen,
Des Frohgefuͤhles der Geneſung ſich,
Und ſchon iR Krankheit ſeldſt ihm minder farchterlch.
Vu Die beſte Welt. an
—— — — —— —
Ein Zufall macht ihn arm; ber Tod raubt feinem Serien
Die Gattin, Kinder, Freuude, bie er liebt:
Die Armuth beugt ihn nicht,: er ik mit dem äufrieben,
Bas ihm mit karger Hand die weile Vorſicht giebt,
Denn er bedarf wicht viel zu innerm Geelenfrieben:
Er weint auf feiner Sieben Grab; ”
Doch wendet bald won ber Verweſung Seenen, 2
Mit hoffnungsvoller Ahnung Sehnen, „
Sein thränenfchtwerer Blick fich ab, .
Zum frohen Wiederſehn in einer lichtern Cphfre,
Wo Liebende Fein Zufall trennt,
Wo die Bollkommenheit des Kummers bange. Zähre
Am Thron ber Gottheit nicht mehr kennt.
So liebet.vr die Welt, Kein falfcher Schinimer >
Verblendet ihn, die Schatten. auch iu fehn, -
Die das Gemälde hatz’fie muͤhſam -auszufpähn . >
Verbeut bie Weisheit ihm: und fo wird hier, mie innen, -.
Die Wahrheit wohl auch in der Mitte Reh. J
Mit weicher Schoͤnheit ſchmuͤcket die Natur
Im May den Hain, das Thal, die Flur!
O konnt' ich ihren Reit, der jungen Soune Strahlen 2
Dir fo, wie Kleik und Thomſon, mahlen! !
Ein Frühlingsmorgen, welch” ein göttlicher Genuß!
So reitzt den Juͤngliag kaum des Mädchens erſter Kuß,
So lieblich iſt uns das Erwachen oo. Ds
Der reinen Schönheit, wie hier die Natur erwacht.
Der Nachtigallen Lied, der. Täubchen Girren, Lachen,
© 4
ara VOR Die befie Wei:
— — —
Wer if ſo ſinmyk, ben es nicht heitern Hertens nacht?
Entlockte dir nicht juͤngn anf sränumbirfehten Matten, =
Ein Ufer unſeer CElh, der Abendrothe Pracht —
Die Zaͤhre des Sefaͤbls, in Bichtgemölkter Schatten.. —
Verſchwiegner feiercher Nacht /· mr
Dir will ih, o Natur, mein ganzes deben- meint: —
Du ſtarkeſ mich, als Min, giebſt mir der Freuden vich.
nd wirſt mein unverdorbenes Gefuhl en
Im Breifens Alter noch erfreuen. . —
Begluͤckt dein Zauber, Poeſie,
Der Tonkunſt hohe Harmonie,
Nicht öfters unſte beſten Stunden! = <..- . .
Wem heilet nicht bie tiefſten Geekenmunden -. Soon.
Die Ihräne, bie gerührt die Dankbarkeit vergiekt,:
Wenn des geträfeten Vetrubten J *
Des armen Bruders Da son Woune äberkien.
Wie viele Freuden gab der Schöpfer dem geliebten
Begünfigten Gefchlechtt Gefteut bei Mäsigkit ... :_
Der Wein uns wicht mie Muth und Heiterkeite :
Bei wahrer Freundſchaft Hochgefuͤhlen,
Bei reiner Mebe füßen Spielen
Empfinden wir des Lebens Werth. \
D wie viel Gluͤck Hat uns die Vorſicht nicht gemähert- -
Zwar fehlts bei allen biefen Freuden -- »
Dem Menſchenleben nicht an mannichfachen Leiden,
Der Himmel glänzt nicht Bets im Sonuen ſchein:
Oft heulet auch der Sturm, und ſchwarte Wolken hüllen
vm. Die beſte Welt. 28
In ſchauerliche Nacht das Licht des Tags ins - -— =
Der Blitz gerfpaltet fie, die lauten Doumes bruͤllen,
In Aufruhr fheinet die Natur zu feyie x
Wald hebt der Erbe: Grund, vs firömen wilbe: Flammen -
Aus ihrem Scheos beson, Vallaͤte ſtůtzen ei... Y 22
Es fü in Schutt der ſtolze Thurm zuſammen;
Was Menſcheufleiß gebaut, die Werke der Natur,
Verſchlingt der ofne Grund bis-auf bie legte Spur.
Der Krieg, ein gräßlich Uysehener! —
Sript Hunderttaufende, ſchwimme, Bader ſich in Die .”.
und feiner gägellofen Wuth J
SIR Heilig nichts, find keine Bande theuer. j
Verfolgung, Hunger, Beh, Furcht, Krankheit, Haß und Neib
Erfchüttern oft das Gluͤck und die Zufriedenheit.
So wechfelt von der Wiege bis ins Grab
Kit Schmerzen Luſtgefühl, mit Freuden Tränen ab,
Nud fo, fo mußt’ es feyn! Der ew'gen Weisheit Liche
Befoͤrdert mur durch Wechſel unfer Gluͤck.
Wie bald entfchliefen fonf der Menfchheit regſte Triebet
Wie bald ermübere der Mai felbft unfern Blick
Ein ſteter Sonnenfchein, ein immer blauer Himmel
Erfüht uns bald mit Ekel und Verdbrußs
Die Ruhe ſchmeckt erſt füß nach dem Getämmel;
Entbehrung erſt erhöhet den Genuß: B
und wenn denn endlich auch Fein Erdengluͤck uns bliebe,
Bleibt uns bie Freundſchaft nicht, begläckt uns nicht die Lieber
Mn eines trenen Freundes Hand,
Bar
Na VII. Die beſte Belt.
Wit dem bie Tugend uns verband, tn ,
Un einen liebevollen Serien, j
Wie leicht vergeffen wir des Erdenlebens Schmerzen!
Sie raubt ein Zufall uns, taubt ſelbſt der Tod uns nicht,
Weit Zartlichteit und Treu mit und das Grab ducchbriche::
O Freundin, eine Welt, wo Freundſchaft uns bezticet.
Wo treue Liche kuͤßt, bie Mainacht ins entruͤcket,
Du fühle dies mit mir, die kann, bei allem Schein,
Mit dem ins Schwarze fie die Freudenhaſſer mahlen,
Sie Tann Fein Aufenthalt voll Qualen,
‚Kein Kerker, Feine Hölle ſeyn!
no. ö Briedr, von Zind.
18. Zwei Gedichte von Bindemann. 473
. ——
IX.
Zwei Gedichte von Herrn Prediger Bindemann 9).
Erinnerung im Herb,
An Wilhelminen.
Liebchen, ſahſt du wohl den Kranich ziehen,
Hoͤrteſt du in Wolken fein Gefchrei?
Liebchen, ach! Die ſchoͤnen Tage fliehen,
unſte Sommerluft iR nun vorbei,
Geſtern ſtreifte ſchon die Haberſtoppel
Kalt und feindlich des Oetobers Hauch;
Rothgeſprenkelt ſteht am unfrer Koppel
Ohne Blaͤtter der Hambuttenſtrauch.
Wenn der Wind durch Buſch und Baͤume wehet,
Flattert ſchon umher das welke Laub,
Zweige brechen, und im Wirbel drehet
Mit dem Reiſig ſich der kalte Staub.
Wenn im Mondenſchein die Fluren lauſchen,
und der Wandrer ſinnig ſtille ſteht,
Schrect ihn oft im Baum ein ploͤtlich Rauſchen
Von dem Blatte, das zu Grabe geht.
—— —— — — ——e ———
) Aus der Sammlung ſelner ſammttichen Gedichte.
45 IX. Zwei Gedichte von Bindemann.
—Dr m — ——
unſte Gegend, von der Erndte Feier,
Ach! vor wenig Wochen noch fo laut,
Crauert jetzt im grauen Nebelſchleier,
Wie um ihren Bräutigam die Braut.
Alter Finken, aller Lerchen Lieber,
Aller Grillen Weifen find verſtummt,
Kaum daß noch des Abends hin und wieder
Lebensfatt ein ſchwarter Kaͤfer ſummt.
O wie wars ſo anders, als die Bluͤthe
Buſchig noch an grünen Aeßen hing,
Als die Luft im Sommerhauche glühte,
And der Schatten freundlich uns eupfing;
MS wir oft des fhönen Tags und freuten,
Auf dem Hügel, nah am Wieſenplan,
Wilde Nelken pflückten und. verfireuten,
und die weißen Schiffe ſeegeln fah'n!
Weißt du noch, als wir im Grünen gingen.
gern am Walde, wo ber KuduE_ rief,
Und des Rebhuhns buntes Kuͤchlein fingen,
Das am Rand des Saatfelds ſich verlief?
als wir gern in warmen KHänden trusen,
Defters ſtreichelnd feinen jarten Flaum,
And nicht hörten, wie die Finken ſchlugen
Neber uns im Fraufen Meibenbaum?
"IX. Zwei Gedichte von Bindemann. 477
r
Weißt du noch den Gang am Elſenbruche/
80 fo weich gepolſtert war ber Weg,
Wo ich winkte mit dem weißen Tuͤche:
Liebchen, komm, bier feh ich Damm und Steg!
Wo die Wipfel ſich fo freundlich bickten,
Wenn ein Weſt die ſchlanken Zweige bog,
Und den Weihen unferm Aug’ entrückten,
Der am blauen Aethergrunde flog?
Weißt du noch das Buͤſchchen, wo der Haͤher
Süpfend uns fein rauhes Waldlied ſaus,
And auf naher Au der erfte Mäder
Uns begrüßte mit ber Sichel Klangr
Ws ich, wenn dein Aug' am Himmel weilte,
Still und heimlich dich im Buſch verlieh,
Aber bald mit Jubel sw dir eilte,
And von fern mein. Erdbeerfirdußchen wies?
Hut nun bauen fi) bie Erbbeerblaͤtter
Bald vom braunen Eichenlaub’ ein Dach:
Bange vor Noventberſturm und Wetter
Zieht das Rebhuhn dichten Straͤuchen nach.
Komm! — Im Gtäbchen, wo, vor Sturm geborgen,
Nur fein fernes Gaufen "Dich’erfchredt,
Laß uns laufchen, bis einmal am Morgen '
Anverhoft die Meine Schwalb' una weckt.
43° DE. Zwei. Gedichte von Bindemann.
— — eç——— r — — —
Yndie Schwalben.
— — Lin
Won is veife, che Schwalbent
O! ich feh’s, nach altem Brauch
Gigt ihr ſchon im Weidenftraud,
Seht bedauernd nach ben falben
Blättern aus, und Juns und Ale
Rufe ſich zu: Nicht wahr? num bald!
Wenig Tage noch behauſet
Euch das Neſt au meinen Dach,
Bis der Sturmwind wild und jach
neber meinen Birnbaum faufet,
Und das buntgefleckte Blatt
Niederſchaukelt, weit und matt,
Suchend werd’ ic) dann betragen:
Ener Neſt iſt kalt und leer;
Ueher Lad und über Meer
Seid ihr alle weggeiogen,
Und der Sperling mit Geſchrei
liegt zum Hauſe ſchon herbei.
IK. Zwei Gedichte von Bindemann. 49
Glaubt, ich ſaͤh' ihm gern gefriſtet
Euren Abſchied, hörte früh
Gern die Iange Melodie.
Lieblich iſt's, wo ihr euch niſtet,
Wo ihr ſingt im Bluͤthenbaum,
Wo ihr fpielt am Wolkenſaum.
Über doch könnte mit euch fliegen⸗
Duͤrfte nicht des Winters Groß
"Fühlen, nicht vom Falten OR
Sehn den Strom in Eis gebiegen,
Nicht erfchredden, wenn su Nacht
Dürres Reis im Sturme Fracht!
Dort, wo euch der Frühling Tächelte
Wo die Frucht im Golde gluͤht,
Wo den Baum, ber ewig blüht,
Lauer Sommerweſt umfächelt,
Mitten im Citronenhain
Sollte dort mein Huͤttchen ſeyn.
O wir wollten häuslich leben!
Ihr, im dichtgeleimten Neſt,
Hieltet eurer Liebe Feſt;
Ich erbaute mir von Reben
Sommerlauben kuͤhl und Fein,
Zührte Liebchen dort hinein.
ae IK. Zwei Gedichte dom Bindemang.
— — — ——
2
Liebchen dürfte dort nicht ‚frieren,
Glaͤhte heiß im Jannar; B ”
Immer wird’ ein Kranz das Kant, ’
Und ein Strauß den Bufen filten, : . 2
Ad! dem Winter iu entfliehn,- “ B
Laßt mich, laßt mich-mit euch sich!
Berlinifhes
Archiv der Zeit,
und
ihres Geſchmacks.
December 1797.
L
Ueberſicht der neyefien Staatsbegebenheiten.
Am Anfange des Novembers 1797.
DD. Revoluzion vom vierten September zu Paris fängt an
Ihre moßlchätigen Folgen für ganz Europa zu zeigen. Das
künftige Jahrhundert wird Die Epoche feiner Ruhe und feines
Gluckes von diefem Tage zählen, Patriotismus und Redlich ⸗
keit, die an jenem für Europa und mit Ihm für die Welt ents
ſcheidenden Tage über Werrätherei und Chieane triumphirten,
haben das Schickſal des feften Landes entfchieden. Der ftolze
Handelsſtaat wird nicht mehr die Freude Haben, Bürger frems
der Länder für feine Abfichten, Stolz und Gelddeſpotie, ihr
Dlut vergießen zu fehn: er iſt ſich ſelbſt nun derlaſſen, und
"mag verfuhen, was das Aufbieten gänzlich erſchoͤpfter Macht
gegen einen Staat, dem jugendliche Blüte und der erfte Genuß
einer ſelbſtgeſchaffnen gluͤcklichen Eriftenz ale Kräfte erhöhen,
vermöge,
Die Bünfche aller Menfhenfreunde find erfuͤllt. Euro⸗
pens feftes Land: wird nicht mehr der Schauplag von Krieg,"
Mord, Blutvergießen und Verwuͤſtung fein. Der Friede
Delete Zadts. sur Wand. 01]
483 I Ueberſicht der neueſten Staatsbegebenheiten.
— — — — —
wiſchen dem deutſchen Kaiſer, als Konigl von Ungarn und
Böhmen, ft gefchloffen, und in dieſem Friedensſchluſſe iſt zu⸗
gleich die Grundlage zu einem Reichsfrieden gelegt, der feiner
Hinderniß mehr unterworfen ift, und baldigſt zu Raſtadt wird
verhandelt werden. — Die ungeheuchelte Freude mit welcher
die Bürger beider Staaten, des Kaifers und der franzöfifchen
Republik, diefe Nachricht aufgenommen haben, beweiſt, daß
der Friede der Wunſch beider Völker war. Allgemeine Feſte,
Erleuchtungen, Tänze, Kanonendonner (rührender als von
den Wällen des Towers) und Glockengelaͤut verfünden überall
die frohe Nachricht. Die allgemeine Ueberzeugung, daß die
Induſtrie von neuem belebt wird, zeigt ſchon als Hoffnung
ühre glücklichen Folgen. Ueberall fleigen die Staatspapiere,
der unterdruͤckte Betrieb und Kunftfleis erheben wieder ihr
Haupt, und der Handel bietet beiden bereitwillig Die Hand.
Es it augenfcheinlih, daß alle Bögerungen, welche bie
Exfuͤllung der allgemeinen Friedenswuͤnſche fo lange aufhielten,
der Parthei, die am 4ten September geftürzt wurde, zuzuſchrei⸗
ben find. England, ‚welches mit diefen Confpiranten in Ver⸗
Undung ſtand, erwartete den Sturz der Eonftitütion Frank⸗
reichs mie jedem Tage, und hlelt daher den. Friedensfchluß Hin,
den es fo ungern und nur gezwungen einging, ben es unter
jedem Vorwande — wenn cs nur unter hoffnungsvollen Aus⸗
fihten gefhehen konnte — zu brechen bertit war. — So ſehr
das Minifterium des Inſelſtaats aud) immer davon reden mag,
daß es zum Frieden geneigt wäre; fo tft doch jegt unleugbar
gewiß, daß es niemals den Frieden gewuͤnſcht hat; daß waͤh⸗
end Ruhe der Waffen bei deu Armeen hertſchte, feine Kabalen
und Guineen im Innern des Landes um fo thaͤtiger waren;
daß es jeden Vorwand fuchte, die Streitigkeiten, die ihm nur
Am Unfange des Novembers 1792, 3
— — — — —
ſein Geld, dem feſten Lande aber Blut und Gluͤck der Ein⸗
wohner koſteten, in vollem Gange zu erhalten. Dem 4ten
September hat Europa es zu verdanken, daß es von dem
goldnen Joche der metkantiliſchen Infulaner, die alles für feil
halten, befreit iſt.
Daß das Direktorlum in Frankreich und mit ihm De Nas
sion den Frieden gewuͤnſcht habe, kann feinem Zweifel mehr
unterworfen fein: ‚Der zu Campo Formido gefchloffene Traktat
zwiſchen dem Kaifer und der Republik verbreitet das vortheil ⸗
Haftefte Licht über feine Geflinnungen, und widerlegt alle Be
ſchuldigungen Englands, in Ruͤckſicht deten, wenn fie aud)
nicht widerlegt wären, Frankreich ſchon durch die Forderungen
Englands gerechtfertigt iſt, die es nicht eingehen konnte ohne
feine Traftaten mit verbuͤndeten Republiken zu brechen,
Seitdem die Unterhandlungen in Lille abgebrochen waren,
and Lord Malmesbury nicht zur beſtimmten Zeit an dieſen
Det zuruͤkgekehrt war, richtete ganz Eufopa feine Augen auf
Udine. — Der zu.lange geführte Krieg hatte alle Kräfte und
alle Geduld der Volker erfchöpft, und je mehr man den Fries
den wünfchte, je weniger wagte man es, ihn von dem jegigen
Direktorium, weldjes fo manche ſtrenge Maasregel nahm,
zu hoffen, Mit Barthelemy und Carnot glaubte man Ge⸗
lindigkeit und Nachgiebigkeit* verfhmunden zu fehn, man
dehnte die Entfchloffenheit der Sieger in Paris auf alles aus
was unter ihrem Einfluffe ſteht. Allein mit jenen beiden Des
portisten.war nur Heuchelei entfernt, die unter der Maske
eines auswärtigen Friedens, den Innern Buͤrgerkrleg vorbereitet;
Der ı7te October 1797 (26ſte Vendemialre des ſechsten
Jahres der Republik) war der für Europa fo wichtige Tag,“
wo der Friebe zu Campo Formido, zwiſchen Udine und Paſſe⸗
CIE
484 1. Ueberſicht der neueften Staatsbegebenheiten.
— — — — —
riano, geſchloſſen ward. Europa iſt den Vermittlern deſſelben
den vollſten Dank und die ſchoͤnſten Monumente ſchuldig, beſon⸗
ders dem Marquis de Gallo, der als Mittelsperſon zwiſchen
beiden Partheien ſtand, und das zuweilen auflodernde Teer
immer wieder glüdlich bämpfte. Wenn den Blättern des
Tages Glauben beizumeffen ift, fo hat er, nachdem die Vers
miteler beider Partheien fich kurz zuvor lebhaft entzweit trenns
ten, die feßte Unterhandlung in Campo Sormido veranlaßt,
deren erwuͤnſchte Folge der Abfchluß des Friedens war.
Der Friebe ſelbſt ift aber zu wichtig, als daß wir unfern
Lefern nicht den ganzen Traktat mittheilen follten.
Definitio » Friedenstraktat, gefchlofen zwiſchen der
franzoͤſiſchen Republik und dem Kaifer.
Da Se. Majeftät der römifhe Kalfer, König von Uns
garn und Böhmen, und die franzöfifche Republik den Frieden
eonfolidiren wollen, deffen Grundlagen durch die auf dem
Schloſſe von Eckenwald, bei Leoben in Steiermark, dem
ıgten April 1797 unterzeichneten Präliminarien gelegt woeben;
fo haben Sie zu Ihren Bevollmaͤchtigten ernannt, Se. Mas
jeftät der Kaifer und König, den Herrn D. Martius Maſtrilly,
edlen neapolitanifhen Patrizier, Marquis de Gallo, den
Herrn Ludwig Grafen von Cobenzl, den Herrn Marimiı
lan Grafen von Merveld, und den Herrn Ignatz Baron
von Degelmann; und bie franzöfifihe Republik, Buos
naparte, General en Chef der franzöfifhen Armee In Star
lien, welche nad; ausgewechfelten Vollmachten folgende Arti
‚tel feftgefeßt Haben:
Art. 1. Es foll fünftig und auf immer ein dauerhafter
und unverlegficher Friede zwiſchen Se, Majeftät dem romiſchen
Am Anfange ded Novenberd 1797. 485
Kaifer, Könige von Ungarn und Böhmen, feinen Erben und
Machfolgern und der franzöfifchen Republik feyn. Die contras
hirenden Partheien werden die größte Aufmerkfamkeit darauf
richten, zwiſchen Ihnen und ihren Staaten ein vollfommenes
Einverſtaͤndniß zu unterhalten, ohme künftig zu erlauben, daß
man von einer oder ber andern Seite irgend eine Art von
Zeindfeligkeit, zu Lande oder zu Waffer, ans welcher Urſache,
oder unter welchem Vorwand es audy feyn möchte, begehe; und
man wird alles aufs forgfältigfte vermeiden, was fünftig die
‚glücklich hergeſtellte Vereinigung ftöhren könnte, Es foll denen,
welche einer oder der andern der contrahirenden Partheien
irgend einen Nachtheil zufügen wollten, Feine Hülfe oder
Schuß verliehen werden.
Art. 2. Gleich nad der Auswechſelung der Ratificatios
nen des gegenwärtigen Traktats werden bie contrahivenden
Partheien alle, auf die Güter, Rechte und Einkünfte der in
den vefpectiven Territorien refidirenden Partikuliers und auf
die Länder, welche dazu gehören, fo mie auf die in ſelbigen
befindlichen öffentlichen Erabliffements gelegten Sequeſter aufs
heben laffen; fie verbinden ſich, alles das zu bezahlen, was ſie
als Ihnen, durch die gedachten Partikuliers und öffentlichen
- Etabliffements geliehenen Fonds anfehen muͤſſen, auch alle zu
ihrem Nutzen auf jede derfelben eonftituirten Renten zu vergüten.
Der gegenwärtige Artikel wird als gemeinfhaftlich für bie
eisalpinifhe Republitk erklärt.
Art. 3. Se. Majeftät der Kaifer, König von Ungarn
und Böhmen, entfagen für Sich und ihre Nachkommen zu
Gunſten der franzoͤſiſchen Republik allen jenen Rechten und
Titeln auf die ehemaligen beigifhen Provinzen, die
unter dem Namen der sfterreihifhen Niederlande ‚
963
46 1. ueberſicht der neueſten Staatsbegebenheiten.
— — — — —
betannt find, Die franzöffche Republik wird dieſe Länder auf
immer mit aller Eouverainetät und Eigenthumsrecht, und mie
allen davon abhängigen Territorialguͤtern befigen.
Art. 4. Alle vor dem Kriege auf den Boden ber Länder,
die in den vorigen Artifeln genannt find, hypothecirten Schule
den, beren Eontracte mit den ‚gewöhnlichen Sormalitäten wer⸗
den verfehen feyn, follen zur Laft der framoͤſiſchen Republik
ſeyn. Die Bevollmächtigten Sr. Maieftät des Kaifers, wer⸗
den fobald als möglich, und nach vor Ausmechfelung der Rati⸗
fifationen, den Bevollmächtigten der franzöfifhen Republik
den Etat davon übergeben, damit die Bevollmaͤchtigten der
heiden Mächte bei der Auswechslung üben alle Artikel uͤberein⸗
kommen und fle unterzeichnen koͤnnen, welche alg Erklärung
oder Zugabe zu dem gegenwärtigen Artikel fommen.
Arts. Se. Majefkät der Kaifer ze., giebt feine Eins
willigung dazu, daß die franzöffche Republik die ehemaligen
venetiqniſch/levantiſchen Inſeln, nämlih: Corfu, Zante,
CEephalonien, St. Maure, Cerigo und andre davon
abhängige Infeln, fo wie Butrinto, Larta, Vonizza,
und überhanpt alle venetianiſchen Etabliffements in Albanien,
welche weiter herunter als der Golſo von Lohrino fon: mit
aller Spuverainetät hefige.
Ark. 6. Die franzoͤſiſche Republik giebt ihre Einwillie
gung, daf Se. Majeffär der Kaiſer, mis aller Souveraines
taͤt und Eigenthumsrecht die hier unten benannten Länder
befige, nämlich; Iſtrien, Dalmatien, die ehemaligen
venetianiſchen Inſeln des adriatiſchen Meeres, die Bouches
da Cattaro, die Stadt Venedig, die Lagunen und bie
gänder, welche zwiſchen den Erbſtaaten &r, Majeftät des
Kaifors, dem adrigtiſchen Meere und einer Linie begriffen find,
Am Anfange des Novembers 1797. 47
welche von Tirol aus gehen, den Fluß vorwärts von Gar _
dola folgen, durch den See von Garda bis Laciſe gehen, von
da eine militairifche Linie Bis zu San Giacomo formiven wird,
die den beiden Partheien einen gleichen Vortheil darbietet,
welche durch von beiden Theilen ernannte Ingenieurs vor ber
Aus wechslung der Ratififationen des gegenwärtigen Traktats
bezeichnet werden wird. Die Sränzlinie wird hernach bei der
Etſch zu San Giacomo vorbeigehen, wird dem linker Ufer
dtefes Fluffes bis zur Mündung bes weiſſen Canals folgen,
den Theil von Porto Legnago mit einbegriffen, der fich am
rechten Ufer der Etſch befindet, nebft der Ründung eines Um⸗
kreiſes yon drei taufend Klaftern. Die Linie wird an dem Ufer
des weiſſen Eanals, dem linken Ufer des Tartaro, dem linker
Ufer des Eanals, la Polifela genannt, bis zu deſſen Ausfluffe
in den Po und an dem linken Ufer des großen Po, bis an
die See fortgehen.
Art. 7. Se, Majeſtaͤt der Kaiſer ꝛc., entfagen auf
Immer für Sich, Ihre Nachfolger, und zu Gunften der
eisalpinifhen Republik, allen. Rechten und Anfprüchen,
die von jenen Rechten herkommen, welche Seine befagte Mas
jeftät auf die Länder Haben könnten, die Sie vor dem Kriege
beſaßen, und welche jegt einen Theil der cisalpiniſchen Repu⸗
NE ausmachen, welche felbige mit aller Souverainetät und
Eigenthumsrecht, und mit allen davon abhängigen Territorials
Gütern befigen wird.
Art. 8. Se: Mafeftäe der Kalſer ıc., erfennen die
sisalpinifhe Republik als eine unabhängige Macht.
Dieſe Republik begreift die ehemalige dt reihfhe Lomr'
bardei, die Länder von Bergamascn, von Bresciang,
Cremasco, die Stade und Veſtung Mantua, das
54
438 1. Weberficht ber neueſten Staatsbegebenheiten.
— — —ñ— — — ——
Mantuaniſche, Peſchtera, den Theil. der ehemaligen
wenezianifchen Staaten im Weſten und im Süden der im
festen Artikel für die Graͤnze der Staaten Sr. Majeſtaͤt des
Kaifers bezeichneten Linies das Modene ſiſche, Maffa
und Carrara, und bie drei Pegationen yon Bologna,
Ferrara und Romagna.
Art 9. In allen, durch den gegenwärtigen Traftat abe
vtretuen, erworbnen oder getaufchten Ländern, foll allen und
jeden Einwohnern und Eigenthämern die Aufhebung des auf
die Güter, Effekten oder Einkünfte, wegen des wwifchen Sr.
kaiſerlichen Majeftät und der franzoͤſiſchen Republik ſtatt gex
habten Kriegs, gelegten Sequefters bemilligt werden, ohne,
daß fie in diefer Rüdficpt an ihren Gütern und Perſonen beun⸗
tuhigt werden könnten, Diejenigen, welche künftig nicht weis
ter in den befagten Ländern wohnen wollten, follen gehalten
fepn, dies drei Moirate nach der Publikation des Definitin«
Friedensiraktaks au erklären. Es ſollen ihnen drei Jahre bes
willigt werden, ihre. beweglichen und unbeweglichen Guͤter zu
verfaufen oder darüber zu diſponiren.
Art. 10. Die durch den gegenwärtigen Traftat abge
tretnen, ermarbnen oder ausgetaufchten Länder follen denen,
welchen fie bleiben, die auf ihrem Boden hypothecirten Schule
den aubringen.
Artı i1. Die Schiffahrt auf dem Theil der Fluͤſſe und
Candle, die zwiſchen den Befigungen ©&r. kaiſerlichen Maje⸗
fät und denen der cisalpinifchen Republil zu Graͤnzen bienen,
ſoll frei ſeyn, ohne Daß weder die eine mach die andre Macht
irgend einen Zoll darauf anlegen, noch irgend ein bemaffnetes
Jahrzeug darauf halten koͤnne, welches aber die zur Sicherheit
der Veſtung von Porto Legnago eigen Boshihtemagsreggin
nicht ausſchließt.
Am Unfange bed Novembers 1797. 489
Art. 12. Alle Verkaufungen und gemachten Veräußer
zungen, alle contrahirten Verbindlichkeiten von ben Städten
oder von dem Gouvernement, gder von den bürgerlichen oder
abminiftrativen Xutoritäten ber ehemaligen venezianifchen Lande
zum Unterhalt der deutſchen und franzoͤſiſchen Armeen, bis
zum Dato der Unterzeihnung des gegenwärtigen Traftats
ſollen beſtaͤtigt und als gültig angefehen werden.
Art, 13. Die Domainens Documense und Archive der
verſchledenen durch den gegenwärtigen Traktat abgetretenen
aber vertaufchten Länder folen binnen drei Monaten von dem
Dato der Auswechslung ber Ratififationen den Mächten uͤhere
geben werden, welche das Eigenthum davon erworben haben,
Die Plane und Charten der Veſtungen, Städte und Länder,
weiche die contrahirenden Mächte durch den gegenwärtigen
Traktat erlangen, ſollen ihnen getreulich übergeben werden.
Die militateifhen Papiere und Regiſter, welche in dem gegen⸗
märtigen Kriege den Staabs der refpectiven Armeen genoms
men worden, follen ebenfalls wiebergegehen werden, ,
. Art 24, Die beiden contrahirenden Partheien, von
gleichem Verlangen befeelt, alles zu entfernen, was der zwi
ſchen ihnen glüdlih wieder hergeſtellten Harmonie ſchaden
koͤnnte, verbinden ſich auf die feierlichſte Art, zur Aufrechthal⸗
tung der innern Ruhe Ihrer reſpectiven Staaten aus aller ihrer
Macht beizutragen.
Art, 15. Es ſoll ſogleich ein Handlungs⸗Traktat
oeſchloſſen werden, der auf billige und ſolche Grundlagen ers
richtet iſt, welche Sr. Faiferlihen Majeftät und der franzds '
ſiſchen Republik Vortheile verfihern, die denen gleich find,
welche die am meiften begunſtigten Nationen in ihren. refp.
Staaten genießen.
" Sr
499 L Ueberſicht der neueſten Staatsbegebenheiten.
Unterdeſſen ſollen alle Handlungs ⸗Communicationen und
Verhaͤltniſſe in den Zuſtand wieder hergeſtellt werden, worin
fle ſich vor dem Kriege befanden,
- Art. 16. Kein Einwohner aller von den öͤſtreichſchen
und franzöfifchen Armeen eccupirten Länder fol weder in feiner
Perſon, noch in feinem Eigenthum, wegen feiner poittiſch en
Meinungen, oder baͤrgerlichen, militairtſchen und Com⸗
merzlals Handlungen während des zwiſchen beiden Mächten
ſtatt gehabten Kriegs, gerichtlich verfolgt. werden.
Art. 17. Se. kalſerliche Majeſtaͤt können, zufolge der
Grundſaͤtze der Neutralität, in jedem Ihrer Häven, während
des gegenwärtigen Kriegs nicht mehr als Sechs bewaffnete
Kriegsfahrzeuge, die jeder der friegfüprenden Mächte
gehören, aufnehmen. .
Art. 18. Se. faiferlihe Majeſtaͤt ꝛe. verbinden Sich,
dem Herzog von Modena zur Schadloshaltung der Länder,
wrelche diefer Prinz und feine Erben in Stalien hatten, den
Breisgauabzutreten, welchen er unter eben den Bedin⸗
gungen befigen foll, unter welchen er das Modenefifche beſaß ).
Art. 19.° Die liegenden und perfönlichen, nicht veräußers
ten Grundbefigungen Ihrer Fönigl. Hohelien, des Erzherzogs
Carl und der Erzherzogin Chriſtine, welche in den, ber
Franzöfifchen Republik abgetretenen Ländern liegen, follen ihnen
mit der Bedingung wiedergegeben werben, felbige in Zeit von
"drei Jahren zu verkaufen. Ein gleiches fol ſtatt haben mit den
liegenden und perfönlihen Grundbefigungen Sr. Einigl. Ho⸗
heit, des Erzherzogs Ferdinand, in dem Tertitorto der <ier
alpinifhen Republik,
ZT ee
*) Daß fie nemtich im Ausiterbefal an Deikteich gurädfaden.
Am Anfange ded Novembers 179. ' 491
Arr. 20, Es foll zu Raſtadt ein Congreß gehalten
werden, der einzig und allein aus Bevollmächtigten des deut ⸗
ſchen Reihe und der franzoͤſiſchen Republik für die Pacifika⸗
tion zwiſchen diefen beiden Mächten beſtehen fol. Diefer Enns
" greß foll einen Monat nach Unterzeichnung des gegentoärtigen
Traktats, ober wo möglich noch früher , eröffnet werden.
Art. ar, Affe von beiden Seiten gemachte Kriegsgefan⸗
gene und während des Kriegs wengeführte oder gegebene Gei⸗
feln , die noch nicht ausgeliefert feyn werben, follen in vierzig
Tagen, von dem Data der Unterzeichnung des angemohecgen
Traktats, zurücgegeben werden.
Art 22. Die Kontributionen, Lieferungen und alle und
jede Kriegsleiftungen, welche In den reſp. Staaten der contras
birenden Partheien ftatt gehabt haben, follen von dem Data
des Tages der Auswechfelung der-Ratifitation des gegenwir ·
tigen Traktats aufhören.
Art. 23. ©e. Falferliche Majeſtaͤt und die franzoͤſiſche
eRepublit werden In Betreff des Ranges und der übrigen Erle
quetten eben Das Ceremoniel beibehalten, welches beftändig vor
dem Kriegel Beobachter morden. Se. gedachte Majeftät und die
elsalpinifhe Republit werden unter fid eben das Ceremoniel
und] die Etiquette beopachten, welche gewoͤhnlich zwiſchen Sr.
beſagten Meajeftät und der Republik Venedig beobachtet worden,
Art. 24. Der gegenwärtige Traktat wird für die Ba⸗
tavifhe Republik als gemeinfchaftlich erklärt.
Ark. 25. Der gegenwärtige Traktat fon von Sr. kaiſer ⸗
lichen Majeſtaͤt und der franzoͤſiſchen Republik in dreißig Tageny
von dem heutigen Dato am gerechnet, oder wo möglich noch
eher, ratificirt, und die Natififarionen follen in geßdriger
Form au Raſtadt ausgenechfelt werden.
492 I. Meberficht der neueſten Staatöbegebenheiten,
— — — —
Gegeben und unterzeichnet zu Campo Formido bei Udine,
den 17ten Oktober 1797, (26ften Vendemiaire, im 6ten Jahre
der Franzoͤſiſchen einen und untheilbaren Republik.)
(unterzeichnet: ) Buonaparte,
Der Marquis de Gallo.
Louis Graf von Cobenzl,
Der Graf von Merveld, Generalmajor.
Der Graf von Degelmann.
Bofgende Vemerkungen drängen ſich fogleich dem beobach⸗
tenden Lefer auf.
1) Der Frieden ift für beide Theile ehrenvoll. Für Frank⸗
weich; denn eg erweitert feine Befigungen beträchtlich, und
glebt einer neuen verſchwiſterten Republik die Erifteng. Für
Oeſtreich; denn -fo viel dieſer Staat auch verliert, fo ers
haͤlt er doch diejenigen Entfhädigungen, welche ihm
Frankreich bei diefer Lage der Umftände gewähren konnte.
Es überliefert ihm bas Gebiet, über welches es durch fein
Waffengläc zu difponiren hatte. Oeſtreich verliert ein
ſchones Land an der Kuͤſte eines weitgeöffneren Meeres,
aber von minderm Werth für ihn, da es von den Erbftans
ten fo weit entfernt lag, und der Geiſt der Einwohner
nicht immer den Wünfchen der Regierung entſprach.
Es erhält ein nicht minder blühendes Land, an der Kuͤſte
des adriatifhen Meeres hingebreitet, Geiſt und Sprache
der Einwohner find den alten Unterthanen der Menarchie
näher verwandt; es ſchließt feine Beflgungen in einen
ſchoͤnen Umfang, und wenn gleich das Meer nicht einen fo
weiten Umfang des Handels oͤffnet, fo müffen der oͤſtreich⸗
ſchen Regierung Häfen und Schiffahrt in dieſen Gegenden
von unendlihem Gewicht, nicht allein in Friedensgeiten,
Am Anfange des Novembers 1797. 453
— — — — — —
ſondern auch im Kriege, z · B. mit der Pforte, ſeyn. Hier⸗
aus folgt:
2) Der Friede iſt dauerhaft. — Wo der Abermäthige
Feind den erllegenden Gegner zum Frieden zwingt, da iſt
es ſehr natuͤrlich, daß der gezwungene Theil die erſte gluͤck⸗
liche Gelegenheit ergreift, um mit geſtaͤrkten Kraͤften einen
neuen Kampf zu beginnen, der nicht viel ſchlmmer enden
ann. Cs ift zuweilen patriotifh ſo zu Handeln, obgleich
ein folches Betragen In gewiffer Hinſicht einer Verraͤthrrei
nicht unaͤhnlich it. — Mag immerhin Bushaparte, ale
er bei Leoben fland, durch das Vordringen Loudons in
Tyrol, und durch den verraͤtheriſchen Aufſtand der vene⸗
slanifchen Ariſtokraten, In eine Verlegenheit verſetzt ſehn,
die ihn zum Abſchluß der Präliminarien zwang, dies iſt
ſehr wohlthaͤtig geweſen; denn ein Frieden, den er vor
den Thoren Wiens gefchloffen hätte, Eonnte unmöglich fo
dauerhaft feyn, als der jegige ift, weil er nicht fo ehrens
voll feyn konnte. — Einen Vergleich oder Frieden, den man
geſchloſſen zu haben fich ſchaͤmen muß, ſchamt man fi
felten daun zu brechen, wenn man nicht blos auf ſich
ſelbſt, fondern auch auf Pflichten gegen andre und die
Ehre eines Volkes zu fehen hat. Daß Dauer des tier
dens aber zugleich die Abficht beider unterhandelnden Staa⸗
ten geweſen fel, zeigen der erſte und funfzehnte Artikel;
mehr als Beide aber der vier und zwanzigſte, durch welchen
* England au in Rädjiht feiner Machinationen gegen bie
innere Ruhe Frankreichs tfolirt iſt.
3) Der Frieden if für ganz Europa Außerft wichtig,
Nicht allein: wegen der Veränderungen, die dadurch in
mehreren Ländern entftanden find, durch die Stiftung‘
A941 Ueberficht der neueſten Staatsbegebenheiten.
einer neuen refpektablen Kraft, durch das Verſchwinden
deſpotiſcher Ariſtokratien, fondern duch die Wendung,
welche das polttifhe Syftem von Europa tehmen wirds
indem England allen feinen Einfluß auf die Höfe und
Staaten des feſten Landes verlieren muß.
Es gewäßet einen fehr großen Anblick, wenn man von dem
Yuntte aus, auf welchen der Friede von Campo Formido uns
wefhelit Hat, die Veränderungen uͤberſchaut, die Europa feit der
feanzöffchen Revoluzion erlitt,
Frankreich ward eine Republik.
Die dſtreichſchen Niederlande „find damit vereinigt,
Savoyen und Nizza find Theile des franzoſiſchen Freiſtaats.
Die venezianifchen Infeln am Ausflug des adriatifchen Meers
Meerbufens find den franzöfifchen Staaten einverleibt.
Benua lhat ſich demokratiſch, ale liguriſche Republik, con⸗
ſtituirt.
Venedig iſt nicht mehr ein ſelbſtſtandiger Staat; feine Laͤn⸗
der find thells an Oeſtreich, theils an die eisalpinifche Re⸗
publik gekommen.
Als eisalpiniſche Republik Haben fh anne gänder Star
llens eonſtituirt.
Der Herzog von Modena beſitzt nichts meht in Stalien,
Der Sfreichifche Breisgau wird ihm zu Theil.
Das Gebiet des Pabftes als weltlicher Regent iR fehr vers
enge, faft fo ſehr, als feine geiftliche. Gewalt,
Spanien hat fein Regierungsſyſtem geändert, und bie In⸗
quifition aufgehoben.
Die vereinigten Niederlande haben ſich ale batavlſche Depus
blik zu einer freien Demokratie onftituirt.
Polen ift ans der Reihe der Staaten verſchwunden.
Am Unfange ded Rovemberd 1797. 5
— — — — —
Die engliſche Regierung hat große Eingriffe in die Conſtitu⸗
tion gethan, und ſieht ſich jetzt von den Maͤchten des feſten
Landes und ihrem Einfluffe auf ſie getrennt,
Hiebei find alle die Veränderungen, die in den übrigen Welt
theilen als Folgen der Erfchlieterungen Europa’s ſich ereignen
möüffen, alles was noch auf dem Frieden zu Raftade und durch
den Krieg Frankreichs mit England entſchieden werden fol,
nebſt der merkwürdigen Erfcheinung fo mannichfacher Arten
von Emigranten, und dem Einflufie den fie auf die Völker hats
ten, fo wie ber gang umgeftimmte Geiſt der Zeit, noch nicht
in Anfchlag gebracht. — Welches Jahrhundert Hat fo gläns
gzend geendet, und feinem Nachfolger die Welt in einer ent
ſcheidendern und hoffnungsvollern Lage überliefert?
Das franzöflfhe Direktorium bat gleich nach Abfchlug des
Friedens beſchloſſen, daß ſich an den Küften des Oceans eine
Armee fammeln fol, die den Namen: Armee von England,
führe. Sie ift zu einer Landung beſtimmt, und Bonaparte
zu Ihrem Anführer ernannt. Da diefer indeß den Reichsfrieden
zu Raſtadt vorher noch unterhandeln und abfchließen fol, fo
iR bis dahin das Commando derſelben dem General Deſahr
übertragen. Die Armee wird aus dem Kern der franzöfifhen
Truppen beftehen, und von den ausgezeichnetiten Officieren ans
geführt werden. — Das Direktorium hat zu gleicher Zeit den
Friedenstraktat mit Portugal aufgehoben, und Maffena wird
mit 20000 Mann gegen dies Königreich, welches ſich auf eine
wenig ehrenvolle Art unter die Defpatie des Londner Muiſte⸗
riums ſchmiegt, zu Felde ziehn. Dies ift, außer Gibraltar,
der einzige Punkt, wo auf dem feften Lande von Europa noch
blutige Auftritte zu fürchten find. R
Welchen Eindruck der Separatfrieden, den der Kaifer mit
496 1. Weberfcht der neueſten Staatsbegebenheiten.
ee
der franzöfifchen Republik gefchloffen , in England hervorbrin⸗
gen wird, wo man alles aufbot ihm zu verhindern, ſteht noch
au erwarten. Gewiß if, daß ihn der Sieg, welchen Duncan
am ııten October über die hollandiſche Flotte davon trug, der
in ganz England einen allgemeinen Triumph veranlafte, und
den Namen des Seehelden von allen Lippen wie in Frankreich
den des Friedensſtifters Buonaparte ertdnen ließ, ſehr vermin⸗
berw wird. Indeſſen iſt dies alles doch nur die Wirkung des
Gefuͤhls eines fhönen Moments, in welchem fi die Nation
ehrenvoll hielt, und nie dies ſich oft zeigt, auch nur für einen
Moment. Einficht und Enthuſiasmus tonnen in ihren Aeuße⸗
rungen gleiche Kraft, aber nicht gleiche Dauer zeigen. Die
ueberlegung, welche ihre Rechte vindiciet, zeigt oft Refultate,
Die von denen, welche der Enthuflasm im Augenblick der Be⸗
geifterung ſah, ſehr verfchieden find. — Wenn England, und
beſonders die Regierung, Ihre jeßige Rage Überdenft, ihre Mas
Sinationen zertruͤmmert, ihre Verbündeten mit dem Feinde
weeföhnt, fich ſelbſt einem Kriege gegen drei mächtige Ber
bloßgeftellt, und nur von dem feinen unbedentenden Portu⸗
gal unterflügt ſieht, wenn es feinen GSeldmangel, das Miß⸗
vergnügen ber Nation und ihre Erſchoͤpfung überdenkt, — fo
mag ein Sieg wie Duncans, eine Niederlage wie die der hol
landiſchen Flotte, und 9 erbeutete Schiffe wenig dagegen im
die Wagſchaale legen. — Es iſt wahr, biefer Sieg wäre für
England um fo entfiheidender geweſen, wenn er noch Einfluß
auf die Unterhandlungen in Udine hätte Haben können, und
daran dachte die Regierung wohl, als fie alles hervorſuchte,
um den trlumphirenden Seehelden ehrenvoll auszuzeichnen, als
der König ſelbſt beſchloß ſich an Bord feines Schiffe zu begeben.
Es ſcheint, als wollte man dem Wolke das was allerdings
wichtig
Am Anfange des Novemders 1797. 47
— — — —
wichtig war, als entſcheidend und ats den legten Triumph dar⸗
ſteilen. — Der engliſche Nationalſtolz hat es aud fo aufge⸗
nommen; allein es giebt Xufopferungen, die auch dem ftolzeften
Nationalſtolze unerſchwingbar find. — Indeß auch hier ift der
Weg zum Frieden nicht ſchwer zu finden, ſobald die Stimme
ber Nation zum Throne dringt, und das bisherige Spfem vers
Iaffen wird. — Die Franjoſen find weit entfernt da Eroberum
gen machen zu, tollen, wo fle eine Art von Erbfeinde finden. — , ,
Die Seit wird entſcheiden.
So bedeutend auch für die Bataver bie Niederlage ihrer
Slotte feyn mußte, mit fo vieler Standhaftigkeit haben fie dies
felbe ertragen. Auch kann man nicht ehrenvoller unterliegen,
„als ihre Seehelden, die nur erft dann, als alle Huͤlfe unmdgs
lid) war, und nad) der verzweifeleften Gegenmwehr fich ergaben.
Bertrümmerte Schiffe find es, die den Englänbern zur Beute
wurden. Obgleich der bataviſche Convent eine Unterfuchung
des Betragens auf der Flotte verordnet hat, fo ift es doch klar,
daß hierin kein Mißtrauen gegen die Krieger liegt, da eben
diefe Verfammlung ein Monument diefer Schlacht auf der
Höchfken der Dünen will errichten laffen. — Der Muth der
Nation iſt auch nichts weniger als gefunken; überall fordern
Addreſſen den Eonvent auf, die Flotte ſchleunigſt herzuſtellen;
man bringt freiwillige Opfer, und die Forderungen „ die ber -
Eonvent an die Nation nothwendig finden möchte, find im,
voraus von ihr gebilligt. — Frankreich, die treue Verbündete
der Bataver, hat ſie, wie dies, Traktaten gemäß, immer
geſchleht, in den Zrieden mit dem Kaifet eingefchloffen, und
Ihnen einen neuen Beweis ihrer Anhänglickeit gegeben. Es
Sat feinen Gefandten Noel zurüdgerufen , und Delacroig
(ehemals Minifter der auswärtigen Angelegenheiten) wird
Dritter Yadız. atır Band. si
498 I. Ueberſicht der neneſten Staatsbegebenheiten.
— — — — — —
feine Stelle einnehmen, um in die Geſchaͤfte des Staats, ber.
fonders in die Entwerfung einer Eonflitution, einen raſchern
Gang zu bringen.
So ſtehn wir am Schluſſe des Jahres auf einem’ Punkte,
wo große Ereigniffe zu erwarten find. Der Friede des feften
Landes bietet Scenen dar, die den Menfchenfreund erquicken,
der Krieg gegen die Seemacht England wirb auch reich an großen
Erſcheinungen feyn, welche indeß der Freund der Menfchheie
‚gern für einen baldigen und foliden Frieden aufopfern mögte.
Berlin, ben ıaten December 1797.
11; Meder den Kunſtſchatz des K. P. Daufed. 499
II.
Ueber
Den Kunſtſchatz des Königlich Preußifchen Hauſes.
Eine Borlefung,
sehalten
bei der Öffentlichen Sigung ber Akademie ber fchönen Kuͤnſte und
mechanifchen Wiſſenſchaften, den 25. Gept. 1797.
* Fa glaube an dieſem feffichen Tage, wo die koönlgliche Ata⸗
demie der ſchoͤnen Künfte und mechanifchen Wiffenfchaften
durch diefe öffentliche Aufftellung Ihrer fo mannigfaltigen Ar⸗
beiten den Geburtstag ihres gnädigften Königs zu verfchönern -
ſucht, meinerfeits feinen beffeen Beitrag geben zu Fönnen,
als wenn id Sie, meine Herren, über einen Gegenftand zu
unterhalten trachte, der mit dieſem unfern Kunftinflitute in
genaueſter Verbindung ſteht.
Verſchoͤnerung im ausgedehnteſten Sinne iſt der Endzweck
jeder Kunſtakademie: die Bildung des Geſchmackes kann nicht
einſeitig ſeyn, und nur auf einzelne Gegenſtaͤnde gehen; allum⸗
faffend verbreitet fie ihre Kenntniffe über jeden Zweig der In⸗
duftries Erzeugniffe. &o lange aber die zeichnenden Künfte
nicht bis anf einen gewiffen Grad In einem Lande gediehen find,
zaͤhlt man vergeblich auf eine gründliche Werbefferung des hier
von abhängenden Induſtrieweſens: jemehr jene einer höhern
Ya
500 II. eher den Kunſiſchatz des K. P. Hauſes.
Vervollkommnung ſich naͤhern, mit deſto verſtaͤrkter Kraft
sehen fie diefe ſubordinirten Gewerbe nach ſich. Die Kunſt,
deren Weſen — fen fie nahahmend , wie in der Mahlerei und
Seulptur, oder ſelbſtſchaffend, wie in der Architektur — darin
beruht , die einfacheften Gefege und Regeln zur Hervorbeins "
sung und Vervollfommnung ihrer Werke aufzufinden, vers
breitet ihr Auge Über alles, was fie umgiebt: an Ebenmaaß,
richtiges Verhaͤltnig, Zwechmäßigkeit, Beftimmtheit, und
Mettigkeit in der Ausführung gewöhnt, forfht, erinnert,
beſſert Re, wo fie erfcheint. Daher gereichet es dieſer Akade⸗
mie zur vorzäglihen Ehre, daß fie bei ihrer Einrichtung nicht
bloß die hoͤhern Kuͤnſte in ihren Schutz nehmen wollte, ſon⸗
dern daß dieſe hoͤhern Kuͤnſte ſich ſelbſt gerne gefallen ließen,
vermittelſt ihres Unterrichtes auch zur Vervollklommnung ſub⸗
ordinirter Gewerbe beizutragen, und ihnen gleiche Ehre durch
dieſe oͤffentliche Aufſtellung ihrer Arbeiten in den akademiſchen
Salen zu gewaͤhren. Auf dieſe Weiſe erheben ſich die höhern
Kanſte als eine ſchoͤne Leuchte für die geſammte Nationals
Induſtrie.
Da indeſſen die höhern Kuͤnſte fo ausgezeichnete Naturga⸗
ben, und den Erwerb einer fo mannigfaltisen Menge vom
Kenntniſſen in einem Zöglinge erfordern, fo muß es immer wer
fentliher Zweck jeder Akademie bleiben, diefelben mit raſtloſer
Sorgfalt immer mehr auszubilden. Nur diefe höhern Kuͤnſte
vermögen, das Gefühl für das Schöne bei einer Mation zu
weden, den Geſchmack, der fonft — ohne Feſte — fo flüchtig
jeder bunten Neuheit des Auslandes opfert, zu firien, und
uns nach und nach dem Punkte der Kultur jener Mationen
näher zu bringen, welche in den Annalen des aͤchten Ge⸗
ſchmackes immer als Mufter glänzen werden. - :
U. Ueber den Kunſiſchatz des K. P. Hauſes. sor
— — — — — — — — —
Die Bluͤthe der Kuͤnſte bezeichnet Immer die hohe Bluͤthe
einer Nation überhaupt: da wo jene höhere Kultur noch nicht
erſchienen, iſt ein Volk noch nicht bis zu feiner Reife gediehen;
und da, mo biefe fhönen Bluͤthen zu verwelken anfangen,
feht auch die Nation am Rande ihres: Räckganges und Wers
falles. Die Geſchichte älterer und neuerer Voͤlkerſchaften, bei
welchen die Kultur der Kuͤnſte zu einem höhern Punkt ihrer
Vervollkommnung emporftieg, giebt uns mehr als hinlaͤngliche
Beweiſe hievon.
Ich laſſe indeffen alle allgemeinen Betrachtungen ber die
" Kunft, und die Geſchichte derfelben bei andern Nationen. Nur.
fey mir erlaubt , einen unbefangenen und porurtheilsfteien Blick
auf diefe unfere Hauptſtadt felbft zu werfen. Melden Gang
Hat die Pflege des Geſchmackes darin genommen? Welche Mits
> tel wurden von jeher zur Verpflanzung und Verbreitung deſſel⸗
ben ergriffen? und endlich, welche Vorkehrungen könnten zur
groͤßern Vervollkommnung und Befeſtigung deſſelben noch ger
troffen werden? —
Wenn wir uns kaum etwas mehr als ein Jahrhundert zu ⸗
ruͤckverſetzen, welchen Anblick gewaͤhrt uns dieſe Hauptſtadt,
und bie damals ganzen brandenburgiſchen Staaten in Ruͤckſicht
einer feinern Kultur und der Künfte des Geſchmackes? — If
wohl ein Monument — fey es in Baukunſt, Skulptur oder
Mahlerel — von einigem Belang von jener Zeit auf uns ges
kommen? Nur fparfam erhebt ſich In dieſer Gegend, jet unter "
diefem, jezt unter jenem Fürften, ein zweldeutiger Künftlers
namen. In beftändige Unruhen und politiſche Behden verwik /
kelt, waren die Fuͤrſten dieſer Länder zu unmaͤchtig, die Mu⸗
fentänfte an ſich zu ziehen, und Ihnen eine ſchuͤtzende Freiſtaͤtte
m gewahren. Selb ſt im ſechzehuten Jahrhundert, wo in Ober⸗
Ji3
303 II. Ueber den Kunfifchag des K. P. Hauſes.
— — — — —
Deutſchland, unter Albert Duͤrer, Hans Holbein, und Burck⸗
mayer von Augsburg, ſich eine fo ſchoͤne Morgenroͤthe für die
deutſche Kunſt zeigte, drangen nur wenige Strahlen bis in
diefe Gegenden. Immer neue Unruhen, befonders die Innern
Reichskriege, welche bie Reformation verurfachte, denen ends
lich der alles verwuͤſtende dreißigjährige Krieg folgte, loͤſchten
den fo ſchoͤn begonnenen Kunftgenius auch in jenen Gegenden
faft gänzlich wieder aus; und der deutfche Kunftfleiß, der mit
dem tealienifhen im funfjehnten und ſechzehnten Jahrhundere
faſt gleiche Schritte gehalten Hatte, fank fo tief, daß mir in der
Folgezeit von den Miederlanden, Brankreih und endlich Eng⸗
fand eutlehnen mußten, welche doch in beſaten Epochen weig
binter uns zuruckſtanden.
Mit dem Ende des breißigjährigen Krieges begann ein
neuer Anfang des deutfchen Kunffleiges. - Pie mittäglichen
Provinzen, da Re Italien näher ſind, und der Eatholiciemus,
der den Geiſt der Künfte bis auf einen gewiſſen Grad immer
mehr beguͤnſtiget, in jenen Gegenden hertfchend blieb, behaup⸗
teten auch jegt den Vorzug: da hingegen im nördlichen Deutſch ⸗
land der Proteſtantismus bie Aufnahme der Wiſſenſchaften,
vard eine vernünftige, Aufklärung mebr beförderte, fo mußte er
auf dieſem ſolidern Wege auch die Liebe zu den ſchoͤnen Künften
wecken, und bie Bildung des Geſchmackes zur Folge haben.
Das Ende des-deeißigiäprigen Krieges bezeichnet auch den
Beitpunkt, von welchem die verbefferte Kultur der brandenburs
giſchen Staaten ausging. Ein Fuͤrſt, der ſich nicht minder
eifrig für die Aufnahme alles deffen, was Kunſtfleiß und Auf
klaͤrung bewirken konnte, als groß im Felde zeigte, Hand das
malg an der Spige der Nation, Der großg ‚Ehurfürk wird
iwmer als Der. zweite Stammvater feines ‚glegeihen Kanlıs
n. Ueber den Kuisffchäg des X. P. Hauſes. 503
glänzen, Er war es, der ſich zuerſt ernſtlich angelegen ſeyn
Heß, Künftler am feinen Hof zu ziehen, und den erlangten
Frieden benutzte, feine Nefidenzflade Berlin zu erweitern und
zu verſchoͤnern.
Friedrich I eterkte von feinem großen Water vorziiglich die
Liebe; die Kuͤuſte des Friedens zu fchügen. Er wurde ber
Stifter der Akademie der Wilfenfchaften, und derjenigen der
ſchoͤnen Kuͤnſte. : Der philoſophiſche Genius von Leibnig, und
derjenige der Kunſt von Schlütter,, fanden in ihm einen gleich
eifrigen Beſchuͤver. Das koͤngliche Schloß, das Zeughaus,
die Statue Friedrichs I, md beſonders die Statue zu Pferde,
weiche dieſer Enig feinem großen Water fegen lieh, find merke -
wuͤrdige und große Monumente biefor Zeit.
Die Regierung Friedrich Wilhelms I war der Aufnahme
der Muſenkuͤnſte weniger aüuftig: er machte zwar viele Baur
anlagen, und mahlte ſelbſt mit einer Are won Leidenſchaft.
Allein da feine Liebe zur Qekonomie, und zu einer ſchoͤnen Ar⸗
mee herrſchend waren; fo mußten die Kine and Wiſſenſchaf
ten einen Nachfolger, wie Friedrich IT, erwarten, der beides
die Armee und den erſparten Schag zum Ruhme feines
Reiches, und zur Aufnahme alles. Nügkchen und. Schönen, zu
gehrnächen ‚mußte.
Es iſt über, meine Kräfte, mich Aber die Thaten eines Sr
ſten zu verbreiten, deſſen Lob alle Zungen von Europa ſprechen.
Seine Regierungsgeſchichte gehöre unter die ſeltenen Erfchels
\ nuugen aller Jahrhunderte, Wie Cäfar und Trajan, war er
win eben fo großer Staatsmann als Krieger, eben fo thätig für
das aflfeitige innene Wohl ſeiner Staaten, als furchtbar feinen
außern Geinden. Langwierige und ſchwere Kriege endigte er
mit erneuter Kraft, bie Kaͤnſte des Briedens. zu ſchutzen.
Si4
504 77. Ueber den Kunfiſchat des K. V. Hauſes.
— — — — —
Die Alabemie der Wiſſenſchaften erkennet in ihtr ihren
‚vragisen Stifter. Den Kuuſtfleiß jeder Ara ward durch -feine
balfreichende Hand beieht, und die ſchoͤnen Kuͤnſte {anders in
ihm während feiner ganzen Negierung den betriehfamfien Ver⸗
ehrer. Man blicke nur euft auf dis amhitektonifchen, ſowohl
offentlichen als Privat Dionumente, welche er aufführen ließ.
Man erftaunt billig - Aber ihre. Mannigfaltigkeit, Größe und
wirkliche Pracht mehreren derſelben. Und wenn. in Hinſicht
des Achten Geſchmackes manches nicht fo.ausfiel, wie eine ger
lauterte Kritik es wuͤnſchen würde; ſo giebt es doch verfehtehene
Sebaͤnde, als das Opernhaus, und verſchiedene Partien in
den kouiglichen Gebaͤuden zn Potsham , worin felbft ein beffever
Styl herrſcht, ale in andren gleichzeitigen Seiten. in dem
abrigen Europa.
Er ſorgte aber nicht bloß für Wenkhänerungen in archttek.
toniſcher Hinfichts die -äbrigen Künfte lagen feinem Gemuthe
eben fo nahe, Was mandte er nicht auf die. Werbefferung Der
Muſik und Sahaufpielkunſt ¶ Wie hoch war: fein Beſtreben,
von alten Seiten her Donumente der Altern und neuem Kunſt
— in Bildhauerti und Mahlerei zu fammen? Ganze
Muſeen, und Cabiueter antiker Mermor, und Gemmen wur⸗
den von ihm aufgekauft. Und wenn auch hierin nicht alles mit
gehdriger Wahl und Einficht geſchah; fo kann man doch nicht
in Anrede ſeyn, daß er ihren Werth im Ganzen zu ſchatzen,
und wie es ſcheint, felbft zu genießen wnfite. — Endlich, was
unternahm er nice, um lebende Kuͤnſtler zu ermuntern? Mabe
ber und Bildhauer, Einheimiſche und Ausländer, fanden bei ihm
Arbeit, Achtung ‚und Eöniglihe Belohnung. Ale Paläfie,
und die Gärten zum Theil, find mit altern Werden der Kun
fewoßl, ale mit dem Arbeiten diefer neuern Rünftier amgefüßlt.
2. Weber den Kunſtſchatz des K. P. Hauſes. -305
Dieeſe Ankäufe befannter Antifen und Gemalde / Samm⸗
laugen vom Auslande, und die fortdauernde Kunftthätigfeit,
‚Is welcher er eine Menge neuerer Känfler immer erhielt, konn⸗
:sen wäßrend einen Regierung von mehr als. vierzig. Jahren
nicht anders als wohlthätig, -fowohl zur Werbreitung. eiuns
richtigern und allgemeinern Kunftfinnes, als zur ——
geſammten Nationalinduſtrie, wirken.
Indeſſen kann man ſich micht verſagen, BO oder
unwillkuͤhrlich ſich ſelbſt die Frage zu thun: Wie war es moͤg ⸗
lich, daß ein König, der ſo vielſeitig fuͤr die ſchoͤnen Kunſte
Fühlte, und fo koͤniglich ermunterte, nichts: zur Wiedererrich⸗
tung einer eigenen Kunſtakademie in ſeinen Landen that? und
ft gegen das Ende feiner langen Regierung ein ſo wichtiges
Inſtitut ſeiner · Aufmerkſamkeit wuͤrdigte? — Und zweitenss
wie kounten hie herrlichen Monumente · ulter und neuer umnſt,
welche er mit ſo großem Aufwande giſammelt hatte, fa. zei⸗
ſtreut, vereinzelt, und zweckwidrig aufgeſtellt werden? —
Die Maſſe verler dadarch gam ihren Anfchein „und. miesche
ward biebusch das Defehen und der -Genuß.iderfelberr fin. den
einhtimiſchen uiid Fremden Liebhaber erſchwert? *
Daurch eind wohleingerichtete Kunſtakademie. läßt ſich allelu
der ish Geſchmack in einem Staate firiren: buch Sammeln,
und gutes Kufftellen antiker Monumente ſowohl, als vortrefr
licher Werke:ber been Schulen neuerer Zeiten kann allein ein
ſolches Iuſtitut ſich Heben , und die zur Verbreitung des: Ger
fchmackes nöthigen Kuͤnſtler, Liebhaber. und Kenner bilden.
Gluͤcklich, daß ber Nachfolger, aufer jegtvegievender. Ks
ig, milt eben fo viel Geſchmack als Liebe für die Maſenkunſte,
die von Friedrich ZI fo-fchön begonnenen Saritulungen fort
fegte, Eine fchöne Reihe vorzüglicher Monumente des. Atem "
Str
506 U. Meder den Kunſtſchatz des N. P. Hauſet.
— —— — ——
chums find bereits wor einigen Jahren hiezu von Rom anges
Sommen. Eine geoße Anzahl Gemälde, die dem Staube und
dem gänzlicden Untergange in den Winfeln des koniglichen
Sealoſſes Dreis gegeben waren, ind jet gerettet; und bilden
gleichſam allein eine Gallerie. Nach ganz neuerlich hat bie antike
ſewohl als moderne Miünjenfammlung durch Transferirung
des anfpadjifchen Medaillenfabinets einen vortreflichen Zuwachs
erhalten. — Aber die ſchoͤnen Kunſte verehren in Friedrich
Wiltzelm IT nicht Bloß einen Verchter: feinem milden,
wmenfhenfreundlichen Genius ward es vprbehalten, durch die
neue Begründung biefer Kunſtakademie, ihr wefentlichfter
Wohlthaͤter zu werben.
- Dürftig und ſchen wandelten fie, dieſe ſchoͤnſten wichre,
welche den hohen Thron Zupiters zieren: fie waren ohne Hei⸗
erh; in dieſen Staaten; ihr mildes Ange blickte ſchuͤchtern and
fehend — Friedrich Wilhelm hielt-die Seranden an: er
ficherte ihnen ein Obbach; fie ſind aus Fremdlingen einheimiſch
geworden. Die waren fie gegen ihren. Schuß undankbar;. fie
lohnen die Gaben, welche man ihnen reichet, mit den fhönften
Olathen des menſchlichen Geiſtes: mit jedem ic, niit jedem
Critt Verbreiten fie Wohlmuth und Frohſinn: ihre Werke ents
zůcken jedes ebeigehildete Gemäth, und feſſeln mit magiſcher
Reaft die ungebildete Nohheit felbft. +. Anteri allen Muſen⸗
tochtern, welche der erhabenen Stirn Jupiters eutfliegen, was
ten die bildenden. Känfte Die füngften:- deswegen fe auch in ber
Folge das Schoos kind jeder Mation wurden, welche eine hoͤherr
Bahn von Ausbildung und Kultur betrat.
Langſam iſt indeſſen ihre Erziehung, milde Strahlen und
freundliche Obſorge vermögen allein ihte zarte Triebkraft zu
entwickeln. Zu dieſem edlen Zwecke hat Fdie Arich Wilhelm
M. Ueber den Aunffhag des X. D. Hauſes. or
— — — —
wit haldvoller Großmuth dieſe Akademie gegruͤndet, und die
hiezu noͤthlgen Fonds in die Hände eines Curators gelegt;
der mit liebender Sorgfalt ihren fortſchreitenden —
thum befoͤrdert. J
Dieſe beinahe jaͤhrlichen Ausſtellungen an dieſem fuͤr die
ganze Nation fo feſtlichen Tage zeigen von dem Fleiß und Eifer
der Mitglieder und ihrer Böglinge — Und wenn die Arhelten
dem allfeitigen Beſtreben noch nicht Ih jeder Ruͤckſicht ſo ent⸗
ſprechen, wie der ftrenge Kunftfinn wuͤnſchen koͤnnte: wenn
vote noch feine Phybias, Feine Hermogenes, keine Raphael
zaͤhlen: ja wenn wir ſelbſt in mancher Ruͤckſicht andern gleich»
zeitigen- Inftituten im Auslande nachſtehen muͤſſen: ſo ſey
man auch anderſeits gerecht, und ſehe auf die Jugend diefer
Akademie zuruck, und auf das zum vollkommenen Unterricht
in mancher Hinſicht noch Mangelnde , das nur die Zeit und die
fenere Sub des gnädigften Monarchen geben kann. ' ”
Eo wie dem Architelten der hier feine Projekte von idea,
len Gebäuden vor den Augen des Publlkums aufftellet, fev es
auch mir erlaubt, einen Vorfchlag in Ermegung zu bringen,
der bei feiner einmaligen Ausführung — mit dem ausgezeichs
neten Nutzen für die ganze Eönigliche Kunftafademie, und mit
dem Wunſche jedes, warmen Kunſtfreundes — die Ehre den
Königes, der Monarchie, und der Hauptſtadt verbinden würde,
Ich darf deſto unbefangener meine Ideen ‚Hier darlegen, da
fon zu einer andern Zeit unfer gnädigfter König ſelbſt ſich
nicht abgenelgt gegen einen aͤhnlichen Vorſchlog bezeigte,
Diefer betrifg die Vereinigung des koöniglichen Kunſt⸗
ſchatzes ſowohl dev antiken Marmor, geſchuittenen Gteine;
mod. Mumgen, nis der Gemalde vorzlälitger Meiſter und
506 U. Weber den Kunſtichatz des 8.9. Hauſet.
—r —— — — — —
chums find bereits wor einigen Jahren hiezu von Roms ange
Sommen. Cine geoße Anzahl Gemälde, die dem Staube und
dem gänzlichen "Untergange in ben Winkeln des tiniglichen
Sale ſſes Preis gegeben waren, find jegt gerettet; und bildern
gleich ſam allein eine Gallerie. Nech ganz neuerlich hat bie antike
ſowohl als moderne Münzenfammlung durch Transferirung
des anſpachiſchen Medaillenkabinets einen vortreflichen Zuwachs
erhalten. — ber die ſchoͤnen Künfte verehren in Friedrich
Wilhelm II nihe Bloß einen Verehrer: feinem milden,
wmenfchenfreundlichen Genius ward es vorbehalten, durch die
wiene: Begründung biefer Kunſtakademie, ihr weſentlichſter
Wohlthaͤter zu werben.
Darftig und ſchen wandelten fie, biefe ſchoͤnſten Act,
welche den hohen Thron Jupiters zieren: fie waren ohne Hei⸗
weh; in dieſen Staaten; iht mildes Ange blickte ſchuͤchtern und
fliehend — Friedrich Wilhelm hielt die Irrouden an: en
ſicherte ihnen ein Obdach; fie find aus Bremblingen einheimiſch
geworden. Die waren fie gegen ihren Schuß 'unbankbar ;. Re
lohnen die Gaben, welche man ihnen'veichet, mit den fhönften
Dläthen des menfchlichen Geiſtes: mit jedem Blick, mit jedem
Critt verbreiten ſie Wohlmuth und Frohſinn: ihre Werke ent⸗
zuͤcken jedes edelgebildete Gemäch, und feſſeln mit masiſcher
Nruft die ungebildete Nohheit ſelbſt. Unter allen Muſen ⸗
tochtern, welche der erhabenen Stirn Junlters entſtiegen, wa⸗
ren die bildenden Kanſte die ſangſten: benvegen fie auch in bee
Folge das Schooskind jeder Nation wurden, welche eine höhere
Bahn von Ausbildung und Kultur betrat.
Langſam If indeſſen. ihre Erziehung, milde Strahlen und
freundliche Obſorge vermögen allein Ihre zarte Triebkraft zu
entwickeln. Zu dieſem edlen Zwecke hat &gienrich Wilhelm
U. Ueber den Runffag des X. V. Hauſes. sor
wit haldvoller Großmuth dieſe Akademie gegründet, und die
biezu möthigen Fonds in die Hände eines Curators gelegt;
der mit liebender Sorgfalt ihren fortfchreitenden. Wachs⸗
shum- befördert, x
Diefe beinahe jährlichen Ausftellungen an dieſem für die
ganze Nation fo feftlichen Tage zeigen von dem Fleiß und Eifer
der Mitglieder und ihrer Zoglinge — Und wenn die Arbelten
dem allſeitigen Beſtreben noch nicht ih jeder Räcficht ſo ent⸗
fprechen, wie der ftrenge Kunftfinn wuͤnſchen koͤnnte: wenn
wir noch feine Phydias, Feine Hermogenes, keine Raphael
zählen: ja wenn wir felbft In mancher Ruͤckſicht andern gleich»
zeitigen Inſtituten im Auslande nachſtehen müffen: fo fen
man auch anderfeits gerecht, und fehe auf die Jugend diefer
Akademie zuräd‘, und auf das zum vollkommenen Unterricht
in mancher Hinficht noch Mangelnde, das nur die Zeit‘ und die
fenere Sul des gnädigften Monarchen geben kann. J
So wie dem Architelten, der hier feine Projekte von ideas
fen Gebäuden vor den Augen des Publitums aufftellet, fey.es
auch mir erlaubt, einen Vorſchlag in Erwegung zu bringen,
der bei feiner einmaligen Ausführung — wit dem ausgegeichs
neten Nutzen für die ganze Eönigliche Sunftafademie, und mit
dem Wunſche jedes, warmen Kunſtfreundes — die Ehre des
Königes, der Monarchie, und der Hauptſtadt verbinden würde,
Ich darf deſto unbefangener meine Ideen hier darlegen, da
ſchon zu einer andern Zeit unfer andbigfer König ſelbſt ſich
nicht abgeneig gegen einen Abnlichen Vorſchlag bezeigte,
Die ſer betrife die Bereinigung des konlglichen Kunſt
ſchatzes ſowohl dev antitem ‚Marmor, geſchnittenen Steine
ud. Mängen, als der Gemälde vorzaglicher Meifter und
soB IE Ueber den Kunffchag des K. P. Hauſeß.
— — — — —
Schulen in ein. Muſeum nnd in eine Gallerie, und-zman im
der Hauptſtadt felbft.
Der große. Ehurfürft Hat Bereits im Jahre 1665 zuerſt eine
Art von Gallerie in feinem Schlofle zu Berlin angelegt: und
da er eine anfehnlihe Sammlung von antiken Münzen, Eleis
nen Idolen und Geräthfchaften von dem pfalziſchen Hofe
exerbte, tief er auch damals die zwei berühmten Alterthums⸗
kundige, Ezechiel Spanheim und Lorenz Beger zu
fih. Der erſte zeichnete ſich nicht nur Durch feine vielen ges
kehrten Schriften, im Altertfumsfache aus, fondern ward for
wohl von ihm als dem Nachfolger zu den wichtigften politifchers
Verhandlungen. an fremden Höfen gebraucht; der zweite iſt
hinlanglich durch feinen Thesaurus Brandenburgicus, woriu
ex das Merkwaͤrdigſte genannter Antifenfommlung erläuterte,
bekannt. Frjedrich J bezeiate im der nemlichen Hinficht
einen eben ſo liberalen Geiſt, wie ſein großer Vater. Die Re⸗
gierunglivon Friedrich Wilhelm I brachte aber nicht nur
ein Stocken hervor; fondern einige der merkwuͤrdigſten Sachen,
die jene gefammelt hatten, "wurden jezt zerſtreut: fo daß die
weſentlichſten Kunftwerke, die jegt Bas konigliche Haus beflgt,
von Friedrich II, und dem jegtregierenden Könige herruͤhren.
Es iſt auffallend, wie menig diefer große Kunſtſchatz ber
kannt ift, und welche geringe Ideen man tin Auslande davon
Hat. Allein es muß allerdings noch mehr beiremden, daß,
felo unter den Einheimiſchen es nur wenige Künftler und
Runftfreunde giebt, welche denfelden nach feinem Umfange und
innern Gehalt kennen, und zu fhägen willen. — Wie kommt
«6, daß, indem man von einem Muſenm der Antiken und der
BDildergallerle in, Dresden, von der: Ealferlichen und fuͤrſtlich⸗
lichtenſteinſchen Gallerien in Wien, won .den dusfärklichen
1L Weber den Kunſiſchatz des K. P. Hauſes. sog
— — — — —
Sammlungen in Muͤnchen, Manheim und Diffeldorf, von
einer landgraͤflichen in Caſſel, und der herzoglich s beaunfchtmeigs
ſchen in Salzthalen allgemein fpricht, von dem großem Schatze
aller Art Kunſtwerke, welche in ben koniglichen Schlöffern zu
Potsdam, Berlin nnd Charlottenburg anfbehalten find, fo
wenig Meldung geſchieht? — Selbſt Privatfammlungen, bie
ba und dort in Deutſchland fi finden, find der Aufmerkſam⸗
keit des Publitums weniger entgangen. Wer kennt nicht eine
Brabeckſche in Hildesheim, eine Winkleriſche in’ Leipzig, eine
Braunſche in Nürnberg, eine Roſchachiſche in Augsburg, und
fo viele andere in den Neichegegenden, und vorzüglich in Wien,
— Aber man nennet nicht nur jene Gallerieen und Samm⸗
tungen: die Hauptwerke find in jedes Liebhabers Munde; man
ſtellt vom In / und Auslande Reifen dahin an; man zeichnet,
copirt fie, und fticht fie in Kupfer; man liefert davon die ges
naueften Verzeichniſſe, und Meifende füllen nicht felten ihte
Bücher mit langen Befhreibungen und Urtheilen darüber an.
Iſt denn der Kunftfinn in dee Hauptſtadt der preußifchen
Staaten weniger gebildet, als in andern Gegenden Deutſch⸗
lands ? Wiffen wir denn hier weniger, als anderwaͤrts, welche
Verfeinerung das Studium der Monumente bes Alterthums,
und guter moderner Werke, dem Geiſte einer Nation gewährte? "
und welchen Vorteil der gebildete Geſchmack über alle Brorige
der Nationalinduftrie verbreite? — Nein! ungerecht würde ein:
Vorwurf diefer Art gegen eine Stadt ſeyn, welche feit vielen
Sahren immer eine ehrenvolle Reihe von Maͤnnern in jedem
Fache der Willenfhaften und der Kuͤnſte in ihre Mauern
einfchloß; wo der Fremde, wie der Einheimiſche, der Gelehrte:
wie der Künftler, immer eine ehrenvolle Aufnahme und ans
Kändige Werforgung fand. — Die Färften der brandenburgis,
sro IL Weber den Kunſtſchatz des K. P. Hanfes,
— — — — — —
ſchen Staaten fuͤhlten eben ſo gut, als andetwaͤrts, daß nicht
bloß die Kuͤnſte des Krieges die Ehre und ben Ruhm eines VBol⸗
Res beſtimmen, fondern daß man gleich andern gebildeten Stans
von ehemaliger Völker und des heutigen Europa, der Kuͤnſte des
Friedens beduͤrfe, um die ſchoͤnen Tage der Bluthe und des
@läds Herbeijuführen. Nur derjenige Eroberer zeichnet den
Namen feines Volks glorreich in den Jahrbüchern der Menſch⸗
beit auf, welcher in dem Gefolge feiner Siege die Mufenkünfte
füget, und den mit flarfem Arme erfochtenen- Frieden ihrer
Kultur vorbereitet. Welches Hans zählte in der Reihe feiner
Fürften zwei ähnliche Helden dieſer Art, wie das brandenburs
giſche in dem Ehurfürften Feledrih Wilhelm, und in dem Kös
wige Friedrich dem Zweiten? —
Die weſentliche Urfahe, warum der Kunſtſchatz bes kös
wigl. Hauſes fo wenig im Auslande, und felbft von Einheimis
ſchen gekannt ift, liegt einzig in ber Art, wie die Monumente
aufgeſtellt find.
Die vielen und die von einander fo weit entlegenen Orte,
wo bie Kunftwerfe fich befinden, und wozu man fih an 9 Bis
10 Auffeher zu wenden hat, machen bie Maffe uuſcheinbar, und
Die Ueberficht derſelben nit nur dem auswärtigen, fondern
auch einheimiſchen Kunftfreunde hoͤchſt beſchwerlich. Denn fo
groß auch der Kunſtſchatz, in ſeinem ganzen Umfange genom⸗
men, wirklich iſt, fa erſcheint doch durch dieſe zerſtreute Auf⸗
ſtellung an fo vielen Orten jeder eitizelne wenig betraͤchtlich.
Daher derjenige, welcher alles mit Sorgfalt zu fehen und aufs
iuzeichnen ſuchet, allerdings am Ende nicht wenig erſtaunt if,
daß er z. B. bloß an antifen marmornen über go kleine und
groͤßere Statuen, und "Über 200 Duͤſten gefehen hat. Welch
ein Muſeum, wenn fid Dies alles an einem Orte, wie man im
II. Meder deg Kunfifchäg des K. P. Hanfes. ser
— — — — —
Dresden und überall anderwaͤrts gethan hat, beiſammen fände,
und in der Anfftellung nach der Verſchiedenheit der Nation, den
Zeit, des Styls, und der mythologiſchen und hiſtoriſchen Gex
genſtaͤnde eine ſyſtematiſche Ordnung beobachtet wäre! —
Auf diefe Weife kann eine Sammlung allein lehrreich wer⸗
den — lehrreich für den Forſcher des Alterthums, den Kunſt⸗
freund, den praftifhen Künftler, und Lehrer an der Kunſtaka⸗
demie ſowohl, als für den Zögling derſelben. Man muß öfters
fehen, fiudiren, und vergleihen; man muß darnach zeichnen,
modelliren, nnd formen innen. Nur fo erwacht der Achte
Kunftfinn bei einem Wolfe; fo bilden fih Künftfer und Liebs
Haber; die Neigung zum Schönen wählt, wie der Geſchmack
ſich vervolltommt; und ein edles Bedurfniß befeelt die Bruſt,
in welcher vorher nur für buntes Kinderfpiel und tändelnde
Neuheit Raum war,
Doc) die Zerftreuung ift nicht allein Schuld, daß jegt diefe
Monumente nicht fo gefannt und genoſſen werden, wie es zur
Beförderung des Geſchmacks noͤthig wäre. Viele derfelben,
als 3.8. im Antifentempel und in dem fogenannten Eavaliers
Haufe zu Sansfouci find ſo hoch placirt, daß fein Auge den
‚Werth davon beurtheilen Bann. Andere find in freier Luft —
in dieſem naffen und falten Klima — dem nahen Verderben
Preis gegeben, wovon ich nur die vierzehn herrlichen antifen
Statuen anführen will, welche in dem Garten geradeüber von
dem nenen Palais in einem halben Kreife aufgeftellt ſind.
Dabei wird jeder leicht eingeftehen, daß es, um an allen
diefen entlegenen Orten umberzufommen, und ſich mit jedem
der Aufſeher abzufinden, für den größten Theil, ſowohl frem⸗
der als einheimifcher Kuͤnſtler und Liebhaber, keine gleichguͤltige
Auslage verurſacht. Was if aber die Folge davon? Daß diefe:
513 U. Weber dei Kuuſiſchatz des K. P. Hauſes.
— — — — —
Monumente nur ſelten, und gleichſam im Durchfluge geſehen
werden; daß anſtatt fremde Liebhaber von der Ferne her, wie
es anderwaͤrts geſchieht, herbeizugiehen, um biefe herrlichen
Werke des menſchlichen Geiſtes zu fiubiren und zu genießen,
jegt dieſelben ihnen kaum dem Mamen nach, und nur duch mar
gere, unvollſtaͤndige, und falſch bezeichnende Catalogen bes
kannt find.
Noch muß Ich auf einen andern wichtigen Punkt aufmerk⸗
ſam machen, und nur durch ein Beiſpiel zeigen, wie unrichtig
ein großer Theil dieſer Monumente in antiquarifcher Ruͤckſicht
angegeben find. Man weiß, dab man die Statuen im Anti⸗
entempel als einen zu einer Geſchichte zufammengehörigen
Grupp — die Familie des Lycomedes vorftellend — anzufehen
pflegt. Freilich war der ummiffende moderne Reftaurator die
wefentlihe Urfache, der zu diefem Irrthume verleitete, und die
Statuen find bereits unter befagter Benennung aus der Samms
fung des’ Cardinals Polignac in die koͤnigliche uͤbergegangen.
Ohngeachtet diefer falfchen Ergänzungen aber bleibt es der beſ⸗
fern Kritik nicht ſchwer, in den weiblichen Statuen — eine
davon ausgenommen — fo viele Muſen, und in dem weiblich
getleideten fogenannten Ulyß, den Apollo Mufagetes, und in
dem Pnienden Mädchen, das als die flehende Deidamia anger
geben ift, die jüngfte Tochter der Niobe zu erblicken. In der
einzigen Statue des Achilles ſcheint man fih nicht betrogen
zu haben.
Solcher ungeſchickten Benennungen giebt es noch mehrere;
und die wahre Würdigung einer ſo großen Reihe vorzuͤglicher
Monumente, worin uns ‚der Geiſt des ſchoͤnen Alterthums
" nochifo freundlich anwehet, iſt erſt dann moͤglich, wenn eine
. zweck ⸗
II. Veber den Kunſtſchatz des X. 9. Hauſes. sı3
weckmaͤßigere Aufſtellung fie dem Auge des Forſchers und Lieb⸗
Gabers näher gebracht haben duͤrfte.
Die Sammlung antiter Gemmen und Münzen macht
einen andern fehr wichtigen und intereffanten Theil des Eönigfts
hen Kunſtſchatzes. Dieſe Art Sammlungen aber, welche für
das Studium des Lithologen, des Antiquars, des Steinfchneis
ders, des Medailleurs, des Wappenſtechers, und jedes Künfts
lers überhaupt fo michtig find, können. nur. dann wahren Nugen
gewähren, wenn fie bei einer forgfältigen Ordnung leicht zus
sanglich find, und einen Mann zur Aufficht Haben, der dem
wißbegierigen Liebhaber und Kuͤnſtler, one Zeitverfuft und lan -
ges Suchen, das JIntereſſanteſte zu zeigen, und davon bie nds
thigften Erklärungen zu geben weiß. Auch muß dem Kuͤnſtler
gegönnt feyn, nach Belieben Zeichnungen und Abdrüde daven
zu nehmen. Bis jegt bleibt aber die fo berühmte Stofchifhe -
Sammlung in dem Antitentempel zu Potsdam durch ihre Berne
für das gelehrte und.artiffifche Studium. immer noch verloren,
Auch in Ruͤckſicht der Medalllen iſt eine gute Klaſſiſicirung uns
möglich, bis nicht die beiden Sammlungen, nämlich die Pots⸗
damfche und Werlinifche, mit einander. vereinigt find. Wie
ſeht aber Se. Majeftät, unfer gnaͤdigſter König, auch geneigt
ſey, in diefen Fächern eine beſſere Veranſtaltung tvefien zu
laffen, zeigt fhon die Transferirung des: Anfpachifchen Eabts
vets und die Anftellung eines Mannes biefür, der mit anhal⸗
tenbem Fleiße fich felbft immer mehr in. biefen Fächern zu unters
richten, und die feiner Aufſicht anvertxauten Wingen mit Sorge
ſamteit zu ordnen bemäßt-ift.
Bu dem Cabinet von Gemmen und Beinen. geöhren I
die. Menge Heiner Antiken von Figuͤrchen, Gefäßen, Lampen,
Opfer/ und andern Inſtrumenten, in. Breuze, Glas, Mare
Deirter Jaden. ater Band, Kt
514 IE. Meber den Kunſiſchatz des N. P. Hauſeb.
—rrr — — — — — — —
mor und gebrannter Erde, welche jetzt pele-mele auf einer
Bankt in dem Antifentempel herumliegen. Unter biefen befins
den ſich für den Antiguar und Kuͤnſtler Höchftwichtige, und in
ihrer Art einzige Dinge, die daher bei einer neuen Aufftelung
fehr In Acht genommen zu werden verdienten.
Nach biefem Ueberblick des antiten Kunftfhages des koͤnig⸗
lichen Haufes, Tomme ich nun zum modernen Theile deffelber.
Darunter begreife ich vorzüglich die Gemälde. Die Anzahl
derſelben ift Anßerfk betraͤchtlich, wenn man alles zuſammen ⸗
nimmt, was bas koͤniglithe Schloß in Berlin, die Sammlung
zu Sansfonct, das neue Palais, und Charlottenburg enchäft.
Welch eine Gallerie, wem alles, was darunter klaſſiſch iſt,
geſammelt, und an einem Orte aufgeſtellt wäre! — Zwar ges
virt in eine Gemäldefammlung nicht bloß das, was in einem
+ böhern Sinn den Namen des Klafifchen verdient, fondern fe
muß auch einen andern Gefichtspunft, der nicht weniger wich⸗
tig iſt, nämlich die Kunſtgeſchichte, barflellen. In der Rüuͤck⸗
ſicht bleibt nicht allein das Kunſtwerk intereffant, das fih der
Vollkommenheit nähert, fondern auch jedes andere, was einen
Moment der Aufnahme, oder des Verfalles der Kunſt bezeichnet.
Die nehere wie die Alsere Kunftgefchichte zeigt einen Ans
fang, ein allmähliges Fortſchreiten, den Punkt ber höhern
Bluͤthe, das Abnehmen, und-den Verfall. Wenn ſolche Ber
trachtungen für den meufchlichen Verftand Überhaupt fehr wich⸗
tig und lehrreich find, To bleiben fle es doch vorzüglich für den
rhiloſophiſchen Kuͤnſtlerſinn, indem ſich daraus die treflichften
Reſultate über das Weſen und ein richtiges Studium der Kunf
ſelbſt ergeben. Jeder Fortſchritt, den die auffeimende Kunſt
wacht, bezeichnet eine neue Eutwickelung in den Seelenkraͤften
des Menfchen, und man · ſieht, mit · welchenn Streben der Ge⸗
27. nm
II. Ueber den Kunſtſchatz des K. P. Hauſes. 515
nius der Kunſt auf feinem engen und muͤhfamen Pfade ſich
emporwinden mußte.
Sollte es daher je möglich werden, den unftäten Kunſt⸗
finn feftzuhalten, und eine ächte Gefhmadslehre für die bil⸗
denden Künfte aufzuftellen; fo muß das Studium älterer und
neuerer Kunſtgeſchichte die fruchtbarften Data und Momente
hiezu llefern. Aber dies Studium kann nur da iftact Haben,
wo eine Weihe von Kunſtwerken von verfchiebenen Zeiten,
Schulen und Meiftern aufgeftelle iſt.
Um alfo eine fär das Studium nuͤtzliche Gallerie zu formi⸗
ven, müßte man von der großen Dienge der koͤnigl. Gemälde
eine geſchickte Auswahl treffen. Es giebt eine große Anzahl
derſelben, welche recht gut ein Zimmer mößliven, und im Gans
gen dekoriren, die aber das Gegentheil in einer geordneten Gal⸗
lerie bewirken. Ueberhaupt iſt die köntgl. Sammlung an Orks
ginalſtuͤcken — beinahe aus jeder Schule — fo rei und ans
ſehnlich, daß fie feiner kleinlichen Mittel bedarf, um ſich gel⸗
tend zu machen. Freilich, da fie jetzt fo zerſtreut und gleichſam
in mehreren Ballerten aufgeftellt find, fo geſchah es, daß,
um bie Zahl voll zu machen, manches unbedeutende Original,
und nicht wenige Kopien aufgenommen wurden.
Bei einer Gallerie alfo, die, wie ih wuͤnſche, als Schute
zur Bildung des Gefhmads dienen foll, wäre eins der erſten
Erforderniffe, die Spreu von dem Korn gefondert zu erbliden.
Nur folhe Gemälde müßten aufgenommen werden, welche
‚entroeder für das Studlum der Kunft ſelbſt, oder der Geſchichte
derfelben wichtig find.
Ein nicht weniger wefentlicher Punkt wäre die Imere Eins
richtung bei der Aufftellung: nämlich die Kunſtwerke nach genau
bezeichnenden Epochen und Schulen zu weihen. Nur vermits,
Ka
516 I. Ueber den Kunſtſchatz des X. P. Hauſes.
— — — — —
telſt einer ſhſtematiſchen Ordnung wird es dem Kuͤnſtler und
Liebhaber möglich, mit dem wenigften Zeitaufwande ſich irs dem
Labyrinth der Kunſtgeſchichte zu finden, den eigenen Karakter
jeder Kunſtepoche, jeder Schule und jedes Meifters zu unser
fgeiden, das Bortrefliche Herauszußeben, und das Mangelnde
‘Deutlich wahrzunehmen, Mur auf dieſem Wege läßt fich Dans
An die tiefeen Geheimniſſe der ſchoͤnſten, ſchwierigſten und edel⸗
fen aller Känfte eindringen — einer Kuuſt, die den Geiſt ers
hebt, und das Gemüth in feinen innerften Gefühlen belebt, \
Indem der Außere Sinn durch die Magie der Farbenharmonie
bezaubert wirt. Höhere Weihe haben die Mufen fir den
Menfgen nicht.
Als ein Eingeweihter fliftete Triedrich Wilhelm diefe Aka⸗
demie als einen Schutzort und Aufenthalt der Diufenkünfte im
feinem Reiche; aber mit gefalteten Händen ftehen fie noch,
flehend um diefe legte Gewährung feiner väterlichen Huld.
Aber wie? wenn die Vereinigung aller antifen Kunftwerfe
in ein Mufeum, und aller vorzüglichen Gemälde des kduigli—
chen Schatzes in eine Gallerie, und zwar in einem beſondern
. Gebäude ip Berlin Rate fände: würden dadurch nitht alle ko⸗
nigliche Schlöffer und andere Gebäude, welche fie jetzt euthal⸗
ten, ihrer Verzierungen beraubt? wuͤrden fie nicht verlaffen
Reben? wer würde wohl dann noch Luft haben, fie zu fehen? —
Auf diefe Einwuͤrfe habe ich folgendes zu antworten:
Erſtlich find die Gebaͤude, wo fie jetzt aufgefkellt find, nit
bloß fehenswereh wegen der beiveglichen Kunſtwerle, bie fie
enthalten: die meiften find mit fo viel Pracht erbaut und vers
Nniert, daß fle nicht weniger verdienen, um ihrer ſelbſt willen
von jedem Kunſtfreunde befucht zu werden.
Zweitens würde mit Herauszichung der antiken Statuen
IE. Ueber den Küunfifchag des K. P. Hauſes. 517
und der.beffern Gemälde eben feine Leerheit-in den Verzierungen
entſtehen. Cine große Dienge von Werzierungsgemälden wurde
noch zutuckbleiben, und da:fle ohnedem jegt zu gehäuft aufger
Bangen find, fo wuͤrde felbft das wenigere dort beſſer zieren.
Dabei deſitzt das konigliche Haus eine -fo. große Menge Yon
Mearmorftatum, thells Kopien nach Autiken, theils moderne
Driginale nach bekannten Meiftern, daß dieſe hinlaͤnglich die.
vakanten Stellen ber Antifen in den Sälen und Zimmern ers
fegen wuͤrden. Vermittriſt diefer Verfügung wuͤrde noch das
WBute gefchehen, daß fo viefe moderne marmorne Statuen und
Baͤſten, welche jegt in den Gärten umher dem Verderben eines -
verroäftenden Klima's ausgefept find, gerettet, und unter Dad
gebracht wuͤrden. Nebſt dem ſchicken ſich Werke der modernen
Seulptur viel beffer zu Verzierungen in Zimmern und Sälen,
als die Antifen; denn jene Haben Neuheit, and der Marmor
fein fehönes Anfehen: folglich harmoniren fie unendlich mehr
mit der Pracht der Möbel, dem Glanz und Neuheit der Saͤu⸗
ten, der Wände, ber Decken, der: Vergoldung, u. f. w.
Drittens qualificiren ſich antike Bildſaulen und Buͤſten
gar nicht zu Verpierungen. Es iſt faſt kein antifes Monument,
das nicht mehr ober weniger verkümmelt auf nus gekommen"
wäre. Hier fehlt der Kopf, da die Nafe, der Arm, die Hand, ,
das Bein, u. ſ. w. Die Ergänzungen find felten richtig, und
die Zuge der Anfegung bildet immer eine Difformität fuͤr das
Ange; Reinheit und Glanz des Marmors Ift verlohren, der
Roſt des Alterthums umgiebt fie auf allen Seiten. Cine ſolche
Statue oder Hüfte kann die. ganze Eleganz eines Zimmers oder.
Sales in Disharmonie. bringen, und folglich im eigentlichen
Sinn eher verunftalten , als zieren.
Biertens fey es mir erlaubt zu fagen, daß es unter der
83
518 IE. Ueber den Kunßſchat des K. P. Hauſes.
— — — —
Würde eines antilen Monuments iſt, als Verzierung aufges
ſtellt zu werden. Die Sache iſt eben fo wenig ſchicklich, als
das einzelne Manuſtript eines klaſſtſchen Schriftſtelers in einer
Handbibliorhet aufſtellen zu wollen. Die ſparſamen Webers
blelbſel, weiche fih aus bem allgemeinen Schiffbruche der alten
Belt bis auf uns gerettet haben, ſind nicht bloß merkwuͤrdig in
Kuückficht ihres artiſtiſchen Werthes; vielfeitig iſt ihre Anficht
für den forſchenden Geiſt: fie find. jene unvertöfhbaren Spur
ven des freundlichen, humanen, hohen Genius, der die Voͤl⸗
ter Aegyptens, der Hellenens und der. Roͤmerwelt beſeelte.
In ihnen lefen wir noch die Züge ihrer Götter uns Helden, ih⸗
rer Könige und Feldherren, ihrer Staatsmänner, Redner,
Dichter, Philoſophen, kurz jedes durch die Gefhichte uns
werth gewordeuen Mannes. Solche Werke dürfen nicht als
eitle Zierde dienen; als Monumente bes menfchlihen Geiſtes
find fie das Erbe, was der ganzen Menfchheit angehört; jede
Vereinzelung derſelben iſt ein Eingeif, nur durch Allgemeins
machung und vereinigte gute Aufftelung werden fie wahres
Studium, und jedes davon erhobene Reſultat ift ein neuer Ges
winn für das gemeinfchaftliche Gut der Menfchheit. In Rüde
ſicht des darin enthaltenen Kunſtwerthes werden fie fuͤr kuͤnftige
Zelten immer Muſter bleiben.
Fünftens, was die Gemälbe betrift, fo Haben fie freilich wer
der den hoben gefehichtlichen, mach artiſtiſchen Werth, wie die
Antiten, Nichtsdeftoiveniger bleibt das Studium ber moders
nen Geſchichte der Kunſt immer unendlich intereffant: und da
von den antiken Werken der Mahlerei nichts von hoher Beden⸗
tung auf uns gekommen iſt, fo bleiben die Schulen des fanfr
zehnten und ſechs zehnten Jahrhunderts uus die beſte Vorſchrift.
Auch nech aus andern Bränden:qualifteicen ſich ſolche Ger
U. cher den Kunfifchag des K. P. Haufe. 519
nn
wialde eher für eine Gallerie, als zur Berplerung. Selten nänts
lich iſt ein Bild Älterer. Schulen Hell und ſchoͤn genug erhalten;
wweitens Aft die Groͤße and Form felsen für ein Zimmer paſſend;
deittens ; da die Gegenſtaͤnde groͤßtentheils Firchliche Vorſtel⸗
tungen find ‚fo Eörnen fle weder angenehm, noch paffend fen,
um ein Simmer oder einen Saal analog zu verzieren.
Diefe Erklaͤrungen möchten für jeden unbefangenen Kopf.
hinreichend feyn, um Keen oenachtm ‚oder zu machenden Eins
wurf zu heben. . .
Duͤrfte ich nicht fürchten, bieſe Rede über die Graͤnzen
anszubehnen ;'fo würde esmir-nicht-jchwer werden, ſelbſt einen
architektoniſchen Plan vorzulegen : wie ein Gebaͤude, das ben
koͤntglichen Kunſtſchat, vermöge meines Vorſchlags, aufueh ⸗
men wuͤrde, aufgefuͤhrt und innerlich eingerichtet ſeyn muͤßte;
welcher Platz in der Stadt hierzu der ſchicklichſte ſeyn wuͤrde;
wie die innere Hanptabtheilung zwiſchen dem Muſeum der. Ans
tiken und der Gemäldegalkerie einzurichten wäre; mie groß. und
hoch die verfchiedenen Säle, Zimmer ‚und Kabinetter; welches
die ſchicklichſte Beleuchtung; und wie die zweckmaͤßlgſte Einrich⸗
tung für das Stublum der Künftler, und das Beſehen ſowohl
einheimifcher als freinder Kunftfreunde, getroffen werden koͤnnte..
Schließlich fey mir erlaubt, noch einen unbefangenen Blick
auf den wirklichen Zuſtand der koͤniglichen Afabemie zu werfen,
Der Endzweck diefes Inftituts kann fein anderer ſeyn, als
duch Erziehung guter einheimifcher Känftler die Bäche der
Kanſte herbeizuführen, den Geſchmack der Nation immer mehr
auszubilden, und ſelbſt, auch in merkantiliſcher Rädficht, uns
immer mehr unabhängig vom Auslande zu machen.
Was den erften Punkt, die Vervollkommnung der Rünfte Äbers
haupt und die Anziehung ‚guter einheimischer Kuͤnſtler, betrift, iſt es
Kt 4
g20 MH. Weber den Kuuſtſchatz des K. P. Hauſes.
nicht genug, auf eine gute Auswahl von Lehrern, ſowohl in
den theoretiſchen als praktiſchen Abtheilungen ber Kunſt, Nuck⸗
ſicht in nehmen, und die Zoͤglinge nach gewiſſen Stunden nz
in abgeordneten Riaffen- nim Lernen und Arbeiten anzuhalten.
Der Lehrer ſelbſt, fo ſehr er ſich auch im Auslande nach dem
beſten Muſtern gebildet haben. mag, bedarf: nichtedeſtoweniger
einer oͤftern Auffriſchung deſſen, was er gefehn und gelernt hat.
Dies anhaltende Beobachten und friſcht Oehen gewaͤhren ihm
allein die Mittel, ſich gegen Monotonie und unertraͤgliche Mas
ner ju ſchuͤtzen. Was den Zoͤgling angeht; iſt es bei feinen
erweiterten Fortſchritten hauptſachlich noͤchig, hm mannigfale.
reige Wuſter vorzulegen, ſouſt wird er einfeitig, und ber ſtunr⸗
pfe leblofe Nachahmer der manierirten Schule feiner Meiſter.
Bür den praktiſchen anſtler, mie für den Zoͤgling, wäre
es alfo weſentlich, eine Reihe von Vorbildern alter und neuer-
Kunſt vor fich aufgeſtellt zu fehen. Das mannigfäktige Schöne
in denfelben würde ‚den: erften vor Einfeitigkeit bewahren, und:
der Zögling liefe nicht Gefahr, die Manier des Meifters als
Mufter zu betrachten, ſondern das geſammte Refultat des
Vortreflihen, was im jedem aufgeftellten Kuuſtwerke einzeln
anzutreffen iſt, würde fein Vorbild und das Studium feines
Beſtrebens ſeyn. Und wie viel thätiger und wirt ſamer konnte
ber. Lehrer der theoretiſchen Theile vermöge einer ſolchen Anſtalt
werden? Wie viel anſchaulicher koͤnnten feine Vorleſungen ſeyn,
wenn er in Mitte der norzüglichften Kunſtwerke feinen Vortrag
den Zuhörern gleichfam verſinnlichen, und mit dem Finger auf.
die Gegenſtaͤnde weifen Eönnte, wovon feine Lehren abſtrahirt
find? Da ic) in dem angehenden Winterfurfe, vermöge meines
-, Amtes, die Theorie der bildenden Kılnfle nach den Grundſatzen
der Alten an diefer Akademie vorzutragen gefonnen bin, ſo
N. Weber den Kunſtſchatz des K. P. Hauſes. 521
— — — — —
geſtehe ich, daß ich fürditen muß, nicht fo nuͤtzlich und fo allge⸗
‚mein verſtaͤndlich zu ſeyn, wie ich wuͤnſche, da ich aus Mangel
der benoͤthigtſten Kunftobjekte nicht immer‘ im Stande ſeyn
werde, meine Lehren genug anſchaulich zu machen.· =
Eine zweite · Abſicht diefer Akademie ift, den Geſchmack
der Nation faͤr die ſchoͤnen Künfte Immer mehr auszubilden.
Es iſt nemlich nicht genug Kunſtler zu haben, es muͤſſen auch
Kenner und Liebhaber, es -müfen auch Genießer vorhan⸗
den ſeyn; ohne diefe bleibt der Kuͤnſtler iſolirt, ohne dieſe
fehle es der Kunſt am Sporn. Ohne Achtung bleibt der
Kanſtler darftig, und im Darftigkeit erhebt-fich der Genius
Bir Kunſt nie mit Energie und geiſtesfreiem Sinn. Gebauh ⸗
sende Ehre für die Perſon des Künftlers, und Verlangen nach
sem Befig feiner Werke, find das Element, worin die Kunſt
allein’frei athmen, und mit kuͤhnem Flug ſich aufſchwingen kann.
Aber wie kann der Lichhaber, wie kann der Kenner des
Kanſtſchonen ſich bilden, wenn er nicht Gelegenheit hat, öfters‘
gute Kunſtwerke zu fehen? - Wie kann dem Menfchen etwas
zum Beduͤrfniß werden, was er nicht kennt? Wie fol man
die Stoßen, und uͤberhaupt die vermögendere Kiaffe der Na⸗
tion dahin Beingen, nach dem Grade des Vermoͤgens wohl⸗
thatig für die Kunſte zu wirken, wenn aus Mangel an Ent⸗
wickelung des Geſchmacks, der Sinn für den erhabenen Genuß
ſchoner Kunſtwerke ſtumpf - bleibe? — "Der Achte Kunſtgeiſt
Bann :miv.da gedeihen‘, wo-man Vorbilder hat, und dieſe in’
ſchoͤner Ordnung gereihet, jedem leicht und täglich zugänglich
find. Die Haupeſtadt jedes Reiches bedarf ſolcher öffentlichen
Kunſtſammlungen vorzüglich, weil die Klaſſe von Menfchen,
welche far die Aufnahrne der Künfte wirkfam ſeyn koͤnnen, da
zuſammentreffen, und ſich wechſelsweiſe durch Rivalitat an⸗
Kte5
532 II. Ueber ben Kunſiſchatz des K. 9. Haufe.
— — EEE
eifern. Sch beſtehe darauf, ohne Muſeum der Antiken, und
ohne Gemaͤldegallerie in der Hauptſtadt, wird ſich nie eine
Klaſſe von Kennern und Liebhabern finden, und wenn auch da
und dort von dem eingn oder dem andern etwas für die Kunft
geſchehen wird, fo iſt zu fuͤrchten, daß es eher das Werk der
Dftentation, als des. geläuterten Geſchmacks fey. Und was
AR die Folge davon? daß.die Kunſt gedrungen wird, mehr file
den Lupus reich und. geſchmacklos, als für das gebifdete Ges
tahl einfach und ſchon zu arbeiten.
Eine dritte Abſicht dieſer Akademie- ift, Pr in merfantis
Aifcher Nädficht, die. Nation immer weniger abhängig vos
Auslande zu machen, ja es ſelbſt dahin zu bringen, Mufter für
das Ausland zu werden. .
So Eypze Zeit. auf) diefes Kunſtinſtitut exiſtirt, fr wird
man doch ſeinen wohlthaͤtigen Einfluß ſowohl auf die Kunſt
ſelbſt, als auf manche Zweige der National /Induſtrie nicht
verfennen, ‚Ein Beweis hiervon moͤchten für den unpars
theüfchen Richter eben biefe faft jährlichen Ausftelangen ſeyn.
Man denke ſich ein Jahrzehend zuruͤck, und vergleiche , was
damals, und was heute gemacht wird. — Und, um nur eine
Anftalt, die der Nation fo viel Ehre macht, zw berüßren,
ſehe · man auf die vielfältigen Verbeſſerungen der Porzelanfabrit.
Indeſſen foll man weniger auf das Acht haben, was ſchen
da iſt, ‚als auf das, ‚mas die Zukunft leiften Könnte und
wird, wenn die Wege mehr gebahnt und die. Huͤlfemittel zu
böhern Zweden erleichtert find.
Wäre der Schag der, antifen Monumente des, entgliden
Hauſes nach dem vorgefchlagenen Plane aufgeſtellt: fo häste
der Antiguar die Erleichterung, diefe Menugyente durch Die
deſſern Zöglinge ber Akademie zeichnen, und durch eine. gleiche
IE Weber den Kunſtſchatz des K. P. Hauſes. 523
Anzahl junger Kuͤnſtler in Kupfer ſtechen zu laſſen: ein für die
tönigliche Akademie fo ehrenvolles, und für die gefommte Ger
lehrſamkeit fo wichtiges Wert -Könnte febald im Üfenligen:
Drud erfheinen.
Der junge Bildhauer Särte e an den Sratten und Shen
nicht nur die beſten Mufter fuͤr fein, Studium, ſondern er.
koͤnnte feine im Kleinen oder auch im Großen nachgearbeiteten
Modelle in Ton brennen, oder in Sronge.giefen: folglich wär⸗
den feine befferu Stubien ihm ſelbſt ſchon Gewinn für das In⸗
und Ausland, Für den Former in Gips, nach dem Marmor
ſowohl als den gefchrlittenen Steinen, in Schwefel und Glass
paften, wäre ein neuer Nahrungszweig eröffnet, und das
Schöne der alten Kunft würde für den einheimifchen und frems
den Liebhaber vervielfachet. — Deutfchland zählet wenige,
und befonders wenig gute Steinfehneider: das königliche Mus
feum koͤnnte bei einem freien Gebrauche allein mehrere geſchickte
Leute in diefem Fache bilden: und der Medailleur und Wap⸗
penſtecher hätten dadurch eine Gelegenheit zur Vervolllomms
nung, vermittelft welcher fie auch dem Auslande wichtig wers
den koͤnnten.
In der nach unferm Plan entworfenen Gemäldegallerie,
önnte der für fein Studium fopivende Zögling, fey es in Zeich⸗
nung ober Farbe, in dieſer oder jener Art Mahlerei, feine
. Kopien verkaufen: und der Kupferftecher hätte Vorbilder, das
hoͤchſte in feiner Kunft zu verſuchen, indem man die vorzügs
lichen Gemälde der Gallerie, fo wie es anderwärts gefchehen
iſt und noch gefchieht, durch gute Stiche bekannt machte.
„ Weberhaupt wäre die Wirkung, welche ein Eönigliches Mus
ſeum und. eine Königliche Gallerie in des HauptKadt für bie
324 IL Ueber ben Kunfifchag des K. P. Hauſes.
— — — (
Aufnahme der koniglichen Kunſtakademle hervorbringen wuͤrde,
fo vielſeitig, daß ich furchten muß, für eine fo einleuchtend gute
Enrichtung, worin alle polizirten Staaten von Europa une
zum Vorbild dienen, nur zu viel geſagt zu Haben.
Ich darf es wiederholen, Briedrih Wilhelm fühler
fr die Muſenkunſte; er hat mit: ausgezeichneter Huld dieſe
Akademie zur Aufnahme derſelben in feinen Staaten gegründet:
es wärbe daher ungerecht fepn, von feinem välerlihen Schuge
nicht ferner, und noch mehreres hoffen zu duͤrfen.
ut Hitrt.
I. Nachtrag x. 525
III.
Nachtrag zu dem Aufſatze: Ueber die innere
Einrichtung der GStiftspüätte*).
Men wuͤrdiger Freund, Hr. Prof. Ld we in Breslau, hatte
die Güte mir in einem Schreiben vom 29. October, einige Ber
merfungen über meine Hypotheſe mitzuteilen, die ich den
Lefern diefer Zeitfchrift nicht vorenthalten darf: um fo weniger,
da ih im ſowohl für die nachgewieſenen Quellen, als für die
grammatialifche Werichtigung meinen "Dank fehuldig bin.
Die Quellen, auf die er mich aufmerffam macht, und die ſich
zerſtreut im Thalmud befinden , jet nachzufchlagen, erlauben
die Umftände nicht; aber ich lege fie dem Publikum vor Augen,
tells um fie feiner Prüfung zu unterwerfen, theils auch, um
durch die Öffentliche Bekanntmachung gleichfam verpflichtet zw
ſeyn, diefen Gegenftand, bei beſſerer Muße, weiter zu erörtern,
Hr. Prof. 2. zweifelt naͤhmlich, ob das Wort Haeduth,
wie ich überfegt Habe, das Bemußte. bedeuten könne, ins
dem es alsdann, aus einer ganz andern Wurzel entfprungen,
Hadeuth heiſſen müßte; aud werde das Wort Haeduth
(Pf. XXV. :10,) auedrucklich mit Berith (und) für
. gleichbedeutend. genommen. ‚Wollte ich nacht den Schuͤtzling
— — — — —
) S. den Oktodet disfäs-Zeisfeheift, = —— it
ss UL Nachtrag ꝛc.
meines Freundes, den maſoretiſchen Text, ſchonen; fo kͤnnte
ich freilich ſagen, daß bei der vollfommenen Gleichheit der
Buchſtaben in den Wörtern Haeduch und Habdeuth, eine
folche Verwechfelung nichts Unmoͤgliches enthielt. Was aber
den gedachten Vers in dem Pſalmen betrifft; fo heißt dort
Eduth nicht das Inſtrument des Bezeugens, fondern das,
was durch daſſelbe bezeugt warb: die Geſetze nahmlich. Denn
der Vers lautet: „Die Wege des Herrn ſind voll Guͤte und
Wahrheit, denen, bie feinen Bund und fein Zeugniß, d. h.,
die Sefege, halten.” Auch findet man ı Kön. VIII, 9. und
a Ehron. V, 10. dieß noch deutlicher. ausgedrüdt, indem es
dert heißt, „die Tafeln lagen darin, die er ließ auf Horeb,
da der Here einen Bund machte.“ Alſo waren. die Tafeln
weder ber Bund, noch das Zeuguiß. Doc) da fteht das Wort
Berith, welches nichts entſcheidet. Ich laffe es daher dahin
geftellt feyn, was man aus dem Worte Haeduth machen
will, da der. Beweis, den ich daraus für meine Hypotheſe ent⸗
lehne, von gar keiner Bedeutung iſt. \
Die zweite Bemerkung, die mie Hr. Prof. 2. mittheilt,
befteht darin, daß der Hohes Priefter am Verföhnungstage
doch einige ziemlich ftarke Leiter mit in das Allecheiligfte genoms
men babe, als nähmlich bie metallene Rauchpfanne, und den
Rauchdampf, der aus derſelben in die Höhe flieg. (3 Mof.
XVI, 12. 13.) Allein gerade in dieſem Verſe ſteht der merk⸗
wuͤrdige Zufag : ‚daß er nicht flerbe!. Da alfo diefer Nauch ihm
als Mittel gegen die ihm drohende Gefahr angegeben wird, fo
muͤſſen wir uns mit dem begnügen, wag wir wiſſen, oder viel⸗
mehr geflehen: daß wir die Rauchart nicht kennen, die vor
irgend einer Todesgefahr, fen fie durch Elektricitaͤt ober nicht,
Thüge. (S. 4 Mof. XVI, 46.) Denn daß- Lebensgefahr
UL Nachtrag ıc. 527
— — — —
mit dieſem Gange in das Allerheiligſte verbunden geweſen war,
und der Hohe⸗Prieſter ihn daher ſtets mit einer gewiſſen
Aengſtlichkeit antrat, beweiſet die Stelle aus dem Traet.
Juma, auf die mein Freund mich aufmerkſam gemacht hat,
und wo es heißt, daß der Hohe⸗Prieſter ſich ſtets einen guten
Tag gemacht habe, wenn er gluͤcklich und ohne Fahr aus dem
Allerheiligſten zuruͤckgekommen iſt.
Die Prieſter der pharifäifchen und ſadukaͤiſchen Sekte hat⸗
ten einen Streit Über den Ort, wo das Rauchwerk auf die
Pfanne gelegt werden müßte, da es bie legten auffer dem Als
lerheiligſten, die erften aber nach dem Eintritt in daffelbe dar⸗
auf thaten; auch fol einſt ein fadufäifcher Priefter die Ans
Hängliähfeit an diefe Behauptung feiner Sekte mit dem Leben
gebüßt haben. Allein alles das, fo wie die geheimnißvolle
Behandlung des Rauchwerks, fchreibt fich vom zweiten Tems
pel her; und. da flreitet dann Tradition mit Tradition, indem
der Prophet Sjeremias das Heilige Feuer vergraben haben, und
es beim zweiten Tempel nicht mehr vorhanden gewefen ſeyn
fol. Welche von beiden Traditionen die Achte fey, vermag id)
nicht zu entfcheiden. So viel aber iſt gewiß, daß die hier zuerſt
angeführte, meiner Hypotheſe fehr guͤnſtig iſt. Daraus liege
ſich auch die Vorfichtigkeit der Pharifker erklären. Denn
nenn man mit einem Leiter in der Hand in die Atmofphäre der
Elektricitaͤt tritt; fo muß es mit einem Wunder zugehen, wenn
man feinen Schlag befommen fol. Allein wenn der Priefter
nur mit der Pfanne in das Allerheiligfte kam, fo Eonnte er
diefe fehr leicht abfegen, und das Rauchwerk in einer Entfers
nung, nachdem er fich ſelbſt ſchon ifolirt hatte, darauf werfen.
Unterfucht verdiente es allerdings zu „werben, wor⸗
aus das Rauchwerk beftanden babe, deffen Beſtandtheile
$28. IM. Nachtrag ıc.
(3 Mof. XXX, 34.) genau beſchrieben find, und deſſen
Verfertigung doch zulehzt nur in dem Beflge einer einzigen
Priefterfamilie geweſen iſt. Wielleicht ließe Ach dabucch och
etwas näher heſtimmen. Dieß waͤre aber freilich das Geſchaft
eines philologiſchen Chimikers, der, wie die guten Leutchen
des vorigen Jahrhunderts, Worte durchs Feuer zerſetzenn, und
ein anderes caput mortuum als fein eignes darin finden
Bunte,
8 Bendavid.
IV. Dante
1V. Dentwürbigfeiten mährenb des franz. Krieges. 529
W.
Denkwuͤrdigkeiten in Ruͤckſicht auf den Geift der Zeit,
- während des franzöfifchen Krieges geſammelt.
Minften
Bei meiner Ankunft in dieſe Stadt fand ich die Thore mit
preußiſchen Truppen von den beiden weſtphaͤliſchen Infanterie
Regimentern Romberg und Manftein befegt. Kurz vorher,
als die Deftreicher die Stadt räumen mußten, zogen Schaaren
vor Menſchen in Prozeflion durch die Stadt, und fangen den
Warſeiller Marſch. Man bedauerte daher nichts mehr, ale
daß die Franken bei Aarhus zuräcgefchlagen waren; denn man
Hätte fie in Münfter gern gefehn. Die Franken follen dies ges
wußt haben. „Noch leben die Nachkommen Kuipperdollings 1’
fagte mir ein Bürger, der mir die drei eifernen Käfige am Kirche
thurm zeigte, wo die Stifter des taufendjährigen Reiches bet
lebendigem Leibe verhungerten, „Die Errichtung einer irrdi⸗
ſchen Republik,’ fuhr er fort, „wird thnen beffer gluͤcken,
als die einer himmliſchen.“ Mit diefen Aeußerungen ſtimmten
. andre Erzählungen überein. Die munſierſchen Bürger ſahen,
bei der Annäherung ber Franken, ſehr gern, daß die Doms
Seren ihre Sachen einpadten, um die Stadt zu verlaffen.
Die Vorübergehenden wuͤnſchten Ihnen ſpottiſch glückliche Reife,
Unwillig erblickte man hier Emigranten ſich verweilen. Der
Bürger wollte fich ſchlechterdinzs niche, wie das Landvoll;, in
ß
Dritter Japıg. ater Band. er
30 IV. Dentwärdigfeiten während des franz. Krieges.
— — r — — —
Batailfone formiren laſſen, fo ſehr auch ber biſchoͤſliche Miniſter
dem Magiſtrat und der Buͤrgerſchaft drohte.
Betanntlich it Munſter ein ſehr anſehnlicher Handlungs
ort, der vorzüglich mit Holland in genauen Verhaͤltniſſen ſteht.
Daher erregt das Schickſal der Nachbaren Theilnahme, und
wird der Gegenftand des allgemeinen Stadtgeſpraͤchs. Ueba⸗
haupt hat die franzoͤſiſche Revolution, wie im ganzen übrigen
Deutſchland, alfo auch bier, alle Köpfe befhäftigt, und einm
Gemeingeift bewirkt, den man fonft vergeblich fuchte, weil
jedes Land fein eignes Anliegen, folglich auch feine eigenchim
tiche Politik hatte. Die, welche glauben, Mannichfaltigkat
der Staaten und Verfchiedenheit des Intereſſe erlaube den Aus
Bruch einer Revolution nicht, Könnten falſch rechnen. IE
fordee jeden aufmerffamen Reifenden auf. Er wird, trog der
Verſchiedenheit der Sitten, Meinungen, Religionsbegriffe und
"Kultur, jetzt eine überwiegende Uebereinftimmung politiſcher
Grundfäge bemerken. Sehr richtig ſagt ein Schtiftfteller , die
Vernunft denkt und handelt überall ſich gleich. Man nepme
an, was man heffen darf, daß die Kultur der Vernunft ſteigt,
daß fie den Menfchen immer mehr von religidſen und politiſchen
Irrthuͤmern entfleidet: fo muß eine Allgemeinheit im Denken
„und ein Gemeingeiſt entſtehen, den man ſehr richtig Weltbur⸗
gers Sinn nennt, weil er ſich über die ganje Welt erſtreckt.
Nicht indem jeder fuͤr die ganze Welt handelt, der Wirkungss
" reis iſt zu groß für den beſchraͤnkten Menſchen, ſondern indem
„Jeder in feinem, Kreiſe, ohne daß es fein Nachbar wiſſen darf,
mit allen Übrigen Erdbewohnern nach gleichen Grundſaͤben vers
fahrt. In Muͤnſter befoͤrdert einen ſolchen Gemeingeiſt nicht
bloß die Nachbarſchaft der Franken, ſondern auch das ſehr
Häufige” Lefen. freigefchriebener großer und kleiner politifher
IV. Denkwärdigfeiten während des franz. Krieges. z31
nn.
Werke, die durch iheen Beuereifer oft erſetzen, was ihnen an
„Aeberlegung abgeht, und durch Baßlichkeit des Vortrages, und
Baſtechung des Eigennuges ihrer Lefer, gelehrtere Gegner
verdrängen, die das ſchwere Gefchäft übernehmen, Maͤßi⸗
. gung und Entfagung ber Beibenfchaften geltend zu machen. In
den Buchläden diefer biſchoͤflichen Reſidenz findet'man, neben
den Erbauungsbuͤchern der. Katholiten und Proteftanten, die
neueften und freiefen.eburten der Politik, weiche in Ländern
gemäßigter Preßfseipeit:verboten find, Kein Wunder, wenn
. in unfern Tagen Unterſuchungen der Staatskunde mehr Lefer
finden, als ſchoͤne Literatur und andre Zweige der Wiſſenſchaf⸗
ten. Da bie Uebel der mannichfaltigen Staatsverfaffungen
einmal: zue Sprache gekommen find, wuͤnſcht jedermann ſich
zu belehren, wie ihnen abzuhelfen, und bürgerliche Gluͤckſelig⸗
keit zu vermehren fep. Den wenn auch über die Grundfäge
fein Zweifel mehr obwaltet, die einer rechtmäßigen Staates
verfaflung zum Grunde legen, fo kann doch Erfahrung allein
be Mittel an Hand geben, role der, burch willkuͤhrliche Eins
richtungen kuͤnſtlich gefchürzte Knoten mit beſtmoͤglichſter Scho⸗
nung der Individuen geloͤſet werden, und jedes Mitglied der
Gefellſchaft fein individuelles Gluͤck auf die ſchicklichſte Art an
bie Maſſe des allgemeinen Wohls knuͤpfen könne. Durch vers
fändiges Lefen wird eine Revolution in ben Koͤpfen verbreitet,
- die eine Revolution in der Wirklichkeit unſchaͤdlicher machen
“ann. . Die Franken übereilten die ihrige, und bezahlten des⸗
‚wegen ihre erworbenen Guter fo theuer, daß kein Nachbar fie
beneiden darf. Ein anderer Zug charakterifirte ben Grab der
Aufklärung. Das Frohnleichnamofeſt erfchien. „Wären die
Franken hier,“ fagte mein Wirth, „, fo würde diefe Prozeffion
wicht gehalten: fie iſt nur denen heilig, die Geld dafür befommen,
8a
- |
532 IV. Denfwärbigfeiten wärend des franz. Krieges.
— — — — —
und der niedrigſten Volksklaſſe.“ Er Hatte wahr geredet. Bon
den Honoratioren fehlte, wer nicht dabei Amts halber fe
mußte. Alſo erfhien, bei der Progeffion des Doms, ze
der Probft, der das Hochwuͤrdige trug. Hochwuͤrdiger um
Pfaffen ähnlicher fah ich nie einen Katholiten. Aus einen
bunten Meßgewande blickte ein gebuͤckter Prieſterkopf. Dis
lange Kinn 'vedte ſich gleich einem Holzkeil hervor. De
andächtige Mann fah, in dieſer Stellung, mit ſtarrer Deine |
nnd unverwandtem Blick nach dem Hoch wuͤr di gen, wie dr
Gymnoſophiſt nach ſeiner Naſenſpitze. Die Haͤnde bewegten
fich mit dem langſam ſchreitenden Fuß in gleichem Takt, mb
waren in dem feibnen Meßgewande um das Hochwuͤrdige ge
haͤllt. Hinten folgten die vloletten Domberten, ſch warı
zen Vikarien, und buntgekleideten Studenten. &ie lafen
Meſſe, und ſaugen aus voller Kehle. Der Domplatz iſt von
vielen Lindenreihen beſchattet. Ihre ſchauerliche Kühle begei⸗
ſterte keinen zur Anbetung, während Symbole, von Men
ſchenhaͤnden gemacht, dem verkehrten Volk bald eine erkaufte,
bald eine erzwungene Verehrung abnöthigten. Eben zog eine
preußifche Compaguie zur Wachparade.. Sie marfchiete ſchnell
durch den Zug ;. die'Officiere waren billig genug frommer Ge
fühle zu ſchonen. Der Anführer zog vor der Monftranz, und
ſalutirte, wie er vor der Fahne zu ſalutiren pflegt. Bald.er⸗
. fhienen Eleine Kinder Prozefionen. Keine Nationalbildung
war. den vielen: Gefichtern eingeprägt, die ich ſah. Haͤßlich
waren die meiften... Ein-gleiches bemerkte ich an Erwachſenen,
Maͤnnern und Weibern. Die feinen Knaben ‚trugen Ordens ⸗
‚bänder und Warſchallſtaͤbe, womit fie recht pathetiſch einher⸗
gingen. „Die Moͤnchsrace,“ fagte ich zu meinem Begleiter,
iſt. ja fo zahlreich?“ „Ich. wundre mich ſelbſt bariter,‘
IV. Denkwuͤrdigkeiten während des franz. Krieges. 538
fagte er, „da jetzt ihre Werbungen nicht mehr von Statten
sehn. Allein das unnuͤtze Zeug, die privilegieten Muͤſſiggaͤn⸗
‚ger, Übertölpeln einfältige Bauernföhne, zumal wenn fle vers
mögend find, und die Emigranten liefern manchen Rekruten. “
Bei diefer Gelegenheit durchzog ich die Straßen der Stadt.
Sie ſind bald krumm, bald gerade, bald enge, bald weit: wie
alle Staͤdte, die der Zufall erbaute. Die Haͤuſer haben zwei bis
drei Stock. Die meiſten ſind antik; doch ſieht man hin und wie⸗
der auch geſchmackvolle und moderne hervorſteigen. Was Ming,
ſter intereffant macht, ſind die abgetragenen Waͤlle, worauf
fchöne Alleen fortlanfen, und englifche Parthien angelegt find.
Das Schloß liegt am Ende der Stadt am Wall, dicht an einer
ehemaligen Eitadelle. Diefe ward durch die Geſchaͤftigkeit des
vorigen Biſchofs abgetragen, und iſt jegt ein ſchoͤner englifcher
Garten, wo Berg und Thal abwechfeln, und Wälder und
Seen fehr geſchmackvoll angebracht find. Man wandelt\um fo
viel lieber auf diefen reizenden Hügeln, da die herumliegende
Gegend dem irrenden Auge nur ein Land aus Haide und Sand
gewebt, und Gefträuche Hinter jenen arabifhen-&teppen zeigt. :
Bald nachher ſah ich die preußische Wachparade den Doms
platz beziehn. Er wimmelte von Soldaten und fremden Zur
ſchauern. Der General Kalkreuth nahm Abfchied. Diefe Scene
war für mich intereffant. Viel hatte ich im franzöfifchen Kriege
von feiner Bravheit und Feinheit gehört. Hier fah ich ihn
ſelbſt. Der Ernſt des Kriegers vereinigte ſich bei ihm mit der
Gewandheit des Hofmanns. Er neigte fich tief. Auf dem
Geſicht, lächelte unter der gerunzelten Stirne ein freundliches
Auge hervor, mit welchem der gefällige Mund harmonirte.
Jedem Staabsofftzier fagte er etwas Verbindliches; den
Subalternen empfahl er fih. Er sing in die Kreife der Unter:
gl
- 534 IV. Denkwuͤrdigkeiten während des franz. Krieges.
offiziere, nannte fie Grave Leute, vorzüglich die Romberget,
dankte ihnen für ihre Treue und Folgſamkeit, verſicherte fie
‚ feiner Gewogenheit, und wuͤnſchte ihrem Andenken gegenwaͤr
tig zu bleiben. Ach, wie das den Leuten wohlthat. Mancher
wiſchte ſich eine Thräne ab; mancher and ſtumm und beküm⸗
mert da. Ich gefellte mid) zu ihnen, und frug, was der &e |
neral gefagt härte. — Da erzählten fie mir, in ihrem ereuher
Higen weſtphaͤliſchen Dialect, und rühmten, daß Kalkreuth ſich
wimer auf fie verlaffen hätte. Sie wären fichen geblieben, we
andre gewichen wären. Die guten Leute fühlten ige viel, und
Arndteten, durch die.Artigkeit des Heerfuͤhrers, den Lohm für
ide muͤhvolles und gefährliches Leben im franzöfiihen Kriege
Die Offiziere, welche einem fo mufterhaften Beifpiele ge
folgt waren, befanden ſich wohl dabei. Allgemein lobte man
den gemeinen Soldasen: diefer war mit feiner Koft zufrieden,
half in der Arbeit, erzählte aus dem Kriege, und war im Gans
zen fehe willfommen. Einzelne Ausnahmen nöthigten ben
Kommandanten zu firengen Strafen, und verurfachten, dag
dem Milttair einige Billiarde unterfagt wurden.
Telgt. Lengerich. Oedenberg. Glandorf.
Wie man die Gärten: der Stadt verläßt, fommt man
wieder auf dürre Haide. Von Münfter bis Iburg ind
acht Stunden, und ich ann behaupten, daß ich Quadratmei
len Moorland unangebaut liegen ſah. Aus den benachbarten
Büfchen blickten Hin und wieder einzelne Bauerſchaften hervor.
Der Weg geht im Sande fort. Schon eine Meile vor Telgte
bat die Heilige Einfalt alle fünf hundert Schritt Erueifise aufr
geftellt. Ein andächtiger Katholik kann diefe Promenade uns
möglid) in vier Stunden zurüclegen... Eine Allee von Tannen
IV. Denkwuͤrdigkeiten während be& franz. Krieges. 535
führt im Schatten von dem einen zum andern, wo in halber⸗
hobener Arbeit die Lebensgeſchichte Jeſu zu fehen if. Telgt
iſt ein Eleiner ſchmutziger Ort, durch fein wunderthaͤtiges Mas
rienbild bekannt. Eine runde, ſteinerne, mit elfernen Gittern
gezierte Kapelle umgiebt es. / Jetzt thut das Marienbild zwar
auch Wunder“ ſagte der Küfter; „, allein um kein Aufſehen
zu machen, reden wir nicht mehr davon. Ehedem war es
anders”’.indem er auf die Gemälde und Krüͤcken zeigte. Ja
wohl! fagte ih — und pries die Menſchen gluͤcklich, daß es
nicht mehr ſo war.
Auf einmal veränderte ſich dieſe Erdgattung in braune fette
Erde; der Grashalm ward länger, und erquicte das Auge,
ſtatt der duͤrren Haide, mit friſchem Gruͤn. Die Baͤume wur⸗
den ſtaͤrker, und ſtanden dichter. Was konnte das anders be⸗
deuten, als die Nachbarſchaft eines Klofters? Die Geiſtlichkeit
bat ja von je her genug Zeit gehabt, die fchönften Pläge zu
beäugeln, und Blitze Petri genug, ihre Beſitzer zu tödten,
Ein Klofter, Lengerich genannt, gab mir die Landcharte an,
und wies mir die kleine Kirche nach, in deren Thurmhuͤgel die
Glocken tönten. Ich forderte einen Trunk Bier: das hatte
man eben fo menig, als einen Trunk Waſſer. Nun gab ih
mic) für den Feldpater einruͤckender Dragoner aus, und augens
blicklich war Waffer und Bier vorhanden. Mit dem Militär
au.reifen, ift doch eine trefliche Sache,
Darauf durchierte ich wieder einige Steppen. Der Torfı
boden verbefferte fi, der Hain ward dichter, aber diesmal
war es kein Klofter, fondern ein Freihof, der Oedenberg hieß.
Die Straße geht einige Hundert Schritt daneben; das Platz⸗
Gen iſt auf der Landcharte bezeichnet. Es ifk eine Meierei, bie
fon in Urkunden Karls des Großen erwähnt wird. Ein
$14
836 IV. Dentwärdigteiten während des franz. Krieges.
— mn —
Kreipof bedeutet ein Denkmal aus jenen fruͤhern Zeiten, wo
jeder ein freier Beſitzer des Landes war, das er angebauee Hatte,
Die Söhne des Vaters baueten ſich In der Nachbarſchaft az,
und fanden mit ihm in maucherlei Verhältniffen. Dean Tanız
fagen, daß ſie hier Im eigentlichen Naturzuftande leben. Sie
haben Leine Abgabe zu entrichten, Fein Untergericht bat Ges
richtszwang Über fie. Das Gebäubde ift nett gebaut. Ein Fluß
fließt daneben. In Buͤſchen verfteckt, ragen einzelne Bauers
hoͤfe hervor, Ich hatte Hier auf einer Ebene alles mannichfal⸗
tige Schöne beifammen, womit die Natur mit ihrer Zaubers
Hand eine Ebene zu pugen pflegt. Traulich wandelte Ich in dies
fer Einfamkeit herum. Wieſen zogen fih hin, und verloren
ſich in Krümmungen. Ihren Saum umfafte ein Wald, der
aus hell / und dunfelgränen Laub / und Nadelhähern befand.
Die bejahrre morfche Eiche, mit ihrem Laubkranze, fland eins
geſchloſſen von Buͤchen. Diefe umzingelten Erlen, bald ſchloſ⸗
fen ſich Tannen daran, und die Ausficht endete in einen dunklen
Schatten, worin ſich das Auge gern verlor. So änderte fich
„die Scene faft alle Hundert Schritte, An manchen Orten hatte
die Hand des Menfchen Stege gehauen, und leiſe nachgeholfen;
aber gern bemerkte man das. Vermuthlich trugen zu diefen
angenehmen Empfindungen bie artigen Befiger des. Haufes
bei. Weſtenberg hieß der Vater diefer glücklichen Familie, Sie
lebten im Wohlftande ein patriarchalifches Leben, ohne Nomas
den zu feyn, Vertraulich und gefällig im Umgange, im Re⸗
den der Natur getren, mit der fie einen Bund geſchloſſen zu
haben fchienen. Es lagen einige preußiſche Dragoners Officiere
dort. Gluͤcklich find fie, dachte ich, wenn fie dafuͤr empfänge
lich And. Der Sohn durch Beleſenheit, die Töchter durch die
Mutter gebildet, waren naiv und munter, dabei muſikaliſch,
IV. Denkwärdigfeiten während des franz. Krieges. 537
— — G m— — —
welches ihnen zum artigen Zeitdertreibe diente. Der Vater.
langte aus dem Schatz feiner Erfahrungen manches Gute her⸗
vor. So verflog die Zeit. Gleich einem Genius, war In
unſrer Mitte ein junger feanzöfifcher Abbe, der die Mädchen
unterrichtete. Hätte ich fein Geluͤbde gelobt, ich haͤtte mid
nicht in die Gefahr begeben, mit zwei ſchoͤnen Mädchen unter
einem Dache zu leben: allein die Noth lehrt viel, Auch pries
mir jedermann die Untadelhaftigkeit feiner Sitten.
Von dort gelangte id, durch wuͤſte Moorgegenden, mit
Bauerfchaften befäet, zu dem Kirchfpiel Glandorf. Hier
fängt das Osnabrädifche Gebiet an, doc dauert die Nieder
zung noch immer fort, die in Weftphalen einen fo beträchtlichen"
Kaum einnimmt. In diefem Kirchfpiel, und in &aar, Eine,
Mitte, Fichtrupp, lag das preußifche Dragonerregiment
von Katt feit dem März, und war bereits einheimifch gewor⸗
den. Der Officer vermißte, in den entlegenen Bauerſchaften,
wo er halbe und ganze Stunden wandern müßte, um Leute”
feines Standes zu fehen, bie Freuden der Gefelligkelt. Deſto
mehr gefiel ſich der gemeine Mann. Keine ſtrenge Subordina⸗
tion fonnte ftatt finden; er jagte, filchte, und übte landesherr⸗
liche Vorrechte. Mancher blieb auch dort, als das Regiment
wegzog. Allein‘ anfänglihd machten die Preußen fein Gluͤck,
weil fie Proteftanten waren. Sie betrugen ſich zwar gefitteter,
als die Engländer; aber weil fie ſtatt des ſchweren engliſchen
Geldes nur leichte preußifche Groſchen hatten, fo ſah man wer
nigftens ihr Geld nicht gern. Die Engländer bezahlten ſchwer
und viel, die Preußen leicht und wenig. Das fiel den Eins
wohnern zum Verdruß der Soldaten häufig ein. Luft zu dem
Freüdenleben bei den Eingländern verleltete auch wohl jur De⸗
fertion. Zum Erfkaunen mit Menſchen angefuͤllt war vorzůglich
gs
538 IV. Dentwärdigfeiten waͤhrend des franz. Krieges.
— —
das Kirchſpiel Slandorf. Auf eine Stunde im Umfreife rech⸗
nete man 2400 Köpfe. Der Boden ift nur Eultivirter Moor,
der aber herrliche Früchte trägt. Mir war es unerflärhar, wie,
trotz der vielen Abgaben, und bes dürftigen Bodens, fo viele
Menſchen neben einander leben Eonnten. Allein außer der Bes
freiung vom gewaltfamen Annehmen zum Soldaten, herrſcht
auch viele Betriebfamteit, fo daß in Erholungsftunden Knechte
und Mägde fleißig fpinnen, und ein Capitälhen erfparen.
Die Nahbarfchaft von Holland giebt vielen taufend Armen
Unterhalt. Während die Männer dort arbeiten, beftellt zu
Haufe die Frau den gemietheten Ader. Der Mann kommt
zum Winter wieder, bezahle mit dem erfparten Gelde die
Miethe des Hauſes und Aders, und für das übrige erfauft er
feine Beduͤrfniſſe. So vortheilhaft Holland für den Beutel
der Einwohner ift, fo nachtheilig ift es für ihre Sitten. Oft
in Holland gewefen, und fehr unmoraliſch feyn, find gleichgels
tende Ausdruͤcke. Es ift nichts natuͤrlicher. Ich lernte Maͤn⸗
ner kennen, die mehr als ſchlau und gewandt waren. Eine
unterredung mit ihnen überzeugte mid) davon. Die Kleidung
ift vorzüglich am Sonntage, ſowohl bei Männern als Wei⸗
bern, fehr rechtlich. Die Männer ſchwarzbraune Ride, und
Schuhe. Die Frauen veilchenblaue Wämfer, hellrothe und
grüne Roͤcke, und weiße tattunene Schuͤrzen. Viele wohlge⸗
bildete Geſichter bemerkte ich nicht. Ich ging in die Kirche.
Ein Gemaͤlde zog meine Aufmerkſamkeit an ſich. Ein Teufel
In Duodez ⸗Geſtalt jagte beim jüngften Gericht, große koloſſa⸗
liſche Menſchen, mit einem geſchwungenen Knuͤppel in die Hoͤlle.
Der Banerburſch, welcher mir es erklaͤren mußte, ſagte ſeht
naiv: „Das ſind dumme Menſchen! So groß, und laſſen
ſich vom kleinen Teufel jagen. Waͤre ich dabei, ich drehte mich
W. Denkwurdigkeiten während des franz. Kriegeß. 539
— — — — —
um, und blockfinkte ihn.“ — Die Strahlen einer gelaͤuterten
Religion erhellen hier die Köpfe. Man iſt duldſamer, und
zweifelt an Priefterfagen. Nichts fällt den Leuten ſchwerer,
als das Beichten. Das zeigt, daß fie [don anfangen ungläus
big zu werden. Wenn nur das Gefühl der Sittlichkeit nicht
darunter verloren geht!. Die Klerifei ift indeffen auch Hier bes
ſchaͤftigt, den Saamen der Kultur bald zu fäen, bald auszus
rotten. Die Schulen werden verbefiert. Man lehrt die hoch⸗
deutſche Sprache, die Naturgefchichte u. ſ. w. Auf der andern:
Seite darf ſich niemand der Ofterfeier entziehn. Es giebt Freis
geifter unter der Gemeinde, die ſich lswickeln wollen: allein,
wo Gewalt nichts gegen fie vermogte, half Lift. Man beach
das Weib des Einen: diefe drohete mit Ehefcheidung, gab fpars
fam Zutter, trennte fih von Tiih und Bett, und befehrte
dadurch den ungläubigen Thomas. In einem Lande, wo die
Regierung gemifcht-ift, darf es nicht auffallen, wenn gemeine
Leute offenherzig geftehen, fie fähen, daß auch Proteftanten
ſelig werden koͤnnten, da ſich viele gottesfürchtig aufführten.
Bekanntlich wechſelt ein proteftantifcher Biſchof mit einem ka⸗
tholifhen, und das Land iſt in Ruͤckſicht der Pfarrſtellen ges
theilt: fo daß jede Parthei ihren beftimmten Ancheil hat. Allein,
feit dem weftphälifchen Frieden von 1648 find in den Kirchfpies
len der Eatholifchen Pfarrer wenig Lutheraner übrig, die meis
ften find zu der allein feligmachenben Kirche, theils aus innerm,
noch mehr aber ans Außerm Drang, zurüdgekeßrt. In einem,
Klrchenbuche des Landgeiſtlichen, bei dem ich mich befand, fah
td) manche Anmerkung über die Gnade Gottes, welche die vers
ireten Schafe auf die rechte Straße geführt hätte. Die Bir "
gotterie eines alten, und die Freidenkerti eines jungen Lands
geiſtlichen gab Gelegenheit mancher intereflanten Erörterung "
546 IV. Dentwärdigfeiten während des franz. Krieges.
über den Werth des ehefofen Standes des Geiſtlichen und
den der Aufklärung. .
Die alten Geiftlichen, fo beftätige es meine Erfahrung, _
welche von Herzen glauben, Gott mit ihrem Keufchheitsges
labde einen Dienft zu erweifen, mögen wohl dann und warın,
mit leichter Mühe, troß des guten Tiſches und des Müßigges
hens, ihr Skapulier beten und züchtig und gerecht leben. Allein
was foll den jungen Mann, den modernen Theologen, der mit
lebhaften Begierden begabt iſt, aufrecht halten? Er weiß,
daß er Gott einen Dienft mit dem erweiſt, was die firenge
Kirchendiſcipli ihm auflest. Alfo mag die Finfterniß ihn vor
Zeugen ſchuͤtzen — die Natur ſiegt über die Anfprüche der
Kirche und der Dogmatif. — Bei der katholiſchen Geiſtlichkeit
muß alfo mit der Zunahme der Aufklärung in Religionsfachen,
Sittenlofigkeit zunehmen. Wer Mainz, Coͤlln und Maͤnſter
näher beobachtet Hat, wird mir beipflichten. Geht es doc,
fagte mir der junge gebildete Geiftlihe, mit der Aufklärung im
proteftantifchen Deutſchland nicht beffer. Hier ergieht man den
Landmann zum wohlgefitteten, ehrliebenden Menſchen, und
behandelt ihn, dem Herkommen gemäß, als einen Sclaven:
dies erzeugt Mismuch und Unzufriedenheit. Wenn die privis
fegirten Staͤnde noch obendrein dadurch den verhaßten Raiſon⸗
nirgeift angefacht fehen, fo fehlleßen fie — aus Inſtinkt, wie
das Schaf auf der Weide bei fhädlichen Kräutern — die Aufs
Härung ift ſchaͤdlich; denn natürlich muß es bei einigem Nach⸗
denken dem Landmann auffallen, wie es wohl anders feyn follte,
und daher, philofophifch geſprochen — wohl. anders feyn koͤnnte.
In Städten ift es noch ſichtbarer, als auf dem Lande,
daß, wenn die Öffentliche Gefeßgebung dem Bürger nicht in
dem Maße Achtung zufihert, ale er durch ein edleres Berta .
IV. Dentiofrbigfeiten während des franz. Kriegek. 541
gen verdient, er für den Staat unbrauchbar und unzufrieden
wird. Jeder theilnehmende Freund, der ihn beobachtet, muß
den wohlmeinenden Wunfch hegen, daß er zur Einfalt feiner
Vorältern zurückkehren möge, die fih dabei recht wohl befane
den. Was der Staat feinerfeits verabfänmt, thut der Bur⸗
ger zu feinem Schaden. Ungern weiht es fich. einem verachter
ten Handwerke, und lebt beſſer, und Eleidet fich koſtbarer, um
andre dadurch zu bewegen, ihn edler als einen gemeinen Hand⸗
werker zu behandeln. Daher die Klagen, daß die Verbeſſerung
der Erziehung Aufwand erzeugt; daher das Hindraͤngen nach
boͤhern Staͤnden. Ach! ihr gute Befoͤrderer der Erziehungs⸗
kunde, eure Abſichten waren loͤblich, die Folgen eurer Bema⸗
hungen aber werden für die Bürger. jepiger Staaten fo lange
ſchaͤdlich feyn, :is die. öffentliche Erziehung des Staats wit
der Privaterziehung im Einklang ſteht. ri
u
"543 V. Der Weihnachtabend.
— — — — —
V.
Der Weibnachtabend.
J Ein kleines Gemaͤlde aus dem haͤuslichen Leben.
(Beſchluß.)
Hanchen war unterdeß heran gewachſen, und hatte die Jahre
erreicht, in welchen ein ſchoͤnes Mädchen die Aufmerkſamkeit
der jungen Mitwelt, hier· Neid, dort Bewunderung erregt, ein
haßliches aber wenigſtens Anſpruͤche Däranf macht, und alles
was Putz und Mode zu dieſem Zwecke darbieten koͤnnen, in
Requifizion ſetzt. Hanchen gehörte nicht ganz zu den erſten,
keineswegs aber zu den legten. Ein Paar blaue Augen, die
unbefangen und froh um ſich Her fchauten, eine blühende Farbe,
ein ſchlanker Wuchs und ein leichter Gang machen noch feine
auffallende Schönheit. Indeſſen gnügen fie um: zu gefallen,
und die Gewoͤhnung an freundliche Züge, aus denen eine
wohlwollende harmloſe Seele fpricht, die Vertraulichkeit mit
ihnen, die zugleich eine Vertraulichkeit mit dem fhönen Hers
zen ift, feſſelt um fo gewiffer was fi einmal dem bezauberns
den Keeije genähert hat. Eine Schöne diefer Art wird wenig
Eroberungen machen, aber jede ift gewiß, fie erobert die Her⸗
sen, nicht die Sinne allein.
Ihre Mutter, weit entfernt ein fo teures Kind ihrem
Städte oder ihrer Eriftenz zu opfern, hatte gleichwohl zumeilen
die Hoffnung genaͤhrt, daß fle einfk in ihren ſpatern Tagen
V. Der Weihnachtabend. 543
. .
früge Sorgfalt und Thaͤtigkelt vergelten würde, Der brave
Rittmeiſter, dem die Wohlthaͤtigkeit gegen diefe Familie zu
einem angenehmen Bedürfniffe geworben war, fuhr fort für
die ungluͤckliche Familie zu forgen, und der Raͤthin Ludolph
war Dankbarkeit ein zu angenehmes Geſaͤhl, um dieſe wohl⸗
thaͤtige Theilnahme an ihrem Schickſal mit thoͤrichtem Stolze,
der Verbindlichkeiten fcheut, weil er Pflichten vermeiden will,
zuruͤckzuweiſen. Mit einem wunderlichen Zauber zog den alten
Sindel dieſer Familienzirkel an. Seine Taten, feine Feld⸗
zuͤge unter dem Helden Friedrich, theilnehmiende Aufmerkfams
feit auf die Thaten neuerer Helden, und die Sorge für das
Städt einiger guten Menfihen, bie an ihn gebunden wa⸗
ren, und welche er um alles In der Welt nicht hätte los ſehn
mögen, theilten fein Leben und feine Geſchaͤftigkeit. Von
jenen fprach er mic feinem alten Bedienten, einft feinem Uns
tergebnen, und mit feinen Cameraden, die er auf einer
Reffource fand, auf welche er täglich ging. In der That
find ſolche Anftalten auch nur für Männer, und für Männer
' diefer Art, d. 5. Hageſtolzen, fonft zerreiffen fie die eheliche
Hauslichteit, indem fie, minder Eoftbaren Genuß der Gefels
ligkeit erheuchelnd, zum Aufwand. verleiten, der häusliche
Einſchraͤnkungen (die böfeften unter allen, weil diejenigen lei⸗
den, welche die meiſten Anſpruͤche Haben) noͤthig machen, oder
"den Mann der dem Kreije feiner Familie gehört, an einen
Spieltifch feſſeln, wo er das Eigenthum der Seinigen dem
ö Zufall Preis giebt. — Sindel hatte ſich ſchon fo ehr an das
Haus gewöhnt, welches aus einem fo edlen runde fein eigenes
heißen konnte, daß er fein Abendbrodt aus dem Haufe genoß.
. Indeß wurde feine Bunde, die nicht zum beften geheilt
war, folimmer ; es, zeigten ſich Zufaͤlle eines burch frühe
344 V. Der Weihnachtabend.
— — — — —
Debauchen, die damals unter dem Militair mehr als jege zum
Ton gehörten +» befchleunigten Alters; fein Vermögen war
nicht gros, und — gejegt die Hoffnungen der Raͤthin Ludo lpz
wären nicht fo beſcheiden geweſen — eine Schwefter, die uns
gluͤctlich verheiratget auf dem Punfte fand, fih von ihrem
Maune trennen zu müffen, hatte die nächften Anfpräche darauf.
Als gute Mutter hatte daher die Raͤthin dafür geforgt,
daß der Verluſt — der ir in fo mancher Ruͤckſicht unerfeglich
war, — nicht gar zu unvorhereitet kame. Der Menſch iſt
thoͤricht der nur eine Hoffnung naͤhrt, und dieſe freundliche,
oft auch taͤuſchende Schaar von Genien nicht fo zahlreich als
möglich um fich Her verfammlet. Hanchen ward, als die Mut⸗
ter ihr diejenige Bildung ertheilt hatte, die fie ihr zu geben
vermogte, um die Kenntniffe einzu ſammlen und Fertigkeiten zu
erlernen, welche die Reize und den Werth eines Frauenzim⸗
mers fo fehr erhöhen, und jet unentbehrlich gerorden find,
in eine deutſche Anſtalt gefchickt, wo junge Mädchen die Bil
dung erhalten follten, welche das Zeitalter von ihnen fordert.
Es mar dies feine Penfion, wie fie wohl noch hie und da in
Berlin ſich finden mögen, und wie fe die wuͤrdige Verfaſſerin
von der Geſchichte Julchen Gruͤnthals ſo treffend geſchildert
hat. Und ware fie es auch geweſen, Hanchen wohnte nicht in
dem Haufe der Erzieherin, und trennte fi nie ganz von ihrer
Mutter, welche die Bildung ihres, Charakters nie fremden
Händen überließ. . "
Mit ſeliner Geſchituichtein wuſte Hanchen ſich den Unter,
richt welchen ſie genoß zu eigen zu machen. Sie ſprach von
trefflich franzöfi fh, Hatte eine Menge näglicher Kenntniſſe ger
fammlet, und war Meiſterin in jeder Art weiblicher Arbeiten.
Als daher eine Unterlehrerin, die fich an einen Landprediger
verhel⸗
V. Der Weihnachtabend. 545
— — — — —
verheirathete, die Anſtalt verfieß, wuſte die Vorſteherin der⸗
ſelben dieſen Platz nicht beſſer als durch Hanchen Ladolph zu
beſetzen. Die Mutter willigte gern ein, und das gute Maͤd⸗
hen hatte eine feltne Herzliche Freude, als fie ihrer Mutter
den erften Lohn ihrer Zbatigteit wie ein orle der Prise
darbrachte.
Sie war in dieſer Lage zwei Zehre bereite pen.
des Inſtituts gewefen, und hatte ſich eben fo ſehr die Zufrie⸗
denheit der Vorſteherin deffelben als die Liebe Ihrer jungen Zdglinge
erworben. — : Mit diefer Lage zufrieden, glaubte fle hie die
ſelbe vertaufchen zu konnen oder zu muͤſſen; Plane für die Zi
kunft waren von threr Seele ferh, und worzüglich: foldye ; Sie
fle von ihrer Mütter Hätten trennen Edrinen. ı-&ie ſah jeberk
tommenden Tage heiter: entgegen well fie feinen verfloffenen
bereuen durfte. Be 3
In der heitern Unbefangenheit ihres Herzens wär es iht
faſt ganz entgangen, daß Hr. Braun, .ein feiner jmger Wann,
der in der Erziehungsanftalt Unterrilit im Zeichnen Hab',. He
mit befondrer Aus zeichnung behandelte, und eine vorzägliche
Neigung gegen fie nicht ganz verbergen konnte. Einſt ihr’ Lehr
ver, jetzt ihr Gehtfferind Freund ‚Hatte er fle in-allen Eleinen
Eigenthuͤmlichkeiten ihres ‚Herzens und ihrer Laune kennen ge⸗
lernt, und glaubte in ihr die gefnuden zu haben-, 'mit welcher
er die beſchwerliche Reiſe des Lebens angenehm und froh zuruch⸗
legen würde. Seine Lage war indeſſen nicht die vortheithaf⸗
teſte, und ſchloß ihm keine Ausſichten zu dem Genuſſe eines
ſolchen Stücks auf. — Cr war aus Augsburg gebürtis, hatte
fänen Vater nie gekannt, wid der Mutter, deren Dürftigkeit
er theilte, verſprechen muͤſſen, ihm nie aufzuſuchen und noch
weniger über feine Lieblofigkeit Vorwuͤrfe zu machen, "gräh
Deitrer gahts. atet Wand. m
se“ V. Der Weihnachtabend.
— — — — — —
zeiste ee Talent für die Bildende Kunſt, und die Mutter that
was fie vermochte, um die glüflihen Anlagen auszubilden.
Gute Menſchen unterftügten ihre Dürftigkeit mit. Rach- und
That, bis er Mich im Stande fühlte aus feiner Fertigkeit Er⸗
werb zu ziehen. — Mur Eurze Zeit genoß ex indeß das Städ
thätig dankbar gegen feine Mutter zu feyn, fie farb als er. eben
In das achtzehnte Jahr getreten war. Der Pflichten, die ihn
am Augsburg banden, war er entlaffen, der Ort ſelbſt erfüllte
feine Seele, dieüberallipren Verluſt bemerkte, mit Schwermuth;
ſelbſt feine Wohlthaͤter, von denen er fih ungern trennen
wollte; riechen ihn Augsburg zu verlaffen, Zerſtreuung „und
Heiterkeit auf Reiſen zu ſuchen, und dieſe zur Ausbildung! fer
mes Talentes zu benugen. — Er gingnach Wien, und jn der
Geſellſchaft eines ungariſchen Fuͤrſten, nach Italien, — Sieg
nahm der milde Genius der Kunft fich feines verdienten Zoͤg⸗
Ammgs ans er ſtudierte die Natur und die Werke der Meifter,
deren Vertraute fie war, und kehrte nach einem Jahre als vor⸗
licher Landſchaftsmahler zuruͤck.
Leider muß die Kunft in Deutſchland nar zu oft. nach
Brodt gehen. Vergebens opferte Braun fein Studlum, feine
Kunſt und Zeit. anf, um große Schöne Werke hervorzubringen:
man fand ſie zu theuer, oder zog Ihm Die Arbeiten begünftigter
Otumper var. Wo er ſich zeigte, erwachte der Meid, fo daß
er ſich entſchlleßen mußte, mit der unfcheinbaren Miene des
Aufängers zu debätiren,. um nur. erſt feſten Fuß faflen zu
Können. Er hatte es fo oft erfahren, daß, wenn man- feinen
Merken Gerechtigkeit mufte widerfahren laffen, man feinen Cha⸗
safter anfocht. Diefen ſollte man einem Anfänger und Stuͤm⸗
per erſt eint aͤmen, und wenn er anerfannt wat/ wollte er die
Waske abziehn.
V. Der Weihnachtabend, 47
Als Zeichner und, Wlenigmaßier kam er nach Berlin, und
ſchloß ſich als Lehrling an die Academie der Künfte an. Unbe⸗
merkt arbeitete ex fort, und gewann feinen Unterhalt ale Lehrer -
in Privat Inſtituten. ‚Hier lernte er Hanchen engen, und
das Wohlgefallen an diefem. liebenswuͤrdigen Mädchen brachte
ihn auf den Gedanken ſich in Berlin niederzulaffen. — ine
ſchoͤne heitere Landfchaft, die er erfunden und gemahlt hatte,
war die Veranlaffung ihr feine Zuneigung zu entdeden. Er
ſchilderte das Gluͤck, in einer ſolchen Gegend unbemerkt unter
einem ſtillen Huͤttendache mit einem gleichfuͤhlenden Herzen zu
leben. — „Wir Künftler„ — fuhr er fort —, müffen darauf
o» Bericht thun; die Nothwendigkeit hat uns von der Natur
„entfernt, und in die Welt geworfen. Taͤuſchungen unſrer
m Phantafie, die wir fo.auf die Leinwand hinwerfen, ie ſind's,
n die uns entſchaͤdigen. Wir leben, ein erträumtes Dafeyn in
unſern Werken Hin, und diefe haben gewiß um fo mehr
m Werth, je mehr wir ung ſelbſt in fie verfegen. Doch darf
es nicht Eigenliche aber Dinkel ſeyn, war, der Künftler in
„ſein Wert überträgt; es muß Liebe ſeyn: fo mie wir einem
‚, geliebten Gegenftande gefallen mögten, fo muß, unfer Bild \
„im Werke erfcheinen. 1, u
Handen. Ich glaube Sie zu verſtehen Fu
Braun. Mögten Sie mich doc ganz verftehen wollen.
Hanchen. Die Liebe zur Kunſt und die Kunſt ſelbſt iſt im
Grunde nichts anders, ‚als die Siehe au der ſchoͤnen Natur,.die
dus dem · Urbilde in die Seele des Kanſtlers üerging. Ich
Habe überall geſehn, daß der Künftler das leicht, gewinnt, was
andere. ſchwer verdienen muͤſſen, Wohlwollen und Vertraun der
Menfchen. R
Braun. Wirklich?
Mm
sus v.'' Der Weihnachtabend.
Hanchen. Auch iſt das natuͤrlich. -Ein’Bemälde, ein Ger
dicht, es legt fo rein den ganzen Charakter dar, fo anfprucher
los zugleich , und fo einſchmeichelnd. Main ift fo geneigt, Tas
fo ſchon ift, auch für wahr zu halten. \
Braum. Nur das Wahre ift fhön.
Hauchen. Diefe Landſchaft, zum Beiſpiel, — mie ift als
ſahe ich Sie überall in der Gegend; dort auf dem Berge, hier
an der Eiche, auf diefer Bruͤcke, oder im Kahn, und... .
Braun. Und überall einfam. "
Hanchen. An Freunden wird es Ihnen nicht fehlen.
Braun. Wenn diefes ſchoͤne Wort mehr als ein Compliiment
ſeyn fol; fo muß ich auf Ihre Freundfchaft rechnen koͤnnen.
Hanchen. Wer heißt Sie daran zweifeln?
Braun. Mein Bewuſtſeyn, — mein Gefühl, das ganz
erwledert feyn will, meine Liebe —
Handen, Lieber Herr Braun —!
Braun. Hanchen!
Hanchen. Ich verfenne Ihre Verdienfte nicht —
Braun. Keine Ausfluͤchte. —
Hanchen. Auch den Werth Ihres Herzens nicht.
Braun. O! ein einziges Wort nur." °
Hanchen. Ich habe eine Mutter, eine arme Mutter, —
bin felbft ſehr arm. .
"Braun, Barum das jezt?
Hanchen. Sie har geforge mic glücklich zu machen; ich
kann nicht glucklich ſeyn, wenn fie forget. "Meinem tünftigen
Manne wird auch meine Mutter zu Theil, oder viellelcht zur
Laſt fallen. Et muß mich fehr fieben, um das zu thun; aber
ich werde Ihm auch unausfprechlich dankbar ſeyn.
Braun. Und wenn jemand diefe Bedingungen "erfillm
V. Der Weihnachtabend. 549
— — —— nz
konnte und gern mollte, wuͤrden Sie ihm Ihre Hand nicht
verſagen?
Hanchen. Mein Herz wuͤrde ich ihm ae, über meine
Sand entfcheidet meine Mutter.
Braun. Sagen Sie dies auch mir?
Handen. Ihnen, und — gern.
„Braun. Sie würden mid wählen? andern vorziehen?
Hanchen. Sa. Ich erröthe darüber nicht, Ihnen bies
zu geftehen, Ich würde Sie wählen, aber meiner Mutter
Wille if mir mehr, als die Wahl. meines Herzens, weil ihr
Städt mir wichtiger it, als das meine. Sie wird meine Zus
fetedenheig nie zum Opfer verlangen, und doc) würde fie nur
Erwiederung beffen fordern, was ihre mütterlihe Treue mir
und meinem Bruder gewährte. — Reden Sie mit meiner Muts
ter; bis dahin Fein Wort mehr davon — und auf einen gewiſſen
Fall auch nachher mit mir Fein Wort mehr darüber.
Braun war durch diefe Erklärung in eine wehmäthige
Ruͤhrung, aus Furcht und Hoffnung, Freude und Beforgniß
vermiſcht, geſetzt worden. Hanchens Zuneigung war mehr,
als er erwartet hatte; Das offene Geſtaͤndniß, welches dem
unverſtellten Kinde der Natur ſo wohl ſtand, freute ihn innig,
aber die Bedingung, daß ihre Wahl nur- von der Mutter abs
bangen duͤrfe, daß fie ſich nie von ihr trenne koͤnne, fo ſehr ee
fie verehrte, fiel ihm wegen feiner Lage ſchwer auf das Herz. —
Erıglaubte dah-egZeit.fey ſich bekaunt zu machen, und feinem
Glaͤcke einen Schwung zu geben. — Die Kunſtakademie hatte
für den Herbſt des Jahres eine Ausſtellung von Kunſtwerken
augekuͤndigt; er ergriff dieſe Gelegenheit, um aus feinem Dun ⸗
kel hervorzutreten, und die Larve, unter welcher man ihn bis⸗
her immer verkannt hatte, abzumerfen. — Der Entwurf zu einer
Mm;
ss V. Der Weihnachtabend.
— — ñ — ——
Landſchaft, welcher jenes für ihn fo wichtige Geſpraͤch veran⸗
laßt hatte, wurde in einem großen Oelgemaͤlde ausgefuͤhrt, au
welchem er im Stillen mit allem Bleiße arbeitete. Es ſchien ihre
Pfücht der Dankbarkeit zu feyn, diefem Werke feine fchönften
Stunden, feine beften Kräfte zu widmen. Liebe begeiſterte,
Hoffnung fpornte Ihn. — Sein Gemälde ward ausgeſtellt; es
empfahl fi dem Kenner, wie dem Liebhaber; das allgemeine
Lob vereinte fich Hier, Braun ward neben vorzäglihen Kuͤnſt⸗
„tern genannt, und nur der Neid rannte ſich die Frage ins Or:
iſt's auch von ihm? — Sein gluͤckliches Geſchick wollte, daß
ein fremder Fürft, der gerade damals fi in der Hauptflade
aufbielt, feine Bekanntſchaft wuͤnſchenswerth fand, fuchte,
und machte. — Eben fo fehr durch die Annehmlichkeit des Chas
rakters, als durch das Talent deg Kuͤnſtlers gefeffelt, wänfchte
er ihn an fi zu binden, und trug ihm an, unter vorcheilhafs
ten Bedingungen fein Hofmahler zu werden. J
Braun wagte es nicht, ihm zuzuſagen, ſondern bat um
Sedenkzelt, die er anwandte, um Hanchen und ihre Mutter
mit feinen Wuͤnſchen und Ausfihten bekannt zu machen. —
Man hörte ihn gefällig an, feine Geliebte war eine fo herzliche
unbefangene Zärfprecherin, er ward mit dem Bedeuten entlafs
fen, daß man nähere Nachricht Über feine Familie und deren
Einwilligung wänfhe, um ihm fie auch vor diefer Seite zu
geben. — Er fagte, daß er zu Augsburg gebohren, und-eine
Waiſe fet, daß er feinen Water nicht gekannt, und feine Mut
ter zu fruh für ihren Werth verlohren habe: allein, ohne des
wegen Mißtramen in feine Worte zu ſetzen, forderte man um
fo mehr Beweiſe, da ar. fo allein in der Welt da zu ſtehen ſchien.
Braun verfprah Re, bis dahin warb Ihm der Zutritt zu dem
Hauſe ſeiner Geliebten nicht verfagt.
V. Der Weihnachtabenb. 351
— G G — ç —— —
So anſpruchlos indeſſen Hanchens Netze waren, fo hats
ten ſie doch das Herz von Sindels Neffen, der ſie taͤglich ſah,
geruͤhrt, und einen ähnlichen Wunſch bei ihm, wie bei Braun
erzeugt. Oft hatte er ihr, ſcherzend mehr als ernſt, ſeine Zu⸗
neigung zu erkennen gegeben, fie mit leichtem Sim leichte
Gefuͤhle beantwortet, und fo hofte er, wo er nur hätte mins
ſchen follen. Die Erfheinung des neuen Gaſtes im Haufe,
den man fo wohlwollend, wie es ihm zuweilen fchlen, ſelbſt
zutraulich behandelte, erzeugte in ihm eine Art von Eiferfucht,
. und diefe Leidenfchaft, wie fie faft immer thut, fegte ihn in
eine Unruße, die ihm felbft eine unangenehme Gewißheit wun⸗
ſchenswerth machte, wenn fie ihm nur aus der verdrießlichen
Ungewißheit 309.
Da er.über die Gelanumhen d des Moͤdchens keinen Zweifel
mehr hegen zu dürfen glaubte; da er mußte, daß die Mutter-
ihren Wünfchen nachgeben würde, wenn fie die Billigung des
‚ alten Sindel Hätten: fo ‚glaubte er, daß fein Oheim die erfte
Inſtauz ſey, vor welche er fein Begehren bringen müßte.
„Was giebt's?“ redete ber Oheim Ihn au, als er in das
Simmer trat.
Neffe. Ich will heirathen, Onlle.
Onkle. Heirathen? — Here Referendarius!
Neffe. Ich bin majorenn, — meine Güter —
Ontle, Schöne. Guter. — Aber du haſt einen Bru⸗
der, der — oo. B . \
Neffe. VBlödfinnig, und eben darum auf. wenlg Bebirfs:
wiſſe eingeſchraͤnkt iſt.
Onkle. Aber eben, darum auf deine bruͤderlichen Aufopfer
augen die gegrändetften Anſpruͤche hat.
Neffe Ihm folk nichts entgehn.
Mm4
3 V. De Weihnachtabend.
— — — — —
Onkle. Ich glaub’s dir, fo. lange du mit deinem Weibe
und ihm allein biſt: aber da kommen Kinder, die wachen heran,
und mit ihnen Ihre Bedurfniſſe und Forderungen. — Es giebt
Immer. eine ungluͤckliche Ehe, wenn man am Verlobungstage
nicht zwölf Jahr weiter hinausdenft. So lange ein Wunſch
nur in der Seele herrſcht, ſchweigen bie Übrigen ftill; iſt dieſer
aber befriedigt, fo wachen die übrigen alle nach einander auf,
und fordern gleiches Recht. — Kann man's ihnen dann nicht
gewähren, fo ſteht's fhlimm, und die muß büßen, die um
ſchuldig daran iſt.
Neffe. Dies Schickſal wird meine Frau nie treffen.
Onkle. Weißt du das fo gewiß? — Das ift auch fo eine
von den falfchen Hoffnungen. — Iſt fie reich?
Neffe. Wenn Tugend, Schönheit, Wohlwollen und Ser
nuͤgſamkeit — —
Onkle. Wußteſt du die zu [hägen? — Die Herren deiner
Art pflegen fih fonft nicht darauf zu verſtehen. Es iſt euch
eine Münze, die man außer Eurs gefegt, und die man hoͤch⸗
ftens hervorfucht, um ſich mit einem alten verdrießlichen Onkle
abzufinden.
Neffe. Sie werden meine Wahl billigen.
Dnkle Meinf du? — Wenn fie denn nicht reich if,
ſtiftsfaͤhig iſt fie doch 7
Meffe. Wer witd jetzt darnach fragen?
Onkle. Ich. Eure neue Mode und Aufklaͤrnng, wie es
heiße‘, kammert mich nicht. — Wohin mit den Kindern, wenn
fie fo kommen, man weiß nicht, wie? Es ift ein: großes Gluͤck
für den Adel, daß er ein Prärogativ auf folhe Stiftungen
hat, wo man nur die Geburt zu Tegitimiren braucht, und wo
von Verdienſten die Rede nicht iſt. — So etwas muß inan
V. Der Weihnachtabend. . 353
— — — —
der Familie erhalten, und wär’ es auch für bie Kinder der
Kindeskinder.
Neffe. Die werden das nicht mehr erleben.
Onkle. Schweig! mit deinen Prophezeihungen. Unter
> allen Propheten find mir die verliehten die verhaßteften. — SR
fie ſtiftsfahig?
"Neffe. Gott bewahre!
Ontle, Vielleicht gar nicht einmal von Adel?
Neffe Mein!
Onkle. Daraus wird nichts.
Neffe Es iſt Handen —
Onkle. Unfer Hanchen bier? .
.Nrffe. Welche fonft?
Onfle. Wetter, du verſtehſt dich auf's Aus ſuchen.
Neffe. Nicht wahr? Sie billigen meine Wahl, Sie —
Ontle Halt! — So weit find wir nicht. — Das
Wadchen — \
Neffe. Steht mich gern.
DOntle Iſt arm.
Neffe. Ihr Herz fo reich an Liebe und Tugend.
Onfle Du bekoͤmmſt die Mutter und den Bruder mit
auf den Hals.
Neffe. - Eine füge Pflicht,
Onkle. Unfere Sippſchaft wird die Nafe eimpfen,
Meffe Mag ſie.
Onkle. Das wird deiner Frau weh sun.
"Neffe: Sie foll ihr nicht zur Laſt fallen.
Onkle. Du haſt noch nichts. Biſt noch nichts.
Neffe. Ic) werd’ ein Landmann.
Mms
354 V. Der Weihnachtabend.
Onkle. Plagſt die Bauern, um ſelbſt faulemzen zu Eine
nen. — Rechne nicht darauf, von mir zu erben. .
Neffe. Das fir ih?
Ontle. Auch das Mädchen nicht, ich Hab’ an ‚andere zn
denken, bie mis näher find — ih —
Neffe. Lieber Onkle!
Onkle. Ich wil mit der Mutter reden, wills mit der
voch einmal aͤberlogen
Neffe Ich darf Hoffen? .
Onkle. Thu mas Du willſt. Jezt laß mid ale.
Sindel war in Verlegenheit. Hanchen galt Ihm. viel ; feine
Meffe war ein ganz guter Menſch, beffen eigentlihe Sphäre:
ruhige ländliche. Thärigkeit zu ſeyn ſchien. Es ſchien offenbar
bes Mädchens Ungluͤcknicht zu ſeyn, und fie mußte ihn wohl
gluͤcktich machen; denn jeder, ber gluͤcklich ſeyn wollte, war's
gewiß mit ihr. — Mur der Adel ſtaud ihm. im Wege. Nicht
als wenn er ftoly darauf gewefen wäre; nein, gerade das Ges
gentheil. Er fah, daB diefer Stand durch ‚eine Menge von
Vorrechten ausgezeichnet war, bie fehr wichtig ſchlenen. Er
glaubte, daß man das Verdienſt nicht darum geadelt habe,
well vom edlen Otamm edle Reiſer ſproßten, fondern weil das
alte Sprichwort, welches von Heldenföhnen nicht gar zu ehren⸗
voll fpricht, Recht habe. Ihm ſchien es, als hoͤtte man ben
Nachkommen Brief und Siegel darüber gegeben, von ihnen
weniger Werdienft zu fordern, weil ihr Ahnherr für fie gerhan
hatte, was fie ſelbſt Hätten thun follen. — Micht als wenn
das Abſicht geweſen wäre, und es fo ſern fellte; fondern weil
es die Erfahrung zeigte, und nun einmal wucht anders fer.
Daher die Güter des Adels, Präbenden, Stiftefaͤhigkeit · md «
V. Der Weihnachtabend. 555
— —— r— — —
Canonicate *). Oft pflegte er ſich auf eine orieutaliſche Nazion
zu berufen, wo nicht der Vater den Sohn, fondern der Sohn
den Vater, nicht einmal ſich felbft, durch Verdienſte adeln
#orinte, und 10 der Sporn nach Verbdienften zu ſtreben, weit
natuͤrlicher und wirkſamer fortgepflanzt wuͤrde. — Es wird
immer ſchwerer für den Menſchen, — dachte Oindel, — fein
Daſeyn zu erhalten; man muß ihm keinen Weg verſchließen;
und in ſo fern der Edelmann, der eine Buͤrgerliche zur Gattin
wählt, ſelbſt feinen vielleicht beduͤrftigen Nachlommen, in der
fpäteften- Zukunft nachtheilig wird, iſt er verpflichtet darauf zu
fehen. Wenn er auch das Gluͤck feiner Kinder durch Erzies
Yung garantiert, weiter geht's doch nicht, und für Siclungen
fan niemand ſtehen.
» Alles dies waren indeſſen nur Betrachtungen, die um fo
weiter von feinem Herzen entfernt waren; da er feine- Kinder
Hatte. Auch war es nicht dee Mann, ber feinen Verſtand und
wiellsicht auch feine. Vorurteile Aber fein Gefühl Hätte ſollen
Herr werden laffen. : Seines Breundes Tochter lag ihm näher
am Herzen, als die Entel feines Neffen‘, und das Gluͤck dev
Familie Ludolpg. näher, als die Wohlfahrt des Adels.. — Am
Ende, dachte er, liegt's immer am Wollen, Seder Menſch
hat Geiſtes/ oder Körperfräfte um. fich Verdienfte zu erwerben;
mag er fie gebrauchen. . Warum ſollen die Sindels des künftix
gen Jahrhunderts etwas vor andern ehelichen Kindern woraus ⸗
haben? Oder werben denn alle Sindels, der Zukunft Schafs⸗
Fäpfe oder Krüppel feyn?. — Wenu er ohne fie, und fie ohns
”) Gindefrpfeste einen Caypnicus durch folgende Worte zu definiren,
deren Anfangebuchiladen das Wort Liefert: Creatus Ad Aullum Opus Nif,
In Curam Veutris Sui, Das ſcheint a auch fein ganzes Latein gewe ⸗
fen au feon.
556 V. Der Weihnachtabend.
— — — — —
ihn, tie man zu ſagen pflegt, nicht leben, das heißt glucklich
ſeyn kann, fo muß er fie freilih Haben. Er iſt erwachſen genug,
um das zu überlegen; und liebt er das file Landleben, voozsz
ſoll er ih denn zu. feiner Qual in den Karren der Sefchäfte
fpannen? — Sie ift nicht reich, aber ſparſam, weiß mit weni⸗
gem auszukommen, und Eennt bie Eitelkeit nicht, für bie fo
mancher Ehemann, der ein reiches Mädchen erkohr, fo gern
ihr ganzes Vermögen als Neukauf zurädgäbe. Sie hat Feine
Ahnen, aber Tugend ift inihrer Bamilie zu Haufe. Ich Imug
mit der Mutter reden, vielleicht iſt ihr Herz noch frei, obſchon
Das viel wäre von einem fiebzehnjährigen Mädchen.
Sindel theilte der Raͤthin Ludolph die Wuͤnſche feines
Neffen mit. Es läßt ſich bei ihrem fonft fo biedern und offenen
Charakter ſchwer entfcheiden, was fie dazu bewog, ihm das
Verhaͤlltniß Hanchens gegen Braun zu verfchweigen. Bares
eine leichte Anwandlung von Eitelkeit, oder die einer Mutter
fehr verzeihliche Beſorgniß, daB Brauns Empfindung für die
Tochter leicht eben fo unfiher, als feine Ausſichten feyn koͤnn⸗
ten, daß eine gewiſſe Verfargung vorzuziehen fey. — Sie hörte
Sindel fehr aufmerkfam an, und war fehr. erfreut über, die
Ehre, die ihrer Familie ergeigt würde.
„Nichts von Ehre,“ erwiederte ihe der Rittmeifter,
„darauf kommt’s nie an fondern auf Liebe. Hat die Kleine
fh ſchon jemand — -
Raͤthin. Sie iſt ja noch ein Kind, von Liebe kann die
Rede nicht feyn; gefallen mag ihr wohl biefer und jener.
Rittm. Diefer und jener? B -
Raͤthin. Wie Kinder denn fo find, ſich vom Aeitßeren ans
zichn zu laffen — "
Rittm. Und Sie, Mama?
-—.-—-—_ - -—0.—0—n_ 2.» m
V. Der Weihnachtabend. 557
—rr ———— — — — ——
Raͤthin. Ich üͤberliefere Ihnen meine Mutterrechte.
Rittm. Um mie einmal deſto derbere Vorwuͤrfe zu ma
chen. — Nein, daraus wird nichts,
Rathin. Sch habe nichts dagegen.
Rittm. Und der Bruder, Carl?
Rathin. Sollen wir den auch fragen? '
Ritem.- Allerdings, — Seine‘ Schtvefter wird vornehm,
es Eönnte leicht feyn, daß er Über die Ehre, der Dntet von
Dunkern zu ſeyn ; die: Ochweſtet verldhte.
Raͤthin. Im Gegentheil, ſeine Laufbahn wird dadurch
beſſer, und fein Fortkommen in der Welt ſichrer.
Rittm. Um · Zungens iſt mir tie bange geweſen.
Raͤthin. Sie Haben nie Kinder gehabt.
Vittm. wan iacheint) Das wiſſen Sie ja nicht. — Indeß
ich habe nicht fuͤr Sie entſcheiden wollen, und mag Sie daher
auch nicht bereden, fo zu entſchelden, wie ich entſchieden Haben
wurde. Ich nehme Ihte Einwilligung an, und nun ſehicken
Sie mir das Mädchen, ‘
Ehe die Mutter die Tochter fandte, benachrichtigte fie die
felbe von dein was vorfallen wuͤrde, und-verbot ihr fehr ſtreng,
ſich etwas von dem merken zu laſſen, was zwifchen ihr und
Braun obwalte. - Sie wuͤrde ohnfehlbar den Rittmeiſter erzuͤr⸗
nen, den nichts mehr aufbringen koͤnne, als Mangel an Offens
herzigkeit. Es Te zu beſorgen, daß fie dadurch Ihre ganze
Famille ins Unglaͤck Kärzen wuͤrde, weil der Rittmeifter fie
deswegen wohl gar verſtoßen fönnte. Weberhaupt folle fie auf
Braun nicht fo fehr rechnen. ‚Seine "Verbindung mit dem
fiemden Fürften fey doch nach immer kein ficheres Brodt; auch
Fame ihr feine Reife, die er gerade: jest angetreten hätte, fo
bedenklich vor. Man reife fonft nicht fo leicht von einem Orte
55 V. De Weihnachtabend.
weg, wo man eine Braut habe, Freilich habe er geſagt, daß
er durch perſonliche Gegenwart feine Angelegenheiten fehneller
abmachen, und fic früher bie Beweiſe feiner Geburt verihaffesz
könne; allein bedenklich ſey's doc) immer. Künftler -vohrer
locker und lofe in der Welt, bald Gier bald dort, uͤberall und
tieder auch nirgendg zu Hauſe. Sie folle igre ganze Lage bes
denken; der junge Mann ſey xedlich, fein und artig; fie ſolle
digen, daß ſie Kur gute Tochter ceyee.
Alle dieſe Ermahnungen waren eine Fame Vorbereitum⸗
auf eine fo ernſthaſte Unterhaltung. Je inniger Hanchen ihren
Braun liebte, je mehr wurd ihr Herz mis Furcht und Beſorg⸗
niß erfuͤlt. Sie liebte die Wahrheit und Offenheit fo fehr, und
follte fie nun verſchweigen, und.fich:venfeflen.. Aber das Gluͤck
ihrer Mutter hing daran, welches Ihr mehr ale ihr eignes ge"
Bitternd trat fie in. Sindels Zimmer.
> yrıRonma ben, Hanchen!“ — cief. er ihr entgegen. =
Sie nahte ſich ihm. „Willſt Du heirathen 7. fuhr er. fort. .
Das Mädchen errhtthete und ſeb Bun und, velädum
vor ſich niet. u in"
Oey ‚nicht bloͤde. Sik nun gr und ur, PR
en then iſt delg Beruf. — Schaͤme. Dich nicht f - ‘
Hauchen uitene, und fonnte noch immer: feine Worte
finden. . :
” Bent doch Ken in ic um Did, free. _ “Dann
muͤßteſt Du freilich. zittern. — Nein, mein Kind, ich habe
einen huͤbſchen, braven jungen Mann; für Dich, meinen
n Refien. -— Magft Da ihn wohl Jeden? -
Je mehr Sindel fich feiner Abſicht näherte. defto belthen
ältterte das Mädchen, und deſto unmoͤglicher wards ihr zu
reden. Ba ra *
V. Der Weihnachtabend. 0
„Willſt du gar wicht reden?“ fuhr Sindel fort. „Nun,
ich werde. dich wohl. auch fa verftehn. — Bis wahr, es iſt
ein huͤbſcher Mann?“.
Hanchen laͤchelte.
„Du liebſt feinen andern?“
Das Mädchen ſchauderte zufammen, and zitterte —
m Sag’s ehrlich und grade heraus, — Wenn du, einen
andern liebft, fo —.h —8 ig
Hanchen fuchte ſich osueinden, ERER
„Nun ich glaube dir's, ohne Wiſſen ‚der. Dinteer, ”
„mir davon zu fagen, hättefk du das gewiß nicht gethan.“.
Thraͤnen fielen aus ihren: Augen.
, Naͤrrchen, weine doch nicht. ‚Sch, kenne Freuden ⸗
erthränen. — Wunderliche Geſchqͤpfa ſeyd ihr Weiber doch; —
immer; gleich- Thraͤnen. Laß nur, Tolß-(chen wieder lachen. -
Jetzt kuͤſſe mich, und lauf.“
Sie warf ſich mit beftigen Thraͤnen —8* Ania”
⸗WMacht's dich fo gluͤcklich, unſchadizes a Kind; en. gu
atroft, ich habe dich fehr Lieb.” “
Schluchzend verließ fie.das Zimmer. ,
Freilich wollte 26 dem Nittmeifter, als. er ſich allein kand,
und dem Bexragen Hanchens nachdachte, nicht fo ganz eine
leuchten, daß fie lquter Freude bezeugt habe; allein die Mut
ter, welche bald nachher ſich bei ihm einfand, beftägfte ihn im
dieſem Glauben, fo daß er ſich überzeugt Gielt, fie habe der
Mutter gradezu entdeckt, was fie bei ihm fo verfchämt zu ber⸗
gen bemuͤht war.
Der junge Sindel war entzuͤckt, und wuͤnſchte nichts Ir
Bafter, als ſich fpines Eigenthnms durch -eine Verlobung zu
werſichern; auch die Mutter, welcher im Stillen vor der. Ruͤck,
s6o V. Der Weihnachtabend.
kehr Brauns bange war, haͤtte die Befchlemigung der Cere⸗
monie gern geſehn: allein der Rittmeiſter verlangte, DaB man |
fie bis auf den Weihnachtabend auffcieben mögte, ver ohne⸗
"dies nur noch einige Tage entfernt war. — Er Hatte dieſen
Abend feit mehreren Jahren fhen zu einem Aerndtetage der
Treuden gemacht, die ihm feine edle Wohlthaͤtigkeit verſchaffte.
Manche ungluͤckliche Familie, die er unterftägte, bez er ſich
zuweilen das ganze Jahr hindurch verſchloß, mußte dann ihre
Kinder zu Ihm ſchicken, um ſich die Geſchenke, welche er für
Kein und Groß beſtlinmt Hatte, abzuholen. — Nie ſah man
ihn feoßer; als an dieſem Abend; nie gefihäftiger, als Jurvon.
Er duldete nicht, daß ihn jemand in feiner- Thätigkeit unters
fügte, oder haͤlfreiche Hand leiſte: ur ſetn alter Diener durfte
ihm helfen, und war. da gleichſam der Geſelle, wo er den
Meifter ſplelte. Mehrere Tage zuvor durchſtreiften fie Kram
fäden und Buben, um einzufaufen, verbargen'es dann mit
einer ernfien Myfteriofität, und wehe bem Meugierigen, ber
es gewagt haͤtte, in dies Heiligthum bringen zu wollen. Der
alte Diener hielt Schildwache davor wie der Engel mit dem feurds
gen Schwerdte vor ben Paradieſe. i
Der fhöne Abend kam. — Sindels Zimmer war heil er
leuchtet. In der Mitte dehnte fid ein langen Viſch Hin, ber
ben Gärten der Heſperiden glich: denn üuberall glängten Im
Taxus goldne Früchte zwiſchen · ſchwankenden Lichtern. Dan
cherlei Geſchenke lagen unter demſelben ausgebreitet, als hätte
Pandora ihre Buchſe geöffnet, und zu Markt ihre Waaren aus,
‚gelegt. — Bald hier bald dort, von reizenden Gegenftänbeh
angezogen, irrten die Kinder herum, bis-jedes fein Zettelchen
fand. Zufriedenheit Teuchtete aus allen Gefichtern hervor, dub
gifegt auch, daß dem einen die Gabe des andern auf einen Au⸗
genblid
V. Der Weihnachtabend. 557
genblick ſchoͤner geſchienen hätte, die Liebe zum Eigenthum bey
wirkte doc bald, daß ihm das feine wieder werther ward,
Sindel ging zwiſchen den frohen Kindern umher, und aͤrndtete
in ihrer lauten Freude, in welcher fie ihn felbft fogar zu vers -
geſſen fhienen, ihren wahrften Dauk. Sein alter Bebienter
ahmte feine Rolle nach, und pries den Kleinen die Geſchenke
und ihre Anordnung an, und lehrte fie diefelden gebrauchen, —
Dig Ludolphſche Familie und der Neffe des Rietmeifters waren
gegenwärtig. Er ſchenkte der alten Käthin fein Bildniß, und
der Tochter eine goldne Uhr und einen ſchoͤnen Diamantring,
indem er fagte: Du wirft wohl wiffen, wo du etwas dafür
einzutaufchen haft.
Sein Meffe wollte fo eben ſich nähern, and fein Berlos
bungsgeſchenk anbieten, als ein Padträgee von der Poft in
das Zimmer trat,
Ich habe gewartet und getlingelt, ſagte er, aber es hoͤrte
niemand, und ba bin ich gradezu gegangen. Hier iſt ein Brief
an bie Mamſell, und ein Packet.
Hanchen zitterte, eröffnete den Brief, und fand — nicht
einmal Worte.
Man riß das Packet auf, und feine zeuge, ein Leibpelz,
eine ſchoͤne Vaſe von Silber zu einer Zuckerſchale, und eine
Sammilung von Landkarten waren darin.
Der alte Sindel nahm die Landkarten, ſah das Übrige an,
und fragte: „Woher das?”
Hanthen konnte nit antworten , Die Freude verſchloß ihr
den Mund. Die Mutter ſtammelte etwas von Unerwartetem,
nit wiſſen, ud, gl., was ihre Verlegenheit nur noch ſicht⸗
barer machte.
Indeß Hatte Hanchen in den Balten des Mußelin einige
DATE Jahn. ater Band, DL; .
!
3 V. Der Weihnachtabenb. |
— — rG— — —
Papiere gefunden. Es waren Dokumente beſiegelt und unters
ſchrieben. — Sie gab fie mit bedeutendem Blicke der Mutter. |
Mein Gott! wasiftdas? rieffleaus. — Herr Rittmäfer —
Er iſt's, Mutter, er iſt's! — rief Hanchen entzuͤckt ans,
und hing am Halſe des Poſtknechts.
Ja, ich bin's, — erwiederte dieſer — und lag im Are
der Geliebten.
Zum Teufelt was iſt das? ſchrie der Rittmeiſter auf, —
fpielt ihr Blindekuh mit mir?
Herr Rittmeifter — fagte die Raͤthin ſtotternd, — erim
nern Sie ſich nicht des Namens Joſephine?
„Was ſoll das?"
Joſephine Braun, fuhr die Raͤthin fort. — Sie lagen auf
Werbung in Augsburg. Daift Ihr Sohn.
Der Rittmeiſter erſtarrte, fa den Poſtknecht an, und
ſtrich fh den Bart und die naſſen Augen. „Leſen Sie,“
ſagte die Raͤthin, und gab ihm das Dokument. Dann öffnete
er die Arme, und rief: An mein Herz, Junge!
Sie find Herr von Sindel? fragte Braun, — Meine
arme Mutter. —
Rittm. Sie freut fich unfrer Berfnung. — Kuͤſſe mid,
damit ſie mir verzelhe. Sieh, was ich an dir nicht thun konnte,
that ich an dieſer.
Braun. An Hanchen? An meiner Braut?
Nittm. Deine Braut?
Braunm. Ich hab’ ihr Wort, und der Mutter Zuſage.
Rittm. Du liebt ihn, Hanchen?
Hanchen. Darfic ihm den Ring geben?
Rittm. Nimm fie. — Ich bin fehr glücklich, ich hab' ein
"enges Geſchent erhalten, ich habe Kinder und Erben.
* ©
VI. Daphne. 359
— — e ç ——— e — — —
VI.
Dapbne.
Xondum laurus erat, longoque decentia crine
Tempors oingebat de qualibet arbore Phorbus,
Ovım.
Da du Iohnend den Athleten kraͤneſt,
Ihn erquickſt mit hohem Siegsgefüuͤhl,
Kuͤhlend ihm die heiſſe Schläf umgslaͤnzeſt,
Seiner hoͤchſten Wuͤnſche ſtolzes Ziel!
Goͤtterſchmuck, fuͤr Himmliſche gebohren,
Eingeweihten nur zur Zierd' erkohren,
Schöner Lorbeer! ſchoͤner war dein Haupt, J
Eh’ es ewiggruͤnend ſich umlaubt.
Schattenteich, mit beiden Zwillingehoͤhen,
Die die ſchuld'ge Erd’ in Fluten ſahn,
Zroden ſchon von Zeyhyts fanftem Wehen,
Strebt Parnaſſus mächtig himmelan ;
Auf Cheſſalia und Phokis Auen,
Jugendlich fih ſchmuͤckend, dinzuſchauen,
Wo ber Pytho letztes Roͤcheln haft,
Peneus folj, und ſtoh Kephuflus walt.
Nu 2
v1 Daphne.
Aber welch ein Knabe ſchwebt hernieder,
Squell hernieder in des Gipfels Nacht?
Eich, es ſtrozt der Köcher voll Gefieder,
Und bie, Mienen firablen Siegermacht.
Zornis glühen feine Roſeuwangen,
Stolie Thränen in den Blikken praugen,
ber auch in fanften Schmerz gehuͤllt,
Lieblich noch, der fehönften Jugend Bild!
Eihalksaft lachelnd prüfe er feine Pfeile,
Prüfe, und wählt, und fpannet fein Geſchoß,
Hebt die Schwingen nun, — mit Gturmeseile,
Wie der Aether leicht, der ihn umfloß, —
Schwebt er auf! Wer bik di, ſchoͤner Kuabe?
Ach, am Bogen, beiner ſtolen Habe,
Deinem Gittig, deinem Lächeln ſchon,
Kenn’ ich dich, Eptherens ſtarker Sohn! —
Deien Schläfe Strahlen mild ummallen,
Deflen Bogen droht in ſtarker Hand,
Pythoüberwinder, hoch vor allen
Wirk du Sieger im Olymp genanut!
Doc) mit Eros haft du kuͤhn gerungen?T
Ha! wann iſt der Knabe je beswungen?
Eich iu rächen, ſchwebt er hoch hinauf,
Dich, o Phöbns, ſucht fein Bogen auf!
yI.. Daphne. ss
‚ Alle Götter, alle Erbenmefen,”
Mes was an Mutterbrüfen lag,
Hat er ſich su Sklaven auserlefen,
Ach, und grauſam raͤcht er feine Schmach!
Seine Pfeile treffen gleich ben Blitzen,
Boͤtterluſt träuft dem von ihren Soitzen,
Den er liebet; zuͤrnend gießt er Pein,
Heiſſen, ew gen Schmen dem Sufen ein. PR)
Horch! des Kuaben Silberbogen ſchwirret! —
Web! Apollon, fÜhlR du feine Macht 1
Wie die Taube nach dem Tauber girret,
Zaͤrtlich feufrend durch die file Nackt,
Sänger klagen, Phoͤbus, beine Saiten, -
Die ſich einig Edelthaten weihten,
Liebekrank! Dein hoher Götteripruch
Könt von Liebe nur und kuͤndet Trug, >
\
Dayhne Daphne! Mer Nomphen Frende,
Holde Daphne! fuͤhlſt du feine Macht?
rieblich, wie im lichten Strahlenkleide
Luna fanft durch Morthendunkel lacht;
Gleich der Roſe, die zu ihren Fuͤßen, x -
Königin! ded Thales Blumen grußen,
Schön, wie junger Morgenröthe Saum,
Weiß, wie deiner. Finthen Silberſchaum.
ö Nna
36a vi. Dappnei
— — — — —
Sluckliche! von allen Flurgeſpielen
Hat der ſchoͤne Bogner dich ermählet
Wirſt du feiner Liebe Gluten kuͤhlen,
tLohnen iha, von Jabruuſt fanft beſeeit —
Deſſen Finger Himmelstoͤne ruhren,
Deſſen Scheitel Sonnenſtrahlen zieren,
Der auf Delphi mächtig hertſchet, ihn,
Dem der jungen Lämpfer Wangen gluͤhn r
Wolter Liebe höher nicht den ſchoͤnen
Bufen dir, von Eros Pfeilen wund?-
Strahlet die im Aug’ ein ſchmachtend Sehnen
Nicht nach Aphroditens Wonuebund? —
Wehe, nein! Den Bötterkols su rächen, -
Daß du vor ihm fliehen, gleich den Bachen,
Wenn fie ewig fliehen ihren Born,
Wundet Dich des Knaben wilder Born —
Und fie fliehet jedes Sünglings Spuren,
Unbefannt mit Hymens Greuben, Richt,
Vo fie auf getränkten Roſenfturen
Junger Hirten muntre Kreife ficht.
Jagend nur im Schatten finfrer Haine
IR ihr wohl, bei Phöbe’s keuſchem Scheine,
Hoqhseſchuͤrztt, den Speer in zarter Hand,
Nur gefchmäckt von goldner Locken Band.
, VL Daphne, 563
m Wähle die den ſchoͤnſten aller Kuaben,
Mir sum Eidam, Daphne, meine-Lufßl
Sprich, wen folen deine Meise laben,
Schlummern wer an.biefer GSchanenbruß?
Sieh, am Schilfgeſtade möcht‘: ich lesen, a
Meinen Sproͤßliag in dem, Arm azu wiegen
Daphne, nimm. den ſchoͤnſten Gatten dir,
Zöchterchen, und brigge Enkel. mir! —“
Auf. dem Schooß die Schene ſauft wnthloen,
Sieht der Vater fo im fügen Traum. -
Aber wie der Rebe zarte Sproſſen
Koſend ranken um den Bluͤthenbaum,
Schlingt fie Arme, die voll Jugend bluͤhen,
Da die Lippen nah’ ben feinen glühen,
um ihn hin mit holdem Ungeſtuͤm,
Küft die dunkelblauen Leklen ihm.
Vater, fpricht fie, und die Wangen lleiden
Lieblich ſich in Möthe zucht ger Schaam, -
Goͤnne mir der Keuſchheit reine Freuden,
Die von Zeus Latonia bekam!
Siehſt du ihren Aetherwagen fchmebent
Ewge Keuſchheit hat er mild gegeben,
Denn fie bat, die Tochter! Freud’ erfült
Wall ich hin, ‚der Odtsin seines Wild! —“
Nu 4
54
— — — — —
VE Daphne.
Ach, und deine Purpurlippen ſprechen
Diefen Wunſch, und winken zum Genupt
Und das Auge zaubert, ſich an rächen,
ort der Blicke lieblichen Erguß.
Sol dich nimmer holde Sehnſucht räthehr
Die Entfagung tauſend Meise tödten?
Soll der Mund, den Liebe rofig ſchuß⸗
Nimmer folgen iprem Wonneruft —
Sa, die) ſchaut Mpolbnt Heit Verlangen
Lodert mächtig in der Goͤtterbruſt,
Deine elfnen Glieder zu umfangen,
Einputrinten füßer Reise Luft
Uber wie des Felſens Oreade
Stiehk du fort Durch unwegſame Piade,
Wie ein Laub, das Morgenkäfte weht!
Höoͤteſt nicht der Stimme fanftes Flehn:
Veneus Tochter weil, o Daphne, weile:
Einzig Liebe fügelt meinen Lanfl
Fortseſchrect vom nahen Jagdgeheule
Rafft ſich fo die zunge Hindin auf!
Alſo fliehen Tauben vor dem Weyer,
Barte Lämmer vor dem Wolfe, ſcheuer
Nicht das Wild des Lömen Mordbegiet / —
Ach ich folge feurigliebend dir! «
vi. Daphne. 468 |
D
Weil, o Nomphe! welches Truggebildt,
Welcher Zauber lehrt dich dieſe Sucht?
elfig, ungebahnt- find die Geßide,
Die dein Fuß zum erfenmahle fuel" «
Dornenbüfche wurden bich verlegen, -
Dir mit Blut die zarten Gerfen neyen.
Weh, du ſtuͤrzeſt him, und ich allein -
. Sol dir Schuld an deinen Schmerien fein? —
Aber wie die Hindin ſchneller fichet,
Wein die zweite Jagd vom Hügel faͤllt,
Wie fie änsgtich ſich zu retten müßet,
Sie kein Bad, Fein finfires Dickigt hält, —
Alſo Daphne! Ihre Locken fliegen .
Shen zuruck, and trunkne Weſte ſchmiegen
Sich an ſchlanke Glieder, halbenthüllt,
‚Kofen buhleriſch das fchöne Bild! —
m Kennft du mich, den delphiſchen Regierer,
Shronend in Parnaffus dunklem Hain?
Mich, den hauptumſtrahlten Bogenführen?
Elaros ift, und Tenedos if mein! .
und Patara mein! Der Leyer Saiten
Tönen nur durch mich! Bu allen Zeiten,
Ras die Zukunft huͤllt, was ift, und mar,
und ich feegenfpenbend immerbart
Nns
VL Daphne.
Liebliche! Mich haft du überwunden!
glich’ Apollan laͤnger grauſam nicht!
"IR mir en’ger Jugend Reis gekhmmden?
Mir entkoh der Gottheit Mofenliht? —"
Alſo klagend eilt auf Licbeöfdnwingens
Vbobue nachy ach, immer näher bringen
Gie dem Gott dir Beute fühen Lohn,
Immer ſchwaͤcher wird ihr lichen fhen! —
Ino, durch der Wildniß oͤde Pfade
kortseſcheucht von unbekaunter Macht,
Kommt fie an des Vaters Schilfgeſtade,
Das ihr flberrein entgegen lacht. —
Sie erbebt — und aͤngſtlich sitternd heben
Sich die: Arm’ — ach! immer näher ſchweben
Phöbus leichte Tritte durch den Hain —
Noch ein Athemsug fo iſt ſie fein! —
Wer hoqh erheben ſich ·die Hande,
Hoch empor thr thraͤnenvoller Blickl
„Vater, ſleht fie, liebt du mich, fo wende
Du vermagß’s, bie Schmach yon mir zuruch
Wenn du dich, Beherrfcher dunkler Wogen,
Nicht der Tochter heißen Fehn entiogen, —
D fo rettel Zu der Göttin Ruhm
Wandle nich, ein menes Weſen, um! — "
VI Daphne; 87
— — — — — —
und anf einmal ſtarren ihre Glieder,
Haͤnd' und Arm' und Haupt und -Rofenmund! +:
Nimmer hebt der rafche Fuß fich wieder,
Särbt fich Dunkel, murielt in den Geund.
Wie empor gehaucht vom Fräglingstäften, . :. 7
Schmiegt fich un die jugenblichen Huften, 7
um des Buſens Mölbung unentweiht, Em)
Ylöglich einer zarten Rinde mie: ı 3" T
Lichtes Grün entfprießt Den ſtarren Händen,
Laub umhuͤllt das holde Angeſicht
Schimmernd, wie: ſie junge Lene'fpenden,. -
Leimen Blätter, aus den Schultern bricht
Schnell ein Kranz von dichtverſchlangnen Zweigen,
Freudis Telres Wervere Arme neigen ° ° "
Aeſte nun, ſich um den Wipfel her,
Grüßend ihrer neuen Bruͤder Heer. — no
est umſchlinget Phoͤbus feine Schöne,
Wähnt, er dr” ein Mädchen an fein Herz!
Ah! und hört die legten Gterbetöne,
Sieht den jungen Baum! Mit Götterfchmerg
Drüdt er ihn, von weicher Kind’ umgeben,
‚Kühle die Bruſt in neuer Hülle beben,
‚Küßt den grünen Wipfel, aber doch
Slieht er fen vor feinen Kiffen noch. —
sa - MM. Daphue.
— G G— — —
on Daphne, klatt er, feine Hände puren
Liebend ſich ein Heid vol jungem Grün,
Du, Ermäplte, font mich ewig ſchmuͤden,
Eis dic) mm meine Scheitel sieh!
Prangen fol mein Köcher unb mein Bogen;
Meine Leyer ſtets von bir umjogen!
Einsis du fouß: Phdbus Bierbe fein,
SÜNe lieblich jeden Ruhm mir ein!
m Brenet euch; ihr Sieger meiner Spielel
Daphnes Lode ſchmůdt num euer Haut!
D mmfchatte ie mit. fenfter Kühle. .
Du, die mir ein. zrauſam Schickſal raubt! —
Immer kuͤſſend nach die sasten Rinde
Gängt er an,. fein. Haupthaar zu umwinden. —
Ewig nun, den ihm bie Liebe gab,
Winter dort ber Lorber ſolz herab. - |
vu. Un Jean Pan, . ss
— — — 6h—
VIE
An Jean Paul,
Gerzennt son Allen, welche mic) Liebenden
Einf lieh gewannen, welche mit Freundesarm
Au ihr mitfühlend Herz mich brüten, °
Ad! und vergeffen vieleicht von Vielen
Verkannt von Allen, welchen das Schickſal jetzt
Mic) sngeführet hat — fie verfichen nicht
Die Sehnſucht, die mir fhlägt im Bufen,
Kennen die Flamme nicht, bie da gluͤhet: —
Wie fucht umfonk nach Ruhe mein mũdes He
Nach Ruh’ in Lie’ und Freundſchaft, erſehn'te ſchon
Des Todes Ruh, weil gleichgeſtimmte
Seelen iu finden es hier veraag'te,
Da firaPteft du — o nenne dich Deutfcher doc,
Des fremden Namens Mehlthau verwelken gleich
Die Bluͤthen edlerer Empfindung —
Stralte du wir in die Nacht des Kummers,
Sg» VIEL An. Jean Pant.
— — — — —
Ein ſtiller, mildeleuchtender Hefperus!
Und deinem fanften Schimmer erhellete
Des Duntel, welches mich umhullte,
Nun ſich au freundlicher, holder Dämmrung,
O laß es Dag mir werden! — Dein Auge kennt
Dich wicht, doch faßt allmaͤchtig dein Geik mich oft,
Und tiefe heilige Kührung goß ſich
Ueber mein Innres, die Thränen rannen.
Was KIN und dunkel mir in dem Buſen ſchlief,
Erblidt ich bier in Bildern, ich ſah' entzuckt
In reizenden Geſtalten leben
Meiner geheimeſten Sehnſucht Traͤume.
Bon allen Edeln, welche mit Lieb' und Stoli
Das Vaterland umfänget, erfhütterte
So mächtig Feiner noch mir alle
Tiefen des liebenden, warmen Herzens.
Drum nimm ben Dank an, welchen mein ſchwaches Lied,
Den froher, ian ger, glühn’der mein Herz dir bringt!
Des Tünglings Dank, def" trübe Nächte "
” Oft du au freundlicher Daͤmmrung hellteſt.
Und laſſ · es Tag mir werden, wenn kein $lamin
Mich auch umarmt, Feine Kiotilde je
An meinen trunknen Buſen ſinket:
Sei mein Emanuel, du Geliebter!
xe—t*
VIE Der Herbfinebel. sm
— — — — —
VIII.
Der Herbfinebet
Die Nacht. besinnet ; See und Land
umhuͤllt ein graues Florgemand ,
Und rauhe Lüfte wehen;
Nur fchimmert durch das Nebelmeer
Ein freundlich Sternchen zu mir her ‚
Aus undurchforfehten Hoͤhen.
So blinkt auch durch des Todes Flor
Ein trößend Sternchen mild. hervor,
Und fänftiget fein Grauen.
Es ylänge aus einer beffern Welt,
Und leuchtet, wenn der Vorhang fällt,
Hinauf zu ihren Auen.
Seemann.
.—
sTa IX, Ein Wort äber bie minefien Dioden.
ZZ
RX.
Ein Wort über die neueften Moden.
cal⸗ Erklärung des Kupfer.)
Dr Herausgeber bes Archivs koͤnnen ben vorliegenden Jaht⸗
gang nicht fließen, ohne das Verſprechen, weiches fie gaben,
zu erfüllen. Es betrift die Modekupfer, die vielleicht mancher
Leſer nnd noch mehr Leferinnen nicht gern vermißt haben.
Diefes legte Heft liefert ein Blatt, deſſen Vorſtellungen reich⸗
haltig genug find, um den fo wandelbaren Geſchmack in Klei⸗
dern und Puß gehörig zu charakterifiren. Der fortgefegte Beis
fall, weichen dieſe Zeitfchrift auch im dem verfloffenen Jahre,
wo ihr der leichte Schmuck der Modekupfer fehlte, erhalten
bat, überzeugt bie Herausgeber, daß fie bei den erſten Jahr⸗
gängen einem Gegenftande ihre Aufmerkfamkeit widmeten, ber
ohne Zweifel, wegen ber Flatterhaftigkeit, die feine Natur iſt,
den mehrefien Lefern gleichgültig war. Sie verſprachen indeß
zwei Modekupfer; allein fie müßten fich fehr irren, wenn fic ſich
nicht überzeugt halten dürften, daß das Bildniß eines verdienft,
vollen Künftlers, welches das vorhergehende Heft ziert, dem
Publikum eben fo willfommen fei, als ein Modekupfer.
Was das beiliegende Blatt betrift, fo ſtellt es eine Ge⸗
ſellſchaft von Damen vor, über welche ein Spötter den Zweifel
Segen könnte, ob fie mehr Lefe s. oder Theegeſellſchaft
m.
1X. Ein Wort Aber die neueſten Moden. 373
—————— — — ——
ſey. Wir tragen fein Bedenken, fie für die erſte zu erklaͤren,
und zwar für eine geſchmackvolle, wenn anders ber Kuͤnſtler
nicht umfonft gerade diefe Form des Taſchenbuchs gewählt Hat,
um dadurch den geiftreihen Gegenftand der Unterhaltung der
Geſellſchaft, Göthe's Herrmann und Dorothea, anzubeuten,
Doch es koͤmmt hier minder auf den Geiſt als die ſchoͤne Huͤlle
deffelben an.
» Die ankommende Dame iſt mit einem Pelze bekleidet, der
feine nicht ſchoͤne Form der Bequemlichkeit, vorzüglich Leim
Fahren, zu danken hat. Man ſieht dleſer Mode den englifhen
Urfprung an, we die Bequemlichkeit, als Höchftes Prinzip im
Kleidergeſchmack, zu fehr Über die Schönheit herrſcht. Wie
doch alles wechſelt! — Sonſt zwangen fih Juͤngling und
Mädchen in läftige enge Kleider, um ſchoͤn gefunden zu werden;
. jegt zwingen fie uns, ihre Bequemlichkeit ſchoͤn zu finden. Es
biegt etroas Acht Englifches darin. — Diefer nicht ſchoͤne Dil
nun iſt, um feicht zu feyn, inwendig nur wattirt, und mit
fogenanntem blauen Fuchs befegt. Der Kopfpug Ift eine Muͤtze
von Sammt mit einer Atlasbinde und Gold. Die fle.empfans
gende Freundin trägt einen Huth & la Minerve, am den Hals
eine Binde von dem feinften Moußelin durch eine Schnalle zus”
. fammengehalten. Ueber dem Kleide von rothem Atlaß zeigt
ſich ein tuͤrkiſches Chemiſet von Moußelin, welches fih vorn in
einer halben Schürze enbigt, bie, wie das Kleid, mit goldenen,
ſilbernen oder feidenen Franzen befegt iſt.
Die figende Dame iſt in ein Mouſſelinkleid, über welchem
ein dunfelfarbiges Leibchen von Sammt iſt, gekleidet, deffen
Ermel mit goldnen Schnären zugefchnärt find. Der Kopf ift
mit einem Tuche ummunben ; eine fehr beliebte Art ihn zu ver⸗
zeren, weil die Phantaſie einer jeden geſchmackvollen Dame
Dritier Jafes. atet Band. Ds
574 IX. Ein Wort über die neueſten Moden.
— — — — —
fich Hier freier und angenehmer zeigen kann. Das Strickkorb⸗
en iſt von Silber und wird auch an fllbernen Ketten getras
gen. Ueber einem Stuhle haͤngt ihr Umſchlagetuch, welches
von Seidenhaaſenhaar ſehr locker geſtrickt, und mit ſeidenem
Zeuge gefuͤttert iſt.
Zwei ſolche Blätter werden kuͤnftig jeden Zehehera beglei⸗
ten, und um ſie ſo zu liefern, daß ſie nicht blos als Dokumente
des Geſchmacks der Zeit, ſondern auch als Vorbilder dienen
toͤnnen, wenn man ſie dazu zu erwaͤhlen würdig findet; wer⸗
den die Zeichnungen von Sommertrachten das Aprils oder
Maiſtuck, die der Wintertrachten aber den October oder us
venber diefer Zeitſchrift begleiten,